BGE 75 II 137
23. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. März 1949 i. S. Scoop
Industries S. A. gegen M & L. Waldispühl.
Regeste:
Grundsätzliches zur Anwendung von Art. 69
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 69 - 1 Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
Questions de principe relatives à l'application de l'art. 69 CO (prestations
partielles).
Questioni di principio concernenti l'applicazione del l'art. 69 CO (pagamento
parziale).
A. Mit Schreiben vom 14. August 1946 offerierte die beklagte
Kollektivgesellschaft Waldispühl der Klägerin, Scoop Industries S.A. in
Johannesburg (Südafrika), verschiedene Spielwaren, lieterbar zwei Wochen nach
Erhalt des Auftrages gegen unwiderrufliches Akkreditiv bei einer
Schweizerbank. Am 28. August 1946 bestellte die Klägerin
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telegrafisch 200 Universal Spielzeugmotoren, 50 Transformer, 50
Resal-Lokomotiven, 200 Wagen, 3000 Schienen, wobei sie Paketpostversand nicht
später als am 15. September ausbedang. In einem Schreiben vom 30. August 1946
bestätigte die Klägerin dieses Telegramm, ersuchte um Verpackung der
Eisenbahnzüge in Sortimenten und erklärte dazu:
« Ungeachtet der hohen Kosten des Paketversandes dieser Einheiten an uns
halten wir für notwendig zu sagen, dass wir diese Artikel mit Rücksicht auf
ihren hohen Verkaufspreis vor der Weihnachtssaison erhalten müssen, und wenn
es aus irgend einem Grund eine Verzögerung gibt und Sie sie nicht auf dieses
Datum per Paketpost spedieren können, so kabeln Sie uns bitte unverzüglich.
Wir dringen darauf herauszustreichen, dass eine teilweise Verschiffung und
unvollständige Sortimente für uns für den Weihnachtshandel unnütz sein würden.
»
Am 10. September 1946 erkundigte sich die Klägerin telegrafisch nach den
Portoauslagen und nach dem frühesten Versanddatum. In ihrem Antworttelegramm
vom 12. September teilte die Beklagte u. a. mit, sie könne bis zum 21.
September 20 Lokomotiven, 20 Transformer, 80 Wagen, 1200 Schienen und 200
Spielzeugmotoren liefern, den Rest am 30. September. Ebenfalls unterm 12.
September 1946 gab die Schweizerische Bankgesellschaft Luzern der Beklagten
Kenntnis von der Eröffnung eines bis 15. September 1946 befristeten
unwiderruflichen Kredites. Am 14. September verlangte die Beklagte die
Verlängerung dieses Kredites bis 30. September 1946. Am 20. September sodann
schrieb die Beklagte an die Klägerin:
« Wir verdanken Ihren geschätzten Auftrag vom 30. August und Ihre diversen
Telegramme. Wir sind in der Lage, den Versand des ganzen Auftrages nächste
Woche vorzunehmen. Wir hoffen, dass Sie den Kredit bis Ende September
erstreckt haben. Wir bedauern, dass wir Ihnen die Ware nicht so verpacken
können, dass jedes Paket eine ganze Einheit darstellt, da das Maximum für
Poststücke 5 kg beträgt. »
Am 22. September wiederholte die Beklagte auch noch telegrafisch den Wunsch um
Erstreckung des Kredites und bemerkte: « Waren werden dann unverzüglich
versandt.»
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Am 23. September bestätigte die Klägerin die Verlängerung des Kredites, wobei
sie erneut die unverzügliche Ausführung der Lieferung erbat.
Die Beklagte spedierte die Spielwaren am 30. September 1946, ausgenommen 1800
Schienen (1200 statt 3000, was zur Ausrüstung von 20 Sortimenten ausreichte).
In den Ausfuhrdokumenten gab sie jedoch den Versand von 3000 Schienen an,
weshalb ihr von der Bank auch der ganze kreditierte Betrag ausbezahlt wurde.
Erst am 11. November 1946 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über diesen
Sachverhalt. Zu ihrer Rechtfertigung erwähnte sie, die Schienen seien ihr
versprochen, aber bis zum 30. September nicht vollständig geliefert worden; um
die Frist nicht zu verpassen habe sie das Vorrätige gesandt; doch sei es nicht
mehr möglich gewesen, die Dokumente zu ändern; sie werde die ausstehenden 1800
Schienenstücke, für die sie bereits bezahlt sei, nachbringen. Auf diese
Eröffnung hin telegrafierte die Klägerin am 4. Dezember 1946, die Bedingungen
laut Brief vom 30. August seien nicht erfüllt, weshalb sie die Annahme der
unvollständigen Lieferung verweigere und die Waren der Beklagten zur Verfügung
stelle.
B. Im September 1947 belangte die Klägerin die Beklagte auf Bezahlung von
Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages.
Das Obergericht des Kantons Luzern schützte zweitinstanzlich die Klage
teilweise, indem es die Beklagte verpflichtete, 30 Lokomotiven, 30
Transformer, 120 Wagen (d.h. was über die vollständigen 20 Sortimente
hinausging) zurückzunehmen und den Gegenwert zu erstatten; ferner der Klägerin
40 % der Auslagen für Lagergebühren, Löschgelder und Zölle sowie 20 % des
Warenpreises für entgangenen Gewinn zu ersetzen, je nebst 5 % Zins seit 19.
März 1947 und unter Feststellung des Nachforderungsrechtes der Klägerin für
künftige Lagerspesen.
C. Die Klägerin legte Berufung an das Bundesgericht ein. Sie verlangt
vollumfängliche Gutheissung ihres
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Begehrens. Die Beklagte schloss sich der Berufung an mit dem Antrag auf
Abweisung der Klage.
Aus den Erwägungen:
4. Zu prüfen ist, ob die Klägerin zur Entgegennahme der Teillieferung, sei
es schlechthin, sei es, soweit sie damit vollständige Sortimente ausrüsten
konnte, verpflichtet war oder nicht.
a) Nach Art. 69
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 69 - 1 Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. Dieser Grundsatz gilt, weil
er dem Wesen der Obligation entspricht, nicht bloss für Geldleistungen,
sondern für Leistungen jeder Art. Er stellt keine Besonderheit des
schweizerischen Rechts dar. Vielmehr kennen ihn die Rechte aller Nachbarländer
(vgl. Ccfr. Art. 1244, DBGB § 266, ABGB § 1415, Ccital. 1942 Art. 1181
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 1181 - 1 Für Beschlüsse, die weder in die Gläubigerrechte eingreifen noch den Gläubigern Leistungen auferlegen, genügt die absolute Mehrheit der vertretenen Stimmen, soweit das Gesetz es nicht anders bestimmt oder die Anleihensbedingungen nicht strengere Bestimmungen aufstellen. |
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1 | Für Beschlüsse, die weder in die Gläubigerrechte eingreifen noch den Gläubigern Leistungen auferlegen, genügt die absolute Mehrheit der vertretenen Stimmen, soweit das Gesetz es nicht anders bestimmt oder die Anleihensbedingungen nicht strengere Bestimmungen aufstellen. |
2 | Diese Mehrheit berechnet sich in allen Fällen nach dem Nennwert des in der Versammlung vertretenen stimmberechtigten Kapitals. |
Jedoch ist die Regel des Art. 69
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 69 - 1 Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
vorliegend darauf an, ob Abweichendes vereinbart wurde oder aus anderem Grunde
massgeblich ist.
b) Die Beklagte behauptet, es sei die Zulässigkeit von Teillieferungen
abgemacht worden. Indessen ist das nicht ausdrücklich und ebensowenig
stillschweigend geschehen. In ihrer Offerte hatte die Beklagte keine
Teillieferungen vorbehalten. Anderseits konnte die Klägerin angesichts der
kurzen Lieferfrist im vorneherein die Gesamterledigung ihres Auftrages
voraussetzen und sie hat eine solche zudem mit Brief vom 30. August 1946 noch
eigens ausbedungen. Das Schreiben der Bankgesellschaft vom 12. September 1946
betreffend die Eröffnung des Akkreditivs, das die Beklagte heranziehen will,
ist in diesem Zusammenhang belanglos. Zwar enthält es den Vermerk,
Teillieferungen seien gestattet. Es wurde aber im Auftrage nicht der Klägerin,
sondern der Londoner Niederlassung einer südafrikanischen Bank an die Beklagte
gerichtet und kann darum nicht als Ausdruck einer Vereinbarung zwischen den
Parteien gelten. Fragen liesse sich, ob nicht der
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Standpunkt der Beklagten in ihrem Telegramm vom 12. September 1946 an die
Klägerin eine Stütze finde. Hier war in der Tat die Rede von zwei
Teillieferungen, immerhin in der Meinung, dass beide bis spätestens am 30.
September 1946 abgewickelt sein sollten. Rechtlich aber lag darin nicht mehr
als ein Antrag der Beklagten. Die Klägerin hat ihn nie angenommen. Dagegen ist
die Beklagte selber auf ihren Vorschlag zurückgekommen, indem sie am 20.
September 1946 bei Beantwortung der Bestellungsbestätigung vom 30. August die
ganze Lieferung für die kommende Woche versprach und am 22. September
telegrafisch wiederholte, die Ware werde nach Erstreckung des Kredites
unverzüglich spediert. Auch hat sie Ende September für den ganzen Auftrag
Rechnung gestellt und sich bezahlt gemacht. Die Klägerin ihrerseits verlangte
am 23. September, bei Bestätigung der Kreditverlängerung, neuerdings die
sofortige Ausführung der Bestellung. Auf die Mitteilungen der Beklagten vom
20. und 22. September hin durfte sie füglich erwarten, entsprechend bedient zu
werden. Als sie schliesslich über den unvollständigen Versand orientiert
wurde, protestierte sie unverzüglich und verweigerte die Annahme der Ware. Aus
alledem erhellt, dass die Klägerin weder in ihren Äusserungen noch durch
konkludentes Handeln jemals ihr Einverständnis mit Teillieferungen bekundet
hat.
c) Trotzdem werden Teillieferungen von der Vorinstanz deswegen als angängig
bezeichnet, weil die Klägerin in ihrer telegrafischen Bestellung vom 28.
August 1946 nicht erklärt habe, die Spielsachen seien ihr gesamthaft zu
liefern. Die Vorinstanz scheint Teilleistungen grundsätzlich und stets für
erlaubt zu halten, wo sie nicht ausgeschlossen wurden. Einer besonderen Abrede
bedürfte es also nach ihrer Auffassung überhaupt nicht.
Das widerspricht aber offen dem Art. 69
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 69 - 1 Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
Zulässigkeit von Teillieferungen aufgestellt, sondern die gegenteilige Regel.
Und diese gilt so lange, als die Parteien nicht ausdrücklich oder durch
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schlüssiges Verhalten Teilleistungen gestatten. Ausserdem träfe die
fälschlicherweise in den Art. 69
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 69 - 1 Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
bestände, gar nicht zu. Das Obergericht übersieht, dass vorliegend
Teillieferungen ausgeschlossen wurden. Ob das schon aus dem Telegramm der
Klägerin vom 28. August 1946 gefolgert werden muss (im Hinblick auf den 15.
September 1946 als spätestem Versandtermin), mag unerörtert bleiben.
Jedenfalls lässt darüber das Schreiben der Klägerin vom 30. August 1946 keinen
Zweifel. Dieses muss, entgegen der Ansicht der Vorinstanz, berücksichtigt
werden, da es kaufmännischer Übung entspricht und da die Präzisierenden des
vorangegangenen Telegramms sich im üblichen Rahmen halten. Beachtlich ist es
auch, weil die Beklagte in ihrem Brief vom 20. September 1946 ausgerechnet
darauf Bezug genommen und zugesichert hat, sie werde die ganze Bestellung in
der nächsten Woche spedieren. Schliesslich hätte die Vorinstanz jenes
Schreiben der Klägerin deswegen nicht übergehen dürfen, weil sie es in anderer
Beziehung doch als bestimmend für den Parteiwillen würdigt, insofern nämlich,
als sie daraus ableitet, es sei nur die Lieferung vollständiger Sortimente in
Betracht gekommen.
`1) Im weiteren bekennt sich die Vorinstanz, unter Hinweis auf verschiedene
schweizerische Autoren und ein Urteil des Berner Appellationshofes, zur
Auffassung, dass der Gläubiger, der auf Gesamtlieferung beharre, obwohl er
keine stichhaltigen Gründe für die Ablehnung der Teillieferung habe, gegen
Treu und Glauben handle.
Allein nach Art. 69
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 69 - 1 Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
des Gläubigers zu Teilleistungen nicht berechtigt ist. Das bedeutet, dass der
Schuldner auch bei Teilbarkeit der Leistung diese gesamthaft in einem Mal zu
erbringen hat und nur damit seiner Erfüllungspflicht genügt. Hievon gibt es
einzelne positivrechtliche Ausnahmen, so im Wechsel- und Checkrecht, im
Zwangsvollstreckungsrecht, im Erbrecht. Eine Abweichung kann ferner die Natur
der Sache bedingen, etwa
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wenn eine Leistung ihres ausserordentlichen Umfanges wegen aufgeteilt werden
muss. Endlich gebieten mitunter Treu und Glauben die Annahme einer
Teilleistung, beispielsweise wenn diese lediglich eine minime und für den
Gläubiger unerhebliche Differenz zur Gesamtleistung aufweist. Das und nichts
anderes dürften auch die Kommentare zu Art. 69
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 69 - 1 Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
ausländischen Vorschriften meinen, wo sie von Treu und Glauben und vom
fehlenden Interesse des Gläubigers an der vollen Lieferung sprechen. Der bei
OSER N. 3 lit. e zitierte Entscheid des Berner Appellationshofes (ZBJV 42 S.
41) scheint allerdings weiter zu gehen. Möglicherweise betrifft er einen
besonders gelagerten Sachverhalt, was mangels Angabe eines Tatbestandes nicht
ersichtlich ist. In ihrer generellen Formulierung aber ist die publizierte
Urteilserwägung abzulehnen. Sie besagt, dass der Besteller nur dann wegen der
Nichtlieferung eines Teils der gekauften Sachen vom ganzen Kaufvertrag
zurücktreten könne, wenn er ein wesentliches Interesse an der gänzlichen
Erfüllung besitze. Diese These ist unhaltbar und rechtlich wie praktisch
gleich bedenklich. Wäre noch das Interesse des Gläubigers ausschlaggebend, so
müsste es zumindest präsumiert werden. Es läge übrigens bei Fixgeschäften und
überhaupt bei jeglichem Kauf zum Zwecke des Wiederverkaufs auf der Hand. Daher
hätte der Schuldner, der für sich das Recht zu Teillieferungen beansprucht,
die Voraussetzung dafür, d. h. das Fehlen eines Interesses beim Gläubiger
darzutun, welchen Nachweis die Beklagte nicht erbracht hat. Und selbst bei
derartiger Beschränkung wäre die Theorie zu verwerfen in allen Fällen, da eine
Teilleistung verspätet oder überhaupt nicht erfolgt. Sie würde nämlich dem
Schuldner erlauben, sich über Erfüllungstermine hinwegzusetzen und praktisch
nach Belieben den Vertrag zu halten oder nicht zu halten, was offenkundig
gegen die Grundlagen des Vertragsrechtes verstiesse.
Schon diese Konsequenzen zeigen, dass der Ausgangspunkt der von der Vorinstanz
vertretenen Ansicht falsch
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ist. Neben den wenigen positivrechtlichen Sonderbestimmungen gibt es nur die
zwei genannten Ausnahmen von dem in Art. 69
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1 | Der Gläubiger braucht eine Teilzahlung nicht anzunehmen, wenn die gesamte Schuld feststeht und fällig ist. |
2 | Will der Gläubiger eine Teilzahlung annehmen, so kann der Schuldner die Zahlung des von ihm anerkannten Teiles der Schuld nicht verweigern. |
die eine noch die andere ist hier verwirklicht. Um der Kaufsache an sich oder
ihres Umfanges willen drängte sich eine Teilung der Lieferung keineswegs auf.
Und ebensowenig handelt es sich bei den nicht gelieferten Stücken um eine im
Verhältnis zur Gesamtleistung geringfügige Differenz. Mit den erhaltenen 1200
Schienen konnte die Klägerin nur 20 statt 50, also nicht einmal die Hälfte der
vorgesehenen Eisenbahnsortimente bilden. Das ist ohne Zweifel ein sehr
beträchtlicher Unterschied. Die Klägerin war daher berechtigt, die unzulässige
Teilsendung abzulehnen, d. h. auf die ganze Lieferung zu verzichten und
Schadenersatz zu fordern.