S. 171 / Nr. 44 Motorfahrzeugverkehr (d)

BGE 74 IV 171

44. Urteil des Kassationshofes vom 17. November 1948 i.S. Saner gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.

Regeste:
Art. 26 Abs. 3 MFG. Wie weit reicht der Raum, in welchem an Strassenkreuzungen
nicht überholt werden darf?
Art. 26 al 3 LA. Espace dans lequel il est interdit de dépasser aux croisées
de routes.
Art. 26 cp. 3 LA. Spazio nel quale è vietato oltrepassare ai crocevia.

A. ­ Saner überquerte am 23. Oktober 1947 kurz nach Mittag in einem
Personenautomobil den Limmatquai in Zürich, indem er von der Uraniabrücke in
die Mühlegasse hinüber fuhr. Auf dem Fussgängerstreifen, der wenige Meter von
der Fahrbahn des Limmatquais entfernt die Mühlegasse überquert, begann er ein
von Georg Guignard geführtes Motorrad zu überholen. Das Obergericht des
Kantons Zürich sah darin eine Übertretung von Art. 26 Abs. 3 MFG und
verurteilte Saner am 16. April 1948 zu fünfzig Franken Busse.
B. ­ Saner führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. Er
macht geltend, der Ort, wo er den Motorradfahrer zu überholen begonnen habe,

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liege jenseits der Strassenkreuzung. An dieser Stelle habe er überholen
dürfen. Überhaupt gelte an dieser Kreuzung das Verbot des Überholens nicht,
weil der Verkehr durch automatische Lichtsignale geregelt werde, die
Durchfahrt für die im Limmatquai verkehrenden Fahrzeuge also gesperrt gewesen
sei, als der Beschwerdeführer den Quai überquert habe.
C. ­ Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichtet auf
Gegenbemerkungen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ An Strassenkreuzungen darf nicht überholt werden (Art. 26 Abs. 3 MFG).
Daraus, dass diese Bestimmung das Überholen «an», nicht «auf»
Strassenkreuzungen verbietet, schliesst das Obergericht, dass auch der Raum in
der Einmündung der Strasse, jedenfalls aber die Fläche zwischen den beiden
Fussgängerstreifen, die an der Einmündung liegen, unter das Verbot falle. Das
ergebe sich auch aus dem Zweck der Bestimmung. Das Befahren der Kreuzung
allein beanspruche schon die volle Aufmerksamkeit des Führers, weil er auf die
seine Fahrbahn kreuzenden Fahrzeuge und auf den an solchen Stellen erhöhten
Fussgängerverkehr aufpassen müsse. Daher könne er nicht gleichzeitig auch noch
auf das Manöver des Überholens achten. Die Gefahrenquelle beginne nicht erst
auf der eigentlichen Kreuzungsfläche, sondern schon vor dem vor der Kreuzung
liegenden Fussgängerstreifen und ende erst hinter dem gegenüberliegenden
Fussgängerstreifen.
Diese Auffassung verkennt den Zweck des Art. 26 Abs. 3. Das Verbot des
Überholens an Strassenkreuzungen besteht mit Rücksicht auf die auf der
überquerten Fahrbahn verkehrenden Fahrzeuge. Wer an der Kreuzung überholt,
fahrt links und verkürzt so einem von dieser Seite kommenden Fahrzeug die zum
Anhalten zur Verfügung stehende Strecke oder hindert es am Abbiegen nach
rechts. Solche Erschwerungen des Verkehrs treten

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dagegen nicht ein, wenn das Überholen vor der zu überquerenden Fahrbahn
beendet wird oder erst jenseits beginnt. Freilich muss der Führer auch auf die
Fussgänger Rücksicht nehmen, aber nicht mehr als überall, wo er
Fussgängerstreifen überquert. Art. 26 Abs. 3 kann nicht das Verbot des
Überholens über die Kreuzung der Fahrbahnen hinaus auf das Gebiet der
Fussgängerstreifen ausdehnen wollen. Das widerspräche der Ordnung, wonach das
Überholen auf Fussgängerstreifen an sich nicht verboten ist. Entweder ist der
zum Überqueren des Fussgängerstreifens nötige Raum frei, dann besteht kein
Grund, das Überholen an dieser Stelle zu verbieten, oder es sind Fussgänger im
Gefahrenbereich, dann haben die Fahrzeuge, das zu überholende sogut wie das
andere, vor dem Streifen die Geschwindigkeit zu mässigen oder anzuhalten, um
den sich darauf befindenden Fussgängern das Überqueren der Fahrbahn zu
ermöglichen (Art. 45 Abs. 3 MFV). An Strassenkreuzungen gilt in dieser
Hinsicht nichts anderes als überall, wo Fussgängerstreifen sind. Weshalb hier
der Fussgänger noch durch das Verbot des Überholens zusätzlich geschützt
werden müsste, ist nicht zu sehen. Das Überholen auf einem an einer
Strassenkreuzung liegenden Fussgängerstreifen bringt nicht höhere Gefahren mit
sich als das Überholen auf Fussgängerstreifen überhaupt.
Auch auf den Wortlaut von Art. 26 Abs. 3 lässt sich die Auffassung der
Vorinstanz nicht stützen. Wenn die Bestimmung das Überholen «an» (französisch
«aux») statt «auf» («sur») Strassenkreuzungen verbietet, so deshalb, weil sich
das Überholen kaum jemals auf der Kreuzung beginnen und zugleich beenden
lässt. Sein Anfang oder sein Ende wird in der Regel über die Kreuzung hinaus
reichen. Dann ist es als Ganzes verboten, nicht etwa bloss soweit es «auf» der
Kreuzung sich abspielt. Das heisst aber nicht, dass es auch verboten sei, wenn
es unmittelbar vor der Kreuzung beendet wird oder sofort nach ihr beginnt.

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2. ­ Ist die Beschwerde schon aus obigen Gründen
gutzuheissen und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die
Vorinstanz zurückzuweisen, so kann dahingestellt bleiben, ob das Verbot des
Überholens an einer Kreuzung dann nicht gilt, wenn eine automatische
Signalanlage (oder ein Verkehrspolizist) die Durchfahrt für die auf der
Querstrasse verkehrenden Fahrzeuge sperrt.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Ur
teil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 16. April 1948 aufgehoben und die
Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz
zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 74 IV 171
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 17. November 1948
Quelle : Bundesgericht
Status : 74 IV 171
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 26 Abs. 3 MFG. Wie weit reicht der Raum, in welchem an Strassenkreuzungen nicht überholt...


Gesetzesregister
MFV: 45
BGE Register
74-IV-171
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