S. 135 / Nr. 36 Strafgesetzbuch (d)

BGE 74 IV 135

36. Urteil des Kassationshofes vom 29. Oktober 1948 i. S. Kessler gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.


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Regeste:
Art. 41 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB. Voraussetzungen des bedingten Strafvollzuges. Ablehnung
wegen Hemmungs- und Skrupellosigkeit des Verurteilten bei Begehung der Tat.
Art. 41 ch. 1 CP. Conditions du sursis. Refus motivé par l'absence de
scrupules du condamné.
Art. 41 cifra 1 CP. Condizioni della sospensione condizionale della pena.
Rifiuto a motivo della mancanza di scrupoli del condannato.

A. ­ Kessler führte am 12. September 1947 um 21.30 Uhr im Zustande starker
Angetrunkenheit ein Personenautomobil von Zürich nach Wallisellen. Als er eine
leichte Linksbiegung der alten Winterthurerstrasse in Wallisellen kurz nahm,
stiess er auf der linken Strassenseite mit dem aus entgegengesetzter Richtung
kommenden Radfahrer Wilhelm Knecht zusammen und tötete ihn. Die Untersuchung
ergab, dass das Blut Kesslers 1,35 Alkohol enthielt, eine so starke
Konzentration, dass der Sachverständige sie mit der Behauptung Kesslers,
lediglich am Nachmittag des betreffenden Tages sieben bis acht Becher Bier
getrunken zu haben, nicht vereinbaren kann.
B. ­ Das Bezirksgericht Bülach verurteilte Kessler am 6. November 1947 wegen
fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB) und
fahrlässiger Tötung (Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB) zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von zwei Monaten und zu zweihundert Franken Busse.
Auf Appellation der Staatsanwaltschaft erhöhte das Obergericht des Kantons
Zürich am 4. Juni 1948 die Strafe auf vier Monate Gefängnis und Fr. 500.­
Busse. Den bedingten Strafvollzug lehnte es ab. Es führte aus, im
Abtreibungsprozess N. habe Kessler sich lügenhaft benommen. Im vorliegenden
Verfahren bestreite er wider besseres Wissen, am Nachmittag des 12. September
1947 mehr als acht Becher Bier getrunken zu haben. Bei der

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Einvernahme der Zeugin N. habe er geschwiegen, als die Zeugin wahrheitswidrig
verneint habe, mit ihm befreundet zu sein. Trotzdem er am 24. Juni 1947 wegen
Drohung mit Fr. 40.­ gebüsst worden sei, habe er sich keine drei Monate später
in einem Zustande an das Steuer gesetzt, der laut Gutachten als starke
Angetrunkenheit bis leichter Rausch zu bezeichnen sei. Alle diese
Einzelhandlungen ergäben zusammen ein Bild der Unaufrichtigkeit, der
Hemmungslosigkeit, der rücksichtslosen Durchsetzung der eigenen und der groben
Missachtung fremder Interessen, also eines Charakters, der keine Gewähr dafür
biete, dass die Zubilligung des bedingten Strafvollzuges den Angeklagten von
weiteren strafbaren Handlungen abhalten würde.
C. ­ Kessler führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage auf Rückweisung der
Sache an das Obergericht zur Gewährung des bedingten Vollzuges.
Er macht geltend, es lägen keine besonderen Tatsachen vor, die auf weitere
strafbare Handlungen des Beschwerdeführers schliessen liessen. Seine
Unaufrichtigkeit im Strafverfahren N. sei nicht wesentlich. Aus dem Umstande
sodann, dass der Beschwerdeführer der Zeugin N. nicht widersprochen habe,
könne nicht auf grundsätzliche Unaufrichtigkeit geschlossen werden, denn der
Beschwerdeführer habe gemeint, sein Anwalt werde die nötigen Bemerkungen
machen. Der Vorwurf, der Beschwerdeführer habe wider besseres Wissen
bestritten, mehr Alkohol, als die acht Becher Bier enthielten, genossen zu
haben, sei unbegründet. Der Drohung, deretwegen der Beschwerdeführer
verurteilt worden sei, habe das Bezirksgericht keine erhebliche Bedeutung
beigemessen. Aus ihr und dem Autofahren nach einem einmaligen grösseren
Alkoholgenuss könne nicht auf Hemmungslosigkeit, rücksichtslose Durchsetzung
der eigenen und grobe Missachtung fremder Interessen geschlossen werden und
damit auf einen Charakter, der eine Besserung ohne Vollzug der Strafe als
ausgeschlossen erscheinen lasse. Diese Beurteilung überschreite

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die Grenze des Ermessens, widerspreche dem Zweck des bedingten Strafvollzuges.
Tatsachen, die mit der begangenen strafbaren Handlung in keinem Zusammenhang
stünden,- dürften, wenn allgemein keine Momente für die Begehung weiterer
strafbarer Handlungen vorlägen, nicht zur Verweigerung des Strafaufschubes
führen. Unaufrichtigkeit des Beschwerdeführers genüge daher nicht, um
anzunehmen, dass er ohne Vollzug der Strafe weitere Vergehen, insbesondere
Verkehrsdelikte, verüben würde. Der Beschwerdeführer habe einen sehr guten
automobilistischen Leumund, da er seit 1935 trotz fast täglicher Benutzung des
Automobils nicht mehr gebüsst worden sei.
D. ­ Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 41 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB kann der Richter den Vollzug einer
Gefängnisstrafe von nicht mehr als einem Jahr oder einer Haftstrafe (Abs. 1)
aufschieben, wenn (Abs. 2) Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten
lassen, er werde durch diese Massnahme von weiteren Verbrechen oder Vergehen
abgehalten, wenn überdies (Abs. 3) der Verurteilte innerhalb der letzten fünf
Jahre weder in der Schweiz noch im Auslande wegen eines vorsätzlichen
Verbrechens oder Vergehens eine Freiheitsstrafe verbüsst hat und wenn (Abs. 4)
er den gerichtlich oder durch Vergleich festgestellten Schaden, soweit es ihm
zuzumuten war, ersetzt hat.
Aus dem Worte «kann» im ersten Absatz dieser Bestimmung folgt, dass der
Richter auch beim Vorliegen der in den Absätzen 2 bis 4 genannten
Voraussetzungen den bedingten Strafvollzug verweigern darf, freilich nicht
allgemein aus bestimmten in den Absätzen 2 bis 4 nicht genannten Gründen, z.
B. ausschliesslich oder vorwiegend zur allgemeinen Abschreckung, wohl aber aus
Überlegungen, die sich auf die Umstände des betreffenden Falles und die
persönlichen Verhältnisse des zu beurteilenden

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Täters stützen und dem Sinn und Geist des Gesetzes, dem Grundgedanken der
Einrichtung des bedingten Strafvollzuges nicht widersprechen, der dahin geht,
den Täter schon durch die in der ausgesprochenen Strafe liegende Warnung zu
bessern, wenn dafür begründete Aussicht besteht und er diese Behandlung nach
seiner Persönlichkeit verdient (BGE 73 IV 77, 84).
2. ­ Die fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs und die fahrlässige
Tötung sind im vorliegenden Falle darauf zurückzuführen, dass 'der
Beschwerdeführer in einem Zustande, der als starke Angetrunkenheit, wenn nicht
sogar als leichter Rausch zu bezeichnen ist, ein Motorfahrzeug geführt hat.
Dieses Verhalten zeugt von einer solchen Hemmungs- und Skrupellosigkeit des
Beschwerdeführers, dass er den bedingten Aufschub der Strafe nicht verdient.
Wohl hat gerade der Alkohol die Hemmungen vermindert. Das wusste der
Beschwerdeführer aber, wie ihm auch selbstverständlich bekannt war, dass ein
Angetrunkener seine Fähigkeiten zur Beherrschung des Fahrzeuges überschätzt,
anders ausgedrückt, dass das Führen eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem
Zustande die anderen Strassenbenützer in hohem Masse gefährdet. Er hätte, wenn
er nicht auf die Führung seines Wagens verzichten wollte, weniger oder keinen
Alkohol trinken sollen. Durch sein Verhalten hat er auf Leben und Gesundheit
anderer so wenig Rücksicht genommen dass es dem Sinn und Geiste des Gesetzes
nicht widerspricht, ihn durch eine unbedingt vollziehbare Strafe an seine
Pflicht zu erinnern, zumal eine solche Strafe, was nebenbei mitberücksichtigt
werden darf (BGE 73 IV 80), durch Abschreckung auch allgemein das
Verantwortungsgefühl der Motorfahrzeugführer stärken kann.
3. ­ Bleibt die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges somit im Rahmen des
Ermessens, das dem Richter nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB zusteht, so kommt
nichts darauf an, ob die Vorinstanz den zweiten Absatz von Art. 41 Ziff. 1
richtig ausgelegt hat, d. h. ob Vorleben und

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Charakter des Beschwerdeführers, wie sie sich aus der Vorstrafe wegen Drohung,
dem Verhalten im Prozesse N. und im vorliegenden Prozesse sowie aus dem Fahren
in angetrunkenem Zustande ergeben, die Erwartung nicht rechtfertigen, dass der
Beschwerdeführer sich durch eine bedingt vollziehbare Strafe von weiteren
Vergehen und Verbrechen abhalten liesse.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
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Document : 74 IV 135
Date : 01. Januar 1948
Published : 29. Oktober 1948
Source : Bundesgericht
Status : 74 IV 135
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 41 Ziff. 1 StGB. Voraussetzungen des bedingten Strafvollzuges. Ablehnung wegen Hemmungs- und...


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