S. 12 / Nr. 5 Strafgesetzbuch (d)

BGE 74 IV 12

5. Urteil des Kassationshofes vom 20. Februar 1948 i.S. Lerch gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.

Regeste:
Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe, Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB.
1. Die Strafe ist auch dann vollziehen zu lassen
­ wenn zur Zeit der Begehung des neuen Verbrechens oder Vergehens noch die
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde

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gegen das die Strafe aufschiebende Urteil hängig war (Erw. I)
­ wenn das neue Verbrechen oder Vergehen bloss mit Haft oder Busse gesühnt
wurde (Bestätigung der Rechtsprechung) (Erw. 2).
2. Der Richter, der über den Vollzug erkennt, darf das rechtskräftige Urteil
über das neue Verbrechen oder Vergehen nicht auf seine materielle Richtigkeit
hin überprüfen (Erw. 3).
Exécution de la peine prononcée avec sursis, art. 41 ch. 3 CP.
1. La peine doit aussi être mise à exécution
­ si le condamné a commis un nouveau crime ou délit à un moment où son pourvoi
en nullité contre la condamnation conditionnelle était encore pendant (consid.
1);
­ si le nouveau crime ou délit n'a été puni que d'arrêts ou d'amende
(confirmation de la jurisprudence) (consid. 2).
2. Le juge qui statue sur la mise à exécution de la peine n'a pas à revoir au
fond le jugement, passé en force, relatif au nouveau crime ou délit (consid.
3).
Esecuzione della pena sospesa condizionalmente (art. 41, cifra 3 CP).
1. Dev'essere ordinata l'esecuzione della pena anche
­ se il condamnato ha commesso un nuovo crimine o delitto allorché il suo
ricorso alla Corte di cassazione federale contro la condanna condizionale era
ancora pendente (consid. 1);
­ se il nuovo crimine o delitto è stato punito soltanto con l'arresto o la
multa (conferma della giurisprudenza) (consid. 2).
2. Il giudice che si pronuncia sull'esecuzione della pena non deve esaminare
il merito de] giudizio definitivo sul nuovo crimine o delitto (consid. 3).

A. ­ Alfred Lerch wurde durch Urteil des Bezirksgerichts Muri vom 2. Dezember
1946, auf Beschwerde hin vom Obergericht des Kantons Aargau bestätigt am 21.
Februar 1947, wegen Betruges mit acht Tagen Gefängnis bestraft, bedingt zu
vollziehen bei einer Probezeit von drei Jahren. Die Nichtigkeitsbeschwerde des
Verurteilten gegen das obergerichtliche Urteil wies der Kassationshof des
Bundesgerichtes am 2. Mai 1947 ab.
Durch Erkenntnis (angenommenen Strafantrag) vom 30. Juni 1947 büsste das
Statthalteramt Luzern-Land Lerch wegen Beschimpfung nach Art. 177
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 177 - 1 Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.230
1    Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.230
2    Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann das Gericht den Täter von Strafe befreien.
3    Ist die Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung oder Tätlichkeit erwidert worden, so kann das Gericht einen oder beide Täter von Strafe befreien.
StGB mit 20
Franken.
Darauf ordnete das Bezirksgericht Muri am 1. Dezember 1947, gestützt auf Art.
41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB, die Vollziehung der von ihm am 2. Dezember 1946
ausgesprochenen

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Gefängnisstrafe von acht Tagen an. Lerch beschwerte sich hierüber beim
Obergericht Aargau. Dieses wies die Beschwerde am 16. Januar 1947 ab.
B. ­ Gegen den Entscheid des Obergerichts vom 16. Januar 1947 erhebt Lerch
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts. Er legt die
Umstände dar, unter denen es zu der vom Statthalteramt Luzern-Land geahndeten
Beschimpfung gekommen sei, bestreitet, dass er dabei vorsätzlich gehandelt
habe, will sich dem Strafantrag des Amtsstatthalters nur wegen der Kosten der
Weiterziehung unterworfen haben, weist darauf hin, dass zur Zeit der Begehung
gegen das zweitinstanzliche Urteil des Obergerichts in der Betrugssache noch
die Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht hängig gewesen sei, und möchte
Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB, entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichts, nur auf
den Fall bezogen wissen, wo für die während der Probezeit begangene Tat auch
tatsächlich eine Vergehensstrafe (Gefängnis) verhängt worden sei. Nicht nur
treffe das hier nicht zu; auch der geringe Betrag der Busse zeige, dass es
sich um eine ganz geringfügige Sache gehandelt habe.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Nach Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB hat der Richter eine bedingt aufgeschobene
Strafe vollziehen zu lassen, wenn der Verurteilte während der Probezeit
vorsätzlich ein Verbrechen oder Vergehen begeht. Beschimpfung ist nur bei
vorsätzlicher Begehung strafbar und in Art. 177
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 177 - 1 Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.230
1    Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft.230
2    Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben, so kann das Gericht den Täter von Strafe befreien.
3    Ist die Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung oder Tätlichkeit erwidert worden, so kann das Gericht einen oder beide Täter von Strafe befreien.
StGB wahlweise mit Gefängnis
bis zu drei Monaten oder Busse bedroht, also nach Art. 9
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 9 - 1 Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
1    Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
2    Für Personen, welche zum Zeitpunkt der Tat das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben, bleiben die Vorschriften des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 200313 (JStG) vorbehalten. Sind gleichzeitig eine vor und eine nach der Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat zu beurteilen, so ist Artikel 3 Absatz 2 JStG anwendbar.14
StGB ein Vergehen.
Die Beschimpfung, auf die sich das Erkenntnis des Statthalteramts Luzern-Land
vom 30. Juni 1947 bezieht, wurde am 26. März 1947 begangen. Sie fiel somit in
die Probezeit, die das Bezirksgericht Muri am 2. Dezember 1946 dem
Beschwerdeführer bei Bewilligung des bedingten Vollzuges für die wegen
Betruges verhängte Strafe von acht Tagen Gefängnis bestimmt hatte. Dass gegen
die

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Bestätigung dieses Urteils durch das Obergericht am 26. März 1947 noch die
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts schwebte, ist
unerheblich. Da die eidg. Nichtigkeitsbeschwerde die Vollziehung des damit
angefochtenen kantonalen Urteils nicht hemmt (Art. 272 Abs. 7
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 9 - 1 Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
1    Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
2    Für Personen, welche zum Zeitpunkt der Tat das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben, bleiben die Vorschriften des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 200313 (JStG) vorbehalten. Sind gleichzeitig eine vor und eine nach der Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat zu beurteilen, so ist Artikel 3 Absatz 2 JStG anwendbar.14
BStP), blieb es
trotz Einlegung dieses Rechtsmittels vollstreckbar und entfaltete die
gesetzlichen Folgen, auch was die mit dem bedingten Strafaufschub verbundenen
Auflagen, insbesondere die Probezeit betrifft (BGE 72 IV 106, 73 IV 13 E. 1:
Beginn der Vollstreckungsverjährung, welche den weiteren Lauf der
Verfolgungsverjährung ausschliesst, mit dem letztinstanzlichen kantonalen
Sachurteil ungeachtet der gegen dieses erhobenen eidg.
Nichtigkeitsbeschwerde). Es wäre denn auch offenbar widersinnig, wenn zwar ein
nach Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht begangenes
neues Vergehen die Folge des Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB nach sich zöge, während der
Hängigkeit dieser Beschwerde dagegen der Beschwerdeführer sich ungeahndet über
die Warnung hinwegsetzen könnte, die ihm durch das kantonale Urteil in Gestalt
der Probezeit erteilt worden ist. Dazu käme es aber, wenn man während der
Hängigkeit der Sache vor dem Kassationshof des Bundesgerichts die Probezeit
nicht laufen lassen wollte, da der Kassationshof das nach dem angefochtenen
kantonalen Sachurteil begangene weitere Vergehen als neue Tatsache nicht
berücksichtigen könnte, selbst wenn es ihm bei Beurteilung der
Nichtigkeitsbeschwerde bekannt wäre.
2. ­ Der im Rahmen von § 63 Abs. 1 des luz. EG z. StGB ergangene Strafantrag
des Amtsstatthalters steht, wenn der Beschuldigte sich ihm unterzieht (ihn
annimmt), einem gerichtlichen Urteil gleich (§ 43 luz. StRV; vgl. BGE 69 I 72
Erw. 3 a); der Statthalter übt damit richterliche Funktionen aus. Die gegen
den Beschwerdeführer wegen Betrugs bedingt ausgefällte Gefängnisstrafe von
acht Tagen musste somit wegen der durch dieses Erkenntnis festgestellten,
während der Probezeit begangenen

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strafbaren Tat vollzogen werden, wenn es auch nach Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB für
das Vorliegen eines «Vergehens» auf die gesetzliche Strafandrohung (Gefängnis
als Höchststrafe) ankommt, nicht auf die im konkreten Fall tatsächlich
ausgesprochene Strafe. Dass und weshalb das Gesetz nach Wortlaut und
Zusammenhang nur im ersten Sinn verstanden und ein Versehen des Gesetzgebers
im Ausdruck nicht angenommen werden kann, hat der Kassationshof schon im
Urteil vom 16. April 1946 i. S. Läubli (BGE 72 IV 49) einlässlich dargelegt
und auch seither daran in ständiger Rechtsprechung festgehalten, u. a. gerade
in einem Falle, wo der Verurteilte während der Probezeit eine mit Geldbusse
(Fr. 40) geahndete Beschimpfung begangen hatte (Urteil vom 2. April 1947 i. S.
Maurer, nicht publiziert). Schon in BGE 72 IV 49 hat sich der Kassationshof
dabei der Sache nach auch mit den Ausführungen von WAIBLINGER ZU Gunsten einer
anderen Auslegung auseinandergesetzt, die der Beschwerdeführer heute anruft
(ZBJV 82 S. 249-251). Es besteht kein Anlass, heute davon abzugehen. Hätte das
StGB den Widerruf des bedingten Strafvollzuges nur bei Verurteilung zu einer
Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe zwingend vorschreiben, bei Ausfällung einer
blossen «Übertretungsstrafe» (Haft oder Busse) dagegen bloss da zulassen
wollen, wo die Tat abgesehen von der Strafbarkeit nach den begleitenden
Umständen unter die ergänzende Generalklausel des Art. 41 Ziff. 3 fällt
(Enttäuschung des in den Verurteilten gesetzten Vertrauens auf andere Weise),
so wäre dieser Gedanke leicht auszudrücken gewesen. Wenn es statt dessen von
der vorsätzlichen Begehung eines Vergehens spricht, so lässt das in Verbindung
mit Art. 9 nur den Schluss zu, dass es als entscheidend nicht die ausgefällte
Strafe angesehen wissen will, sondern die Art der Handlung, d. h. das
Vorliegen einer Tat, die vom Gesetz als schwerwiegend genug betrachtet wird,
um daran die Sanktion einer Gefängnisstrafe zu knüpfen (wenn auch nur
wahlweise neben einer

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weniger strengen Ahndung). Dass die daraus sich möglicherweise ergebenden
Härten dem Gesetzgeber nicht entgangen sind, zeigt, wie im Urteil Läubli
bereits hervorgehoben, die Ablehnung eines Antrages, der den Richter
ermächtigen wollte, vom Widerruf des bedingten Strafvollzuges abzusehen, wenn
das neue Vergehen geringfügig sei; der Antragsteller hatte zur Begründung
gerade das Beispiel angeführt, dass sonst eine längere Freiheitsstrafe nur
wegen einer unbedeutenden Beschimpfung nachträglich verbüsst werden müsste
(Sten. Bull. Sonderausgabe S. 636). Der Vollzug der bedingt aufgeschobenen
Strafe ist nicht eine zusätzliche Sühne für das neue Vergehen: er tritt
deshalb ein, weil der Verurteilte sich des ihm bei Bewilligung des bedingten
Strafvollzugs geschenkten Vertrauens unwürdig erwiesen hat. Das aber nimmt das
Gesetz zwingend an, wenn er während der Probezeit der Versuchung nicht
widersteht, eine durch die gesetzliche Strafandrohung als Vergehen
gekennzeichnete Tat vorsätzlich zu begehen. Auf das grössere oder geringere
Verschulden im einzelnen Falle kommt es infolgedessen nicht an.
3. ­ Der Kassationshof hat wiederholt festgestellt, dass das Bundesrecht den
Richter nicht verpflichte, beim Entscheid darüber, ob der Verurteilte während
der Probezeit vorsätzlich ein Vergehen begangen habe, ein von einem
zuständigen Gericht gefälltes Urteil auf seine materielle Richtigkeit hin zu
überprüfen (BGE 68 IV 119 Erw. 3 und zahlreiche seither ergangene nicht
veröffentlichte Entscheide). Dagegen wurde bisher offen gelassen, ob nicht das
Bundesrecht eine solche Prüfung geradezu ausschliesse (Urteil vom 22.
September 1944 i.S. Jeanneret, nicht publiziert)). Die Frage ist zu bejahen,
und zwar auch für den Fall, dass es sich um ein ausserkantonales Urteil
handelt. Es folgt dies aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass die
Rechtskraft des Urteils nicht nur die Parteien, sondern auch die Behörden
bindet. Wer den Vollzug einer bedingt aufgeschobenen Strafe zu gewärtigen

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hat infolge eines neuen Strafurteils, das er für unrichtig hält, soll die
Aufhebung dieses Urteils zu erwirken suchen. Seit der Vereinheitlichung des
Strafrechts stehen ihm dafür als Rechtsbehelfe zur Verfügung bei Verletzung
von Sätzen des Bundesrechts (Art. 269 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
, Art. 273
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
BStP) die
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts, im übrigen
kantonale Rechtsmittel und die staatsrechtliche Beschwerde aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV,
ferner bei Vorliegen neuer erheblicher Tatsachen und Beweismittel das Begehren
um Wiederaufnahme des Verfahrens (Art. 397
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
StGB). Macht er von diesen
Rechtsbehelfen keinen oder erfolglos Gebrauch, so ist im Verfahren nach Art.
41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB das über das neue Vergehen ergangene Urteil massgebend und
kann nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Das Obergericht des Kantons Aargau
hat sich deshalb mit Recht an das rechtskräftig gewordene Erkenntnis des
Statthalteramts Luzern-Land gehalten und nicht geprüft, ob dieses den
Beschwerdeführer zu Recht wegen Beschimpfung verurteilt hat.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 74 IV 12
Date : 01. Januar 1948
Published : 20. Februar 1948
Source : Bundesgericht
Status : 74 IV 12
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe, Art. 41 Ziff. 3 StGB.1. Die Strafe ist auch dann...
Classification : Bestätigung der Rechtsprechung


Legislation register
BStP: 269  272  273
BV: 4
StGB: 9  41  177  397
BGE-register
68-IV-116 • 69-I-70 • 72-IV-105 • 72-IV-49 • 73-IV-12 • 74-IV-12
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court of cassation • trial period • federal court • insult • convicted person • forfeit • aargau • day • criminal complaint • fraud • correctness • remedies • knowledge • intention • meadow • revocation of the conditional execution of a sentenced • decision • authorization • deputy • penal code
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