S. 477 / Nr. 80 Bundesrechtliche Abgaben(d)

BGE 74 I 477

80. Urteil vom 10. Dezember 1948 i. S. Steiner gegen Militärdirektion des
Kantons Zürich.


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Regeste:
Militärpflichtersatz.
1. Ersatzbeträge, die auf Grund rechtskräftiger Veranlagungen entrichtet
worden sind, können nur zurückerstattet werden, wenn die Voraussetzungen für
eine Revision jener Veranlagungen gegeben sind.
2. Revision einer Veranlagung, wenn aus militäramtlichen Akten, welche die
Steuerbehörde von Amtes wegen hätte beiziehen sollen, hervorgeht, dass nach
Art. 2 lit. b
SR 321.0 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG)
MStG Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dasjenige Gesetz anzuwenden, das für ihn das mildere ist.
MStG keine Ersatzpflicht besteht.
Taxe d'exemption du service militaire.
1. Les taxes d'exemption qui ont été perçues sur la base d'une taxation passée
en force ne peuvent être remboursées que si les conditions pour une révision
de cette taxation sont réunies.
2. Révision d'une taxation dans le cas où les actes du dossier militaire, que
l'autorité fiscale aurait dû prendre d'office en considération, établissent
que le contribuable devait être exonéré du paiement de la taxe en vertu de
l'art. 2 lit. b LTM.
Tassa d'esenzione dal servizio militare.
l Le tasse d'esenzione che sono state percepite in base ad una tassazione
divenuta definitiva possono essere restituite soltanto se ricorrano i
presupposti per la revisione della tassazione.
2. Revisione di una tassazione nel caso in cui l'esonero dalla tassa militare
a norma dell'art. 2 lett. b LTM risulti dagli atti dell'inserto militare che
l'autorità fiscale avrebbe dovuto prendere in considerazione d'ufficio.


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A. ­ Der Beschwerdeführer hatte im Jahre 1943 eine Flab.-Rekrutenschule
bestanden, in welcher er als Kanonier ausgebildet worden war. Sodann hatte er
wiederholt Aktivdienst mit seiner Einheit, der Flab. Bttr. 88, geleistet. Am
Schlusse des letzten Ablösungsdienstes, bei der sanitarischen
Austrittsmusterung vom 6. März 1945, beklagte er sich über Hörbeschwerden. Am
15. März 1945 wurde er der Militärversicherung durch den Ohrenarzt Dr.
Ackermann in Winterthur wegen Schwerhörigkeit gemeldet. Der Arzt bezeichnete
in der Mitteilung den Zusammenhang des Leidens mit dem Militärdienst als
wahrscheinlich, nachdem ihm der Patient erklärt hatte, er sei schon früher
nach Artillerieschiessübungen vorübergehend schwerhörig gewesen und höre nun,
seit einer Beschiessung fremder Flugzeuge im Februar 1945, bei welcher er ein
Geschütz habe bedienen helfen, ständig schlecht. Die Militärversicherung
anerkannte den Beschwerdeführer als Militärpatienten. In einem Zwischenbericht
vom 10. April 1945 stellte Dr. Ackermann «mit fast absoluter Sicherheit eine
akustisch-traumatische Ohrschädigung (Schädigung durch 7,5 cm Flab.-Kanone)»
fest. Auf seine Empfehlung wurde der Beschwerdeführer am 1. Juni 1945 von
einer Ter. U. C. für 6 Monate vom Dienst dispensiert, gestützt auf einen
Spezialbericht der Militärversicherung vom 23. Mai 1945, worin festgehalten
wurde, der Facharzt führe das Gehörleiden auf ein Schiesstrauma zurück. Am 3.
Dezember 1945 erklärte die a. o. U. C. I den Beschwerdeführer wegen
Schwerhörigkeit (IBW Ziff. 250/77, «trauma») hilfsdiensttauglich
(unbewaffnet). Im zugrunde liegenden Zeugnis vom 1. Dezember 1945 führte Dr.
Ackermann aus: «... Der Ohrschaden geht mit grosser Wahrscheinlichkeit auf ein
akustisches Trauma zurück.»
B. ­ In der Folge wurde der Beschwerdeführer zum Militärpflichtersatz
herangezogen. Er füllte eine Ersatzerklärung aus und wurde für 1946, 1947 und
1948 eingeschätzt. Er focht die Veranlagungen nicht an und bezahlte die
geforderten Ersatzbeträge.

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Nachträglich, am 9. September 1948, stellte er bei der Militärdirektion des
Kantons Zürich das Begehren um Befreiung vom Militärpflichtersatz nach Art. 2
lit. b
SR 321.0 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG)
MStG Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dasjenige Gesetz anzuwenden, das für ihn das mildere ist.
MStG und um Rückerstattung der für 1946-1948 bezahlten Steuerbeträge,
mit der Begründung, das Gehörleiden, das zur Umteilung in den Hilfsdienst
geführt habe, sei eine Folge des geleisteten Militärdienstes.
Die Militärdirektion enthob den Gesuchsteller für 1949 und die folgenden Jahre
vom Ersatz; dagegen lehnte sie die Rückerstattung der bezahlten Ersatzbeträge
ab, weil die betreffenden Veranlagungen rechtskräftig und daher unabänderlich
seien (Verfügung vom 16. September 1948).
C. ­ Gegen die Verweigerung der Rückerstattung richtet sich die vorliegende
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Die kantonale Militärdirektion und die eidg. Steuerverwaltung beantragen, die
Beschwerde sei abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Der Beschwerdeführer hat die Veranlagung zum Militärpflichtersatz für die
Jahre 1946 bis 1948 nicht in der hiefür im Gesetz vorgesehenen Form ­ durch
rechtzeitige Einsprache und Beschwerde ­ angefochten. Infolgedessen sind die
Einschätzungen in Rechtskraft erwachsen. Die auf dieser Grundlage geforderten
Militärsteuerleistungen, die der Beschwerdeführer erbracht hat, waren daher
geschuldet. Sie können nur zurückerstattet werden, sofern jene Veranlagungen
zurückgenommen, widerrufen werden können. Das ist bloss dann zulässig, wenn
ein Revisionsgrund vorliegt und ausserdem der Rückforderungsanspruch vor
Ablauf der Verjährungsfrist (Art. 11
SR 321.0 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG)
MStG Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen gilt als da begangen, wo der Täter es ausführt oder pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist.
1    Ein Verbrechen oder Vergehen gilt als da begangen, wo der Täter es ausführt oder pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist.
2    Der Versuch gilt als da begangen, wo der Täter ihn ausführt, und da, wo nach seiner Vorstellung der Erfolg hätte eintreten sollen.
MStG) geltend gemacht worden ist (BGE 71
I 47
, 103 ff.). Die zweite Voraussetzung ist hier erfüllt. Zu prüfen bleibt
somit noch, ob sich der Beschwerdeführer auf einen Revisionsgrund berufen
kann.
2. ­ Das Bundesgericht lässt die Revision in ständiger Rechtsprechung auch
dann zu, wenn bei der Veranlagung Tatsachen unberücksichtigt geblieben sind,
die sich aus

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militäramtlichen Akten ergeben, welche von Amtes wegen hätten beigezogen
werden sollen (BGE 71 I 106, Erw. 2 und Zitate). Mit einem solchen Falle hat
man es hier zu tun.
Es ist nicht bestritten, dass die Voraussetzungen der Ersatzbefreiung nach
Art. 2 lit. b
SR 321.0 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG)
MStG Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dasjenige Gesetz anzuwenden, das für ihn das mildere ist.
MStG gegeben sind. In der Tat geht aus den von keiner Seite
angezweifelten Feststellungen des behandelnden Ohrenarztes eindeutig hervor,
dass die Schwerhörigkeit, die zur Umteilung in den Hilfsdienst geführt hat,
auf ein Schiesstrauma zurückgeht, welches der Beschwerdeführer im
Militärdienst erlitten hatte. Dieser Befund ist in den Akten der
Militärversicherung enthalten. Die Militärversicherung nahm denn auch im
Spezialbericht vom 23. Mai 1945 zuhanden der U. C. auf ihn Bezug. Weil indes
damals nur die vorübergehende Dispensation des Beschwerdeführers vom Dienst
empfohlen und auch verfügt wurde, hatten vorerst weder die Militärversicherung
noch die U. C. Anlass, von sich aus, in dem in Ziff. 51 IBW vorgesehenen
Verfahren, die Ersatzbefreiung nach Art. 2 lit. b
SR 321.0 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG)
MStG Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dasjenige Gesetz anzuwenden, das für ihn das mildere ist.
MStG zu beantragen. Dagegen
wäre später, als der Beschwerdeführer zum Hilfsdienst versetzt wurde, ein
solcher amtlicher Antrag angezeigt gewesen. Er unterblieb jedoch. Gleichwohl
hätte aber die kantonale Militärsteuerbehörde unter den gegebenen Umständen
der Frage, ob Art. 2 lit. b
SR 321.0 Militärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG)
MStG Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dasjenige Gesetz anzuwenden, das für ihn das mildere ist.
MStG anwendbar sei, von Amtes wegen sogleich nach
der Umteilung des Beschwerdeführers nachgehen sollen; konnte sie doch aus dem
Dienstbüchlein entnehmen, dass der Beschwerdeführer in der Rekrutenschule als
Kanonier ausgebildet, bei der sanitarischen Austrittsmusterung vom 6. März
1945 wegen Hörbeschwerden vorgemerkt, .sodann bei der Militärversicherung
angemeldet und schliesslich wegen traumatischer Schwerhörigkeit
hilfsdiensttauglich erklärt worden war. Diese Eintragungen hätten sie
veranlassen sollen, bei der Militärversicherung die ergangenen Akten oder
wenigstens einen Bericht einzuverlangen. Dann wäre sie darauf gestossen, dass
es sich um ein dienstliches Schiesstrauma

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handelt, und hätte infolgedessen den Beschwerdeführer, obwohl er keinen
dahingehenden Antrag gestellt hatte, auch schon für die Steuerjahre 1946-1948
vom Militärpflichtersatz befreien müssen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Kanton Zürich wird verpflichtet, dem
Beschwerdeführer die für 1946, 1947;und 1948 bezahlten Ersatzbeträge
zurückzuerstatten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 74 I 477
Date : 01. Januar 1948
Published : 10. Dezember 1948
Source : Bundesgericht
Status : 74 I 477
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Militärpflichtersatz.1. Ersatzbeträge, die auf Grund rechtskräftiger Veranlagungen entrichtet...


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MStG: 2  11
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71-I-101 • 71-I-44 • 74-I-477
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