S. 252 / Nr. 46 Stimmrecht, kantonale Wahlen und Abstimmungen (d)

BGE 74 I 252

46. Auszug aus dem Urteil vom 24. Juni 1948 i. S. Liembd gegen Landrat des
Kantons Nidwalden.


Seite: 252
Regeste:
Fakultatives Verwaltungsreferendum: Auslegung des Art. 49 der nidwaldnischen
Kantonsverfassung, der bestimmt, dass vom Landrat gefasste Beschlüsse
allgemein verbindlicher Natur dem Referendum unterliegen.
Referendum facultatif en matière administrative: Interprétation de l'art. 49
de la Constitution de Nidwald, d'après lequel les décisions de portée générale
prises par le Grand Conseil sont soumises au referendum.
Referendum facoltativo in materia amministrativa: Interpretazione dall'art. 49
della costituzione del Basso Untervaldo, secondo il quale i decreti di
carattere obbligatorio generale emanati dal Gran Consiglio soggiaciono al
referendum.

A. ­ Die Verfassung des Kantons Nidwalden bestimmt in Art. 49:
«Das Referendum ist den Stimmberechtigten gewährleistet für alle vom Landrat
mit Vollmacht der Landsgemeinde erlassenen Gesetze, für Verordnungen und
Beschlüsse allgemein verbindlicher Natur, sowie für Einführungsverordnungen zu
Bundesgesetzen wenn wenigstens dreihundert stimmberechtigte Kantonseinwohner
... das Begehren um eine diesbezügliche Volksabstimmung stellen...»
B. ­ Am 10. April 1948 beschloss der Landrat von Nidwalden den Ausbau der
Ennetmoosstrasse in den Jahren 1948749 und bewilligte hiefür gestützt auf das
Gesetz über Verbesserung und Verbreiterung der Kantonsstrassen von 1929 einen
Kredit von Fr. 800000.- unter dem Vorbehalt, dass hieran eine Bundessubvention
von
50 % geleistet werde.
C. ­ Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde stellt Paul Liembd,
stimmberechtigter Bürger von Stans,

Seite: 253
den Antrag, der Landrat habe auf seinen Beschluss vom 10. April 1948 insofern
zurückzukommen, als er darin die Referendumsklausel aufzunehmen habe. Zur
Begründung wird u.a. geltend gemacht:
Der Landrat habe anlässlich der Einreichung des Referendums gegen das
Besoldungsregulativ entschieden, dass gegen Beschlüsse, die er .«in Kompetenz
der Landsgemeinde» fasse, das Referendum nicht ergriffen werden könne bezw.
dass es dem Landrat freistehe, solche Beschlüsse dem Referendum zu
unterstellen. Der Landrat sei jedoch nicht befugt, nach freiem Ermessen
darüber zu entscheiden, ob gegen einen bestimmten Beschluss das Referendum
zulässig sei oder nicht. Dieses werde durch Art. 49 KV für alle landrätlichen
Verordnungen und Beschlüsse allgemein verbindlicher Natur zwingend vor
geschrieben und könne daher vom Landrat nicht ausgeschaltet werden,
gleichgültig ob die ihm von der Landsgemeinde in finanzieller Hinsicht
erteilten Kompetenzen unbeschränkt (wie beim Besoldungsgesetz) oder beschränkt
(wie beim Gesetz über Verbesserung und Verbreiterung der Kantonsstrassen)
seien. Nach Art. 57 Ziff. 9 in Verbindung mit Art. 45 lit. d KV könne der
Landrat nur einmalige Ausgaben bis zum Betrag von Fr. 10,000.­ beschliessen;
jeder weitergehende Beschluss, im vorliegenden Falle die Krediterteilung von
Fr. 800,000.­ unterliege nach Art. 49 KV, weil allgemein verbindlicher Natur,
automatisch dem Referendum.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
5.- Nach Art. 49 KV unterliegen dem fakultativen Referendum ausser den vom
Landrat mit Vollmacht der Landsgemeinde erlassenen Gesetzen und den
Ausführungsverordnungen zu Bundesgesetzen auch die landrätlichen Verordnungen
und Beschlüsse allgemein verbindlicher Natur. Damit werden dem Referendum
nicht nur rechtssetzende Erlasse des Landrats unterstellt, sondern auch

Seite: 254
Verwaltungsakte, d. h. Handlungen aus dem eigentlichen Tätigkeitsgebiet des
Landrates, der nach Art. 53 KV die oberste Verwaltungsbehörde des Kantons ist.
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, dieses Verwaltungsreferendum sei
zulässig gegen jeden Beschluss, durch den der Landrat (mit oder ohne
Ermächtigung durch die Landsgemeinde) seine verfassungsmässige
Ausgabenkompetenz (Art. 57 Ziff. 9 in Verbindung mit Art. 45 lit. d KV)
überschreite. Davon kann jedoch keine Rede sein. In der Mehrzahl der Kantone
besteht das Verwaltungsreferendum nur in der besondern Form des
Finanzreferendums, wobei entweder nur Ausgabenbeschlüsse oder auch andere
Finanzbeschlüsse (Anleihensaufnahme usw.) dem Referendum unterliegen, sofern
sie eine ziffernmässig bestimmte Tragweite haben (GIACOMETTI, Staatsrecht der
Kantone S. 258 Ziff. 2). Andere Kantone dagegen haben das Referendum als
allgemeines Verwaltungsreferendum ausgestaltet (GIACOMETTI, a.a.O. S. 256
Ziff. 1). Dazu gehört auch Nidwalden. Nach Art. 49 der KV von Nidwalden ist
das Referendum ohne Rücksicht auf die finanzielle Tragweite der Beschlüsse
zulässig, jedoch nur dann, wenn es sich um solche «allgemein verbindlicher
Natur» handelt. Ob der Landratsbeschluss über den Ausbau der Ennetmoosstrasse
dem Referendum unterliegt, hängt somit davon ab, ob dieser Beschluss allgemein
verbindlicher Natur im Sinne von Art. 49 KV ist.
Den Begriff des allgemein verbindlichen Beschlusses verwendet auch die
Bundesverfassung, und zwar ebenfalls im Zusammenhang mit dem Referendum (Art.
89 Abs. 2
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999
Cst. Art. 89 Politique énergétique - 1 Dans les limites de leurs compétences respectives, la Confédération et les cantons s'emploient à promouvoir un approvisionnement énergétique suffisant, diversifié, sûr, économiquement optimal et respectueux de l'environnement, ainsi qu'une consommation économe et rationnelle de l'énergie.
1    Dans les limites de leurs compétences respectives, la Confédération et les cantons s'emploient à promouvoir un approvisionnement énergétique suffisant, diversifié, sûr, économiquement optimal et respectueux de l'environnement, ainsi qu'une consommation économe et rationnelle de l'énergie.
2    La Confédération fixe les principes applicables à l'utilisation des énergies indigènes et des énergies renouvelables et à la consommation économe et rationnelle de l'énergie.
3    La Confédération légifère sur la consommation d'énergie des installations, des véhicules et des appareils. Elle favorise le développement des techniques énergétiques, en particulier dans les domaines des économies d'énergie et des énergies renouvelables.
4    Les mesures concernant la consommation d'énergie dans les bâtiments sont au premier chef du ressort des cantons.
5    Dans sa politique énergétique, la Confédération tient compte des efforts des cantons, des communes et des milieux économiques; elle prend en considération les réalités de chaque région et les limites de ce qui est économiquement supportable.
BV). Was er dort zu bedeuten hat, ist nicht nur in der Praxis,
sondern auch in der Wissenschaft ausserordentlich umstritten (vgl. BURCKHARDT,
Kommentar zur BV, S. 706 ff.; FLEINER, Bundesstaatsrecht S. 401 ff.; RUCK,
Staatsrecht, S. 125). Die Hauptstreitfrage, ob auch Rechtssätze Inhalt des
allgemein verbindlichen Beschlusses sein können und wie in diesem Fall das
Gesetz vom allgemein

Seite: 255
verbindlichen Beschluss abzugrenzen sei, spielt jedoch im vorliegenden Falle
keine Rolle. Da der streitige Landsratsbeschluss unbestrittenermassen kein
rechtssetzender Erlass, sondern ein Verwaltungsakt ist, kann sich nur fragen,
unter welchen Voraussetzungen ein solcher als «allgemein verbindlich» zu
betrachten ist.
Diese Frage war schon streitig, als der Landrat am 28. Juni 1947 ein
Besoldungsregulativ erliess, und gab Anlass zu einer staatsrechtlichen
Beschwerde, auf die jedoch das Bundesgericht wegen Verspätung nicht eintrat
(Urteil vom 18. März 1948 i. S. Christen und Odermatt). Der Landrat stützte
sich damals auf ein Gutachten von Prof. Hans Huber, der zum Schlusse kam, dass
unter (Verwaltungs-) Beschlüssen allgemein verbindlicher Natur solche «von
grösserer Tragweite» zu verstehen seien (ähnlich FLEINER, Bundesstaatsrecht S.
404, für die Bestimmung des Inhalts allgemein verbindlicher Bundesbeschlüsse
im Sinne von Art. 89
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999
Cst. Art. 89 Politique énergétique - 1 Dans les limites de leurs compétences respectives, la Confédération et les cantons s'emploient à promouvoir un approvisionnement énergétique suffisant, diversifié, sûr, économiquement optimal et respectueux de l'environnement, ainsi qu'une consommation économe et rationnelle de l'énergie.
1    Dans les limites de leurs compétences respectives, la Confédération et les cantons s'emploient à promouvoir un approvisionnement énergétique suffisant, diversifié, sûr, économiquement optimal et respectueux de l'environnement, ainsi qu'une consommation économe et rationnelle de l'énergie.
2    La Confédération fixe les principes applicables à l'utilisation des énergies indigènes et des énergies renouvelables et à la consommation économe et rationnelle de l'énergie.
3    La Confédération légifère sur la consommation d'énergie des installations, des véhicules et des appareils. Elle favorise le développement des techniques énergétiques, en particulier dans les domaines des économies d'énergie et des énergies renouvelables.
4    Les mesures concernant la consommation d'énergie dans les bâtiments sont au premier chef du ressort des cantons.
5    Dans sa politique énergétique, la Confédération tient compte des efforts des cantons, des communes et des milieux économiques; elle prend en considération les réalités de chaque région et les limites de ce qui est économiquement supportable.
BV). Die grössere oder kleinere Tragweite oder
Wichtigkeit eines Verwaltungsaktes in finanzieller oder politischer Hinsicht
ist jedoch ein zu unbestimmtes und daher kein geeignetes Merkmal zur
Abgrenzung der dem Referendum unterliegenden Beschlüsse. Zu einem
befriedigenden Ergebnis gelangt man nur, wenn man vom Ausdruck «verbindlich»,
der nur für rechtssetzende Erlasse sinnvoll ist, absieht und das Schwergewicht
auf «allgemein» legt. Dem Referendum unterliegen dann Beschlüsse von
allgemeiner (genereller) Natur oder Tragweite im Gegensatz zu solchen, die
einen einzelnen (konkreten) Fall, eine individuelle Massnahme betreffen. Dass
diese Auslegung von Art. 49 KV richtig ist, darf ­ mangels jeglicher
Anhaltspunkte aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung ­ auch daraus
geschlossen werden, dass die entsprechenden Verfassungsbestimmungen mehrerer
anderer Kantone schlechthin von Beschlüssen allgemeiner Natur oder Tragweite
(décrets d'une portée générale) sprechen, so Uri Art. 48 lit. d, Freiburg Art.
28bis, Wallis Art. 30 Ziff. 3a und Neuenburg

Seite: 256
Art. 39 Abs. 2. Geht man aber hievon aus, so ist ohne weiteres klar, dass der
Landratsbeschluss über den Ausbau der Ennetmoosstrasse dem Referendum nach
Art. 49 KV nicht unterliegt, denn er ist zwar, angesichts der Ausgabe von Fr.
800,000.­, für den Kanton Nidwalden zweifellos von grösserer, aber nicht von
allgemeiner Tragweite, da er eine einmalige Ausgabe für ein bestimmtes
Bauprojekt betrifft und zeitlich auf zwei Jahre beschränkt ist.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass der Land rat selbst darüber entscheide,
ob ein von ihm gefasster Beschluss als allgemein verbindlich zu betrachten sei
und daher dem Referendum unterstehe. Die Befugnis dazu ergibt sich indessen
aus der Natur der Sache, ohne dass es einer besonderen Regelung bedürfte (vgl.
BGE 74 I 174 Erw. 2); es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer
denn auch nicht gesagt, welche andere Behörde dafür zuständig sein sollte.
Dagegen steht dem Stimm berechtigten, der glaubt, der Landrat habe bei einem
Beschluss das Referendum zu Unrecht ausgeschlossen, selbstverständlich das
Recht offen, den Ausschluss des Referendums mit staatsrechtlicher Beschwerde
anzufechten.
6. ­ Da die Beschwerde schon deshalb abzuweisen ist, weil der
Landratsbeschluss über den Ausbau der Ennetmoosstrasse kein Beschluss
allgemein verbindlicher Natur im Sinne von Art. 49 KV ist, kann dahingestellt
bleiben, ob das Referendum, wie der Landrat in der Vernehmlassung zur
Beschwerde gegen das Besoldungsregulativ und auch in der vorliegenden
Beschwerdeantwort geltend macht, allgemein unzulässig ist im Falle der
Kompetenzdelegation der Landsgemeinde an den Landrat, d.h. gegen Beschlüsse,
die der Landrat nicht in eigener Kompetenz, sondern gestützt auf eine
gesetzliche Ermächtigung fasst.
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 74 I 252
Date : 01 janvier 1948
Publié : 23 juin 1948
Source : Tribunal fédéral
Statut : 74 I 252
Domaine : ATF - Droit administratif et droit international public
Objet : Fakultatives Verwaltungsreferendum: Auslegung des Art. 49 der nidwaldnischen Kantonsverfassung, der...


Répertoire des lois
Cst: 89
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999
Cst. Art. 89 Politique énergétique - 1 Dans les limites de leurs compétences respectives, la Confédération et les cantons s'emploient à promouvoir un approvisionnement énergétique suffisant, diversifié, sûr, économiquement optimal et respectueux de l'environnement, ainsi qu'une consommation économe et rationnelle de l'énergie.
1    Dans les limites de leurs compétences respectives, la Confédération et les cantons s'emploient à promouvoir un approvisionnement énergétique suffisant, diversifié, sûr, économiquement optimal et respectueux de l'environnement, ainsi qu'une consommation économe et rationnelle de l'énergie.
2    La Confédération fixe les principes applicables à l'utilisation des énergies indigènes et des énergies renouvelables et à la consommation économe et rationnelle de l'énergie.
3    La Confédération légifère sur la consommation d'énergie des installations, des véhicules et des appareils. Elle favorise le développement des techniques énergétiques, en particulier dans les domaines des économies d'énergie et des énergies renouvelables.
4    Les mesures concernant la consommation d'énergie dans les bâtiments sont au premier chef du ressort des cantons.
5    Dans sa politique énergétique, la Confédération tient compte des efforts des cantons, des communes et des milieux économiques; elle prend en considération les réalités de chaque région et les limites de ce qui est économiquement supportable.
Répertoire ATF
74-I-172 • 74-I-252
Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
référendum • am • nidwald • landsgemeinde • recours de droit public • législation • électeur • décision • question • tribunal fédéral • dépense unique • hameau • route cantonale • votation • constitution fédérale • acte législatif • réponse au recours • droit constitutionnel • fribourg • forme et contenu
... Les montrer tous