S. 145 / Nr. 42 Strafgesetzbuch (d)

BGE 72 IV 145

42. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. November 1946 i.S.
Pulver gegen Staatsanwaltschaft des Berner Mittellandes.


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Regeste:
Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB: Vollzug einer bedingt aufgeschobenen Strafe.
Wann tauscht der Verurteilte «in anderer Weise das auf ihn gesetzte
Vertrauen»?
Art. 41 ch. 3 CP. Exécution d'une peine prononcée avec sursis.
Quand le condamné trompe-t-il, de toute autre manière, la confiance mise en
lui?
Art. 41, cifra 3 CP. Esecuzione d'una pena pronunciata con la condizionale.
Quando il condannato delude «in qualsiasi altro modo la fiducia in lui riposta
dal giudice»?

A. ­ Pulver ist vom März 1942 bis Mai 1945 zehnmal wegen Wirtshausskandals,
Nachtlärms und unanständigen Benehmens gebüsst und am 23. Oktober 1945 vom
Gerichtspräsidenten IV von Bern wegen Körperverletzung und unanständigen
Benehmens zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von vierzig Tagen und
zu fünfzig Franken Busse verurteilt worden, mit der Weisung, während der
dreijährigen Probezeit keinen Alkohol zu trinken. Von dieser Verurteilung und
von zwei der vorausgegangenen Bussen hatte die Kriminalkammer des Kantons Bern
nicht Kenntnis, als sie Pulver am 30. November 1945 wegen Gehilfenschaft bei
einer im Jahre 1944 begangenen Abtreibung zu fünf Monaten Gefängnis
verurteilte und ihm unter Auferlegung einer dreijährigen Probezeit den
bedingten Strafvollzug erteilte mit der Weisung, die Kosten innerhalb eines
Jahres zu bezahlen. Die Kriminalkammer führte aus, Pulver sei liederlich, habe
aber keine Freiheitsstrafe verbüsst; es sei zu erwarten, dass er sich

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durch den bedingten Strafvollzug von weiteren Verbrechen werde abhalten
lassen.
Pulver fuhr fort, die Wirtshäuser zu besuchen und Alkohol zu trinken. Am 12.
März 1946 ordnete daher der Gerichtspräsident IV von Bern an, dass die am 23.
Oktober 1945 ausgesprochene Gefängnisstrafe zu vollziehen sei. Ferner
beschloss der Regierungsrat des Kantons Bern am 22. März 1946, Pulver wegen
Liederlichkeit und Trunksucht für ein Jahr in die Arbeitsanstalt zu versetzen.
Er schob den Vollzug dieser Massnahme bedingt auf, setzte die Probezeit auf
ein Jahr fest, stellte Pulver unter Schutzaufsicht und erteilte ihm unter
anderem die Weisung, keine geistigen Getränke mehr zu trinken. Ferner verbot
er ihm für die Dauer eines Jahres den Besuch der Wirtshäuser. Die Einweisung
in die Arbeitsanstalt war Pulver im Juni und im September 1945 bereits zweimal
angedroht worden, und er hatte jeweilen der Behörde fest versprochen, sich zu
bessern.
Am 29. Juli 1946 besuchte Pulver in Bern wiederum ein Wirthaus und trank
Alkohol. Als er nachher auf der Strasse zwei Polizisten begegnete, machte er
sich an sie heran und belästigte sie unter dem Einfluss des Alkohols mit
dummen Reden, nahm eine herausfordernde Haltung an und schlug einen der
Polizisten, der ihm eine Bemerkung machte, zweimal ins Gesicht. Am 9.
September 1946 verurteilte der Gerichtspräsident V von Bern Pulver in
Anwendung des bernischen Übertretungsstrafrechts wegen Missachtung des
Wirtshausverbotes und wegen unanständigen Benehmens zu zwölf Tagen Haft.
B. ­ Am 23. September 1946 ordnete die Kriminalkammer des Kantons Bern
gestützt auf Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB den Vollzug der am 30. November 1945
verhängten fünfmonatigen Gefängnisstrafe an. Sie führte aus, die
Administrativakten, der ergänzte Strafbericht und die Akten des
Gerichtspräsidenten V von Bern zeigten, dass Pulver trotz aller Weisungen,
keinen Alkohol zu geniessen, und trotz Wirtshausverbotes ein immer wieder dem

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Alkohol verfallener Rohling sei. Er habe bewiesen, dass er sich nicht bessern
wolle, und durch sein Benehmen vom 29. Juli 1946 habe er vollends das
Vertrauen, das die Kriminalkammer in ihn gesetzt habe, getäuscht. Er verdiene
deshalb und nach seinem fortgesetzten Müssiggang und seinen stets wiederholten
Alkoholexzessen keine weitere Nachsicht.
C. ­ Pulver führt gegen diesen Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, er sei aufzuheben und die Kriminalkammer anzuweisen, auf den Vollzug
der Gefängnisstrafe zu verzichten.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ ......
2. ­ Gemäss Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB ordnet der Richter den bedingt aufgeschobenen
Vollzug der Strafe an, wenn der Verurteilte während der Probezeit vorsätzlich
ein Verbrechen oder ein Vergehen begeht oder trotz förmlicher Mahnung des
Richters einer ihm erteilten Weisung zuwiderhandelt oder sich beharrlich der
Schutzaufsicht entzieht oder in anderer Weise das auf ihn gesetzte Vertrauen
täuscht.
Die Begehung eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens während der
Probezeit zieht den Vollzug der Strafe zwingend nach sich. Diese Strenge will
das Gesetz nicht walten lassen, wenn der Verurteilte während der Probezeit
bloss eine Übertretung begeht. Das heisst jedoch nicht, dass es in solchen
Fällen schlechthin die Anordnung des Vollzuges untersage. Es besteht kein
Grund, den Vollzug der Strafe bloss zu gestatten, wenn das Verhalten, welches
das auf den Verurteilten gesetzte Vertrauen täuscht, nicht strafbar ist, ihn
dagegen auszuschliessen, wenn es unter Übertretungsstrafe steht. Ist dieses
Verhalten eine Übertretung, so kann die angedrohte Strafe es ja nur
verwerflicher machen. Es zieht den Vollzug der bedingt aufgeschobenen Strafe
immer dann nach sich, wenn es das Vertrauen täuscht, das der Richter auf den

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Verurteilten gesetzt hat, gleichgültig, ob das Verhalten (als Übertretung)
strafbar ist oder nicht. Natürlich darf das Vertrauen nicht leichthin als
getäuscht angesehen werden, und jedenfalls genügt die Tatsache, dass der
während der Probezeit begangene Fehltritt des Verurteilten eine Übertretung
ist, für sich allein nicht, weil sonst die Begehung einer solchen den Vollzug
der Strafe immer nach sich zöge, was das Gesetz, wie gesagt, nicht will. Es
ist im einzelnen Falle zu prüfen, ob die Natur und Schwere des Fehltrittes und
die Umstände, unter denen er begangen wurde, von einer Schwäche zeugen, die
der Verurteilte mit Rücksicht auf die Bewährungsprobe, unter der er stand,
hätte meistern sollen. Dabei kommt nichts darauf an, ob dem Verurteilten das
betreffende Verhalten in Form einer mit dem bedingten Strafvollzug verbundenen
Weisung ausdrücklich untersagt worden ist. Indem das Gesetz nicht nur die
Missachtung von Weisungen, sondern allgemein ein das Vertrauen des Richters
täuschendes Verhalten als Grund zum Vollzug der Strafe ansieht, sagt es, dass
von einem unter Bewährungsprobe stehenden Verurteilten mehr erwartet wird als
bloss die Befolgung dessen, was der Richter von ihm in Form von Weisungen
ausdrücklich verlangt. Der Wortlaut des Gesetzes fordert auch nicht, dass der
Anordnung des Strafvollzuges eine förmliche vom Richter erlassene Ermahnung
zum Wohlverhalten vorausgehe, wie dies für die Fälle vorgeschrieben ist, in
denen die Strafe wegen Missachtung einer Weisung vollzogen werden soll. Daher
kann eine solche Ermahnung jedenfalls dann nicht gefordert werden, wenn der
während der Probezeit begangene Fehltritt, wie im vorliegenden Falle, (als
Übertretung) strafbar ist. Denn vom Verurteilten wird in solchen Fällen nichts
erwartet, was das Gesetz nicht von jedem andern auch verlangt. Die «Mahnung»,
etwas zu tun oder zu unterlassen, liegt hier schon im Gesetz; der Verurteilte
braucht nicht noch besonders an seine Pflicht erinnert zu werden. Ob dagegen
in andern

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Fällen eine richterliche Mahnung nötig ist, kann dahingestellt bleiben.
3. ­ Welches Vertrauen der Richter dem Verurteilten entgegenbringt, d. h.
welche Aufführung er allgemein von ihm erwartet, braucht er in den Erwägungen,
mit denen er die Gewährung des bedingten Strafvollzugs begründet, nicht
darzulegen. Diese Erwägungen haben sich bloss über die in Art. 41 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB
genannten Voraussetzungen auszusprechen, so unter anderem zu sagen, dass und
warum Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, der bedingte
Vollzug werde ihn von weiteren Verbrechen oder Vergehen abhalten. Deshalb kann
der Beschwerdeführer nichts daraus ableiten, dass die Kriminalkammer im Urteil
vom 30. November 1945 lediglich die Erwartung ausgedrückt hat, der bedingte
Vollzug werde ihn von weiteren Verbrechen abhalten. Damit wollte sie nur
sagen, dass sie die in Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
genannte Voraussetzung der
Massnahme als erfüllt betrachte. Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB musste dem
Beschwerdeführer klar machen, dass er nicht nur keine Verbrechen oder Vergehen
mehr verüben dürfe, sondern sich überhaupt des ihm geschenkten Vertrauens
durch Wohlverhalten würdig zu erweisen habe. Zu diesem Wohlverhalten gehörte
die Beachtung von Sitte und Anstand in der Öffentlichkeit (Art. 15 bern. EG
StGB), ein Gebot, das er schon so oft unter dem Einfluss übermässig genossenen
Alkohols missachtet hatte. Die Übertretung des vom Regierungsrat verhängten
Wirtshausverbotes und das unanständige Benehmen vom 29. Juli 1946 waren nicht
einmalige Fehltritte, sondern Ausfluss einer Charakterschwäche, die den
Beschwerdeführer allen Ermahnungen und Versprechungen zum Trotze immer wieder
in die Wirtshäuser treibt, zu übermässigem Genuss von Alkohol verleitet und
den in der Öffentlichkeit zu wahrenden Anstand verletzen lässt. Ein Mann, der
den Kampf gegen einen solchen Charaktermangel nicht aufnimmt ­ die
Kriminalkammer sagt, der Beschwerdeführer wolle sich nicht bessern ­ oder in

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diesem Kampfe so leicht unterliegt, zeigt sich des Vertrauens, das ihm der
Richter durch Gewährung des bedingten Strafvollzuges entgegengebracht hat,
nicht würdig. Was der Beschwerdeführer zu seiner Entschuldigung vorbringt
(verminderte Leistungsfähigkeit wegen eines angeborenen körperlichen Fehlers,
Abstammung von einem Trinker, geringe Trinkfestigkeit), ist nicht stichhaltig.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 72 IV 145
Date : 01. Januar 1946
Published : 15. November 1946
Source : Bundesgericht
Status : 72 IV 145
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 41 Ziff. 3 StGB: Vollzug einer bedingt aufgeschobenen Strafe.Wann tauscht der Verurteilte «in...


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