S. 426 / Nr. 66 Schweizerbürgerrecht (d)
BGE 71 I 426
66. Urteil vom 20. September 1945 i. S. Lanz gegen eidg. Justiz- und
Polizeidepartement.
Regeste:
1. Verwaltungsgerichtsbeschwerde: Wahrung der Frist bei Wohnsitz in Übersee.
2. Entlassung ans dem Schweizerbürgerrecht infolge Verzichts. Anfechtung ihrer
Gültigkeit durch den Entlassenen.
1. Recours de droit administratif: Observation du délai lorsque le recourant
est domicilié outre-mer.
2. Libération des liens de la nationalité suisse par renonciation.
Contestation par l'intéressé de la validité de cet acte.
1. Ricorso di diritto amministrativo: Osservanza del termine, quando il
ricorrente è domiciliato in un paese d'oltremare.
2. Svincolo dalla nazionalità svizzera mediante rinuncia. Contestazione della
validità di quest'atto ad opera dell'interessato.
A. Der Beschwerdeführer Hermann Lanz, von Dürrenroth (Kanton Bern), seit 21.
Januar 1933 durch Naturalisation auch Bürger der Südafrikanischen Union,
wohnhaft in Woodstock /Kapstadt, richtete mit Schreiben vom 8. Juni 1939 über
das Schweizer Konsulat in Kapstadt an die Justizdirektion des Kantons Bern das
Gesuch um Entlassung aus dem Schweizerbürgerrecht. Er wurde dazu bewogen durch
die Anstände, die er seit 1930 mit dem Konsulat, der Militärsteuerverwaltung
des Kantons
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Bern und der eidgenössischen Steuerverwaltung wegen des Militärpflichtersatzes
gehabt hatte. Dem Gesuche entsprechend, entliess der Regierungsrat des Kantons
Bern mit Beschluss vom 29. September 1939 den Beschwerdeführer, dessen Ehefrau
«Annie» geb. Schultz und die minderjährige Tochter Annette Hermine aus dem
Bürgerrecht der Gemeinde d und des Kantons Bern und damit aus dem
Schweizerbürgerrecht. Der Beschluss wurde dem Verzichtenden durch das Konsulat
in Kapstadt zugestellt.
B. Mit Eingabe vom 6. November 1942 ersuchte der Beschwerdeführer den
Regierungsrat, auf den Entlassungsbeschluss zurückzukommen. Er machte geltend,
er habe nicht freiwillig auf das Schweizerbürgerrecht verzichtet, und bestritt
die Gültigkeit der Entlassung auch deshalb, weil seine Ehefrau im Beschluss
mit unrichtigem Vornamen («Annie» statt «Anna Maria») aufgeführt sei. Der
Regierungsrat wies das Begehren am 6. August 1943 mit folgender Begründung ab:
Die formellen Voraussetzungen für die Entlassung aus dem Bürgerrecht seien
gegeben gewesen; insbesondere habe ein schriftlicher Verzicht auf das
Schweizerbürgerrecht vorgelegen. Danach sei der Entlassungsbeschluss
rechtsgültig zustandegekommen und in Rechtskraft erwachsen und könne nicht
mehr in Wiedererwägung gezogen werden. Die Motive, welche den Beschwerdeführer
zum Entlassungsgesuch veranlasst hätten, berührten die Gültigkeit des
Entlassungsbeschlusses nicht; sie könnten höchstens bei der auf allfälliges
Gesuch des Verzichtenden durch den Bundesrat zu entscheidenden Frage der
Wiederaufnahme in das Sohweizerbürgerrecht nach Art. 10 lit. c des
Bundesgesetzes vom 25. Juni 1903 (BürgerrG) eine Rolle spielen. Wenn die
Personalien der Ehefrau im Entlassungsbeschluss nicht richtig angeführt worden
sein sollten sie entsprächen den Angaben des Konsulats in Kapstadt, so wäre
ein solcher Irrtum als unerheblicher Schreibfehler ohne weiteres
richtigzustellen.
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C. Darauf unterbreitete der Beschwerdeführer dem eidg. Justiz- und
Polizeidepartement mit Schreiben vom 9. Dezember 1943 ein «Revisionsbegehren».
Am 9. Februar 1945 erkannte das Departement gestützt auf Art. 6 des
Bundesratsbeschlusses vom 11. November 1941 über Änderung der Vorschriften
über Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts, dass der Beschwerdeführer,
seine Ehefrau Annie geb. Schultz und seine Tochter Annette Hermine durch
Beschluss des bernischen Regierungsrates vom 29. September 1939 rechtsgültig
aus dem Bürgerrecht des Kantons Bern und der Gemeinde Dürrenroth und zugleich
aus dem Schweizerbürgerrecht entlassen worden seien und dieses nicht mehr
besässen. Ferner wurde die Staatskanzlei des Kantons Bern angewiesen, den im
Entlassungsbeschluss enthaltenen Verschrieb bezüglich des Geburtsortes des
Beschwerdeführers («Winzau» statt «Winznau») zu berichtigen. Ausserdem wurde
die Richtigstellung des Vornamens der Ehefrau vorbehalten, sofern durch die
Geburtsurkunde nachgewiesen werde, dass sie nicht «Annie», sondern «Anna
Maria» heisse. Den Erwägungen ist zu entnehmen: Die Voraussetzungen der
Entlassung aus dem Schweizerbürgerrecht nach Art. 7 ff. BürgerrG seien
erfüllt. Es stehe fest und sei vom Beschwerdeführer nicht bestritten, dass er
zur Zeit der Verzichtserklärung in der Schweiz keinen Wohnsitz mehr gehabt
habe, handlungsfähig gewesen sei und bereits das Bürgerrecht der
Südafrikanischen Union besessen habe. Das Entlassungsverfahren sei
ordnungsgemäss durchgeführt worden, und die Entlassungsurkunde sei dem
Verzichtenden zugestellt worden. Der Verzicht sei nicht unter dem Einfluss
eines Zwangs oder Irrtums erfolgt. Der Beschwerdeführer sei durch die
behördliche Mitteilung, er müsse den Militärpflichtersatz entrichten, bis er
allenfalls infolge Verzichts aus dem Schweizerbürgerrecht entlassen sei, in
seiner Entschlussfreiheit nicht beschränkt worden. Die Behörde habe ihm für
den Fall des Nichtverzichts keine andere
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Rechtsfolge angedroht, als dass er nach Gesetz zum Pflichtersatz verhalten
bleibe. Er habe lediglich aus Verärgerung verzichtet. Er hätte sich sagen
müssen, dass das Schweizerbürgerrecht nicht ein Besitz sei, den man heute
wegwerfen und morgen wieder erlangen könne, dass vielmehr die Entlassung aus
dem Schweizerbürgerrecht eine endgültige Lage schaffe, die nur unter besondern
hier nicht gegebenen Voraussetzungen, vor allem nur nach Rückkehr in die
Schweiz, wieder geändert werden können. Als Vorname seiner Ehefrau sei vom
Konsulat und auch in der Heiratsurkunde «Annie» angegeben worden. Die
Entlassung wäre selbst dann gültig, wenn der Beschwerdeführer durch die
Geburtsurkunde, die in erster Linie massgebend sei, aber dem Zivilstandsamt
Dürrenroth nicht übermittelt worden sei, dartun könnte, dass die Ehefrau «Anna
Maria» heisse; denn er habe aus der Entlassungsurkunde klar erkennen können,
dass seine Ehefrau mitentlassen werde.
D. Gegen diesen ihm nach seiner Darstellung am 9. April 1945 vom Konsulat
zugestellten Entscheid erhob H. Lanz mit Schreiben vom 12. April 1945, welches
vom Konsulat am 19. April an das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
weitergeleitet wurde, Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit
folgender Begründung: Die Anstände zwischen ihm und den Militärsteuerbehörden
seien durch ungerechte Einschätzung seines Einkommens verursacht worden. Er
sei nicht freiwillig aus dem Schweizerbürgerrecht ausgeschieden, sondern unter
dem Einfluss der Drohungen und Demütigungen, denen er seitens des
Schweizerkonsuls und seines Kanzlers auf dem Konsulat und dem Arbeitsplatz
ausgesetzt gewesen sei. Sein Arbeitgeber habe einen unrichtigen Lohnausweis
ausgestellt, so dass er, Beschwerdeführer, die darauf beruhende übersetzte
Taxation nicht mehr habe anfechten können. Er habe entweder auf die Stelle
oder auf das Schweizerbürgerrecht verzichten müssen. Er habe sich für die
zweite Lösung entschieden, weil
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das Schweizerbürgerrecht für ihn «am wenigsten Wert» gehabt habe.
Mit Eingabe vom 5. Mai 1945, die vom Konsulat am 8. Mai an das eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement weitergeleitet wurde, machte der
Beschwerdeführer ergänzend geltend, das Entlassungsverfahren sei nicht
ordnungsgemäss durchgeführt worden, da sein Geburtsort und der Vorname der
Ehefrau unrichtig angegeben und die Geburtsurkunde nicht an das Zivilstandsamt
Dürrenroth übermittelt worden sei.
E. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat die Eingaben dem
Bundesgericht übergeben. Es beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht folgt diesem Antrag
in Erwägung:
1. Mit Recht hat das Justiz- und Polizeidepartement seine Zuständigkeit auf
Art. 6 des Bundesratsbeschlusses vom 11. November 1941 gestützt, wonach es
entscheidet, wenn fraglich ist, ob eine Person auf Grund des Bundesrechtes das
Schweizerbürgerrecht besitzt. Gegen einen solchen Entscheid ist nach Art. 7
Abs. 3 daselbst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
zulässig.
Die Beschwerde ist rechtzeitig, wenn sie innert 30 Tagen, vom Eingang des
angefochtenen Entscheides beim Beschwerdeführer an gerechnet, an das
Bundesgericht (oder den Bundesrat) gelangt oder zu dessen Handen der
schweizerischen Post übergeben worden ist (Art. 107 , 96 , 32 Abs. 3 OG).
Mangels anderer Anhaltspunkte ist anzunehmen, dass der Beschwerdeführer den
angefochtenen Entscheid nach seiner Angabe am 9. April 1945 erhalten hat. Da
er die Beschwerde und den Nachtrag dazu binnen der von da an berechneten
gesetzlichen Frist dem Konsulat, der offiziellen Schweizer Vertretung, zur
Weiterleitung an die zuständige Stelle übergeben hat, ist die Frist unter den
vorliegenden Umständen bezüglich beider Eingaben als gewahrt anzusehen.
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2. Streitig ist, ob der Beschwerdeführer und mit ihm gemäss Art. 9 Abs. 3
BürgerrG auch seine Ehefrau und seine minderjährige Tochter gültig aus dem
Schweizerbürgerrecht entlassen worden sind.
Einmal beanstandet der Beschwerdeführer an der Entlassungsverfügung, dass sie
seinen Geburtsort und den Vornamen der Ehefrau unrichtig angebe. Damit will er
wohl geltend machen, aus dem Entscheid gehe die Identität der betroffenen
Personen nicht mit genügender Deutlichkeit hervor. Allein es unterliegt keinem
Zweifel, dass die Entlassungsverfügung gerade den Beschwerdeführer betrifft.
Daran ändert es nichts, dass sie seinen Geburtsort teilweise unrichtig
wiedergibt. Es handelt sich lediglich um einen Verschrieb, der ohne weiteres
hat richtiggestellt werden können. Ebensowenig ist ein Zweifel daran möglich,
dass mit der in der Entlassungsurkunde nach dem Beschwerdeführer genannten
Person («dessen Ehefrau Annie geb. Schultz, geb. in Retreat C. P., den 8.
November 1902») seine Ehefrau gemeint ist. Wenn die Ehefrau wirklich «Anna
Maria» heisst, so ist die Berichtigung der (nicht eigentlich unrichtigen,
sondern nur etwas veränderten und unvollständigen) Angabe «Annie» auf Grund
der Geburtsurkunde ohne Schwierigkeiten möglich. Die allfällige Abweichung ist
so unwesentlich, dass sie die Gültigkeit der Entlassung nicht in Frage stellen
kann. Somit kann auch nichts darauf ankommen, dass die Geburtsurkunde der
Gemeinde Dürrenroth nicht übermittelt wurde.
Der Beschwerdeführer wendet namentlich ein, er habe nicht freiwillig auf das
Schweizerbürgerrecht verzichtet. Es kann aber keine Rede davon sein, dass die
Verzichtserklärung, auf der die Entlassung beruht, an einem Willensmangel
leidet, unter dem Einfluss eines Irrtums, einer Täuschung oder einer Drohung,
eines Zwanges, zustandegekommen ist, so dass sie, etwa unter Heranziehung
entsprechender zivilrechtlicher Begriffe (vgl. FLEINER, Institutionen des
deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 57 f., Anm. 30), ungültig zu
erklären wäre.
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Insbesondere ist der Beschwerdeführer zum Verzicht nicht «gezwungen» worden.
Sofern ihm vom Konsulat bedeutet wurde, er müsse bei Verbleiben im
Schweizerbürgerrecht weiterhin den Militärpflichtersatz entrichten, so lag
darin keine rechtswidrige Drohung. Wenn ihm vom Arbeitgeber ein unrichtiger
Lohnausweis ausgestellt wurde und ihm daraus Schwierigkeiten gegenüber den
Militärsteuerbehörden entstanden, so war auch dies noch kein zwingender Grund
zum Verzicht auf das Schweizerbürgerrecht. Beweggründe der vom
Beschwerdeführer genannten Art berühren die Gültigkeit des Verzichts nicht
(vgl. BGE 42 I S. 371 ff., Erw. 3).
Die Entlassung besteht auch im übrigen zu Recht. Sie musste nach Art. 9
BürgerrG ausgesprochen werden, da ein gültiger Verzicht vorlag und die
sonstigen Voraussetzungen nach Art. 7 daselbst Fehlen des Wohnsitzes in der
Schweiz, Handlungsfähigkeit und Doppelbürgerrecht erfüllt waren. Sie wurde
in einwandfreiem Verfahren und von der zuständigen Behörde verfügt. Somit
besitzen der Beschwerdeführer, seine Ehefrau und seine Tochter Annette Hermine
das Schweizerbürgerrecht gegenwärtig nicht. Die Wiederaufnahme unter den
besondern Voraussetzungen des Art. 10 BürgerrG bleibt vorbehalten.