S. 36 / Nr. 8 Organisation der Bundesrechtspflege (d)

BGE 71 I 36

8. Urteil vom 12. Februar 1945 i. S. Huser gegen Amtlicher Wohnungsnachweis
des Kantons Basel-Stadt.

Regeste:
BV Art. 45, OG Art. 86 Abs. 2: Wird die Niederlassung gestützt auf den BRB vom
15. Oktober 1941 wegen Wohnungsnot verweigert, so ist die staatsrechtliche
Beschwerde erst nach Erschöpfung der kantonalen Instanzen zulässig.
Art. 45 CF, 86 al. 2 OJ: Lorsque l'établissement est refusé en vertu de l'ACF
du 15 octobre 1941 (pénurie des logements) le recours de droit public n'est
recevable qu'après épuisement des instances cantonales.
Art. 45 CF, 86 cp. 2 OGF: Quando il domicilio sia rifiutato in base al DCF 15
ottobre 1941 concernente la penuria degli alloggi, il ricorso di diritto
pubblico è ammissibile solo contro la decisione cantonale emanata in ultima
istanza.


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Der Beschwerdeführer zog im Jahre 1944 von Binningen nach Basel und kam dort
um Bewilligung der Niederlassung ein. Mit Verfügung vom 22. August 1944 wies
jedoch der amtliche Wohnungsnachweis Basel-Stadt sein Gesuch wegen der
herrschenden Wohnungsnot ab. Am 15. Dezember erneuerte der Beschwerdeführer
sein Gesuch beim Regierungsrat. Dieser überwies es dem amtlichen
Wohnungsnachweis, welcher dem Beschwerdeführer am 25. Januar 1945 mitteilte,
er könne darauf nicht eintreten, da darin keine neuen Tatsachen geltend
gemacht würden, die eine Änderung des am 22. August 1944 ergangenen Entscheids
rechtfertigen könnten.
Hierüber beschwert sich Huser beim Bundesgericht in einer Eingabe vom 30.
Januar 1945 unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Dem Beschwerdeführer wird die Niederlassung in Basel auf Grund der Art. 19 und
20 des Bundesratsbeschlusses vom 15. Oktober 1941 über Massnahmen gegen die
Wohnungsnot verweigert. Die gestützt auf diesen Erlass von den kantonalen
Behörden gefällten Entscheide sind endgültig; eine Weiterziehung an eine
Bundesbehörde findet nicht statt (Art. 3 BRB). Das Bundesgericht hat
angenommen, diese Vorschrift beziehe sich nicht auf den staatsrechtlichen
Rekurs wegen Verfassungsverletzung (BGE 68 I 132); es hat aber verlangt, dass
vor dessen Ergreifung die kantonalen Instanzen zu erschöpfen seien (nicht
veröffentlichte Entscheide vom 18. September 1942 i. S. Klauenbösch und vom
25. Oktober 1943 i. S. Küpfer). An dieser Praxis ist festzuhalten. Wenn schon
gegen ausdrücklich als endgültig bezeichnete, an keine Bundesbehörde
weiterziehbare Entscheide der staatsrechtliche Rekurs wegen
Verfassungsverletzung gewährt wird, so rechtfertigt es sich jedenfalls, dieses
ausserordentliche Rechtsmittel nur zuzulassen gegenüber Entscheiden, die auch
an keine kantonale Behörde mehr weitergezogen werden können. Nach Art. 22 des
BRB bleibt nun

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gegenüber der Verweigerung der Niederlassung wegen Wohnungsnot «in jedem Fall
der Rekurs an die Kantonsregierung offen». Über die Beschränkung der durch
Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV gewährleisteten Freizügigkeit soll demnach nicht eine
Gemeindebehörde oder eine untergeordnete kantonale Behörde, sondern nur die
Kantonsregierung selbst endgültig entscheiden können. Stellt somit der BRB
selbst dem Betroffenen, und zwar offensichtlich in seinem Interesse, ein
kantonales Rechtsmittel zur Verfügung, so darf ihm füglich zugemutet werden,
davon vor Anrufung des Bundesgerichts Gebrauch zu machen, zumal da auch dies
regelmässig in seinem Interesse liegt, weil die Überprüfungsbefugnis des
Bundesgerichts der Natur der Sache auch keine so freie sein kann wie diejenige
der Kantonsregierung, die über die Anwendung des BRB «endgültig zu entscheiden
hat (BGE 68 I 132; vgl. auch 47 I 55). Zur Umgehung der bundesrechtlich aus
guten Gründen vorgesehenen kantonalen Rekursinstanz kann auch das auf den
vorliegenden Fall anwendbare neue OG nicht führen. Dessen Art. 86 macht
freilich u. a. auch für Beschwerden wegen Verletzung der
Niederlassungsfreiheit eine Ausnahme vom Grundsatz, dass vor der Anrufung des
Bundesgerichts von den kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch zu machen sei. Allein
Art. 86 wollte in keiner Weise die bisherige Praxis in Bezug auf das
Erfordernis der Erschöpfung der kantonalen Instanzen ändern, sondern lediglich
diese Praxis im Interesse der Rechtssicherheit im Gesetz festhalten (Botschaft
des Bundesrates, BBl 1943 S. 138/9). Unter diesen Umständen besteht kein
Anlass, von der bisherigen Praxis abzugehen, die übrigens staatsrechtliche
Beschwerden wegen Niederlassungsverweigerung nicht nur hinsichtlich jenes
Erfordernisses, sondern auch in anderer Beziehung (Ausschluss neuer Tatsachen,
Anschluss der Beschwerde an Vollzugsmassnahmen usw.) verschieden behandelte,
je nachdem die Verfassungsmässigkeit der Niederlassungsverweigerung
ausschliesslich auf Grund von Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV zu prüfen war oder

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der BRB über Massnahmen gegen die Wohnungsnot anwendbar war.
Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen die Weigerung
des baselstädtischen Wohnungsnachweisamtes, einen ablehnenden Entscheid über
ein früheres Niederlassungsgesuch des Beschwerdeführers in Wiedererwägung zu
ziehen. Diesen neuen Entscheid hätte der Beschwerdeführer wie schon den
früheren an den Regierungsrat weiterziehen können. Auf die unmittelbar beim
Bundesgericht eingereichte Beschwerde kann deshalb nicht eingetreten werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Vgl. auch Nr. 5, 6. ­ Voir aussi nos 5, 6.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 71 I 36
Datum : 01. Januar 1945
Publiziert : 12. Februar 1945
Quelle : Bundesgericht
Status : 71 I 36
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : BV Art. 45, OG Art. 86 Abs. 2: Wird die Niederlassung gestützt auf den BRB vom 15. Oktober 1941...


Gesetzesregister
BV: 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BGE Register
47-I-54 • 68-I-129 • 71-I-36
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ausserordentliches rechtsmittel • basel-stadt • bundesgericht • bundesrechtspflegegesetz • entscheid • kantonale behörde • kantonales rechtsmittel • niederlassungsfreiheit • rechtsmittel • rechtssicherheit • regierungsrat • staatsrechtliche beschwerde • weiler • wiese • wohnungsnot
BBl
1943/138