S. 85 / Nr. 22 Strafgesetzbuch (d)

BGE 70 IV 85

22. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Mai 1944 i.S. Steiner
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.


Seite: 85
Regeste:
Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
StGB. Die Kantone sind befugt, unzüchtiges Reden in
der Öffentlichkeit als Übertretung mit Strafe zu bedrohen; § 39 des
luzernischen EG StGB verstösst nicht gegen Bundesrecht.
Art. 335 ch. 1 al. 1 CP. Les cantons peuvent punir à titre de contravention
les propos contraires à la pudeur tenus en public; le § 39 de la LA lucernoise
du CP ne viole pas le droit fédéral.
Art. 335, cifra 1, cp. 1 CP. I cantoni possono punire a titolo di
contravvenzione i discorsi contrari al pudore tenuti in pubblico il § 39 della
legge lucernese d'introduzione del CP non viola il diritto federale.

Aus den Erwägungen:
Das Strafgesetzbuch stellt in Art. 203 unter Strafe die öffentliche Begehung
einer unzüchtigen Handlung. Handlung ist hier nicht im weitesten Begriffe zu
verstehen, sondern es ist die Tat im Gegensatz zum Wort. Die Beratungen der
II. Expertenkommission stellen das ausser Zweifel (Prot. 3 259, 262 Abs. 1,
Voten von ZÜRCHER, GAUTIER und HAFTER; vgl. auch Erl. VE S. 248). Aus ihnen
ergibt sich aber auch deutlich, dass lediglich davon abgesehen werden wollte,
das unzüchtige Reden gleich unzüchtigem Handeln als Vergehen unter Strafe zu
stellen, nicht dagegen, es überhaupt jeglicher Ahndung zu entziehen. Diese
sollte vielmehr dem Übertretungsstrafrecht vorbehalten sein. Dem widerspricht
nicht, dass der Bundesgesetzgeber das unzüchtige Reden nicht selbst, gleich
den Tatbeständen der Art. 205 und 206, als «Übertretung gegen die
Sittlichkeit» unter Strafe gestellt hat. Denn für die bundesrechtliche
Regelung dieser beiden Tatbestände hatte er besondere Gründe. Der eine steht
im Zusammenhang mit den Strafbestimmungen gegen Angriffe auf die
Schamhaftigkeit und die Ehre der belästigten Person, will also nicht in erster
Linie öffentlichen Anstand und Sitte schützen, und der andere trifft einen
Auswuchs der Prostitution, deren strafrechtliche Erfassung der
Bundesgesetzgeber

Seite: 86
allerdings abschliessend zu ordnen gedachte (BGE 68 IV 40). So blieb die
Ahndung des unzüchtigen Redens in der Öffentlichkeit wie andere Verletzungen
von Anstand und Sitte in der Öffentlichkeit als Störung der öffentlichen
Ordnung dem kantonalen Gesetzgeber des Übertretungsstrafrechtes
anheimgestellt. § 39 des luzernischen EG, der mit Busse bis zu 100 Fr. und in
besonders schweren Fällen mit Haft bis zu 10 Tagen bedroht, wer öffentlich
durch unzüchtige Reden das sittliche Empfinden anderer verletzt, ist demnach
durch Art. 335 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
StGB gedeckt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 70 IV 85
Datum : 01. Januar 1943
Publiziert : 18. Mai 1944
Quelle : Bundesgericht
Status : 70 IV 85
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Die Kantone sind befugt, unzüchtiges Reden in der Öffentlichkeit als...


Gesetzesregister
StGB: 335
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 335 - 1 Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
1    Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Übertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist.
2    Die Kantone sind befugt, die Widerhandlungen gegen das kantonale Verwaltungs- und Prozessrecht mit Sanktionen zu bedrohen.
BGE Register
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