S. 107 / Nr. 29 Strafgesetzbuch (d)

BGE 70 IV 107

29. Urteil des Kassationshofes vom 30. Juni 1944 i.S. Gammenthaler gegen
Generalprokurator des Kantons Bern.

Regeste:
Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB. Die Strafe ist auch dann vollziehen zu lassen, wenn dem
Verurteilten für das während der Probezeit begangene neue Verbrechen oder
Vergehen wiederum der bedingte Strafvollzug zugebilligt worden ist.
Art. 41 ch. 3 CP. Le juge doit ordonner l'exécution de la peine même lorsque
le condamné qui encourt durant le délai d'épreuve une nouvelle peine pour un
crime ou un délit est mis à nouveau au bénéfice du sursis.
Art. 41, cifra 3 CP. Il giudice deve ordinare l'esecuzione della pena anche se
il condannato che incorre in una nuova pena per un crimine o un delitto
durante il periodo di prova è messo nuovamente al beneficio della sospensione
condizionale.

A. - Am 30. März 1944 hat das Obergericht des Kantons Bern den bedingten
Strafvollzug, welchen das Amtsgericht von Bern Wilhelm Gammenthaler am 27. Mai
1942 für eine in Anwendung eidgenössischen Rechts ausgesprochene
Gefängnisstrafe von fünfunddreissig Tagen

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gewährt hatte, gestützt auf Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB widerrufen, weil Gammenthaler
am 8. Dezember 1943 vom Gerichtspräsidenten IV von Bern wegen einer während
der zweijährigen Probezeit begangenen Veruntreuung zu vierzehn Tagen
Gefängnis, wiederum bedingt vollziehbar, verurteilt worden war.
B. - Gammenthaler ficht den Entscheid des Obergerichtes mit der
Nichtigkeitsbeschwerde an. Er beantragt dessen Aufhebung und die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz, damit sie die Strafe vom 27. Mai 1942 nicht
vollziehen lasse. Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB sei
nicht nach seinem Wortlaut anzuwenden, denn das würde zu grossen Härten
führen, was kaum die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein könne. Es wäre
geradezu unlogisch, im vorliegenden Falle, wo für die während der Probezeit
begangene strafbare Handlung wiederum nur eine bedingt vollziehbare Strafe
ausgesprochen wurde, den Vollzug der ersten Strafe anzuordnen.
C. - Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt die Abweisung der
Beschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Gemäss Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB hat der Richter die Strafe, welche als bedingt
vollziehbar ausgefällt worden ist, unter anderem dann vollziehen zu lassen,
wenn der Verurteilte während der Probezeit vorsätzlich ein Verbrechen oder
Vergehen begeht. Diese Bestimmung macht keine Ausnahme. Sie stellt es
insbesondere nicht dem Ermessen des Richters anheim, von der Anordnung des
Vollzugs dann abzusehen, wenn das während der Probezeit begangene Verbrechen
oder Vergehen geringfügig ist. Diese Abweichung von der Ordnung, die vor dem
Inkrafttreten des Strafgesetzbuches in gewissen Kantonen (z. B. Basel und
Bern) galt und auch in der Literatur befürwortet wurde (vgl. u. a. MANTEL, Die
Ergebnisse des bedingten Straferlasses in Deutschland, Belgien, Frankreich und
der

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Schweiz S. 104; PFENNINGER in Festgabe zum schweiz. Juristentag 1928 S. 166),
ist gewollt. Ein in der zweiten Expertenkommission gestellter Antrag, welcher
dem Richter die Anordnung des Strafvollzugs bei Nichtbewährung des
Verurteilten nicht zwingend vorschreiben, sondern bloss erlauben wollte, wurde
abgelehnt (Protokoll 1 418, 426, 431), ebenso ein im Nationalrat anlässlich
der Bereinigung der Differenzen gestellter Antrag, wonach der Richter
ausnahmsweise befugt sein sollte, die Vollziehung der erkannten Strafe nicht
zu verfügen, wenn das letzte beurteilte Verbrechen oder Vergehen geringfügiger
Art ist (AStenBull NatR, Sonderausgabe 635 ff.). Der klare Wortlaut des
Gesetzes deckt sich also mit dem aus den Materialien ersichtlichen Willen des
Gesetzgebers, dahingehend, dass jedes während der Probezeit begangene
Verbrechen oder Vergehen den Vollzug der Strafe nach sich ziehen soll (vgl.
Votum GAUTIER, Protokolle der zweiten Expertenkommission 1 420).
Dieser Strenge des Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB steht die Nachsicht gegenüber, welche
Art. 41 Ziff. 1 Abs. 3 zu üben gestattet. Diese Bestimmung schliesst den
bedingten Strafvollzug nicht schon aus, wenn der Täter innerhalb der letzten
fünf Jahre wegen eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, sondern nur, wenn er innerhalb dieses
Zeitraumes eine solche Strafe verbüsst hat. War die Strafe bedingt
vollziehbar, so hindert Art. 41 Ziff. 1 Abs. 3 den Richter nicht, diese
Massnahme auch für die zweite Strafe zu gewähren. Tut er dies, so verträgt
sich damit schlecht, dass die selbst nur bedingt sühnbare Tat den Vollzug der
früheren Strafe nach sich ziehen soll. Man kann sich fragen, ob diese Ordnung
darauf zurückzuführen ist, dass Art. 39 Ziff. 1 Abs. 2 des Entwurfes (Art. 41
Ziff. 1 Abs. 3 des Gesetzes) nach dem von den eidgenössischen Räten
unwidersprochen durchgelassenen Wortlaut in der Vorstrafe ein Hindernis des
bedingten Strafvollzuges dann erblickte, wenn der Verurteilte sie «erlitten»,
nicht wenn

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er sie «verbüsst» hat. «Erlitten» brauchte nicht unbedingt im Sinne von
«erstanden» - ein Ausdruck, den der Entwurf in der Bestimmung über den
Rückfall (Art. 64) kannte und der mit «verbüsst» gleichbedeutend ist -
aufgefasst zu werden. Die Meinung konnte dahin gehen, die Verurteilung zur
Vorstrafe genüge, um den bedingten Vollzug für die spätere Strafe
auszuschliessen. Die vom Beschwerdeführer als unlogisch gerügte Ordnung wäre
dann erst durch die im Redaktionsverfahren erfolgte Ersetzung des Wortes
«erlitten» durch «verbüsst» heraufbeschworen worden. Allein es sind auch
andere Erklärungen möglich. Der Gesetzgeber kann sich z. B. vorgestellt haben,
der Richter werde dem Verurteilten den bedingten Strafvollzug bei der zweiten
Verurteilung nicht oder nur ganz ausnahmsweise gewähren, nämlich höchstens
dann, wenn ernsthaft angenommen werden kann, der Verurteilte werde die zweite
Bewährungsprobe besser bestehen als die erste.
Sei dem wie ihm wolle, der Kassationshof ist nicht befugt, sich über den
unmissverständlichen Text des Art. 41 Ziff. 3, welcher den vom Gesetzgeber
gewollten Sinn hat, hinwegzusetzen, um eine Ordnung, welche als zu wenig
durchdacht erscheinen mag, zu verbessern.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 70 IV 107
Datum : 01. Januar 1943
Publiziert : 29. Juni 1944
Quelle : Bundesgericht
Status : 70 IV 107
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 41 Ziff. 3 StGB. Die Strafe ist auch dann vollziehen zu lassen, wenn dem Verurteilten für das...


Gesetzesregister
StGB: 41
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
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