S. 76 / Nr. 14 Obligationenrecht (d)

BGE 69 II 76

14. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. April 1943 i. S.
Kaiser gegen Widmer.

Regeste:
Feststellungsklage.
Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR gewährt einen Feststellungsanspruch.
Ob sich die Zulässigkeit der Feststellungsklage allgemein nach Bundesrecht
beurteilt, wird offen gelassen.
L'art. 20 CO confère une action en constatation de droit.
La question de savoir si la recevabilité d'une telle action se juge en règle
générale selon le droit fédéral est laissée indécise.

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L'art. 20 CO consente un'azione di accertamento d'un diritto.
La questione se la ricevibilità di una siffatta azione si giudichi, in
generale, secondo il diritto federale, rimane indecisa.

Der Kläger verkaufte dem Beklagten im Jahre 1938 das von ihm in Luzern
betriebene Teppichgeschäft. Er verpflichtete sich bei einer Konventionalstrafe
von Fr. 20000 während der Führung des Geschäftes durch den Beklagten weder in
Luzern noch im Umkreise von 20 km ein Konkurrenzgeschäft zu eröffnen oder sich
an einem gleichartigen Geschäft zu beteiligen. Mit der vorliegenden Klage
verlangte er, es sei festzustellen, dass diese Konkurrenzklausel gegen die
guten Sitten verstosse und daher aufzuheben, eventuell auf 4 Jahre zu
beschränken sei. Subeventuell sei festzustellen, dass die Konventionalstrafe
als übermässig herabzusetzen sei, ferner dass die Konkurrenzklausel keine
kumulative Wirkung habe und der Kläger nach Bezahlung der Konventionalstrafe
vom Konkurrenzverbot befreit sei.
Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies die Klage ab.
Das Obergericht des Kantons Luzern wies mit Urteil vom 13. Januar 1943 die
Klage ab, soweit es darauf eintrat.
Mit der Berufung verlangt der Kläger, die Klage sei im vollen Umfange
gutzuheissen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Die Rechtsbegehren der Klage sind Feststellungsbegehren. Die Vorinstanz
hat ihre Zulässigkeit auf Grund des kantonalen Prozessrechtes geprüft und nur
für die beiden ersten Begehren bejaht.
Nach der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesgerichtes beurteilt sich die
Zulässigkeit der Feststellungsklage nach kantonalem Prozessrecht. Doch besteht
von Bundesrechts wegen ­ ohne Rücksicht auf das kantonale Prozessrecht ­ ein
Feststellungsanspruch in bestimmten Einzelfällen, in denen das Bundesrecht
einen solchen Anspruch ausdrücklich oder stillschweigend vorsieht (vgl. BGE 45
II 462
, 55 II 138). Demgegenüber wird in der

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Literatur unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung (BGE 42 II 699) die
Ansicht vertreten, nur der Gesetzgeber des Privatrechtes könne sagen, welchen
Schutz er für das Privatrecht voraussetze. Ob das eidgenössische Privatrecht
den Schutz nur gegen Verletzung (Verurteilungsklage) oder auch gegen
Gefährdung (Feststellungsklage) erheische, sei durch Auslegung des
Bundesprivatrechtes zu ermitteln, stelle also eine Frage des eidgenössischen
Rechtes dar. Diese Frage sei zu bejahen, denn Recht ohne Schutz gegen
Gefährdung sei nach heutiger Auffassung unvollkommenes Recht (vgl. LEUCH: Ist
die allgemeine Feststellungsklage eidgenössischen Rechtes im Sinne von Art. 56
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.

OG oder kantonalen Rechtes? Schweiz. Juristen-Zeitung, Jahrg. 36, S. 293 ff.
insbesondere S. 297 f.).
Zu dieser Streitfrage braucht indessen im vorliegenden Fall nicht Stellung
genommen zu werden.
Für das erste Rechtsbegehren muss schon auf Grund der bisherigen
Rechtsprechung angenommen werden, die Feststellungsklage sei nach Bundesrecht
gegeben. Der Kläger beruft sich darauf, dass das vereinbarte Konkurrenzverbot
gegen die guten Sitten verstosse und daher gemäss Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR nichtig sei. In
Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR ist zwar nicht ausdrücklich von einem Feststellungsanspruch die
Rede. Doch wird der Zweck des Art. 20 nur dann erreicht, wenn derjenige, der
sich auf die Nichtigkeit eines Vertrages beruft, diese auch gerichtlich
feststellen lassen kann. Es muss daher angenommen werden, Art. 20 verleihe
stillschweigend einen Feststellungsanspruch.
Gleich verhält es sich mit dem zweiten Rechtsbegehren, womit der Kläger die
Beschränkung des Konkurrenzverbotes auf die Dauer von 4 Jahren verlangt.
Dieses Begehren stützt sich ebenfalls auf Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR, indem der Kläger
vorbringt, wenigstens die unbeschränkte Dauer des Konkurrenzverbotes verstosse
gegen die guten Sitten, das Verbot sei somit teilweise nichtig. Auch für
dieses Begehren ergibt sich nach der bisherigen Rechtsprechung aus Art. 20 ein
Feststellungsanspruch.

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Mit den Rechtsbegehren 3 und 4 will der Kläger subeventuell feststellen
lassen, dass die für den Fall der Übertretung des Konkurrenzverbotes
vereinbarte Konventionalstrafe übermässig hoch sei und dass ihr keine
kumulative Wirkung zukomme. Stellt man sich auf den Boden der bisherigen
Rechtsprechung, so muss für diese Streitpunkte ein bundesrechtlicher
Feststellungsanspruch verneint werden. Art. 163 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 163 - 1 Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden.
1    Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden.
2    Sie kann nicht gefordert werden, wenn sie ein widerrechtliches oder unsittliches Versprechen bekräftigen soll und, mangels anderer Abrede, wenn die Erfüllung durch einen vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand unmöglich geworden ist.
3    Übermässig hohe Konventionalstrafen hat der Richter nach seinem Ermessen herabzusetzen.
OR, der in Betracht
fällt, sieht einen solchen Anspruch sicher nicht ausdrücklich vor. Es kann
aber auch nicht angenommen werden, er enthalte ihn stillschweigend. Einer
solchen Annahme stehen die gleichen Gründe entgegen, welche die Vorinstanz
dazu geführt haben, einen Feststellungsanspruch für diese Streitpunkte auf
Grund des kantonalen Prozessrechtes zu verneinen. Ob eine Konventionalstrafe
übermässig hoch sei, kann nämlich nicht zum vorneherein beurteilt werden. Es
müssen die Umstände bekannt sein, unter denen sie verfällt, so das Verschulden
des Verbotsbrechers, die Grösse der Verletzung, das Interesse des Gläubigers
an der Aufrechterhaltung des Vertrages und die Leistungsfähigkeit der Parteien
im Zeitpunkt der Verletzung. Art. 163 Abs. 3 kann somit erst dann angewendet
werden, wenn die Vertragsvorschrift, für deren Übertretung sie vorgesehen ist,
verletzt wird. Solange der Vertrag gehalten wird, wäre ein Entscheid des
Richters in bezug auf die Übermässigkeit der Konventionalstrafe in der Tat
hypothetisch. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, den Richter zu einem
solchen Entscheid zu zwingen. Die Annahme eines Feststellungsanspruches ist
daher ausgeschlossen.
Zu keinem andern Ergebnis gelangt man aber in bezug auf die Rechtsbegehren 3
und 4, wenn man mit LEUCH annimmt, das Bundeszivilrecht bestimme
ausschliesslich, ob ein Feststellungsanspruch bestehe. Denn auch in diesem
Falle würde Art. 163 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 163 - 1 Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden.
1    Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden.
2    Sie kann nicht gefordert werden, wenn sie ein widerrechtliches oder unsittliches Versprechen bekräftigen soll und, mangels anderer Abrede, wenn die Erfüllung durch einen vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand unmöglich geworden ist.
3    Übermässig hohe Konventionalstrafen hat der Richter nach seinem Ermessen herabzusetzen.
OR aus den genannten Gründen die Annahme eines
Feststellungsanspruches ausschliessen; ausserdem wäre die Feststellungsklage
auch nach Bundesrecht nur dann gegeben, wenn der Kläger ein Interesse an der
sofortigen Feststellung hätte (vgl. LEUCH, a.a.O.

Seite. 80
S. 296 f.). Ein solches Interesse ist im vorliegenden Fall mit der Vorinstanz
zu verneinen. Der Kläger will mit den Rechtsbegehren 3 und 4 im Grunde nur
erfahren, ob es sich lohne, das Konkurrenzverbot zu übertreten. Dieses
Interesse verdient auf keinen Fall Rechtsschutz.
2. ­ ... (Die Rechtsbegehren 1 und 2 sind sachlich unbegründet.)
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Luzern vom 13. Januar 1943 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 69 II 76
Datum : 01. Januar 1942
Publiziert : 11. April 1943
Quelle : Bundesgericht
Status : 69 II 76
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Feststellungsklage.Art. 20 OR gewährt einen Feststellungsanspruch.Ob sich die Zulässigkeit der...


Gesetzesregister
OG: 56
OR: 20 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
163
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 163 - 1 Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden.
1    Die Konventionalstrafe kann von den Parteien in beliebiger Höhe bestimmt werden.
2    Sie kann nicht gefordert werden, wenn sie ein widerrechtliches oder unsittliches Versprechen bekräftigen soll und, mangels anderer Abrede, wenn die Erfüllung durch einen vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand unmöglich geworden ist.
3    Übermässig hohe Konventionalstrafen hat der Richter nach seinem Ermessen herabzusetzen.
BGE Register
42-II-696 • 45-II-460 • 55-II-135 • 69-II-76
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
aufrechterhaltung des vertrages • ausmass der baute • beklagter • bundesgericht • dauer • entscheid • feststellungsklage • frage • kantonales recht • konkurrenzverbot • konventionalstrafe • literatur • lohn • nichtigkeit • rechtsbegehren • richterliche behörde • stelle • umfang • unternehmung • verfahren • vorinstanz • wiese • wille • zeitung