S. 162 / Nr. 36 Niederlassungsfreiheit (d)

BGE 69 I 162

36. Urteil vom 16. September 1943 i. S. Frey-Schawalder gegen Basel-Stadt.


Seite: 162
Regeste:
Niederlassungsfreiheit (Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV).
Kantonale Entscheide, die die Wiedererwägung einer frühern Ausweisung,
Verweigerung oder Entziehung der Niederlassung ablehnen, können mit der,
Behauptung angefochten werden, dass diese frühere Verfügung die Garantie der
Niederlassungsfreiheit verletze (Erw. 1).
Der Entzug der Niederlassung an einem bestimmten Ort wegen wiederholter
gerichtlicher Bestrafung für schwere Vergehen ist zulässig, wenn wenigstens
eines dieser Vergehen nach der Bestrafung für ein früheres und während der
Dauer der Niederlassung am erwähnten Ort begangen worden ist (Erw. 2).
Vergehen gegen das Vermögen, z. B. Betrug, Diebstahl, gelten als schwere, wenn
es sich nicht nach dem Tatbestand um ganz unbedeutende Deliktsfälle handelt
(Erw. 2).
Der Entzug der Niederlassung für ein bestimmtes Gemeinde- oder Kantonsgebiet
mit dem Verbot, sich hier weiter aufzuhalten, wegen wiederholter gerichtlicher
Bestrafung ist nicht bloss dann möglich, wenn es sich darum handelt, eine
förmliche Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung für jenes Gebiet zu
entziehen, sondern auch gegenüber dem Verurteilten, der
a) im erwähnten Gebiet ohne polizeiliche Bewilligung tatsächlich wohnt und
bereits zur Zeit des letzten massgebenden Vergehens wohnte;
b) das genannte Gebiet, wo er bisher wohnte, nach der Begehung eines schweren
Vergehens verlassen hat, um der Strafe oder der ihm drohenden Ausweisung zu
entgehen
c) im erwähnten Gebiet sein letztes massgebendes schweres Vergehen begangen
hat und nirgends polizeilich gemeldet oder wohnhaft ist, sofern die Ausweisung
unverzüglich nach der gerichtlichen Bestrafung für jenes Vergehen oder
spätestens unmittelbar nach dem Ende des Vollzugs der damit ausgesprochenen
Freiheitsstrafe erfolgt (Erw. 3).
Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV gewahrt keinen Anspruch auf Verkürzung der Dauer eines
Aufenthaltsverbotes, das mit einem zulässigen, noch gültigen Entzug der
Niederlassung wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung für schwere Vergehen
verbunden worden ist.
liberté d'établissement (Art. 45 CF).
Les décisions cantonales qui refusent de revenir sur une expulsion, un refus
ou un retrait d'établissement peuvent être attaquées par le motif que la
décision originaire viole la garantie constitutionnelle (consid. 1).
Le retrait de l'établissement dans un endroit déterminé en raison de
condamnations réitérées pour délits graves est justifié

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lorsque au moins un de ces délits a été commis après l'établissement et après
au moins une autre condamnation (consid. 2).
Les délits contre le patrimoine tels quo l'escroquerie, le vol, sont réputés
graves si les circonstances n'en font pas des cas de minime importance
(consid. 2).
Le retrait de l'établissement sur un certain territoire d'une commune ou d'un
canton avec défense d'y séjourner plus longtemps à cause de condamnations
pénales réitérces est possible non seulement lorsqu'il s'agit d'un retrait
proprement dit du droit d'établissement ou de séjour pour ce territoire mais
aussi à l'encontre du délinquant
a) qui habite effectivement ce territoire sans autorisation de la police et
qui l'habitait déjà lors de la commission du dernier délit entrant en
considération
b) qui a quitté le lieu de son habitation après avoir commis un délit grave
pour échapper à une condamnation ou pour prévenir l'expulsion
c) qui a commis le dernier délit grave sur ledit territoire et qui n'est
annoncé nulle part à la police et n'a pas de résidence, pourvu que l'expulsion
suive immédiatement la condamnation pour ce délit ou, au plus tard,
l'expiration de la peine privative de liberté prononcée (consid. 3).
L'art. 45 CF ne confère pas le droit de faire abréger l'interdiction de séjour
fondée sur un retrait d'établissement encore valable décidé en raison de
condamnations réitérées pour délits graves.
Libertà di domicilio (art. 45 CF).
Le decisioni cantonali che rifiutano di rinvenire su un'espulsione un rifiuto
od una revoca di domicilio possono essere impugnate pel motivo che la
decisione precedente viola la garanzia costituzionale (consid. 1).
La revoca del domicilio in un luogo determinato per reiterate condanne a
motivo di gravi resti è giustificata qualora almeno uno di essi sia stato
commesso dopo il domicilio e dopo almeno un'altra condanna (consid. 2).
I reati contro il patrimonio quali la truffa, il furto, sono reputati gravi se
le circostanze non sono tali da farli apparire di minima importanza (consid.
2).
La revoca del domicilio sul territorio d'un comune o d'un cantone col divieto
di soggiornarvi più a lungo a motivo di ripetute condanne penali è ammissibile
non soltanto se si tratti di una revoca propriamente detta del diritto di
domicilio o di soggiorno per questo territorio, ma anche se il condannato
a) abita effettivamente questo territorio senza autorizzazione della polizia e
l'abitava già allorchè commise l'ultimo reato entrante in linea di conto
b) ha abbandonato il luogo della sua abitazione dopo aver commesso un delitto
grave per sottrarsi ad una condanna o all'espulsione
c) ha commesso l'ultimo delitto grave su detto territorio e non si è
annunciato in nessun luogo alla polizia o non ha in nessun luogo domicilio,
purchè l'espulsione segua immediatamente la condanna di questo delitto o al
più tardi subito dopo scontata la pena privativa della libertà (consid. 3).
L'art. 45 CF non dà diritto ad abbreviare l'interdizione di soggiorno

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basata su una revoca di domicilio ancora valida, decisa a motivo di reiterato
condanne por gravi reati.

A. ­ Der Rekurrent Frey, Bürger von Sissach, ist unzählige Male gerichtlich
bestraft worden, u. a. wegen Diebstahls, Betruges und Urkundenfälschung. Das
Strafgericht von Basel-Stadt verurteilte ihn am 11. Oktober 1929 wegen
Betruges zu drei Wochen Gefängnis, nachdem er bereits wegen solcher Vergehen,
betrügerischen Bettels und Diebstahls 10 mal in Basel, Olten, Luzern,
Nidwalden, Biel und Zürich bestraft worden war. Nach dem Strafurteil vom 11.
Oktober 1929 wies ihn das Polizeiinspektorat von Basel-Stadt durch Verfügung
vom 12. Oktober 1929 für 7 Jahre aus dem Kantonsgebiet aus. Nachher ergingen
gegen ihn wieder verschiedene Strafurteile, insbesondere wegen Betruges und ­
teilweise ­ zugleich wegen Urkundenfälschung; so verurteilte ihn das
Kriminalgericht von Baselland aus einem solchen Grunde am 27. November 1929 zu
3 Monaten Gefängnis, das Obergericht des Kantons Luzern am 6. Mai 1935 zu 4
Monaten Arbeitshaus, das Bezirksgericht von Aarau am 28. August 1935 zu 20
Tagen Haft und 1 Monat korrektionellem Zuchthaus, das Bezirksgericht von
Bremgarten am 9. November 1935 zu 4 Tagen Untersuchungshaft und 6 Wochen
korrektionellem Zuchthaus, das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt am 18.
Juni 1936 zu 6 Wochen Gefängnis und 5 Tagen Haft, am 18. August 1936 zu 2
Monaten Gefängnis und 10 Tagen Haft. Diese beiden letzten Urteile erfolgten
wegen Betruges, Privaturkundenfälschung und verbotenen Aufenthaltes. Im Urteil
vom 18. August 1936 stellte das Strafgericht fest, dass der Rekurrent sich
ohne Wohnung, mittel- und arbeitslos im Lande herumtreibe und vom Bettel lebe,
und beantragte daher, ihn zu versorgen. Diesem Antrag wurde Folge gegeben.
Auf Grund des Urteils vom 18. Juni 1936 hatte das Polizeiinspektorat des
Kantons Basel-Stadt am 23. Juni die Dauer der Ausweisung aus dem Kantonsgebiet
um 10 Jahre, bis zum 28. Oktober 1946 verlängert.

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Mit Schreiben vom 9. Juni 1943 ersuchte der Rekurrent das Polizeidepartement
des Kantons Basel-Stadt, die Ausweisung probeweise aufzuheben, damit er in
Basel eine Stelle annehmen könne. Das Polizeidepartement wies das Gesuch am
17. Juni ab. Der Rekurrent erneuerte darauf sein Gesuch beim Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartement, das mit Schreiben vom 9. Juli die Sache an das
Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt weiterleitete. Dieses wiederholte
mit Schreiben vom 14. Juli dem Rekurrenten, dass es wegen der vielen Strafen
die Ausweisung nicht vorzeitig aufheben könne.
B. ­ Darauf hat Frey am 30. Juli gegen die Ausweisung die staatsrechtliche
Beschwerde ergriffen mit dem Antrag, der Ausweisungsbeschluss sei aufzuheben
und dem Rekurrenten zu erlauben, das Gebiet des Kantons Basel-Stadt zu
betreten und dort zu arbeiten.
Der Rekurrent beruft sich auf Art. 46
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1    Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
2    Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10
3    Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11
BV und macht geltend: Er habe stets, so
schon zur Zeit der Ausweisungsverfügung vom Juni 1936, die bürgerlichen Ehren
und Rechte besessen, sei der öffentlichen Wohltätigkeit nie dauernd zur Last
gefallen und habe bewiesen, dass er bei Kaltenbach in Basel in Stellung treten
könne. Seine Vergehen seien nur leichte, da er nie mit dem Verlust des
Aktivbürgerrechtes bestraft worden sei. Sie seien die Folge einer ungenügenden
körperlichen Entwicklung und einer schlechten Erziehung gewesen. Jetzt aber
stehe ihm der Weg zu einer geordneten Lebensstellung offen; dieser sollte ihm
nach der Ansicht der heimatlichen Behörden, des Arbeitgebers Kaltenbach und
der Verwandten nicht verschlossen werden.
C. ­ Das Polizeidepartement hat beantragt, es sei auf die Beschwerde nicht
einzutreten, da sie sowohl gegenüber der Ausweisungsverfügung vom 23. Juni
1936, als auch gegenüber dem Schreiben vom 17. Juni 1943 verspätet sei und
zudem dieses Schreiben keine neue Verfügung, sondern lediglich die Bestätigung
derjenigen vom 23. Juni 1936 bilde.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Die Beschwerde wäre allerdings verspätet, wenn sie sich bloss gegen die
Ausweisungsverfügung vom 23. Juni 1936 oder gegen die Abweisung des Gesuches
vom 9. Juni 1943 richtete, die dem Rekurrenten wohl spätestens am 19. Juni
mitgeteilt worden ist. Aber der Rekurrent hat das Gesuch um Aufhebung der
Ausweisung im Juli 1943 erneuert und dieses letzte Gesuch ist erst am 14. Juli
1943 abgewiesen worden. Es ist anzunehmen, dass sich die staatsrechtliche
Beschwerde auch gegen diesen Entscheid richte. Insoweit ist sie aber nicht
verspätet.
Freilich kann man die Verfügung vom 14. Juli 1943 als blosse Bestätigung
derjenigen vom 17. Juni 1943 oder vom 23. Juni 1936 betrachten oder als
Weigerung, auf diese frühern Verfügungen zurückzukommen. Nach der
feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtes können aber auch solche
Entscheide, die die Wiedererwägung einer frühern Ausweisung, Verweigerung oder
Entziehung der Niederlassung ablehnen, mit der Behauptung angefochten werden,
dass diese frühere Verfügung die Garantie der Niederlassungsfreiheit verletze
(BGE 28 I S. 129; 36 I S.370 Erw. 1; 42 I S. 308 ff.; 53 I S. 201).
2. ­ Die Verfügung vom 23. Juni 1936 über die Verlängerung der
Ausweisungsdauer erfolgte wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung für
schwere Vergehen, wenn auch in der Verfügung bloss das Urteil des
Strafgerichts von Basel-Stadt vom 18. Juni 1936 angeführt worden ist. Nach
Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV und der Praxis kann die Niederlassung an einem bestimmten
Ort demjenigen entzogen werden, der wegen schwerer Vergehen wiederholt
gerichtlich bestraft worden ist, sofern er wenigtens eines dieser Vergehen
nach der Bestrafung für ein früheres und während der Dauer der Niederlassung
am erwähnten Ort begangen hat (BGE 51 I S. 43 Erw. 4, 118 Erw. 2; 58 I S.
164). Dass der Rekurrent vor der Ausweisungsverfügung vom 23. Juni 1936 schon
wiederholt wegen schwerer

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Vergehen gerichtlich bestraft worden war, kann nicht zweifelhaft sein. Damals
bestanden gegen ihn mindestens 15 Strafurteile wegen Betrugs und Diebstahls.
Solche Vergehen gegen das Vermögen gelten als schwere im Sinne des Art. 45
Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV, wenn es sich nicht nach dem Tatbestand um ganz unbedeutende
Deliktsfälle handelt (BGE 20 S. 17 Erw. 2; 21 S. 673 Erw. 2; 22 S. 712; 36 I
S. 30 Erw. 2, 570; 37 I S. 24 Erw. 2) ..... Auch die erst nachher ergangenen
Strafurteile bilden mit den frühern zusammen und sogar für sich allein eine
wiederholte gerichtliche Bestrafung für schwere Vergehen, nämlich zum
mindesten die Strafurteile vom 27. November 1929, 6. Mai 1935, 9. November
1935 und 18. Juni 1936. Nach der Höhe der dabei ausgesprochenen Strafen, deren
niedrigste 6 Wochen Gefängnis oder korrektionelles Zuchthaus nebst einigen
Tagen Haft betrug, handelte es sich um Betrugsfälle, die nicht ganz
geringfügig waren. Selbst wenn aber auch diese Delikte, jedes für sich allein
betrachtet, ganz unbedeutend gewesen wären (ihr genauer Tatbestand ergibt sich
nicht aus den Akten), so müssten sie doch im Zusammenhang mit einander und mit
den frühern wegen der Häufigkeit der Vergehen des Rekurrenten und seiner sich
darin offenbarenden Gemeingefährlichkeit als schwere im Sinne des Art. 45 Abs.
3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV angesehen werden (vgl. BGE 23 S. 509; 36 I S. 570; 37 I S. 24 Erw. 2).
Der Umstand, dass der Rekurrent für diese Betrugsvergehen nicht mit dem
Verlust der bürgerlichen Ehren und Rechte bestraft worden ist, hat nicht zur
Folge, dass die Vergehen als leichte zu behandeln sind. Auch was der Rekurrent
zu seiner Entschuldigung anführt, kann nicht zu diesem Schluss führen.
3. ­ Er hat nun freilich in der Zeit zwischen der Ausweisung vom 12. Oktober
1929 und der Verlängerung der Ausweisungsdauer vom 23. Juni 1936 nie die
Bewilligung zur Niederlassung in Basel-Stadt erhalten, da es ihm ja damals
verboten war, das Gebiet dieses Kantons zu betreten. Er war also hier nicht
förmlich niedergelassen oder

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Aufenthalter, als er während der angegebenen Zeit Vergehen beging,
insbesondere auch nicht zur Zeit der Vergehen, die zum Strafurteil vom 18.
Juni 1936 führten. Demgemäss bedeutet auch die Verlängerung der
Ausweisungsdauer vom 23. Juni 1936 nicht den Entzug einer Niederlassungs- oder
Aufenthaltsbewilligung, sondern einfach ein Verbot für weitere 10 Jahre, sich
im Kantonsgebiet aufzuhalten oder es zu betreten, und damit zugleich die
Verweigerung jeder Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung für diese Zeit.
Die Ermächtigung zum Entzug der Niederlassung in einem bestimmten Kantons-
oder Gemeindegebiet wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung im Sinne des
Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV beschränkt sich jedoch nicht auf die Rücknahme einer für das
Gebiet erteilten polizeilichen Erlaubnis der Niederlassung oder des
Aufenthalts. In der Hauptsache bedeutet sie, dass es den Behörden jenes
Gebietes vom Gesichtspunkt des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV aus freisteht, zu verfügen, dass die
in Frage stehende Person überhaupt von nun an ihr Gebiet zu meiden habe.
Deshalb ist der Entzug der Niederlassung für ein bestimmtes Gemeinde- oder
Kantonsgebiet wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung im Sinne des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.

BV nicht bloss dann möglich, wenn es sich darum handelt, eine förmliche
Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung für jenes Gebiet zu entziehen,
sondern nach der Praxis des Bundesgerichtes auch in gewissen andern Fällen. Er
ist zulässig auch gegenüber demjenigen Verurteilten, der im erwähnten Gebiet
ohne polizeiliche Bewilligung tatsächlich wohnt und bereits zur Zeit des
letzten massgebenden Vergehens wohnte, ferner gegenüber demjenigen, der das
genannte Gebiet, wo er bisher wohnte, nach der Begehung eines schweren
Vergehens verlassen hat, um der Strafe oder der ihm drohenden Ausweisung zu
entgehen. Es wäre eine ungerechtfertigte Begünstigung solcher Verbrecher, wenn
diese sich vor der Ausweisung aus einem Kantons- oder Gemeindegebiet, wo sie
wohnen, dadurch schützen könnten, dass sie für dieses keine Aufenthalts-

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oder Niederlassungsbewilligung verlangen oder dass sie sich aus diesem Gebiet
nach der Begehung des Vergehens flüchten (BGE 23 I S. 510 ff.; 33 I S. 288; 49
I S. 111 ff.; 56 I S. 501 ff.; 66 I S. 148; nicht veröffentlichte Entscheide
i. S. Nagel gegen St. Gallen vom 20. September 1935, i. S. Gurtner gegen
Basel-Stadt vom 8. Juli 1943, i. S. Hufschmid gegen Zürich vom 9. September
1943). Dabei kann die Frage offen bleiben, ob ein Entzug der Niederlassung
wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung auch statthaft ist in einem Fall,
wo der Verurteilte vor dem letzten massgebenden Vergehen oder dem dafür
gefällten Strafurteil die Bewilligung zur Niederlassung oder zum Aufenthalt am
tatsächlichen Wohnhort verlangt hat, über dieses Gesuch aber erst nachher
entschieden wird (vgl. BGE 23 I S. 513 Erw. 3; 49 I S. 114; nicht
veröffentlichter Entscheid i. S. Gasser gegen Zürich vom 20. Januar 1939.). Es
ist sodann, wie das Bundesgericht in den erwähnten Entscheiden i. S. Gurtner
vom 8. Juli 1943 und i. S. Hufschmid vom 9. September 1943 ausgeführt hat, als
Entzug der Niederlassung wegen wiederholter gerichtlicher Bestrafung für
schwere Vergehen weiter zulässig, einen derart bestraften Verbrecher dann aus
dem Gebiet eines Kantons oder einer Gemeinde, deren Bürger er nicht ist,
auszuweisen und ihm das Betreten dieses Gebietes für die Zukunft zu
untersagen, wenn er hier das letzte massgebende schwere Vergehen begangen hat,
nirgends polizeilich gemeldet oder wohnhaft ist, sondern ein unstetes Leben
führt und die Ausweisung unverzüglich nach der gerichtlichen Bestrafung für
jenes Vergehen oder spätestens unmittelbar nach dem Ende des Vollzugs der
damit ausgesprochenen:Freiheitsstrafe erfolgt. Die Gleichstellung einer
solchen Ausweisung mit dem Entzug der Niederlassung wegen wiederholter
gerichtlicher Bestrafung für schwere Vergehen drängt sich auf, weil sonst
gegenüber derart bestraften Vagabunden die Ausweisung aus einem Kanton oder
einer Gemeinde ausgeschlossen wäre und sie insofern gegenüber sesshaften
Verurteilten begünstigt

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wären, was nicht der Sinn des Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV sein kann. Der Rekurrent trieb
sich nun im Sommer 1936 im Lande herum, ohne irgend wo eine feste Wohnung zu
besitzen, wie im Urteil des Strafgerichts von Basel-Stadt vom 18. August 1936
festgestellt worden ist. Deshalb durfte nach Art. 45 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV am 23. Juni
1936, vor dem Ende des Vollzuges der am 18. Juni über ihn ausgesprochenen
Gefängnisstrafe, die Dauer des Verbotes, sich im Gebiet des Kantons
Basel-Stadt aufzuhalten, um 10 Jahre verlängert werden.
Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV enthält keine Vorschrift, die es gestatten würde, den Kanton
Basel-Stadt anzuhalten, jenes Aufenthaltsverbot nunmehr aufzuheben (vgl. BGE
60 I S. 423 Erw. 2). Ob sich eine solche Aufhebung nach den Umständen
rechtfertigten würde, hat daher das Bundesgericht nicht zu prüfen. Die
Beschwerde wegen Verletzung der Niederlassungsfreiheit ist somit abzuweisen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 69 I 162
Date : 01. Januar 1942
Published : 15. September 1943
Source : Bundesgericht
Status : 69 I 162
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Niederlassungsfreiheit (Art. 45 BV).Kantonale Entscheide, die die Wiedererwägung einer frühern...


Legislation register
BV: 45  46
BGE-register
23-I-510 • 28-I-127 • 51-I-41 • 69-I-162
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
basel-stadt • fraud • federal court • convicted person • duration • freedom of establishment • day • criminal court • sojourn grant • theft • municipality • month • authorization • appeal relating to public law • residence permit • honor • life • term of imprisonment • question • painter
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