S. 16 / Nr. 3 Strafgesetzbuch (d)

BGE 68 IV 16

3. Urteil des Kassationshofs vom 25. März 1942 i.S. Dreyer gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.

Regeste:
Art. 2 Abs. 2, 18 Abs. 3, 36 Abs. 1, 68 Abs. 1 und 238 Abs. 2 StGB Art. 67
rev. BStR.
Zeitliche Rechtsanwendung auf die fahrlässige Eisenbahngefährdung (Erw. 1);
der Kausalzusammenhang ist rechtserheblich, wenn das Verhalten des Täters
notwendige, wenn auch nicht alleinige oder unmittelbare Ursache des
Erfolgseintrittes und nach dem gewöhnlichen Gang der Dinge geeignet ist, den
Erfolg herbeizuführen; Bedeutung von mitwirkenden Handlungen oder
Unterlassungen Dritter (Erw. 2);
Fahrlässigkeit: Umfang der dem Bahnpersonal zuzumutenden Sorgfalt (Erw. 3).
Art. 2 al. 2, 18 al. 3, 36 al. 1, 68 al. 1 et 238 al. 2 CPS, art. 67 rev. CPF
1853.
Atteinte portée par imprudence à la sécurité des chemins de fer. Application
du droit dans le temps (consid. 1).
La relation de cause à effet qu'exige la loi existe lorsque le fait de
l'auteur a été une cause nécessaire - même sans être la cause unique ou
immédiate - du résultat considéré et lorsque, dans le cours normal des choses,
il était propre à entraîner ce résultat. Importance des actes ou omissions de
tiers (consid. 2).
Négligence: diligence que l'on peut exiger de la part du personnel des chemins
de fer (consid. 3).
Art. 2 cp. 2, 18 cp. 3, 36 cp. 1, 68 cp. 1 e 238 cp. 2 CPS, art. 67 riv. CPF
del 1853.
Messa in pericolo del servizio ferroviario per imprudenza. Applicazione del
diritto quanto al tempo (consid. 1).
Il nesso causale esiste quando l'agire dell'autore è stato una causa
necessaria (anche senz'essere la causa unica ed immediata) del risultato e
quando, secondo il corso normale delle cose, era

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idoneo a produrre il risultato. Importanza degli atti e delle omissioni di
terzi (consid. 2).
Negligenza: diligenza che si può esigere da parte del personale delle strade
ferrate (consid. 3).

A. - Der Beschwerdeführer Oswald Dreyer war Stationsbeamter der SBB in Eiken.
Am 5. Dezember 1940 trat er, weil er nicht rechtzeitig aufwachte, seinen
Dienst, der um 5.25 Uhr begonnen hätte, mit 20 Minuten Verspätung an. Der
Morgenzug Nr. 6011, der Stein-Säkingen um 5.32 Uhr in der Richtung Eiken
verliess, blieb, da die Station Eiken unbesetzt war, bis zum Eintreffen des
Beschwerdeführers auf der Station stehen; er wurde durch eine Draisine
angefahren, die Stein bald nach der Abfahrt des Zuges verlassen hatte. Der
Draisinenführer und sein Begleiter erlitten Verletzungen und es entstand
Sachschaden. Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte den
Beschwerdeführer am 30. Januar 1942 wegen fahrlässiger Störung des
Eisenbahnverkehrs und in Anwendung von Art. 238 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB zu 14 Tagen
Gefängnis bedingt, sowie zu einer Busse von Fr. 200.-.
B. - Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Dreyer, er sei
unter Aufhebung des obergerichtlichen Urteils von Schuld, Strafe und Kosten
freizusprechen; eventuell sei von Gefängnisstrafe abzusehen und eine bedingte
Geldbusse auszusprechen. Der Beschwerdeführer bestreitet den adäquaten
Kausalzusammenhang und dass ihn am Unfall ein Verschulden, eventuell ein
schweres Verschulden treffe, und rügt als Verletzung von Art. 238 Abs. 2, dass
die Vorinstanz Gefängnis neben Busse ausgesprochen habe.
C. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau schliesst auf Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde. Sie ist der Auffassung, dass der Richter zu Unrecht
das neue, statt das bisherige Recht angewendet habe; denn nach jenem liege,
wenn mit der Eisenbahngefährdung eine Körperverletzung verbunden sei,
Idealkonkurrenz vor, sodass nach Art. 68 eine Gefängnisstrafe bis zu 4 1/2
Jahren ausgefällt werden könne, während das bisherige Recht

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den Tatbestand mit einer einzigen Strafbestimmung bei einem Strafmaximum von 3
Jahren Gefängnis umfasse.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 2 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 2 - 1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.
StGB war auf das Vergehen, das Gegenstand der Anklage
bildet, neues Recht nur anwendbar, wenn es für den Angeklagten im Vergleich zu
Art. 67 rev. BStR das mildere Gesetz darstellte, der Richter also nach der
letztern Bestimmung eine schwerere Strafe ausgesprochen hätte, als geschehen
ist. Das ist nicht denkbar, da Art. 67 BStR keine strengere Strafe androht,
als Art. 238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
StGB (bis 3 Jahre Gefängnis oder Busse) und auch die Grundsätze
für die Bemessung innerhalb des Strafrahmens nach dem einen und andern Gesetz
nicht verschiedene sind. Der Staatsanwalt ist der Auffassung, dass im
Gegenteil das neue Recht das strengere sei, da bei Störung des
Eisenbahnbetriebes, sofern dabei jemand schwer verletzt worden, Art. 238
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 238
und
Art. 125
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft.
1    Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe182 bestraft.
2    Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt.
StGB konkurrieren, wodurch sich die Gefängnisstrafe bis auf 4 1/2
Jahre erhöhe. Letzteres ist nicht richtig; denn Art. 68 Abs. 1 letzter Satz
bindet den Richter an das gesetzliche Höchstmass der Strafart. Das sind 3
Jahre Gefängnis, da weder für das eine noch für das andere der konkurrierenden
Vergehen eine längere Dauer bestimmt ist (Art. 36 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 36 - 1 Soweit der Verurteilte die Geldstrafe nicht bezahlt und sie auf dem Betreibungsweg (Art. 35 Abs. 3) uneinbringlich ist, tritt an die Stelle der Geldstrafe eine Freiheitsstrafe. Ein Tagessatz entspricht einem Tag Freiheitsstrafe. Die Ersatzfreiheitsstrafe entfällt, soweit die Geldstrafe nachträglich bezahlt wird.
1    Soweit der Verurteilte die Geldstrafe nicht bezahlt und sie auf dem Betreibungsweg (Art. 35 Abs. 3) uneinbringlich ist, tritt an die Stelle der Geldstrafe eine Freiheitsstrafe. Ein Tagessatz entspricht einem Tag Freiheitsstrafe. Die Ersatzfreiheitsstrafe entfällt, soweit die Geldstrafe nachträglich bezahlt wird.
2    Wurde die Geldstrafe durch eine Verwaltungsbehörde verhängt, so entscheidet das Gericht über die Ersatzfreiheitsstrafe.
StGB). Es genügte
aber, dass das neue Recht nicht milder ist, um das alte anzuwenden. Da jedoch
nach dem Gesagten die Entscheidung durch die unrichtige Anwendung nicht
beeinflusst worden ist, liegt darin kein Kassationsgrund.
2.- Der Tatbestand des Art. 238 Abs. 2 ist objektiv erfüllt. Denn dass der
Eisenbahnverkehr und Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum
erheblich gefährdet wurden, lässt sich nicht bestreiten; dies namentlich,
nachdem es nicht bei einer blossen Gefährdung blieb, sondern die Gefahr sich
verwirklicht hat und der Begleiter des Draisinenführers erheblich verletzt
worden ist. Dass die Gefährdung wissentlich erfolgt sei, ist

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Tatbestandsmerkmal nur des vorsätzlichen, nicht auch des bloss fahrlässigen
Vergehens.
Der rechtserhebliche Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des
Angeklagten, der seinen Dienst zu spät angetreten hat, und dem eingetretenen
Erfolg wird vom Beschwerdeführer zu Unrecht in Abrede gestellt. Er ist immer
anzunehmen, wenn der Erfolg ohne das Verhalten des Täters nicht eingetreten
wäre, sein Verhalten also notwendige Voraussetzung des Erfolgseintrittes ist
und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet war, den Erfolg
herbeizuführen (BGE 54 I 348, 361). Dass das Verhalten des Täters alleinige
oder unmittelbare Ursache des Erfolges sei, ist nicht erforderlich, dass
Handlungen oder Unterlassungen Dritter mitgewirkt haben also unerheblich. Auch
eine Unaufmerksamkeit Dritter vermag den dem Täter zuzurechnenden Verlauf dann
nicht mehr zu verändern, wenn sie nicht ausserhalb des normalen Geschehens
liegt, damit vielmehr gerechnet werden musste (Urteil vom 10. Juli 1940 i.S.
Beglinger). Die Erfahrung beweist, dass bei der fahrlässigen
Eisenbahnbetriebsgefährdung der Erfolg sehr oft nicht auf dem fehlerhaften
Verhalten eines Einzelnen, sondern demjenigen mehrere Personen beruht, und
dass er ohne deren Zusammenwirken nicht eingetreten wäre. Der verspätete
Dienstantritt war aber an sich geeignet, den fahrplanmässigen Zugsverkehr zu
gefährden. Dass der Stationsbeamte in Stein den Zug ohne eine Vormeldung an
die Station Eiken abfertigte, wozu er gemäss einer Auskunft der SBB an das
Bezirksgericht Laufenburg vom 25. Juli 1941 berechtigt war, dass ferner die
Draisine dem Zug folgte, ohne dass dafür - zufolge eines Missverständnisses
zwischen dem Transportführer und dem Stellwerkwärter - die ausdrückliche
Zustimmung des Stationsbeamten vorlag, und dass der Draisinenführer wegen der
vorgeschriebenen Abblendung seiner Fahrzeugbeleuchtung das rote Schlusslicht
des Zuges mit dem Ausfahrtsignal verwechselte und deswegen den Zug zu

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spät wahrnahm, sind Umstände, die nicht ausserhalb des gewöhnlichen Geschehens
liegen, und die daran nichts ändern, dass der eingetretene Erfolg dem
Beschwerdeführer zuzurechnen ist.
3.- Auch der subjektive Tatbestand ist erfüllt. Fahrlässig handelt, wer
entweder die Folgen seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit
nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Als Bahnbeamter musste
sich der Beschwerdeführer bewusst sein, dass zu später Dienstantritt eine
Gefährdung oder Störung des Bahnverkehrs zur Folge haben müsse; denn er hatte
die Station allein zu bedienen und für die Abfertigung der Züge allein besorgt
zu sein. Hätte er dies nicht bedacht, wäre das schwere Verschulden
offensichtlich. Es fragt sich somit, ob der Beschwerdeführer die nötige
Vorsicht beobachtet hat, um sich nicht zu verschlafen. Er war verpflichtet,
alles, was in seinen Kräften lag, zu tun, damit er rechtzeitig aufwache oder
geweckt werde. Wer sich unbedingt an einen pünktlichen Dienst- und
Arbeitsantritt zu halten hat, und dessen Zuspätkommen schwere Folgen nach sich
ziehen kann, hat vermehrte Vorkehren gegen das Verschlafen zu treffen. Wird
diese Pflicht erfüllt, dann ist erfahrungsgemäss das Verschlafen sogut wie
ausgeschlossen. Dieses lässt sich höchstens bei Vorliegen ganz
ausserordentlicher Umstände entschuldigen. Als solche können die vom
Beschwerdeführer angeführten Gründe, seine verlängerte Arbeitszeit, der späte
Feierabend am Vortage und die daherige Ermüdung nicht gelten. Abgesehen davon,
dass ihm immer noch eine genügende Nachtruhe blieb, hätte die durch die
angebliche Ermüdung eingetretene Gefahr des Verschlafens den Beschwerdeführer
dazu führen müssen, auch ausserordentliche Vorkehren dagegen zu treffen.
Solche hat er aber nicht nachweisen können. Ebensowenig hat er dargelegt,
inwiefern er überhaupt ordnungsgemäss alles getan habe, um sicher zu erwachen.
Dazu hätte er umso mehr Veranlassung gehabt, als er sich schon einmal
verschlafen hatte. Sein

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Verschlafen muss daher auf mangelnde Vorsicht und Pflichterfüllung
zurückgeführt werden.
4.- Die Rüge, dass Art. 238 Abs. 2 durch die Kumulation von Gefängnis und
Busse verletzt sei, ist unbegründet. Wenn, wie dies hier zutrifft, das Gesetz
wahlweise Freiheitsstrafe oder Busse androht, kann der Richter in jedem Falle
beide Strafen verbinden (Art. 50 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 50 - Ist ein Urteil zu begründen, so hält das Gericht in der Begründung auch die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung fest.
StGB). Die Bestimmung der dem
Verschulden angemessenen Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens ist
Ermessensfrage und als solche der Überprüfung des Kassationshofes entzogen.
Die Gewährung des bedingten Strafvollzuges auch für die Busse ist nach Art. 41
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).

StGB ausgeschlossen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 68 IV 16
Date : 31. Dezember 1942
Published : 24. März 1942
Source : Bundesgericht
Status : 68 IV 16
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 2 Abs. 2, 18 Abs. 3, 36 Abs. 1, 68 Abs. 1 und 238 Abs. 2 StGB Art. 67 rev. BStR.Zeitliche...


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