S. 132 / Nr. 29 Strafgesetzbuch (d)

BGE 68 IV 132

29. Urteil des Kassationshofes vom 20. November 1942 i. S. Schmid gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.

Regeste:
Entwendung, Art. 138
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 138 - 1. Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
1    Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
2    Wer die Tat als Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vormund, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe196 bestraft.
Abo. 1 StGB.
1. Entwendung setzt nicht voraus, dass die Tat spontan begangen werde.
2. Ob der Wort der Sache gering genug sei, um die Tat als Entwendung zu
behandeln, entscheidet sich nach den objektiven und subjektiven Umständen des
einzelnen Falles.
3. Bei wiederholter Tat ist der Wert der entwendeten Sachen nicht
zusammenzuzählen. Aus der Wiederholung dürfen aber Rückschlüsse auf die
Absicht des Täters gezogen werden.
Larcins, art. 138 al. 1 CPS.
1. Le larcin ne présuppose pas que l'auteur ait agi d'une manière spontanée
2. Ce sont lés circonstances objectives et subjectives du cas particulier qui
décident si la chose est d'assez peu de valeur pour que l'acte soit traité
comme larcin.
3. Il n'y a pas lieu, si l'acte est réitéré, d'additionner la valeur des
choses soustraites. La réitération autorise en revanche le juge à tirer des
conclusions quant à l'intention de l'auteur.
Sottrazioni di piccola entità, art. 138 cp. I CPS.
1. Questo reato non presuppone che l'autore abbia agito spontaneamente.

Seite: 133
2. Determinanti per decidere se la cosa è di valore tale da far ammettere una
sottrazione di poca entità sono le Circostanze oggettive e soggettive del caso
particolare.
3. In caso di atti ripetuti, il valore delle cose sottratte non dev'essere
sommato. La ripetizione autorizza però il giudice a trarre conclusioni
relative all'intenzione dell'autore.

A. ­ Der Schauspieler Edwin Schmid, welcher wegen Krankheit und zeitweiliger
Arbeitslosigkeit von der Armenbehörde periodisch unterstützt wurde und
unterernährt war, entwendete am 19. Juni 1942 in einer Badanstalt in Zürich
aus abgelegten Kleidern einen Geldbeutel im Werte von etwa Fr. 10.- mit Fr.
3.- Bargeld, einem Lotterielos im Werte von Fr. 5.- und verschiedenen
Rationierungscoupons und am 1. Juli 1942 in einer anderen Badanstalt in Zürich
aus abgelegten Kleidern zweier Badegäste zwei Geldbeutel, den einen im Werte
von Fr. 2.- mit Fr. 6.20 Bargeld, den andern im Werte von Fr. 3.- mit Fr.
23.78 Bargeld und verschiedenen Rationierungscoupons.
B. ­ In Bestätigung des Urteils des Einzelrichters des Bezirksgerichts Zürich
erklärte die Kammer III A des Obergerichts des Kantons Zürich Edwin Schmid am
3. September 1942 des Diebstahls schuldig und verurteilte ihn in Anwendung von
Art. 137 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 137 - 1. Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer sich eine fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird, wenn nicht die besonderen Voraussetzungen der Artikel 138-140 zutreffen, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Hat der Täter die Sache gefunden oder ist sie ihm ohne seinen Willen zugekommen,
StGB zu acht Tagen Gefängnis. Die Voraussetzungen des Art.
138
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 138 - 1. Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
1    Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
2    Wer die Tat als Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vormund, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe196 bestraft.
StGB, dessen Anwendung mangels Strafantrags der Verletzten zum Freispruch
des Angeklagten geführt hätte, hielt sie nicht für erfüllt, weil der
Angeklagte, obschon er in einer Notlage gewesen sei, nicht spontan aus Not
gehandelt habe, sondern planmässig vorgegangen sei. Es gehe dies daraus
hervor, dass er in zwei verschiedenen Badanstalten insgesamt drei Personen
bestohlen und, wie zugegeben, schon öfters den Gedanken gehabt habe, in
Badanstalten zu stehlen. Ferner sei er schon am 1. Juni 1938 vom Amtsgericht
Bern wegen Diebstahls zu einer bedingt erlassenen Korrektionshausstrafe von
sechs Monaten verurteilt worden, unter Auferlegung einer vierjährigen
Probezeit, weil er dem Leiter einer Schauspielergruppe den Geldbeutel samt
Inhalt

Seite: 134
aus der Rocktasche gestohlen habe. Entwendung im Sinne des Art. 138
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 138 - 1. Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
1    Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
2    Wer die Tat als Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vormund, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe196 bestraft.
StGB setze
voraus, dass eine spontane Tat vorliege, wie sie in einigen kantonalen Rechten
Voraussetzung des Mundraubes gewesen sei. Die Frage, ob der Wert der
entwendeten Sachen im vorliegenden Fall gering sei, liess das Gericht offen.
a. ­ Der Verurteilte erklärte rechtzeitig die Nichtigkeitsbeschwerde. Er
beantragt Aufhebung des Urteils und Rückweisung der Sache zur Freisprechung.
Er macht geltend, Entwendung im Sinne des Art. 138
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 138 - 1. Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
1    Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
2    Wer die Tat als Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vormund, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe196 bestraft.
StGB erfordere nicht, dass
die Not spontan zur Begehung der Tat bewogen habe, sondern es genüge, dass sie
überhaupt Beweggrund gewesen sei. Das weitere Tatbestandsmerkmal, der geringe
Wert der entwendeten Sache, sei ebenfalls erfüllt.
D. ­ Der II. Staatsanwalt des Kantons Zürich beantragt Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde. Er ist der Auffassung, dass bei Beurteilung der Frage,
ob der Wert der Sache geringfügig genug sei, um die Tat als Entwendung zu
qualifizieren, auch die subjektiven Umstände zu berücksichtigen seien.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. ­ Entwendung liegt nicht nur dann vor, wenn die Tat spontan aus Not,
Leichtsinn oder zur Befriedigung eines Gelüstes begangen worden ist.
Allerdings fallen unter Art. 138
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 138 - 1. Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
1    Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
2    Wer die Tat als Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vormund, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe196 bestraft.
StGB unter anderem auch die Tatbestände, die
nach kantonalen Rechten als Mundraub bestraft wurden. Nach ihrem Wortlaut
umfasst die Bestimmung jedoch mehr als das. Sie verlangt nicht einmal, dass
die der Befriedigung eines Gelüstes dienende Tat spontan begangen worden sei;
es genügt, dass der Täter überhaupt zur Befriedigung eines Gelüstes gehandelt
habe, unbekümmert darum, wie lange er sich dagegen gewehrt und sich die Tat
überlegt habe. Selbst wenn die spontane Begehung Tatbestandsmerkmal der zur
Befriedigung eines Gelüstes begangenen Entwendung wäre, dürfte daraus nicht
geschlossen werden. dass auch die Entwendung aus Not

Seite: 135
das gleiche Merkmal aufweisen müsse. Art. 138
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 138 - 1. Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
1    Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
2    Wer die Tat als Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vormund, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe196 bestraft.
StGB behandelt die Entwendung
aus Not ohnehin nicht gleich wie die aus Leichtsinn oder zur Befriedigung
eines Gelüstes begangene, sondern privilegiert sie in Absatz 2 noch
weitergehend als diese. Es genügt, dass die Not überhaupt Beweggrund der Tat
gewesen sei. Wer aus Not handelt, ist der Versuchung stärker ausgesetzt und
verdient aus sozialen Gründen Nachsicht. Hierin liegt der Grund der
Privilegierung. Wer lange gegen die Versuchung ankämpft und ihr unter dem
Druck der Not schliesslich doch erliegt, ist dieser Privilegierung nicht
weniger würdig als wer sich spontan hinreissen lässt.
2. ­ Entwendung setzt voraus, dass die gestohlene Sache von geringem Wert sei.
Für gewisse Werte steht die Geringfügigkeit ausser Frage, für andere dagegen
ist sie zweifelhaft, denn das Gesetz sagt nicht, wo die Wertgrenze liege. Im
Zweifel muss daher der Richter den Umständen des einzelnen Falles Rechnung
tragen (vgl. Protokoll der zweiten Expertenkommission 6 221,223; AStenBull
NatR 1929 103). Ein und derselbe Wert kann dann einmal gering sein und ein
anderes Mal nicht, wobei ausschlaggebend ist, ob auch die übrigen Umstände,
insbesondere die subjektiven, auf welche das Strafgesetzbuch grundsätzlich
grosses Gewicht logt, die Tat als geringfügig erscheinen lassen.
3. ­ Wenn der Täter wiederholt Sachen entwendet, ist der Wert nicht
zusammenzuzählen. Auch darf nicht schon allein wegen der Wiederholung der Tat
die Anwendung des Art. 138
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 138 - 1. Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
1    Wer sich eine ihm anvertraute fremde bewegliche Sache aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern,
2    Wer die Tat als Mitglied einer Behörde, als Beamter, Vormund, Beistand, berufsmässiger Vermögensverwalter oder bei Ausübung eines Berufes, Gewerbes oder Handelsgeschäftes, zu der er durch eine Behörde ermächtigt ist, begeht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe196 bestraft.
StGB verweigert werden (BGE 68 IV 99). Dies
schliesst indessen nicht aus, dass der Richter aus der Wiederholung
Rückschlüsse auf die Absicht des Täters ziehe. Im vorliegenden Fall ist dies
in dem Sinne geschehen, dass die Vorinstanz annahm, der Beschwerdeführer sei
planmässig darauf ausgegangen, die Kleider von Badegästen nach Geld zu
durchsuchen. Diese Absicht spricht gegen die Geringfügigkeit der Fälle. Dazu
kommt, dass die Absicht des Beschwerdeführers nicht auf Entwendung
geringfügiger Sachen ging; er eignete sich Geldbeutel, unbekümmert um

Seite: 136
ihren Inhalt, an und hätte sicher nicht die Hände davon gelassen, wenn der
Inhalt bedeutender gewesen wäre. Dies geht daraus hervor, dass er am gleichen
Tage und in der gleichen Anstalt zwei verschiedenen Badegästen den Geldbeutel
entwendete, also nicht mit wenigem zufrieden war. Der Beschwerdeführer hat
sich daher nicht der Entwendung, sondern des Diebstahls schuldig gemacht.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 68 IV 132
Date : 31. Dezember 1942
Published : 20. November 1942
Source : Bundesgericht
Status : 68 IV 132
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Entwendung, Art. 138 Abo. 1 StGB.1. Entwendung setzt nicht voraus, dass die Tat spontan begangen...


Legislation register
StGB: 137  138
BGE-register
68-IV-132 • 68-IV-97
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
value • distress • theft • repetition • convicted person • court of cassation • question • penal code • cantonal law • day • hamlet • motivation • public prosecutor • money • judicial agency • authorization • object of small value • stolen items • pressure • lower instance
... Show all