S. 253 / Nr. 40 Eisenbahnhaftpflicht (d)

BGE 68 II 253

40. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. September 1942 i. S. Elektrische
Bahn Stansstad-Engelberg A.-G. gegen Schweizerische Eidgenossenschaft
(Militärdepartement).

Regeste:
Eisenbahnhaftpflicht. Kollision eines Zuges mit einem an einem Bahnübergang
stehenden Geschütz.
1. Regress der Eidgenossenschaft gemäss Art. 16 des BG betr. die
Militärversicherung von 1901/1906.
2. Entlastungsbeweis der Eisenbahn nach Art. 1 EHG: Drittverschulden. Das
kausale Verschulden der einzelnen beteiligten Militärpersonen wird dem Inhaber
der Militärhoheit als eigenes Verschulden an- und in seiner Person
zusammengerechnet.
Responsabilité civile des entreprises de chemins de fer. Collision d'un train
et d'un canon de l'armée fédérale à un passage à niveau.

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1. Recours de la Confédération en vertu de l'art. 16 de la loi fédérale de
1901/1906 sur l'assurance militaire.
2. Preuve libératoire du chemin de fer selon l'art. 1 de la loi fédérale de
1905 sur la responsabilité civile des entreprises de chemins de fer. Faute de
tiers: Les fautes causales des militaires qui ont concouru à l'accident sont
imputées dans leur ensemble au détenteur du pouvoir militaire comme une faute
personnelle.
Responsabilità civile delle imprese di strade ferrate. Scontro tra un treno e
un cannone dell'esercito federale ad un passaggio a livello.
1. Diritto di regresso della Confederazione in virtù dell'art. 16 della legge
1901/1906 sull'assicurazione dei militari.
2. Prova liberatoria dell'impresa ferroviaria secondo l'art. 1 della legge
federale 28 marzo 1905 sulla responsabilità civile. colpa di terzi: Le colpe
causali dei militari, che hanno concorso a provocare l'infortunio, sono
imputate nel loro insieme ai detentori del potere militare come una sua colpa
personale.

A. - Am 1. Oktober 1937 zwischen 18 und 19 Uhr hatte die Schw. Mot. Kan. Bttr.
11 oberhalb Wolfenschiessen beim Gehöft Fallenbach für eine Nachtschiessübung
Stellung zu beziehen. Sie bog zu diesem Zwecke von der Hauptstrasse nach
rechts in die nach Fallenbach führende Güterstrasse ein, die das Bahntrassee
der Engelbergbahn rechtwinklig schneidet. Für das Anbringen der Radgürtel war
die Aufstellung in Marschkolonne auf der Güterstrasse vorgesehen. Der für das
Anbringen der Radgürtel verantwortliche Motorwagenoffizier hatte berechnet,
dass hiezu die Strecke vom Bahnübergang bis zur Aabrücke genüge. Als die
Batterie 11 einfuhr, stellte sich jedoch heraus, dass die vorausgefahrene
Batterie 12 den vordern Teil des eingerechneten Platzes in Anspruch nahm,
sodass die Batterie 11 nicht wie vorgesehen bis zur Aabrücke vorfahren konnte.
Nachdem die ganze Batterie den Bahnübergang traversiert hatte, befahl der
Motorwagenoffizier, Oblt. Moser, «Anhalten mit Gürtelabständen». Das 4.
Geschütz befand sich von der Rückwand gemessen nur 10,8 m vom Bahnkörper
entfernt, welchen Abstand jedoch der Motorwagenoffizier und der
Schiessoffizier, Oblt. Brinkmann, als für das Aufgürteln genügend schätzten.
Dieser beauftragte überdies Lt. Weber, das Gürteln der Geschütze 3 und 4
besonders zu überwachen. Oblt. Brinkmann befahl sodann das

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Anlegen der Radgürtel, kommandierte die Geschützführer nach vorn, zeigte ihnen
die Geschützstände und schickte sie dann wieder zu ihren Geschützen zurück zur
Überwachung des Aufgürtelns. Als der Geschützführer des 4. Geschützes, Wm.
Lanz, zurückkam, hatten seine 5 Kanoniere bereits die Gürtelsegmente ausgelegt
und waren im Begriffe, das Geschütz rückwärts auf dieselben zu rollen. Dabei
geriet es so nahe an das Bahngeleise heran, dass sein aufwärtsgerichtetes Rohr
20-25 cm in das Lichtraumprofil der Bahn hineinragte. Während die Mannschaft
einschliesslich des Wm. Lanz noch mit dem Gürteln beschäftigt war, kam von
Grafenort her der aus einem einzigen Motorwagen bestehende, von J. Rohrer
geführte Supplementszug Nr. 18 der Engelbergbahn. Der Führer des noch auf der
andern Seite des Bahnüberganges stehenden Küchencamions, Wiestner, bemerkte
den Zug auf ca. 120-150 m Entfernung und rief der Mannschaft des 4. Geschützes
zu: «Der Zug kommt, fort!» Gleichzeitig hörte auch der der Mannschaft dieses
Geschützes mit der Taschenlaterne leuchtende Lt. Weber ein Zugssignal und
befahl sofort der Mannschaft, das Geschütz nach vorn zu reissen. Als dies den
nur 6 Mann nicht gelang, rief Lt. Weber: «Fort, alles weg!» Im nächsten
Augenblick stiess der Motorwagen in Dachhöhe mit dem Mündungsrohr des
Geschützes zusammen. Das Geschütz wurde durch den Zug umgeworfen; Wm. Lanz,
der zwischen den Rädern mit dem Einhängen des Bolzens des Radgürtels
beschäftigt war, wurde mitgerissen und schwer verletzt. Er starb drei Tage
später im Kantonsspital Luzern an einer Fettembolie. Er hinterliess seine Frau
und einen erst später, am 21. April 1938, geborenen Sohn Friedrich.
Die eidg. Militärversicherung gewährte der Witwe eine Hinterlassenenrente von
jährlich Fr. 1800.- und eine Kinderrente von Fr. 1125.- von der Geburt des zu
erwartenden Kindes hinweg, sodass sich ihre Leistungen an Deckungskapital,
Spitalkosten und Sterbegeld auf Fr. 50331.50 belaufen.

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B. - Mit Klage vom 6. Juni 1940 belangte die Eidgenossenschaft die
Stansstad-Engelberg-Bahn A.-G. auf Ersatz dieser Auslagen und Verpflichtungen
zuzüglich Fr. 900.- Geschützschaden auf Grund der Legalzession nach Art. 16 BG
betr. die Versicherung der Militärpersonen gegen Krankheit und Unfall (vom 28.
Juni 1901 und 27. Juni 1906). Während das Amtsgericht Luzern-Stadt mit Urteil
vom 19. September 1941 die Klage wegen Verschuldens der mitbeteiligten
Militärpersonen abwies und die Widerklage der Bahn auf Vergütung von Fr.
1845.20 Wagenschaden schützte, gelangte das Obergericht des Kantons Luzern mit
Urteil vom 13. März 1942 dazu, die Schadentragung wie folgt zu verteilen: Wm.
Lanz bezw. seine Hinterbliebenen 1/4, die Eidgenossenschaft 1/2 und die Bahn
1/4, verurteilte die letztere jedoch nicht zum Ersatz eines Viertels des
Rentendeckungskapitals, sondern eines Viertels der jährlichen Rente von Fr.
1800.- = Fr. 450.- bis zum Tode oder zur Wiederverheiratung der Witwe Lanz und
eines Viertels von Fr. 1125.- = Fr. 281.25 bis zum vollendeten 18. Altersjahr
oder event. bis zum früheren Tode des Kindes. Auf das Begehren der Klägerin um
Abweisung der Widerklage betr. Wagenschaden trat das Obergericht wegen
Verspätung nicht ein.
C. - Gegen dieses Urteil legte die Bahn die vorliegende Berufung ein mit dem
Antrag auf gänzliche Abweisung der Klage. Mit Anschlussberufung verlangt die
Klägerin angemessene Erhöhung der Leistungen der Bahn und ausserdem deren
Verurteilung zum Ersatz des Geschützschadens von Fr. 900.-; eventuell
beantragt sie Rückweisung an die Vorinstanz zur Beweisergänzung und zu neuer
Entscheidung. Beide Parteien rügen eine Reihe angeblicher Aktenwidrigkeiten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Aktivlegitimation der Eidgenossenschaft als Trägerin der
Militärversicherung zur Geltendmachung des eingeklagten Haftpflichtanspruchs
gegen die Bahn folgt

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ohne weiteres aus der in Art. 16 des BG betr. die Militärversicherung von
1901/1906 vorgesehenen Legalzession.
2.- Ebensowenig ist fraglich die Anwendbarkeit des EHG auf den tödlichen
Unfall des Wm. Lanz und damit die grundsätzliche Haftbarkeit der Bahn für
denselben unter Vorbehalt des Entlastungsbeweises nach Art. 1 EHG; denn der
Kausalzusammenhang zwischen dem Bahnbetrieb der Beklagten, dem Unfall vom 1.
Oktober 1937 und dem Tod des Wm. Lanz steht ausser Zweifel und wird übrigens
von der Beklagten nicht mehr bestritten. Nach der Rechtsprechung greift die
Haftpflicht der Bahn nur dann nicht Platz, wenn ein schuldhaftes Verhalten des
Verunfallten oder Dritter die alleinige Ursache des Unfalls darstellt, was
nicht der Fall sein kann, wenn gleichzeitig ein konkurrierendes kausales
Verschulden der Bahn bezw. ihres Personals vorliegt. Fällt also der Beklagten
ein mitursächliches Verschulden zur Last, so vermag sie ein solches auf Seite
des Verunfallten oder der beteiligten Militärpersonen von ihrer Haftpflicht
nicht zu befreien.
a) Mit Recht hat aber die Vorinstanz ein Verschulden der Bahn verneint. Nach
den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des
Obergerichts lässt sich ein Verschulden der Bahn weder auf Mängel der
technischen Einrichtungen und Anlagen des Eisenbahnbetriebs noch auf ein
fahrlässiges Verhalten des Wagenführers Rohrer gründen. Beim Bahnübergang an
dem privaten Gütersträsschen nach dem Hofe Fallenbach waren nach den
bestehenden Vorschriften weitere Sicherungsvorrichtungen ausser dem
vorhandenen Kreuzsignal nicht anzubringen. Nach dem technischen Gutachten von
Ingenieur Herrmann entspricht die Motorbremse des Motorwagens Nr. 4 nicht nur
den Vorschriften, sondern hat, falls der Wagen allein fährt, eine bessere
Bremswirkung als eine pneumatische Bremse. Dass der Wagen nur eine Lampe in
der Mitte statt drei im Dreieck angeordnete hatte, spielte beim Unfall vom 1.
Oktober keine ursächliche Rolle; denn der herannahende Zug wurde vom Fahrer
Wiestner und

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Lt. Weber rechtzeitig genug bemerkt und als solcher erkannt, und die Gefahr
wurde von diesen beiden der Geschützmannschaft so rasch signalisiert, dass
diese sich früh genug hätte ausser deren Bereich begeben können, wenn sie
nicht zuerst noch versucht hätte, das Geschütz wegzuziehen.
Der Motorwagenführer Rohrer erblickte aus einer Entfernung von ca. 250 m vor
dem Niveauübergang ausser den Lastwagenlichtern auf der Landstrasse zwei
Taschenlampenlichter auf dem Bahnkörper, die er für Fahrradlaternen hielt, und
zog die Bremse. Als sie wieder verschwanden, löste er etwa 100 m vor dem
Übergang die Bremse. Die Lastwagenlichter auf der Landstrasse waren kein
Anlass, Vorsichtsmassnahmen zu treffen, da die Landstrasse das Bahntrassee
nicht kreuzt. Die Lichtkegel der Taschenlampen für Fahrradlichter zu halten,
war ein entschuldbarer Irrtum. Aber selbst wenn Rohrer die Lichtquelle richtig
erkannt hätte, könnte ihm kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er, als sie
auf 100 m Distanz wieder verschwanden, die Bremsung abbrach. Der Wagenführer
musste angesichts einer konkreten Gefahrsituation abbremsen, nicht aber schon
bei irgendwelchen vagen Anzeichen normaler Vorgänge im Bahnbereich zum voraus
gleichsam für alle Fälle. Der Führer ist verantwortlich für die Einhaltung des
Fahrplans. Es kann nicht als schuldhafte Bequemlichkeit betrachtet werden,
wenn es ihn eine gewisse Überwindung kostet, die im Rahmen der erlaubten
Geschwindigkeit gewonnene Bewegungsenergie des Zuges durch eine unnötige
Bremsung zu vernichten, um sie gleich darauf mit Motorkraft nur allmählich
wieder einholen zu müssen. Dieses betriebsökonomisch gerechtfertigte Verhalten
bildet einen Teil des dem Eisenbahnbetrieb innewohnenden Risikos, aber kein
subjektives Verschulden des Wagenführers. Dass die Vorschrift in Art. 11 der
Ausführungsbestimmungen der Stansstad-Engelberg-Bahn zum Reglement über den
Fahrdienst, wonach die Fahrgeschwindigkeit vor jeder Strassenkreuzung
herabzusetzen

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ist, sich nur auf öffentliche Strassen bezieht, ist selbstverständlich. Der
Bahnkörper selber war frei. Dass Rohrer das Geschützrohr erst auf 20-30 m
Entfernung erblickte, kann auch nicht einem Mangel an Aufmerksamkeit
zugeschrieben werden; das bei freiem Bahnkörper in ca. 3 m Höhe frei aus der
Luft mit einer nur geringen sichtbaren Masse ins Lichtraumprofil vorstossende
Rohrende bildete ein so wenig auffälliges, ausser aller Voraussehbarkeit
liegendes Hindernis, dass es dem Wagenführer auch bei pflichtgemässer
Aufmerksamkeit bis auf die genannte Entfernung entgehen konnte und selbst dann
hätte entgehen können, wenn der Wagen mit drei Scheinwerfern versehen gewesen
wäre. Im Momente, da Rohrer es erblickte, liess sich nach dem von der
Vorinstanz als massgebend gewürdigten bahntechnischen Gutachten Herrmann trotz
sofortigem Bremsen die Kollision nicht mehr vermeiden, auch dann nicht, wenn
der Motorwagen statt mit 33 St/km nur mit 25 gefahren wäre. Damit erledigen
sich die von beiden Parteien in diesem Punkte gerügten angeblichen
Aktenwidrigkeiten als unerheblich. Aus den Akten ergibt sich keineswegs, dass
der Experte die Reaktionszeit Rohrers nicht berücksichtigte. Aber wenn dies
auch zuträfe, so läge dieser Fehler auf dem Gebiete der Beweiswürdigung und
würde die Verbindlichkeit des Tatbestandes für das Bundesgericht nicht
berühren. Wie übrigens bei Berücksichtigung der Reaktionszeit sich die
Möglichkeit eines früheren Anhaltens ergeben sollte, ist nicht verständlich.
Im übrigen ist festgestellt, dass Rohrer mehrmals Signale gab. Mit diesem
Verhalten hat er alles getan, was unter den gegebenen Umständen von einem
sorgfältigen Wagenführer verlangt werden konnte.
b) Fällt mithin ein Verschulden der Bahn ausser Betracht, so stellt sich die
Frage nach dem Verschulden Dritter oder des Verunfallten, das nach der Praxis
die Kausalhaftpflicht der Bahn nur dann ausschliesst, wenn es die einzige,
jedenfalls die derart überwiegende Unfallursache ist, dass daneben die in der
immanenten Betriebsgefahr

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der Bahn liegende ausser Betracht fällt (BGE 63 II 119). Dieses Übergewicht
des Dritt- oder Selbstverschuldens gegenüber der Bahnbetriebsgefahr liegt dann
vor, wenn das schuldhafte Verhalten nach der Erfahrung des Lebens in keiner
Weise voraussehbar war, sodass beim Eisenbahnverkehr nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge schlechterdings damit nicht gerechnet werden konnte (BGE 63 II
119
und dort zit. Entscheide, ferner 33 II 23, 33 II 34 Il 453 E. 8, 36 II 21
E. 3, 37 II 466 E. 4, 55 II 86).
Ohne Zweifel bildete der Gefahrzustand, der im vorliegenden Falle zufolge der
Inanspruchnahme des Bahngebietes durch das bei Nacht in Wagendachhöhe in das
Lichtraumprofil ragende Geschützrohr für die Dauer von 10-15 Minuten bestand,
ein solches aussergewöhnliches, vom normalen Lauf der Dinge gänzlich
abliegendes Ereignis.
Ebenso unbestreitbar ist, dass auf Seite der beteiligten Militärpersonen in
der Abwicklung der ihnen obliegenden Aufgabe subjektive Fehler unterlaufen
sind. Dass das für die Anlage der Schiessübung verantwortliche
Abteilungskommando die Bahn wegen der vorgesehenen blossen Traversierung des
Übergangs vorher hätte avisieren sollen, hat zwar die Vorinstanz mit Recht
verneint. Auch darin, dass die Überquerung des Bahnkörpers nicht besonders
gesichert wurde, was wohl nur durch oberhalb und unterhalb des Übergangs in
erheblicher Entfernung aufgestellte, mit Warnlichtern versehene Wachtposten
hätte geschehen können, kann keine schuldhafte Unterlassung erblickt werden,
denn wenn auch die ganze Artilleriekolonne eine erhebliche Länge aufweist,
kann doch jeder einzelne Zugcamion, sobald sein Führer den Bahnzug kommen
sieht, ebensogut entweder rechtzeitig den Übergang verlassen oder vor
demselben anhalten, wie irgend ein einzelnes, auch nicht beweglicheres
Fuhrwerk, z. B. ein Heufuder. Ebensowenig kann auf Grund der Aktenlage ein
Fehler in der vorherigen Abmessung bezw. Abschätzung der zum Aufgürteln der
beiden Batterien erforderlichen Strassenstrecke erblickt werden: denn wenn am
Ende derselben

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nur 25 cm fehlten, so liegt auf der Hand, dass dieser kleine Abstand durch ein
geringfügiges Aufschliessen der Fahrzeugkolonne hätte gewonnen werden können.
Dagegen ist ein Unterlassungsfehler beim Motorwagen- und beim Schiessoffizier
unverkennbar. Wenn der erstere zur Befehlserteilung «Anhalten mit
Gürtelabständen» zuständig war, so war es offenbar auch seine Sache, nicht nur
für das Vorhandensein dieser Abstände zwischen den einzelnen Fahrzeugen,
sondern auch des nötigen Raums hinter dem letzten Geschütz zu sorgen, nachdem
die Batterie soeben das Bahngeleise traversiert hatte. Allerdings haben nach
den Feststellungen der Vorinstanz der Motorwagen- und der Schiessoffizier den
Abstand des 4. Geschützwagens vom Bahnkörper kontrolliert und ihn irrtümlich
für genügend befunden. Gewiss kann man sich bei der Abschätzung eines
Abstandes von 11 m bei Nacht leicht und ohne sich einer Nachlässigkeit
schuldig zu machen um 25 cm täuschen. Dass aber der Raum knapp war, konnte den
Offizieren nicht entgehen; und da machte es für die Bemessung ihrer
Sorgfaltspflicht einen Unterschied aus, ob das rückwärtige Hindernis z. B. ein
Bord oder eine Mauer war, an die das zurückrollende Geschütz einfach
angestossen wäre, oder aber das Lichtraumprofil eines Bahnkörpers, auf dem
jederzeit ein Zug kommen konnte. Hatten sie ihrer anderweitigen Obliegenheiten
wegen nicht Zeit, selber am Schluss der Kolonne zum Rechten zu sehen, so hätte
der Schiessoffizier den von ihm mit der Überwachung des Aufgürtelns der
Geschütze 3 und 4 extra betrauten Lt. Weber auf die von der Bahnnähe drohende
Gefahr besonders aufmerksam machen sollen. Auch ohne besondern Hinweis hätte
aber vor allen andern der letztere diesen Umstand bemerken und ihm Rechnung
tragen sollen.
Ob es ausserdem Sache des Wm. Lanz war, der zu seinem Geschütz zurückgekehrt
sogleich selber Hand anlegen musste, sich zuerst noch vom Vorhandensein des
erforderlichen Rückrollraums zu überzeugen und den neben dem Geschütz
stehenden, mit der Taschenlampe leuchtenden

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und zur Überwachung des Aufgürtelns dieses Geschützes extra abkommandierten
Lt. Weber auf die Gefahr aufmerksam zu machen, kann dahingestellt bleiben; es
könnte sich bei der Unterlassung auf alle Fälle nur um ein geringfügiges
Verschulden des Verunfallten handeln, das die Summe des Verschuldens der
beteiligten Drittpersonen, eben der erwähnten Offiziere, nicht wesentlich zu
erhöhen vermöchte, die für sich allein schon genügt, die Haftbarkeit der
beklagten Bahn auszuschliessen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz muss nämlich eine solche Summierung der
bei den einzelnen Militärpersonen vorliegenden Schuldmomente als zulässig
erachtet werden. Es handelt sich hier nicht um das zufällige Zusammenwirken
mehrerer durch verschiedene, von einander unabhängige Personen gesetzter
Kausalelemente. Vielmehr sind die Handlungen und damit auch die Fehlhandlungen
der beteiligten Militärpersonen als ein Ganzes zu betrachten. Die Offiziere
und der Verunfallte waren als Angehörige einer militärischen Einheit, der
Batterie, tätig; auch die nächtliche Schiessübung stellt eine einheitliche
Aktion dar, in deren Rahmen die dienstlichen Verrichtungen der einzelnen
Wehrmänner Teilfunktionen sind. Wie eine Mehrzahl von Schuldmomenten bei
verschiedenen Eisenbahnfunktionären im Sinne des Art. 1 Abs. 2 EHG nach Abs. 1
der Bahnunternehmung als eigenes Verschulden an- und damit zusammengerechnet
werden, so entspricht eine Summierung der von verschiedenen Militärpersonen
gesetzten Einzelschuldmomente in der Person des Inhabers der Militärhoheit der
Natur der Sache; freilich nicht im Sinne einer Steigerung der subjektiven
Schwere der Schuld der Einzelnen, wohl aber einer Intensivierung der von der
Klägerin zu vertretenden Verursachung. Das von der Vorinstanz gegen diese
Zusammenrechnung angeführte Argument, dass der Geschädigte den ihm auf diese
Weise im Zusammenhang mit einem Eisenbahnunfall zugestossenen Schaden bei
einer Mehrzahl nicht solidarisch haftender Drittpersonen geltend machen
müsste, trifft hier nicht zu; denn für den durch das Verschulden einzelner
Militärpersonen

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bei einer Übung einem Zivilisten verursachten Schaden würde ja der Bund gemäss
Art. 27 f . MO haften, und gegenüber einer Militärperson haftet er in Form der
Militärversicherung. Nur gerade in Ansehung der - auch in dieser Haftung des
Bundes zum Ausdruck kommenden - personellen und funktionellen Einheit des
militärischen Betriebes aber ist die fragliche Verschuldenskumulierung hier
zulässig; beim zufälligen Zusammentreffen des ursächlichen Verschuldens
mehrerer Drittpersonen, die nicht als Einheit handeln, käme sie natürlich
nicht in Frage.
3.- An dem Ergebnis, dass die Beklagte für die Unfallfolgen nach Art. 1 EHG
nicht haftbar gemacht werden kann, vermag auch der Umstand nichts zu ändern,
dass die Haftpflicht der allein verantwortlichen Dritten, der
Eidgenossenschaft, gegenüber den Hinterbliebenen des verunfallten Wm. Lanz
sich in der Gewährung der Leistungen der Militärversicherung erschöpft und
jene sich für den allfällig darüber hinausgehenden effektiven Versorgerschaden
an die einzelnen fehlbaren Militärpersonen halten müssten, da der Bund hiefür
auch nicht nach Art. 27 f . MO haftet, weil der Verunfallte ihm gegenüber keine
Zivilperson war. Im Ergebnis gestaltet sich also die Schadenliquidation
gleich, wie wenn Wm. Lanz einfach im Militärdienst, aber ohne Mitbeteiligung
einer Eisenbahn verunglückt wäre.
4.- Den am 4. Geschütz entstandenen Schaden könnte die Klägerin gemäss Art. 11
Abs. 2 EHG nur dann auf die Beklagte abwälzen, wenn dieser ein Verschulden
nachgewiesen wäre.
Hinsichtlich des vom Amtsgericht geschützten Widerklagebegehrens der Bahn auf
Vergütung des ihr entstandenen Wagenschadens lag schon vor der Vorinstanz kein
gültiger Appellationsantrag vor.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Anschlussberufung der Klägerin wird abgewiesen. Die Hauptberufung der
Beklagten wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage
abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 68 II 253
Datum : 31. Dezember 1942
Publiziert : 11. September 1942
Quelle : Bundesgericht
Status : 68 II 253
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Eisenbahnhaftpflicht. Kollision eines Zuges mit einem an einem Bahnübergang stehenden Geschütz.1...


Gesetzesregister
EHG: 1  11
MO: 27
BGE Register
33-II-15 • 33-II-27 • 36-II-18 • 37-II-462 • 55-II-80 • 63-II-111 • 68-II-253
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • beklagter • eidgenossenschaft • ehg • verhalten • bremse • bundesgericht • schaden • tod • sorgfalt • berechnung • dauer • obliegenheit • widerklage • hindernis • frage • legalzession • entlastungsbeweis • witwe • nacht
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