S. 219 / Nr. 40 Organisation der Bundesrechtpflege (d)
BGE 66 I 219
40. Urteil des Kassationshofs vom 10. Juli 1940 i. S. Hasler gegen Bezirksamt
March.
Regeste:
Nichtigkeitsbeschwerde an Kassationshof:
Legitimation:
Erw. 1. Der Zivilkläger kann einen Einstellungsbeschluss nicht weiterziehen
(Art. 271, 268 Abs. 3 BStrP).
Erw. 2. Als Privatstrafkläger nur legitimiert, wer bereits im kantonalen
Verfahren (an Stelle des öffentlichen Anklägers, vgl. BGE 62 I 55, 194) als
solcher zugelassen war (Art. 270 Abs. 1 BStrP).
Zulässigkeit:
Erw. 3. Gegen Entscheid über kantonales Delikt, bei dem als Vorfrage eidg.
Recht zu beurteilen war, hat die Nichtigkeitsbeschwerde dann nicht gegeben,
wenn der Entscheid in einer Nichtanwendung des kant. Strafrechts besteht
(Einstellung, Freispruch). Art. 269 BStrP.
Pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal fédéral.
Qualité pour agir:
Consid. 1. La partie civile ne peut se pourvoir contre une ordonnance de
non-lieu (art. 271, 268 al. 3 PPF).
Consid. 2. Peut seul se pourvoir comme titulaire de l'action pénale privée
celui qui a déjà pris part, à ce titre (en lieu et place du ministère public;
cf. RO 62 I 55, 194), à la procédure cantonale (Art. 270 al. 1 PPF).
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Recevabilité:
Consid. 3. Lorsqu'il s'agit d'un délit prévu par le droit cantonal et qu'une
question de droit fédéral se posait préjudiciellement, le jugement cantonal ne
peut faire l'objet d'un pourvoi en nullité lorsqu'il déclare qu'il n'y a pas
lieu d'appliquer le droit cantonal (non-lieu, acquittement). Art. 269 PPF.
Ricorso per cassazione al Tribunale federale.
Qualità per agire:
Consid. 1. La parte civile non può ricorrere contro un decreto di non doversi
procedere (art. 271, 268 cp. 3 PPF).
Consid. 2. Può ricorrere come attore dell'azione penale privata soltanto colui
che ha già preso parte, in questa qualità (in luogo e vece del pubblico
ministero, cfr. RU 62 I 55, 194) alla procedura cantonale (art. 270 cp. 1
PPF).
Ricevibilità:
Consid. 3. Quando si tratta di un delitto previsto dal diritto cantonale e una
questione di diritto federale si poneva pregiudizialmente, la sentenza
cantonale non può essere impugnata mediante ricorso per cassazione se essa
dichiara che non torna applicabile il diritto cantonale (abbandono,
assoluzione). Art. 269 PPF.
A. - Am 2. August 1939 ereignete sich an der Ecke des Rathauses in Lachen ein
Zusammenstoss zwischen dem aus der Marktstrasse herkommenden Automobil des
René Carcassin und dem aus der Richtung Altendorf in die Marktstrasse
fahrenden Motorrad des Jakob Hasler, wobei Automobil und Motorrad beschädigt
wurden. Hasler erhob gegen Carcassin Strafklage wegen fahrlässiger
Sachbeschädigung. Jeder warf dem andern vor, dass er die Kurve
vorschriftswidrig genommen habe. Die Überweisungskommission March hielt auf
Grund ihrer Feststellungen dafür, dass das Verschulden beider Fahrzeugführer
geteilt sei. Es müssten also beide zur Rechenschaft gezogen werden. Die Sache
könne unter solchen Umständen ohne Verletzung der öffentlichen Interessen ad
acta gelegt werden. Dies umso mehr, als Carcassin zur Zeit an der
französischen Front Kriegsdienst leiste, sodass ohnehin bloss eine
Verurteilung in contumaciam möglich und der Urteilsvollzug problematisch wäre.
Diese Erledigung hindere nicht im geringsten, die zivilrechtlichen Ansprüche
auszutragen.
B. - Gegen diesen Entscheid rekurrierte Hasler an die Justizkommission des
Kantons Schwyz mit dem Begehren,
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die Klage sei an das Bezirksgericht zu weisen und Carcassin wegen fahrlässiger
Sachbeschädigung und Übertretung des MFG zu bestrafen.
Auch die Justizkommission kam zum Schluss, dass die Kollision von beiden
Fahrzeugführern verschuldet worden sei, ohne dass allerdings schweres
Verschulden vorliege. Weil auch die Folgen des Zusammenstosses nicht schwer
waren, rechtfertige es sich, von der Überweisung an den Strafrichter
abzusehen. Dagegen sei die Auferlegung der Rekurskosten an Carcassin
angezeigt, weil sein Verschulden doch etwas überwiege.
C. - Gegen diesen Entscheid hat Hasler Nichtigkeitsbeschwerde beim
Bundesgericht eingereicht mit dem Antrag, der Entscheid sei aufzuheben und die
Justizkommission anzuweisen, Carcassin dem Strafrichter zur angemessenen
Bestrafung und zur Beurteilung der Zivilforderung des Beschwerdeführers zu
überweisen. In der Begründung wird ausgeführt, Carcassin treffe allein das
Verschulden am Zusammenstoss. Ob dieses Verschulden nun schwer oder leicht
sei, so habe Bestrafung nach Art. 58 MFG zu erfolgen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Gemäss Art. 270 BStP steht die Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt dem
Privatstrafkläger und, bei Antragsdelikten, dem Antragsteller zu. Der
Zivilkläger besitzt gemäss Art. 271 die Legitimation nur zu Anträgen
betreffend den Zivilanspruch. Ist ein Einstellungsbeschluss ergangen, so kann
dieser also nicht von der Zivilpartei weitergezogen werden, denn die
Beurteilung des Zivilanspruches durch den Strafrichter würde die Überweisung
im Strafpunkt voraussetzen, die der Zivilkläger durch Nichtigkeitsbeschwerde
eben nicht verlangen kann.
2.- Um als Privatstrafkläger zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert zu sein,
müsste der Beschwerdeführer bereits im kantonalen Verfahren in dieser
Eigenschaft zugelassen gewesen sein. Das war nicht der Fall.
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Auf Anfrage hat der Präsident der Justizkommission des Kantons Schwyz
mitgeteilt, dass nach ständiger Praxis bei Polizeiübertretungen dem Dritten,
auch wenn er zufällig Geschädigter sei, die Strafklage und damit das
Rekursrecht gegen Einstellungsbeschlüsse nicht zustehe, sondern nur dem
Staatsanwalt. Hasler war also zur Weiterziehung des erstinstanzlichen
Einstellungsbeschlusses in Bezug auf die Bestrafung wegen Übertretung der
Verkehrsregeln gemäss Art. 58 MFG nicht legitimiert, sondern einzig in Bezug
auf das kantonale Delikt der fahrlässigen Sachbeschädigung gemäss Art. 121 des
zur Anwendung gelangenden luzernischen Polizeistrafgesetzes (vgl. REICHLIN,
Schwyzer Rechtsbuch, S. 211), welches Verfolgung nicht von Amtes wegen,
sondern auf Antrag des Geschädigten vorsieht. Nur als Entscheidung über die
Strafverfolgung wegen dieses Deliktes ist folglich der angefochtene
Einstellungsbeschluss zu verstehen.
3.- Die Eigenschaft als Antragsteller verschafft gemäss Art. 268 al. 3 und 270
BStP auch die Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof
gegen den Einstellungsbeschluss der letzten kantonalen Instanz (der sich in
casu, wie soeben festgestellt, nur (noch) auf das kantonale Delikt bezieht).
Allein die Nichtigkeitsbeschwerde kann sich nicht auf das kantonale Delikt
selbst beziehen, da sie ja nur damit begründet werden kann, dass die
angefochtene Entscheidung eidgenössisches Recht verletze. Vielmehr kann sie
sich lediglich beziehen auf die Vorfrage eidgenössischen Rechts im Sinne der
durch BGE 61 I 213 Erw. 1 begründeten und seither ständig festgehaltenen
Praxis. Diese Praxis umfasst aber den Fall der vorliegenden Art nicht. Wohl
muss der Kassationshof seine Kognition über die Vorfrage eidgenössischen
Rechts in Anspruch nehmen, wenn die Verletzung der Verkehrsregeln bejaht und
in dieser Verletzung eine Fahrlässigkeit im Sinne des kantonalen
Fahrlässigkeitsdelikts gesehen worden ist. Denn der Bundesgesetzgeber könnte
nicht zugeben, dass ein Führer, wenn er unter
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Beobachtung der Vorschriften des MFG gefahren ist, wegen Fahrlässigkeit im
Sinne des kantonalen Strafrechts bestraft werde. Dagegen fehlt dem
Bundesgesetzgeber jegliches Interesse daran, dass der Führer, der seine
Verkehrsregeln verletzt hat, nicht ausschliesslich nach Art. 58 MFG, sondern
bei bestimmten Folgen auf Grund des kantonalen Rechts bestraft werde, hier z.
B. wegen fahrlässiger Eigentumsbeschädigung. Darum hat sich der Kassationshof
mit der Vorfrage eidgenössischen Rechts nicht zu befassen, wenn geltend
gemacht wird, sie sei unrichtig entschieden und als Folge davon sei das
kantonale Strafrecht nicht zur Anwendung gekommen. Die Analogie zur Behandlung
eidgenössischrechtlicher Vorfragen in Zivilstreitigkeiten kantonalrechtlicher
Natur, auf die in BGE 61 I 215 hingewiesen wurde, ist daher keine vollkommene,
die Überprüfung ist hier und dort ungleich bedingt, entsprechend der
ungleichen ratio derselben.
Hier ist übrigens die Nichtanwendung des kantonalen Strafrechts mit Erwägungen
begründet worden, die ausschliesslich auf dem Gebiete kantonalen Rechts
liegen. Die kantonale Überweisungsbehörde hat die Strafverfolgung wegen des
einzig in Frage stehenden Deliktes der fahrlässigen Eigentumsbeschädigung
deswegen abgelehnt, «weil ein schweres Verschulden weder auf der einen noch
auf der andern Seite vorliegt und auch die Folgen der Kollision nicht schwerer
Natur waren». Die Frage nach dem Verschulden als Voraussetzung der Bestrafung
nach Art. 58 MFG ist zwar eine solche eidgenössischen Rechts, nicht aber die
weitere, ob es ausserdem Verschulden im Sinne des Fahrlässigkeitsdeliktes
(Fahrlässigkeit) bedeute; und erst recht vom kantonalen Gesetz beherrscht ist
die Frage, ob in Anbetracht der nicht besondern Schwere der Folgen des
Zusammenstosses die Bestrafung wegen fahrlässiger Eigentumsbeschädigung
entfallen könne. Dass das Verschulden Carcassins von der Überweisungsbehörde
nur deswegen als nicht schweres betrachtet worden wäre, weil sie auch eine
Verletzung der Verkehrsvorschriften
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auf Seiten Haslers angenommen hat - welche Verletzung die Beschwerde
bestreitet -, geht aus dem Entscheid nicht hervor, und in der Tat bleibt sich
die Fahrlässigkeit Carcassins gleich, ob nun Hasler ebenfalls fahrlässig
gewesen sei oder nicht; höchstens der schädigende Erfolg des Zusammenstosses
ist im einen und im andern Fall verschieden zuzurechnen. Aber die
Überweisungsbehörde lässt von der Zurechnung des schädigenden Erfolges die
Strafverfolgung nicht abhängig sein, sondern sie lehnt sie wegen der
Geringfügigkeit des schädigenden Erfolges schlechtweg ab.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung eidgenössischen Rechts ist mithin
nicht gegeben.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.