S. 63 / Nr. 12 Sachenrecht (d)

BGE 65 II 63

12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. März 1939 i. S. Lupi gegen Meili.

Regeste:
Eigentumsvermutung aus Besitz (Art. 930
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 930 - 1 Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
1    Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
2    Für jeden früheren Besitzer besteht die Vermutung, dass er in der Zeit seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist.
ZGB): wird entkräftet durch den vom
Nichtbesitzer geleisteten Nachweis gültigen Eigentumserwerbes.
Auf gutgläubigen Eigentumserwerb vom Scheinberechtigten (Art. 714
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 714 - 1 Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
1    Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
2    Wer in gutem Glauben eine bewegliche Sache zu Eigentum übertragen erhält, wird, auch wenn der Veräusserer zur Eigentumsübertragung nicht befugt ist, deren Eigentümer, sobald er nach den Besitzesregeln im Besitze der Sache geschützt ist.
und 933
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 933 - Wer eine bewegliche Sache in gutem Glauben zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält, ist in seinem Erwerbe auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war.
-935
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 935 - Geld und Inhaberpapiere können, auch wenn sie dem Besitzer gegen seinen Willen abhanden gekommen sind, dem gutgläubigen Empfänger nicht abgefordert werden.

ZGB) kann sich der Besitzer nur berufen wenn er die Sache auf Grund eines
Erwerbsgeschäftes in Besitz genommen hat, nicht auch wenn er sie als früherer
Eigentümer, in Unkenntnis des inzwischen erfolgten Eigentumsüberganges auf den
Andern, wieder an sich genommen hat.
La propriété du possesseur se présume (art. 930 CC): Le tiers qui ne possède
pas la chose renverse cette présomption en prouvant qu'il a valablement acquis
la propriété.

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Le possesseur ne peut prétendre avoir acquis de bonne foi la propriété (art.
714 et 933-935 CC) que s'il est au bénéfice d'un acte translatif et non pas
déjà lorsqu'il a repris la chose en sa qualité d'ancien propriétaire, sans
savoir que, dans l'intervalle, la propriété en a été transférée à un tiers.
La presunzione della proprietà del possessore (art. 930 CC) è infirmata se
colui che non possiede la cosa prova di aver acquistato validamente la
proprietà.
Il possessore pub pretendere di aver acquistato in buana fede la proprietà
(art. 714 e 933-935 CC) soltanto se è al beneficio di un atto traslativo e non
già se ha ripreso la cosa nella sua qualità di precedente proprietario, senza
sapere che, nel frattempo, la proprietà è stata trasferita a un terzo.

Streitig ist das Eigentum an einem Inhaberschuldbrief, der, von der Beklagten
auf ihrem Grundstück errichtet und im Oktober 1936 dem Händler Wyrsch mit
einem Verkaufsauftrag anvertraut, mehrmals die Hand änderte und am 11.
November 1936 für den Preis von 4200 oder 4300 Fr. in den Besitz der Klägerin
gelangte, die ihn zum Zwecke des Weiterverkaufs wiederum dem Vorbesitzer
übergab, worauf er an Wyrsch und schliesslich an die Beklagte zurückgelangte,
statt für die Klägerin verkauft zu werden. Wyrsch hatte der Beklagten eine
«Kaution» von 1125 Fr. bestellt, dann aber den für den Schuldbrief erzielten
Preis nicht abgeliefert noch den (eben veräusserten) Schuldbrief
zurückgegeben. Von der Beklagten der Veruntreuung des Schuldbriefes
beschuldigt, hatte er diesen auf dem erwähnten Wege wieder in seine Gewalt
gebracht und der Beklagten aushändigen können. Nun betrachten sich beide
Parteien als rechtmässige Eigentümerinnen, die Klägerin kraft gutgläubigen
käuflichen Erwerbes und die Beklagte kraft gutgläubigen Zurückerwerbes des
Besitzes. Der Eigentumsanspruch der Klägerin ist vom Amtsgericht Luzern-Land
abgelehnt, vom Obergericht des Kantons Luzern dagegen am 3. November 1938
anerkannt worden. Mit der vorliegenden Berufung an das Bundesgericht beantragt
die Beklagte neuerdings Abweisung der Klage. Für den Fall, dass das Eigentum
der Klägerin zuerkannt würde, beantragt sie, keine Verpflichtung zu
«unbeschwerter» Herausgabe

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auszusprechen, sondern ihr das Retentionsrecht für ihre Forderung gegen Wyrsch
vorzubehalten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Der von der Beklagten an Wyrsch erteilte Verkaufsauftrag enthielt wohl die
Ermächtigung zum Verkauf in eigenem Namen, wenn auch auf Rechnung der
Beklagten. Aber auch abgesehen davon sind die Nachbesitzer rechtmässige
Eigentümer des Inhaberschuldbriefes geworden, sofern sie den jeweiligen
Vorbesitzer als Eigentümer oder doch als zur Veräusserung berechtigt
betrachteten und betrachten durften (Art. 714 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 714 - 1 Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
1    Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
2    Wer in gutem Glauben eine bewegliche Sache zu Eigentum übertragen erhält, wird, auch wenn der Veräusserer zur Eigentumsübertragung nicht befugt ist, deren Eigentümer, sobald er nach den Besitzesregeln im Besitze der Sache geschützt ist.
und 933
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 933 - Wer eine bewegliche Sache in gutem Glauben zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält, ist in seinem Erwerbe auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war.
ZGB). Das trifft
jedenfalls für die Klägerin zu, die nach Besichtigung der Pfandliegenschaft
ein in keiner Weise verdächtiges Kaufgeschäft abschloss und den Pfandtitel in
Besitz nahm. Weder der den Nennbetrag des Schuldbriefes nicht ganz erreichende
Preis noch der Umstand, dass der Klägerin beim Verkauf keine
Abtretungserklärung vorgelegt wurde, wie es im Handel mit Pfandtiteln häufig
geschehen soll, vermag den guten Glauben der Klägerin ernstlich in Frage zu
stellen. Somit muss es beim rechtlich einwandfreien Erwerb durch sie das
Bewenden haben (Art. 869
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 933 - Wer eine bewegliche Sache in gutem Glauben zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält, ist in seinem Erwerbe auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war.
ZGB). Dadurch, wenn nicht schon durch frühere
Handänderungen, hat die Beklagte das Eigentum am Titel verloren. Die mit dem
Besitz an und für sich, wie ihn die Beklagte jetzt hat, verbundene
Eigentumsvermutung (Art. 930
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 930 - 1 Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
1    Vom Besitzer einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er ihr Eigentümer sei.
2    Für jeden früheren Besitzer besteht die Vermutung, dass er in der Zeit seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist.
ZGB) ist durch den Eigentumserwerb der Klägerin
entkräftet. Um gegenüber deren Eigentumsanspruch durchzudringen, müsste die
Beklagte dartun, dass das Eigentum seither wirksam wieder auf sie übertragen
worden sei. Das kommt aber nicht in Frage; denn nach den eigenen
Antwortvorbringen hat die Beklagte über den Schuldbrief keineswegs ein neues
Übereignungsgeschäft abgeschlossen, sondern ihn in Unkenntnis der erfolgten
Handänderungen einfach als vermeintlich unverlorenes Eigentum an sich
genommen. Der Versuch einer abweichenden Darstellung in der Berufungsschrift
geht

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fehl; übrigens liegt für eine seit dem Erwerb durch die Klägerin von
irgendeinem Besitzer des Schuldbriefes vorgenommene Veräusserung nichts vor.
Wenn die Beklagte bei der Zurücknahme des Schuldbriefes annahm und annehmen
durfte, Wyrsch habe darüber nicht verfügt gehabt, so war sie bei der
Besitznahme freilich nicht minder gutgläubig, als es die Klägerin beim
käuflichen Erwerb gewesen war. Allein diese irrtümliche Annahme der Beklagten
vermag einen Erwerbsgrund weder darzustellen noch zu ersetzen. Die Beklagte
kann sich daher nicht auch ihrerseits auf die Art. 714
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 714 - 1 Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
1    Zur Übertragung des Fahrniseigentums bedarf es des Überganges des Besitzes auf den Erwerber.
2    Wer in gutem Glauben eine bewegliche Sache zu Eigentum übertragen erhält, wird, auch wenn der Veräusserer zur Eigentumsübertragung nicht befugt ist, deren Eigentümer, sobald er nach den Besitzesregeln im Besitze der Sache geschützt ist.
und 933
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 933 - Wer eine bewegliche Sache in gutem Glauben zu Eigentum oder zu einem beschränkten dinglichen Recht übertragen erhält, ist in seinem Erwerbe auch dann zu schützen, wenn sie dem Veräusserer ohne jede Ermächtigung zur Übertragung anvertraut worden war.
ZGB berufen.
Nach diesen Bestimmungen wird Eigentum (und Pfandrecht) an Fahrnis nicht schon
durch gutgläubigen Besitz allein erworben (solange nicht Ersitzung eintritt),
sondern nur durch Vollzug eines auf solche Rechtsbegründung gerichteten
Rechtsgeschäftes bei gutem Glauben des Erwerbers an das Verfügungsrecht des
Veräusserers. Das gilt auch, wenn Gegenstand der Übertragung ein Inhaberpapier
ist, wobei nach Art. 935
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 935 - Geld und Inhaberpapiere können, auch wenn sie dem Besitzer gegen seinen Willen abhanden gekommen sind, dem gutgläubigen Empfänger nicht abgefordert werden.
ZGB gegenüber der allgemeinen Regel von Art. 933 nur
darauf nichts ankommt, ob die Sache dem Veräusserer anvertraut oder dem
Eigentümer wider seinen Willen abhanden gekommen war. Es wäre denn auch kaum
einzusehen, wieso eine nicht im Sinn einer Handänderung vorgenommene
Besitzübergabe einen Eigentumsübergang bewirken sollte. Vielmehr verdient der
wahre Eigentümer Schutz vor einem Besitzer, der die Sache, ohne sich hiebei
auf ein Erwerbsgeschäft zu stützen, im falschen Glauben, er sei deren
Eigentümer, an sich genommen hat. Es verschlägt nichts, dass die Beklagte
früher Eigentümerin gewesen war; dieses Eigentum war untergegangen, als sie
den Schuldbrief wieder in Besitz bekam, und spielt keine Rolle mehr.
Einem durch gültigen Erwerb ausgewiesenen Eigentumsanspruch, wie hier dem der
Klägerin, kann nach schweizerischem Recht nur entgegentreten, wer sich auf
eine rechtswirksame Übereignung zu berufen vermag,

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wodurch erst jener Eigentumsanspruch des andern er Löschen wäre. Die Art des
neuerlichen Besitzerwerbes durch die Beklagte schliesst aber einen solchen
Rechtsübergang aus. Auf das erst vor Bundesgericht gestellte Eventualbegehren
kann nicht eingetreten werden (Art. 80
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 935 - Geld und Inhaberpapiere können, auch wenn sie dem Besitzer gegen seinen Willen abhanden gekommen sind, dem gutgläubigen Empfänger nicht abgefordert werden.
OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Luzern vom 3. November 1938 bestätigt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 65 II 63
Date : 01. Januar 1938
Published : 24. März 1939
Source : Bundesgericht
Status : 65 II 63
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Eigentumsvermutung aus Besitz (Art. 930 ZGB): wird entkräftet durch den vom Nichtbesitzer...


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OG: 80
ZGB: 714  869  930  933  935
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65-II-63
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