S. 341 / Nr. 54 Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (d)
BGE 65 I 341
54. Urteil des Kassationshofs vom 16. Oktober 1939 i. S. Meier gegen
Staatsanwaltschaft Schwyz.
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Regeste:
1. Neben Vortrittsrechtsregeln gelten, wenn Kurven zu nehmen sind, die
diesbezüglichen Vorschriften (Art. 26 Abs. 2 MFG). «Linkskurve weit nehmen»:
Bedeutung.
2. Kreuzungen (Einmündungen, Gabelungen) von Hauptstrassen untereinander:
Vortrittsrecht gemäss örtlicher Signalisation (Art. 6 Vo über Hauptstrassen;
27 MFG).
Vorsichtspflicht des Vortrittsunberechtigten.
1. Outre les règles relatives au droit de priorité, le conducteur qui exécute
un virage doit observer celles qui concernent spécialement cette manoeuvre
(art. 26 al. 2 LA). «Prendre au large les tournants à gauche»: signification.
2. Croisée (jonction, bifurcation) de routes principales entre elles: Priorité
d e passage selon la signalisation locale (art. 6 ACF sur les routes
principales avec priorité de passage; art. 27 LA).
Devoir de prudence de celui qui n'a pas la priorité de passage.
1. Accanto alle norme sul diritto di precedenza valgono, qualora il conducente
debba prendere delle svolte, gli appositi disposti (art. 26 cp. 2 LCAV). «Le
svolte a sinistra vanno prese larghe»: significato.
2. Crocevia (sbocchi, biforcazioni) di strade principali tra di loro: diritto
di precedenza secondo la segnalazione locale (art. 6 DCF sulle strade
principali con diritto di precedenza; art. 27 LCAV).
Obbligo di essere prudente che incombe a chi non ha diritto alla precedenza.
A. Am 5. Juni 1938 mittags fuhr H. Meier mit seinem Personenauto über den
Seedamm von Rapperswil herkommend in Breiten-Pfäffikon in die Kantonsstrasse
Pfäffikon-Lachen mit Richtung Lachen. also in Linkskurve, ein, unter
Herabsetzung seiner Geschwindigkeit auf höchstens 20 km und Einhaltung
ungefähr der Mitte zwischen dem im Zentrum des Platzes stehenden Wegweiser und
seinem linken Strassenrande. In dem Momente, da Meier in die Kurve fuhr, kam
auf der Kantonsstrasse von Lachen her mit Richtung Pfäffikon mit seinem Auto
in einem Tempo von ca. 60 km H. Beeli angefahren, glaubte nicht mehr links vor
Meier vorbeizukommen und riss daher seinen Wagen scharf rechts in die Kurve
gegen Rapperswil, geriet ins Schleudern und stiess mit Meier so zusammen, dass
die beiden Wagen Seite an
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Seite aneinander, in entgegengesetzter Richtung, stehen blieben. Es entstand
nur Sachschaden.
B. Das Bezirksgericht Höfe verurteilte Beeli wegen Übertretung der Art. 25
und 27 MFG und 42 MFV zu Fr. 80., Meier wegen Übertretung des Art. 26 Abs. 2
MFG zu Fr. 20.Busse. In Abweisung der Berufung des Meier hat das
Kantonsgericht Schwyz unterm 24. April 1939 dieses Urteil bestätigt. Es misst
dem Beeli das Hauptverschulden am Unfall zu, weil er auf die für ihn
unübersichtliche, aber bei gehöriger Aufmerksamkeit rechtzeitig wahrnehmbare
Einmündung der Rapperswilerstrasse mit übersetzter Geschwindigkeit zugefahren
sei, dies selbst dann, wenn ihm und nicht dem Meier das Vortrittsrecht
zugestanden hätte.
Aber auch dem letztern falle ein Mitverschulden zur Last. Zwar sei er korrekt
langsam in die Kurve gefahren. Auch habe ihm, als dem (für Beeli) von rechts
Kommenden, das Vortrittsrecht zugestanden, denn durch die neue
Hauptstrassenliste (vom 26. Januar 1937) sei die Rapperswilerstrasse auch zur
Hauptstrasse erhoben worden, sodass das Vortrittsrecht nicht mehr in jedem
Falle dem auf der Kantonsstrasse Lachen-Pfäffikon verkehrenden, sondern dem
von rechts kommenden Fahrzeug, in casu also dem Meier, zugestanden habe.
Allerdings gebe dieser zu, dass zur Zeit des Unfalls auf der
Rapperswilerstrasse vor der Einmündung noch ein Vortrittssignal zugunsten der
Kantonsstrasse gestanden habe, das man nach der Rangerhöhung der
Rapperswilerstrasse zu entfernen vergessen habe. Aber auch wenn Meier dieses
mit der geltenden Regelung im Widerspruch stehende Signal nicht zu beachten
und er das Vortrittsrecht gehabt habe, so habe er insofern gefehlt, als er die
Linkskurve nicht vorschriftsgemäss weit, sondern etwa in der Strassenmitte
genommen habe, was für die Kollision mit kausal gewesen sei.
C. - In der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Freisprechung bestreitet Meier dies; dem Beeli hätte auf der kurveninnern
Seite vom Auto
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Meier 8 m und vor diesem 4 m Strassenbreite zum Passieren zur Verfügung
gestanden; wäre er, statt auf der Strassenmitte, korrekt rechts gefahren, so
hätte er sein Auto nicht herumzureissen brauchen, sondern hätte geradeaus und
um den Wegweiser herum weiterfahren können.
Kantonsgericht und Staatsanwaltschaft beantragen Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Für die Beurteilung des Falles ist davon auszugehen, dass Beeli geradeaus
Richtung Pfäffikon-Zürich fahren wollte und nicht nach Rapperswil. Im
letzteren Falle nämlich würde es sich nicht um einen Anwendungsfall der
Vortrittsrechtsregeln handeln, weil die Fahrbahnen der beiden sich begegnenden
Fahrzeuge sich nirgends schneiden; es kämen nur die Vorschriften über das
Nehmen der Kurven in Anwendung. Umgekehrt aber sind bei einer in erster Linie
nach Vortrittsrechtsregeln zu lösenden Situation, wenn dabei Kurven zu nehmen
sind, die hierauf bezüglichen Vorschriften auch zu befolgen, also in casu von
Meier.
In dieser Beziehung ist jedoch der ihm von der Vorinstanz gemachte Vorwurf, er
habe die Linkskurve nicht weit genug genommen, unbegründet. Die Vorschrift,
dass Linkskurven weit zu nehmen sind, bedeutet nicht, dass bei einer sich zu
einem Platze erweiternden Kreuzungs- bezw. Einmündungsstelle der
Linksabbiegende rechts alle Ecken auszufahren habe. Es genügt, wenn er von
seiner bisherigen Fahrbahn am rechten Strassenrande zu der in der andern
Strasse einzunehmenden eine flüssige Kurve zieht unter Beibehaltung ungefähr
des gleichen Abstandes vom linken Strassenrande. Dieser Anforderung ist Meier
mit seiner Kurve reichlich gerecht geworden, wie sowohl der Situationsplan als
die Photographien zeigen. Ein von Lachen her nach Rapperswil in korrekt enger
Kurve abbiegendes Fahrzeug hätte neben ihm mehr als genug
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Platz gehabt. Wegen Verstosses gegen Art. 26 Abs. 2 MFG kann er daher nicht
bestraft werden.
2. Dagegen hat er gegen die Vortrittsrechtsregeln verstossen. In dieser
Beziehung gehen sowohl das Bezirksamt und beide Gerichtsinstanzen als der
Beschwerdeführer von einer unrichtigen Beurteilung der
Vortrittsrechtsverhältnisse an dieser Strassenstelle aus.
Gemäss geltender Hauptstrassenliste ist sowohl die Kantonsstrasse
Lachen-Pfäffikon als die nach Rapperswil Hauptstrasse mit Vortrittsrecht (Nr.
3 und 8). Bei ausserorts liegenden Kreuzungen, Einmündungen und Gabelungen von
Hauptstrassen untereinander gilt nun nicht, wie die Vorinstanzen annehmen,
einfach wieder das Vortrittsrecht von rechts wie innerorts, sondern das
Vortrittsrecht der einen Hauptstrasse muss durch Aufstellung des
Vortrittssignals (Nr. 7) auf derselben zugunsten der andern aufgehoben werden
(Art. 6 BRB über Hauptstrassen mit Vortrittsrecht vom 26. März 1934). Das auf
der Rapperswilerstrasse noch von der Zeit her, da sie Nebenstrasse war,
vorhandene Vortrittssignal war also durch deren Erhebung zur Hauptstrasse
keineswegs widersinnig geworden, sondern nach wie vor oder vielmehr erst
recht notwendig; und wenn es, wie das Bezirksgericht (S. 3) feststellt,
seither entfernt worden ist, wird die kantonale Behörde es gemäss der zit.
Vorschrift wieder herstellen müssen samt dem Vorsignal dazu (Abs. 2); die
entgegengesetzte Regelung Vortrittsrecht der Rapperswilerstrasse wäre
verkehrtechnisch offenbar verfehlt. Zur Zeit des Unfalls stand an dieser
Einmündungsstelle die vorhandene Signalisation mit der gesetzlichen Regelung
durchaus im Einklang, und der Beschwerdeführer hatte sich daran zu halten,
also das Vortrittsrecht der auf der Kantonsstrasse daherkommenden Fahrzeuge
sowohl von rechts als von links zu respektieren. Das hat er nun dem Beeli
gegenüber nicht getan. Zwar setzte er die Geschwindigkeit korrekt auf unter 20
km herab, fuhr aber mit seinem Wagen mindestens
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2,50 m über die (ideelle) Verbindungslinie des nördlichen Strassenrandes der
Kantonsstrasse in die Fahrbahn des Beeli hinein, ohne sich an dieser Linie
zuvor nach links orientiert zu haben, ob kein Fahrzeug daherkomme. Dies war
Pflicht des Beschwerdeführers gemäss Art. 27 MFG, nicht aber des
vortrittsberechtigten Beeli, angesichts des vorschriftswidrig auftauchenden
Hindernisses sich rechtzeitig schlüssig zu werden, ob er links ausweichend
noch vor Meier durchschlüpfen könne oder das Umfahrungsmanöver rechts
versuchen solle. Wenn Beeli an dieser Stelle nicht dicht am rechten
Strassenrande, sondern mehr auf der Strassenmitte fuhr, so war das nur
vernünftig, da er so von einem von der Rapperswilerstrasse her einfahrenden
Führer früher gesehen werden und auch selber diesen früher sehen konnte. Die
Bemerkung des Beschwerdeverfassers, wäre Beeli korrekt rechts gefahren, so
hätte er sein Auto nicht herumreissen müssen, sondern geradeaus und um den
Wegweiser herum weiterfahren können, trifft gänzlich daneben; der Wagen des
Beschwerdeführers versperrte die äusserste rechte Fahrbahn der Kantonsstrasse
erst recht, Beeli hätte auch hier fahrend nur mit einem scharfen
Rechtsausbiegen hinter Meier durchkommen können, wozu er als
Vortrittsberechtigter nicht verpflichtet war; und davon, dass Beeli etwa
sowieso rechts vom Wegweiser hätte vorbeifahren müssen, ist keine Rede, da
dieser keinen Kreiselverkehrspfeil aufweist und deutlich jenseits der
genannten Randlinie der Kantonsstrasse liegt.
Da der Kassationshof an die Gesetzesanwendung des kantonalen Gerichts nicht
gebunden ist, hindert ihn nichts, auf Grund des im vorinstanzlichen Urteil
gegebenen Tatbestandes die Verurteilung auf den Boden des Art 27 MFG (bezw.
Art. 6 BRB) zu stellen und in diesem Sinne zu bestätigen.
Mit der Feststellung des Vortrittsrechts des Beeli ist nichts über die Frage
gesagt, ob er nicht trotzdem gemäss Art. 27 MFG auf die Einmündung zu hätte
verlangsamen
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sollen, was jedoch hier dahingestellt bleiben kann, da seine Verurteilung
nicht angefochten ist.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Vgl. auch Nr. 51. - Voir aussi no 51.