S. 6 / Nr. 3 Erbrecht (d)
BGE 64 II 6
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. März 1938 i. S. Bucher
gegen Bucher.
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Regeste:
Art. 620 ZGB. - Die ungeteilte Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes
zum Ertragswerte setzt eine nicht überschuldete Erbschaft voraus. Ist eine
Erbschaft nicht schon bei Schätzung des Gewerbes zum Verkehrswerte
überschuldet sondern erst dann, wenn dieses zum Ertragswerte unter die
Erbschaftsaktiven eingesetzt wird, so kommt zwar eine Zuweisung zum
Ertragswert nicht in Frage; dagegen ist dem Ansprecher das Vorrecht
einzuräumen, das Gewerbe zu dem Werte zu übernehmen, der dem nicht durch
andere Erbschaftsaktiven gedeckten Teile der Nachlasspassiven entspricht.
2. Nachdem die Vorinstanz festgestellt hat, dass beide Ansprecher in
beruflicher Hinsicht gleich geeignet sind, unterliegt es keinem Zweifel mehr,
dass Josef Bucher-Kiser der Vorzug zu geben ist, da er verheiratet ist und
seit langen Jahren, zuerst als Knecht, seit 1931 als Pächter das väterliche
Gut bewirtschaftet hat, während Albert ledig ist und in Kerns eine Stelle als
Knecht versieht. Wie das Bundesgericht schon mehrmals ausgesprochen hat, ist
demjenigen Bewerber, der bisher auf dem Heimwesen gelebt hat und für den
Unterhalt seiner Familie darauf angewiesen ist, der Vorzug zu geben vor einem
andern, der bereits einen sonstigen, ihm ein ausreichendes Einkommen
sichernden Beruf hat (vgl. BGE 42 II S. 433 f.; 44 II S. 244 f.; 56 II S. 253
f.). Der Umstand, dass Josef Bucher-Kiser seit 1934 für Fr. 12203.97 betrieben
worden ist, ohne dass es aber je zur Verwertung gekommen wäre, steht der
Zuweisung an ihn nicht entgegen. Josef Bucher-Kiser hatte in den letzten
Jahren nicht nur einen jährlichen Pachtzins von Fr. 2680.- zu bezahlen,
sondern hat laut bei den Akten liegenden Quittungen
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ausserdem im Jahre 1931 von der Mutter Vieh und Heu für Fr. 13750.- gekauft
und dies in bar bezahlt. Dass er dabei ohne eigenes Betriebskapital Schulden
machen musste und diese nicht ohne weiteres bezahlen konnte, ist verständlich.
Ein Vorwurf kann ihm daraus nicht gemacht werden.
Obwohl damit feststeht, dass Josef Bucher-Kiser in erster Linie Anspruch auf
ungeteilte Zuweisung des väterlichen Gutes hat, kann ihm dieses doch nicht zum
Ertragswerte zugewiesen w erden. Denn Art. 620 ZGB setzt zweifellos eine nicht
überschuldete Erbschaft voraus.
a) Ist eine Erbschaft schon dann als überschuldet anzusehen, wenn das
landwirtschaftliche Gewerbe zum Verkehrswerte unter die Aktiven eingestellt
wird, so kommt eine ungeteilte Zuweisung an einen der Erben gegen den Willen
der übrigen Erben, sei es zum Ertrags- oder zum Verkehrswert, überhaupt nicht
in Frage. Vielmehr wird das landwirtschaftliche Gewerbe dann möglichst günstig
zu verwerten sein, um die Nachlasspassiven nach Möglichkeit zu decken.
b) Ist dagegen eine Erbschaft nicht schon bei Schätzung des
landwirtschaftlichen Gewerbes zum Verkehrswert überschuldet, sondern erst
dann, wenn dieses zum Ertragswert unter die Erbschaftsaktiven eingestellt
wird, so ist nur die Zuweisung zum Ertragswerte ausgeschlossen. Der Vorteil
des Übernehmers, das Gewerbe zum Ertragswert zu erhalten, darf nur zur Folge
haben, dass die Anteile der Miterben kleiner werden oder überhaupt entfallen,
nicht aber, dass ihre Anteile passiv werden. Es kann ihnen nicht zugemutet
werden, eigene Leistungen zu dem Zwecke zu erbringen, dass ein Miterbe das
Gewerbe zu einem besonders günstigen Preise übernehmen kann. Kommt demnach in
einem solchen Falle die Zuweisung zum Ertragswerte nicht in Frage, so ist dem
Ansprecher doch das Vorrecht einzuräumen, das Gewerbe zu dem Werte zu
übernehmen, der dem nicht durch andere Erbschaftsaktiven gedeckten Teile der
Nachlasspassiven
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entspricht. Dieser Wert liegt zwar über dem Ertragswert, jedoch unter dem
Verkehrswerte, sodass dem Ansprecher die Übernahme zu diesem Werte noch immer
günstiger zu stehen kommt als der Erwerb eines andern Gewerbes zum vollen
Verkehrswerte. Er hat also ein schutzwürdiges Interesse an der Übernahme zu
diesem zwischen Ertragswert und Verkehrswert liegenden Wert, dem die Miterben,
wenn sie von den Passiven befreit werden, kein eigenes Interesse
entgegenstellen können.
Im vorliegenden Falle ist die Prüfung der Frage, ob die Übernahme zu einem den
Ertragswert übersteigenden, den Verkehrswert nicht erreichenden Wert in Frage
kommt, deshalb besonders einfach, weil das landwirtschaftliche Gewerbe nach
den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz das einzige Nachlassaktivum
bildet. Sein Verkehrswert beträgt Fr. 52000.-, sein Ertragswert Fr. 37000.-.
Demgegenüber betragen die Erbschaftspassiven Fr. 48962.83, wozu noch die zu
Lasten der Erbmasse gehenden, noch nicht feststellbaren Kosten der Erbteilung
kommen.
Die Erbschaftspassiven erreichen somit den Verkehrswert der Aktiven nicht,
sodass die Erbschaft als nicht überschuldet anzusehen ist. Es ist daher dem
Josef Bucher-Kiser das Recht zuzusprechen, die Erbschaftsaktiven, d. h. das
Heimwesen mit Riedparzelle, Alphütenanteil, Inventar und Zubehör zum Werte und
gegen Übernahme der Erbschaftspassiven, deren genaue Höhe bei der Teilung
festzustellen ist, zu übernehmen. Ob er im Hinblick darauf, dass die Miterben
gemäss Art. 610 Abs. III ZGB die Tilgung der Erbschaftspassiven vorgängig der
Teilung, d. h. der Übernahme des Gewerbes, verlangen können, in der Lage ist,
das Gewerbe zu diesem Werte zu übernehmen, braucht hier nicht geprüft zu
werden. Vielmehr bleibt es ihm überlassen, ob er von dem ihm mit diesem Urteil
eingeräumten Vorrecht Gebrauch machen will oder kann.