S. 385 / Nr. 65 Prozessrecht (d)

BGE 64 II 385

65. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Oktober 1938 i. S. Schärer gegen
Schärer-Della Cà.

Regeste:
Überschreiten des Parteiantrages durch den kantonalen Richter kann nicht durch
Berufung an das Bundesgericht gerügt werden; OG Art. 79 Abs. 3 u. Art. 85,
BZPO Art. 4, ZGB Art. 158.

Im Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Oberlandquart, durch welches die Ehe
der Parteien im Anschluss an die gerichtliche Trennung auf Klage des Ehemannes
hin gestützt auf Art. 148 ZGB geschieden wurde, ist der Kläger zur Leistung
eines monatlichen Unterhaltsbeitrages an die Beklagte verpflichtet worden. Er
hat hiegegen die Berufung an das Bundesgericht erklärt und u. a.
geltendgemacht, die Vorinstanz habe der Beklagten etwas zugesprochen, das
diese selbst nicht verlangt habe. Das Bundesgericht hat diesen Einwand mit
folgender Begründung abgelehnt:
Trifft die Behauptung des Klägers zu, dass die Vorinstanz der Beklagten den
monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 30.- im Sinne von ZGB Art. 152
zugesprochen hat, ohne dass die Beklagte selbst dies beantragt hatte, so
könnte dies im Berufungsverfahren vor dem Bundesgericht nur beanstandet
werden, wenn sich das Verbot des Überschreitens der Parteianträge aus einem
Grundsatz des Bundeszivilrechtes ableiten liesse (OG Art. 57).

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Freilich kennt das Bundesrecht die Vorschrift, dass das Gericht der Partei
weder Mehreres noch Anderes zusprechen darf, als sie selbst verlangt, und auch
nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat. Dieser Grundsatz ist aber
prozessrechtlicher Natur, und er gilt nur für die von den Parteien sei es im
direkten Prozesse, sei es im Berufungsverfahren vor Bundesgericht gestellten
Anträge (BZPO Art. 4 und OG Art. 79 Abs. 3 u. Art. 85; BGE 40 II 159). Ob auch
der kantonale Richter an diesen Grundsatz gebunden sei, ist eine Frage des
kantonalen Prozessrechtes, dessen Anwendung das Bundesgericht im
Berufungsverfahren nicht überprüfen kann. Für den Scheidungsprozess gilt
diesbezüglich keine Ausnahme. Die Verfahrensvorschriften des Art. 158 ZGB
greifen in das kantonale Prozessrecht nur insoweit ein, als sie
Mindestanforderungen für die richterliche Überprüfung der Parteierklärungen
aufstellen (BGE 52 II 412 E 2; 61 II 162). Sie hindern die kantonale
Prozessgesetzgebung aber nicht, in weitergehender Anwendung der Offizialmaxime
den Richter zu ermächtigen, von Amtes wegen nicht nur die von den Parteien
nicht vorgebrachten Tatsachen heranzuziehen (BGE 54 II 67; 56 II 158), sondern
im Zusammenhang mit der Scheidung oder Trennung auch Anordnungen bezüglich der
Nebenfolgen zu treffen, für welche ein Parteiantrag entweder gar nicht oder
nur mit weniger weitgehendem Inhalt vorliegt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 64 II 385
Date : 01. Januar 1937
Published : 14. Oktober 1938
Source : Bundesgericht
Status : 64 II 385
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Überschreiten des Parteiantrages durch den kantonalen Richter kann nicht durch Berufung an das...


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