S. 414 / Nr. 73 Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (d)

BGE 64 I 414

73. Urteil des Kassationshofs vom 14. November 1938 i. S. Zürich,
Staatsanwaltschaft gegen Felix.


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Regeste:
Art. 62 MFG stellt nur den Gebrauchsdiebstahl, nicht aber die
«Gebrauchsunterschlagung» an einem Motorfahrzeug unter Strafe.

A. - Am 19. November 1937 sprach P. Felix bei der Titan Auto Service A.-G. in
Zürich als Kaufsinteressent für einen Occasionswagen vor und mietete von ihr
zu Probezwecken einen Opel «Olympia» für die Dauer eines

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Tages unter Hinterlassung seines alten Wagens als Sicherheit. An einem der
nächsten Tage erschien Felix wieder bei der Firma und ersuchte um Überlassung
des Wagens zu weiteren Probefahrten. Während bezüglich dieser neuen
Unterhandlung Felix behauptet, der Wagen sei ihm «für längere Zeit» weiter zum
Gebrauch überlassen worden und zwar für den Fall des nachherigen Kaufs eines
Wagens unter Verzicht auf Mietgebühr, behauptet die Firma, der Wagen sei ihm
nur bis und mit dem 24. November 1937 weitervermietet worden. Von seinen
Geschäftsfahrten mit dem Mietwagen teilte in der Folge Felix der Firma mit
Postkarten vom 3., 10. und 18. Dezember 1937 jeweilen mit, er werde den Wagen
noch einige Zeit ausprobieren. Am 15. Dezember hatte die Firma gegen ihn
Strafanzeige wegen Unterschlagung eingereicht. Als er am 31. Dezember den
Wagen zurückbrachte, stellte sie ihm Rechnung für die Miete und hielt an der
Strafanzeige gestützt auf Art. 62 MFG fest.
B. - Bezirksgericht und Obergericht Zürich haben Felix von der Anklage
freigesprochen mit der Begründung, dass Art. 62 MFG nach Wortlaut und ratio
legis nur den Gebrauchsdiebstahl, nicht aber die Gebrauchsunterschlagung unter
Strafe stelle, und nur um letzteren Tatbestand handle es sich hier.
C. - Mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde beantragt die
Staatsanwaltschaft Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Bestrafung
gemäss Art. 62 MFG. Sie führt aus, der im Randtitel verwendete Begriff
«Entwendung zum Gebrauch» umfasse nicht nur die Wegnahme eines fremden Wagens
aus fremdem Besitz, sondern bedeute allgemein «rechtswidrig im eigenen
Interesse über die Sache verfügen, sie eigenmächtig beherrschen, kurz sie
gebrauchen». Darauf deute auch im französischen Text, trotz dem Marginale «vol
d'usage», der Ausdruck «utiliser» und im italienischen das Wort «sottrazione».
Für die Einbeziehung auch der Gebrauchsunterschlagung spreche auch der Zweck
der Strafbestimmung - Schutz

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des Eigentümers und des Verkehrs vor Strolchenfahrern; beide Motive träfen in
ganz gleicher Weise sowohl für den Gebrauchsdiebstahl als die - Unterschlagung
zu.
D. - Der Angeklagte beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde; das
Obergericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Die Umschreibung des Tatbestandes des Art. 62 MFG - «Wer sich ein
Motorfahrzeug rechtswidrig zum Gebrauch aneignet, ohne dass der Tatbestand des
Diebstahls erfüllt ist» - kann in der Tat auf den ersten Blick zu Zweifeln
Anlass geben. Er setzt einerseits das Merkmal der Aneignung positiv voraus,
schliesst aber anderseits den Tatbestand des Diebstahls aus; da nun der
Diebstahl im wesentlichen die Merkmale «Wegnahme» und «Aneignung» enthält,
letztere aber hier ausdrücklich verlangt ist, könnte die Meinung aufkommen,
der Tatbestand des Art. 62 MFG unterscheide sich vom Diebstahl durch das
Fehlen des Merkmals «Wegnahme». Es ist jedoch vom Begriff «Aneignung zum
Gebrauch» als ganzem auszugehen: durch diesen Zusatz ist gerade das Element
der Eigentumserwerbsabsicht ausgeschieden; es verbleibt als Inhalt des
Begriffs Aneignung - von seiner Verwendung im Diebstahlstatbestand her - die
Vorstellung des blossen Ansichnehmens, aber verbunden mit derjenigen des
Korrelats dazu, des Wegnehmens beim Berechtigten. Weggenommen wird die Sache,
das Fahrzeug; als Gegenstand einer Aneignung im eigentlichen Sinne könnte nur
der Gebrauch als solcher aufgefasst werden - wenn nicht begrifflich Eigentum
nur an Sachen möglich wäre. Was in Art. 62 gemeint ist, wird zutreffend durch
den Randtitel «Entwendung zum Gebrauch» bezeichnet. Durch den einschränkenden
Nebensatz wird der Sachdiebstahl am Fahrzeug ausgeschieden und dem allgemeinen
Strafrecht überlassen; Gegenstand des Art. 62 bildet der Gebrauchsdiebstahl an
demselben,

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das furtum usus im Sinne des älteren Strafrechts. In dem so verwendeten
Begriff des Diebstahls ist das Merkmal der Wegnahme aus fremdem Gewahrsam
mitenthalten, wie es im Marginale durch den Ausdruck «Entwendung» zum Ausdruck
kommt, der die widerrechtliche Überführung eines Gegenstandes aus einem
fremden in den Besitz des Täters kennzeichnet und damit den Diebstahl von der
Unterschlagung abgrenzt, bei der die bereits im Gewahrsam des Täters
befindliche fremde Sache nicht mehr weggenommen wird, die Aneignung vielmehr
durch den blossen Willensentschluss desselben, sie als Eigentümer behalten zu
wollen, erfolgt. Wollte mit Art. 62 auch die Gebrauchsunterschlagung getroffen
werden, so würde es genügen, etwa von «widerrechtlichem Gebrauchen» statt von
widerrechtlicher Aneignung zum Gebrauch zu sprechen, mit welchem Ausdruck,
gleich wie mit «Entwenden», auf den äusserlich sichtbaren Vorgang des Beginns
des widerrechtlichen Zustandes, eben auf die Wegnahme des Fahrzeugs aus dem
Gewahrsam des Berechtigten hingewiesen wird. Ein Indiz für diese Begrenzung
des Tatbestandes des Art. 62 liegt, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt,
ferner darin, dass der ein negatives Requisit aufstellende Nebensatz «ohne
dass der Tatbestand des Diebstahls erfüllt ist», nur den Diebstahl und nicht
auch die Unterschlagung nennt. Mit dieser Klausel wird die Grenze zwischen
Gebrauchsdiebstahl und Sachdiebstahl gezogen. Das gleiche
Verwandtschaftsverhältnis wie zwischen diesen beiden Diebstahlsformen besteht
aber auch zwischen Gebrauchsunterschlagung und Sachunterschlagung; die Gründe,
welche für die ausdrückliche Erwähnung (und Ausschliessung) des Sachdiebstahls
vorlagen, wären auch für die Nennung der Sachunterschlagung gültig gewesen,
wenn Art. 62 nicht nur den Gebrauchsdiebstahl, sondern auch die
Gebrauchsunterschlagung umfassen wollte. Dadurch, dass der Gesetzgeber die
Grenze nur gegenüber dem (Sach-) Diebstahl gezogen hat, gibt er zu erkennen,
dass mit Art. 62

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nur der Gebrauchsdiebstahl getroffen werden soll.
Das bezüglich dieser Klausel Gesagte trifft ohne weiteres auch für den
französischen und den italienischen Text zu, WD im Nebensatz auch nur vol
bezw. furto genannt und in keiner Weise die Unterschlagung angezogen wird.
Wenn diese Texte den Tatbestand positiv nur mit den Wendungen «Chiunque
sottrae illecitamente un autoveicolo per farne uso» bezw., noch unbestimmter,
«Celui qui utilise sans droit...» umschreiben, so ist dafür das französische
Marginale «vol d'usage» umso deutlicher, was mit dem Begriff
Gebrauchsdiebstahl im Sinne des furtum usus völlig übereinstimmt.
Dass Art. 62 nur den Gebrauchsdiebstahl, nicht auch die
Gebrauchsunterschlagung umfassen will, zeigt sich übrigens auch daran, dass er
eine einheitliche Strafandrohung enthält, während die letztere offenbar nicht
gleich streng bestraft werden könnte wie der erstere, sowenig als die
Sachunterschlagung (im eidg. StrGB = Veruntreuung) gleich streng mit Strafe
bedroht ist wie der Sachdiebstahl (Art. 137 und 140 StrGB).
Diese beschränkte Geltung des Art. 62 entspricht auch der ratio legis, wie sie
sich namentlich aus den Gesetzesmaterialien ergibt. Die ausnahmsweise
strafrechtliche Bedrohung des furtum usus am Motorfahrzeug ist durch die
besondere Gefährlichkeit dieser Handlungen einerseits für den Eigentümer des
Fahrzeugs, anderseits für das Publikum bedingt und gerechtfertigt. Beide
Gesichtspunkte treffen für den Gebrauchsdiebstahl in unverhältnismässig viel
höherem Masse zu als für die Gebrauchsunterschlagung. Beim ersteren kommen als
Täter - Strolchenfahrer - in der Regel Leute in Frage, die infolge
mangelhafter Kenntnis des Fahrens, Angetrunkenheit, Gewissenlosigkeit usw.
sowohl das Fahrzeug als Drittpersonen gefährden, und bezüglich deren wegen
Mittellosigkeit der Schutz der zivilrechtlichen Haftbarkeit gegenüber dem
Eigentümer wie dem geschädigten Dritten illusorisch ist. Gewiss kann der
Eigentümer oder ein Dritter auch durch einen Benutzer,

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der das Fahrzeug von jenem anvertraut erhalten hat, es jedoch widerrechtlich
gebraucht, also nur Gebrauchsunterschlagung begeht, geschädigt werden. Es
macht aber hinsichtlich dieser Risiken einen Unterschied aus, ob das Fahrzeug
dem Halter von einem Unbekannten entwendet wird, oder ob jener es einer Person
anvertraut, die er unter den Gesichtspunkten ihrer Sachkenntnis und
Gewissenhaftigkeit sowie ihrer eventuellen Zahlungsfähigkeit auswählen konnte.
Gegenüber der Gefahr der Gebrauchsunterschlagung sind daher die in Frage
stehenden Interessen auch ohne strafrechtlichen Schutz durch die
Verfügungsmacht des Halters und die zivilrechtliche Haftung hinreichend
gewahrt.
Die Unterstellung auch der Gebrauchsunterschlagung unter den Art. 62 würde,
wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, zu einer Unsicherheit der Grenzziehung
führen, die mit den Grundsätzen des Strafrechts unvereinbar wäre. Der
Chauffeur, der den Wagen seines Herrn statt auf dem kürzesten Wege auf einem
Umwege in die Garage zurückführt, oder der an eine befohlene Fahrt einen
kleinen Abstecher im eigenen Interesse anhängt, oder der Freund, der den ihm
vom Halter für eine Woche zur Verfügung gestellten Wagen einen Tag länger
benutzt, wären, da zu diesem Gebrauch nicht berechtigt, strafbar. Für alle
diese Tatbestände bietet das Zivilrecht eine ausreichende Regelung.
Die beim Ausschluss der Gebrauchsunterschlagung vom Art. 62 in einzelnen
Fällen sich stellende Frage, ob der Wagen anvertraut war oder nicht, ist in
der Hauptsache Tatfrage. Es ist dabei einerseits davon auszugehen, dass es
genügt, wenn das Fahrzeug anvertraut ist; es braucht nicht zum Gebrauch
anvertraut zu sein. Das dem Garagisten zum Waschen und Schmieren übergebene
Auto ist ihm anvertraut; wenn er es zu einer Fahrt benutzt, ist er nicht nach
Art. 62 strafbar. Dagegen genügt nicht jede auf dem Willen des Halters
beruhende Beziehung des Täters zum Fahrzeug, um Gebrauchsdiebstahl

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auszuschliessen: wenn der Hausbursche des Gasthofs, den der Gast beauftragt
hat' auf seinen vor dem Hause stehenden Wagen achtzugeben, oder wenn der
Lehrling der mit dem Waschen des Wagens betrauten Garage mit demselben
ausfährt, so liegt strafbarer Gebrauchsdiebstahl vor.
Im vorliegenden Falle ist dem Beschwerdeführer der Wagen vom Halter auf Grund
eines Mietvertrags übergeben, also anvertraut worden; es liegt nicht
widerrechtliche Wegnahme, sondern nur allenfalls widerrechtlicher - nämlich
über die vertraglich vereinbarte Zeit hinausgehender - Gebrauch vor, welcher
Tatbestand in der Beurteilung nach OR seine erschöpfende Erledigung zu finden
hat.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 64 I 414
Datum : 01. Januar 1937
Publiziert : 14. November 1938
Quelle : Bundesgericht
Status : 64 I 414
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 62 MFG stellt nur den Gebrauchsdiebstahl, nicht aber die «Gebrauchsunterschlagung» an einem...


BGE Register
64-I-414
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