BGE 63 I 277
55. Urteil vom 19. November 1937 S. E. S. gegen Appellationsgericht
Basel-Stadt.
Regeste:
Einem Anwalt, der auf die Berufsausübung in demjenigen Kanton verzichtet, in
welchem er den Fähigkeitsausweis erlangt hatte, darf die Berufsausübung in
andern Kantonen im Hinblick auf diesen Verzicht nur verweigert werden, wenn
infolge des Verzichts der Fähigkeitsausweis ungültig geworden ist.
A. - Der Rekurrent hat im Jahre 1923 das thurgauische Anwaltspatent und im
gleichen Jahre die Bewilligung zur Ausübung des Berufes eines Rechtsanwaltes
im Kanton Zürich, 1930 im Kanton Basel-Stadt erworben.
Am 9. März 1933 entzog ihm das Obergericht des Kantons Thurgau die
Berechtigung zur Ausübung seines Berufes auf ein Jahr. Den Anlass dazu bot
eine Strafuntersuchung wegen Unterschlagung, bezw. Betrug, die unter
Kostenauflage an S. niedergeschlagen worden war. Die Publikation der
Disziplinarmassnahme konnte der Rekurrent dadurch abwenden, dass er erklärte,
auf die Ausübung der Anwaltstätigkeit im Kanton Thurgau dauernd
Seite: 278
zu verzichten. Das Obergericht nahm von dem Verzicht Kenntnis und teilte ihn
den Bezirksgerichten, der Staatskanzlei und dem thurgauischen Anwaltsverband
mit. Am 1. Dezember 1933 erklärte das Zürcher Obergericht die Bewilligung zur
Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Zürich als dahingefallen, wobei es davon
ausging, dass mit dem Erlöschen der Berechtigung zur Berufsausübung in dem
Kanton, der den Fähigkeitsausweis ausgestellt hat, auch die Voraussetzung der
Bewilligung der Berufsausübung im Kanton Zürich dahinfalle. S. hat sich gegen
diese Auffassung verwahrt, den Beschluss des Obergerichtes aber nicht
angefochten.
B. - Am 17. Juli 1937 eröffnete das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt dem Rekurrenten, dass mit dem Erlöschen der Berechtigung zur
Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton Thurgau die Voraussetzungen der
Bewilligung der Berufsausübung im Kanton Basel-Stadt auf Grund des Artikels 5
der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung dahingefallen seien.
Der Rekurrent erhebt die staatsrechtliche Beschwerde. Er beantragt Aufhebung
de Beschlusses des Appellationsgerichtes wegen Verletzung von Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
|
1 | Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
2 | Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. |
3 | Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben. |
4 | Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. |
zur BV, eventuell auch von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
im Kanton Thurgau sei sein Befähigungsausweis nicht erloschen, sein
Anwaltspatent nicht aufgehoben worden. Die Berufsbewilligung könne ihm daher
in andern Kantonen nicht unter Berufung auf seine Verzichtserklärung im Kanton
Thurgau entzogen werden.
Das Appellationsgericht beantragt Abweisung der Beschwerde. In einem
vorbehaltlosen und dauernden Verzicht auf die Berufsausübung sei der Verzicht
auf die aus dem Befähigungsausweis fliessenden Rechte inbegriffen.
Im Verfahren vor Bundesgericht ist versucht worden durch eine Anfrage beim
Obergericht des Kantons Thurgau abzuklären, ob nach thurgauischem Recht mit
dem Entzug des Anwaltspatentes auch der Befähigungsausweis erlösche. Das
Obergericht des Kantons Thurgau hat am
Seite: 279
10. November 1937 erklärt, dass nach seiner Meinung in dem Verzicht des S. auf
die Berufsausübung im Kanton Thurgau ein Verzicht auf den thurgauischen
Befähigungsausweis nicht liege. «Die Frage, um deren Beantwortung Sie uns
speziell ersuchen, d. h. wie es im Kanton Thurgau gehandhabt werde, wenn ein
Anwalt, dem seine Bewilligung zur Ausübung des Anwaltsberufes im Kanton
Thurgau aus irgend einem Grunde entzogen worden war, neuerdings um die
Erteilung des Patentes nachsucht, musste hier unseres Wissens noch nie
behandelt werden; wir sind daher nicht in der Lage, auf Grund einer
bestehenden Praxis zu ihr Stellung zu nehmen».
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Nach Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
|
1 | Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
2 | Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. |
3 | Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben. |
4 | Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. |
Kanton oder einer mehrere Kantone repräsentierenden Konkordatsbehörde einen
Fähigkeitsausweis erlangt haben, zur Ausübung ihres Berufes in der ganzen
Eidgenossenschaft befähigt. Nimmt man diese Vorschrift wörtlich, dann könnte
man dazu kommen, lediglich auf die Tatsache der Erlangung des Ausweises
abzustellen und zwar so, dass derjenige, dem er einmal erteilt ist, einen
unentziehbaren Anspruch auf Zulassung in allen andern Kantonen hat, ohne
Rücksicht darauf, ob der Ausweis später wieder dahinfällt. Diese Auslegung,
die übrigens vom Rekurrenten nicht vertreten wird, würde aber offenbar dem
Sinn der Vorschrift nicht gerecht. Diese ist vielmehr dahin zu verstehen, dass
Personen, welche im Besitz eines gültigen Fähigkeitsausweises sind, ein Recht
auf die in Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
|
1 | Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
2 | Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. |
3 | Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben. |
4 | Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. |
ein Ausweis gültig ist, hängt vom Recht des ausstellenden Kantons ab. Dieser
(oder die allfällige Konkordatsbehörde) bestimmt, ob ein erteilter Ausweis
unwiderruflich ist oder ob - und wenn ja, unter welchen Umständen - er seine
Gültigkeit verlieren kann. So können die Fähigkeitszeugnisse z. B. nur für
eine bestimmte Zeit ausgestellt
Seite: 280
und deren Erneuerung von der Ablegung einer neuen Prüfung abhängig gemacht
werden, oder es kann für gewisse Fälle auch der Entzug des Ausweises
vorgesehen werden.
2. - Es kommt also darauf an, ob der dem Rekurrenten im Kanton Thurgau
ausgestellte Befähigungsausweis noch Geltung hat. Das Obergericht des Kantons
Thurgau hat die Anfrage des Bundesgerichtes, ob der thurgauische
Befähigungsausweis unabhängig sei von der Bewilligung zur Berufsausübung im
Kanton, nicht grundsätzlich beantwortet, da eine Praxis hierüber fehle.
Dagegen hält es dafür, dass sich die Verzichterklärung des Rekurrenten auf die
Berufsausübung im Kanton Thurgau beschränkt habe und einen Verzicht auf den
Befähigungsausweis nicht in sich schliesse. Es muss daher davon ausgegangen
werden, dass der Befähigungsausweis noch gilt. Dann beruht der Beschluss des
Appellationsgerichtes Basel-Stadt, der einzig mit dem Erlöschen des Rechtes
zur Berufsausübung im Kanton Thurgau begründet worden ist, auf der
irrtümlichen Voraussetzung, dass damit auch der thurgauische
Befähigungsausweis erloschen sei. Der Beschluss ist deshalb aufzuheben. Offen
bleibt, ob dem Rekurrenten die Bewilligung zur Berufsausübung im Kanton
Basel-Stadt aus andern Gründen verweigert werden dürfte (BGE 58 I S. 28 f.).
Das Appellationsgericht hat diese Frage weder in der Begründung seines
Beschlusses, noch in der Vernehmlassung auf die vorliegende Beschwerde
berührt....
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des
Appellationsgerichtspräsidenten von Basel-Stadt vom 17. Juli 1937 aufgehoben.