S. 264 / Nr. 52 Organisation der Bundesrechtspflege (d)

BGE 63 I 264

52. Urteil des Kassationshofs vom 26. Oktober 1937 i. S. Walder gegen Aargau,
Staatsanwaltschaft.

Regeste:
Bedingter Strafvollzug: Verweigerung desselben wegen Fehlens der Voraussetzung
des Art. 335 Abs. 3 BStrP (Vorleben und Charakter) ist nicht zulässig ohne
sachliche Substantiierung jener Annahme.

Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte Walder wegen Führens eines
Autos in angetrunkenem Zustande mit Unfallfolge (Art. 17 Abs. 2, 25, 26 MFG)
zu einer Gefängnisstrafe von 4 Tagen und einer Busse von Fr. 40.- und
verweigerte den nachgesuchten bedingten Strafvollzug mit folgender Begründung:
«Der Beklagte hat so wenig Einsicht in die Strafbarkeit seiner Handlungsweise
bekundet, dass ihn voraussichtlich eine bloss bedingt ausgesprochene Strafe
von künftigen ähnlichen Verfehlungen kaum abzuhalten vermöchte».
Gegen dieses Urteil hat der Verurteilte fristgemäss Nichtigkeitsteschwerde ans
Bundesgericht eingelegt mit dem Antrag auf Freisprechung, eventuell
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung; eventuell sei
ihm nur eine Geldbusse aufzuerlegen oder bei Ausfällung einer Freiheitsstrafe
der bedingte Straferlass zu gewähren. Die Begründung besteht in einer Kritik
der vorinstanzlichen Beweiswürdigung bezüglich der Frage der Angetrunkenheit
und der Geschwindigkeit.

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Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. - Ob der Beschwerdeführer beim Unfall angetrunken war und welche
Geschwindigkeit er hatte, sind Fragen tatsächlicher Natur und daher die
Feststellungen der Vorinstanzen hierüber gemäss Art. 275 BStrP für den
Kassationshof verbindlich, denn Aktenwidrigkeiten in dem in BGE 62 I 61
umschriebenen Sinne liegen nicht vor; die Kritik des Beschwerdeführers
betrifft ausschliesslich die Zeugenwürdigung, deren Überprüfung eben dem
Bundesgericht entzogen ist. Auf Grund dieser Feststellungen aber besteht die
Verurteilung des Angeklagten wegen Widerhandlung gegen die Vorschriften der
Art. 17 Abs. 2, 25 und 26 MFG zu Recht.
2. - Dagegen ist die Verweigerung des bedingten Strafvollzuges durch die
Vorinstanz vor Art. 335 BStrP nicht haltbar. Diese Bestimmung knüpft den
bedingten Strafvollzug an bestimmte Voraussetzungen. Sind diese gegeben, so
ist nach deutlicher Fassung des Gesetzes («der Richter kann den Vollzug einer
Gefängnisstrafe .... aufschieben») die Bewilligung des Strafaufschubs
weiterhin in sein Ermessen gestellt. Dieses Ermessen ist jedoch kein völlig
freies; Ermessen bedeutet nicht Willkür. Es kann nicht in der Absicht des
Gesetzgebers gelegen haben, eine kriminalpolitisch so bedeutungsvolle und ein
schneidende Massnahme bei Vorhandensein der von ihm aufgestellten
Voraussetzungen immer noch dem freien Befinden des Richters anheimzugeben, so
etwa wie die Begnadigung zur freien Ausübung übertragen ist. Wenn er nicht
überhaupt die Verpflichtung des Richters ausgesprochen hat, unter den
angegebenen Voraussetzungen den Strafaufschub zu gewähren, so ist das im
Bewusstsein geschehen, dass diese Voraussetzungen zwar im grossen und ganzen,
aber bei der Vielgestaltigkeit der Erscheinungen nicht ausnahmslos genügen, um
die Gewährung nur dort zu garantieren, wo sie nach Sinn und Geist der
Institution angezeigt erscheint. Daraus folgt, dass bei

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Vorliegen der im Gesetz erwähnten Voraussetzungen der Richter den
Strafaufschub nur noch verweigern darf, wenn im gerade gegebenen Fall
besondere Umstände vorliegen, welche die Anwendung des Strafaufschubs als
zweckwidrig erscheinen lassen. Fehlen solche Umstände, so überschreitet der
Richter sein Ermessen, wenn er den Strafaufschub verweigert. Eine
Ermessensüberschreitung stellt eine Gesetzesverletzung im Sinne des Art. 269
BStrP dar (BGE 61 I 446 f.).
Vorliegend nun will die Vorinstanz mit ihrer Bemerkung zwar offenbar sagen,
dass die Voraussetzung von Art. 335 Abs. 3 nicht erfüllt sei, indem der
Charakter des Verurteilten nicht erwarten lasse, er werde durch den bedingten
Strafvollzug von weitern Widerhandlungen gegen das MFG abgehalten. Ob Vorleben
und Charakter ein bestimmtes Verhalten erwarten lassen, ist wiederum in
weitgehendem Masse eine Frage des Ermessens. Hier aber nennt die Vorinstanz
keinerlei Anhaltspunkte, aus welchen sie auf besondere Einsichtslosigkeit des
Angeklagten schliesst. Sie scheint diese Schlussfolgerung aus der blossen
Tatsache zu ziehen, dass er bedenkenlos genug war, im Zustande der
Angetrunkenheit zu fahren. Das läuft aber auf die Auffassung hinaus, dass die
Gewährung des bedingten Strafvollzugs für Fahren in angetrunkenem Zustande
grundsätzlich nicht in Frage komme. Von einem solchen Grundsatz weiss aber das
Gesetz nichts. So strenge Ahndung diese Verfehlung wegen der damit verbundenen
starken Verkehrsgefährdung verdient, so gilt doch hinsichtlich der Gewährung
des bedingten Strafvollzugs dafür keine Ausnahme von den gewöhnlichen Regeln.
Gewiss können in den besondern Umständen des gerade zu ahndenden Deliktsfalls
selbst Indizien für einen Charakter im Sinne des Abs. 3 liegen. Das Gericht
muss aber sagen, ob und worin es solche erblickt. Die blosse Anführung der
Worte des Gesetzes ohne sachliche Substantiierung genügt nicht, weil sie nicht
erkennen lässt, ob eine Ermessensüberschreitung vorliege.

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Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsteschwerde wird teilweise gutgeheissen in dem Sinne, dass das
angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne
der Motive an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 63 I 264
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 26. Oktober 1937
Quelle : Bundesgericht
Status : 63 I 264
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Bedingter Strafvollzug: Verweigerung desselben wegen Fehlens der Voraussetzung des Art. 335 Abs. 3...


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