S. 97 / Nr. 28 Obligationenrecht (d)

BGE 62 II 97

28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Februar 1936 i. S. Ed.
Schweiger-Hauser gegen Schweiz. Tabakverband.

Regeste:
Preisbindungsvertrag zwischen einem Kartell und einem Aussenseiter:
Preiskartell in der Form des Vereins; Nichterlangung der juristischen
Persönlichkeit wegen Unsittlichkeit und Widerrechtlichkeit des Zweckes (ZGB
Art. 52 Abs. 3)? In casu Kartellzweck erlaubt, da keine Ausbeutung der
Kundschaft beabsichtigt. (Erw. 3.)
Unzulässigkeit der zur Erreichung eines erlaubten Zwecks verwendeten Mittel:
Vertragliche Bindung des Aussenseiters und Überwachung desselben? Überwachung
zulässig erklärt; ebenso vertragliche Bindung, da keine übermässige
Beschränkung der Persönlichkeit (OR Art. 20, 41, 49; ZGB Art. 27, 28). (Erw.
4.)
Unverbindlichkeit, wegen Drohung, des Vertrages, der unter dem Druck des
Boykotts zustande gekommen ist? Verneint, zufolge rechtlicher Erlaubtheit des
in Frage stehenden Boykotts. Grundsätze über die Zulässigkeit des Boykotts.
(OR Art. 29, 30, 41). (Erw. 5).


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Aus dem Tatbestand:
Der Kläger, der Schweiz. Tabakverband, ist ein Verein der Fabrikanten und
Händler von Tabakwaren, der die Sanierung der Preis- und Rabattverhältnisse im
Detailhandel bezweckt. Zur Erreichung dieses Zweckes schlossen die
Vereinsmitglieder unter sich eine sog. Konvention ab, laut der sich die
Händler zur Einhaltung der von den Fabrikanten vorgeschriebenen
Detailverkaufspreise verpflichteten; die Verletzung der übernommenen
Verpflichtungen sollte gewisse, aus den folgenden Erwägungen ersichtliche
Sanktionsmassnahmen nach sich ziehen.
Da der Beklagte Schweiger, Tabakwarenhändler in Zürich, der dem Verband nicht
angehört, es ablehnte, den Weisungen des Verbandes nachzukommen, wurde über
ihn ein Boykott verhängt, worauf er durch Unterzeichnung des sog.
Spezialverpflichtungscheins mit dem Tabakverband eine Vereinbarung schloss,
laut welcher er die Konvention als für sich verbindlich anerkannte und
verschiedene weitere, aus den Erwägungen ersichtliche Verpflichtungen
übernahm. Als Garantie für die Einhaltung seiner Verpflichtungen hinterlegte
er Akzepte für 20000 Fr., die im Falle einer gerichtlich festgestellten
Vertragsverletzung als Konventionalstrafe verfallen sollten.
Wegen Verletzung der übernommenen Verpflichtungen belangt, wurde der Beklagte
vom Handelsgericht Zürich zur Bezahlung der Konventionalstrafe von 20000 Fr.
verurteilt. Das Bundesgericht wies seine Berufung gegen diesen Entscheid ab.
Aus den Erwägungen:
3. ­ Der Beklagte streitet dem Kläger das Recht der Persönlichkeit ab mit der
Begründung, der Kläger verfolge einen unsittlichen und widerrechtlichen Zweck
und habe daher nach Art. 52 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 52 - 1 Die körperschaftlich organisierten Personenverbindungen und die einem besondern Zwecke gewidmeten und selbständigen Anstalten erlangen das Recht der Persönlichkeit durch die Eintragung in das Handelsregister.
1    Die körperschaftlich organisierten Personenverbindungen und die einem besondern Zwecke gewidmeten und selbständigen Anstalten erlangen das Recht der Persönlichkeit durch die Eintragung in das Handelsregister.
2    Keiner Eintragung bedürfen die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten sowie die Vereine, die nicht wirtschaftliche Zwecke verfolgen.80
3    Personenverbindungen und Anstalten zu unsittlichen oder widerrechtlichen Zwecken können das Recht der Persönlichkeit nicht erlangen.
ZGB das Recht der Persönlichkeit überhaupt
nicht erlangen können.
a) Massgebend für die Entscheidung dieser Frage ist

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nach der klaren und eindeutigen Fassung des Art. 52 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 52 - 1 Die körperschaftlich organisierten Personenverbindungen und die einem besondern Zwecke gewidmeten und selbständigen Anstalten erlangen das Recht der Persönlichkeit durch die Eintragung in das Handelsregister.
1    Die körperschaftlich organisierten Personenverbindungen und die einem besondern Zwecke gewidmeten und selbständigen Anstalten erlangen das Recht der Persönlichkeit durch die Eintragung in das Handelsregister.
2    Keiner Eintragung bedürfen die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten sowie die Vereine, die nicht wirtschaftliche Zwecke verfolgen.80
3    Personenverbindungen und Anstalten zu unsittlichen oder widerrechtlichen Zwecken können das Recht der Persönlichkeit nicht erlangen.
ZGB einzig und
allein der Zweck des Verbandes, während auf die Mittel, deren sich der Verband
zur Erreichung seines Zweckes bedient, in diesem Zusammenhang nichts ankommen
kann. Wird ein an und für sich erlaubter Zweck mit widerrechtlichen oder
unsittlichen Mitteln verfolgt, so steht dies der Erlangung der
Rechtspersönlichkeit nicht im Wege, sondern dieses Vorgehen stellt lediglich
eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR dar, die eine
Schadenersatzpflicht des Vereins und der für ihn handelnden Organe nach sich
zieht; ferner sind Rechtsverhältnisse, die unter Anwendung unerlaubter Mittel
zustandegekommen sind, unter Umständen auf Grund von Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
OR wegen
Widerrechtlichkeit oder Unsittlichkeit nichtig (vgl. BGE 54 II S. 164; HAFTER,
Anm. 25, und EGGER, Anm. 8 zu Art. 52
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 52 - 1 Die körperschaftlich organisierten Personenverbindungen und die einem besondern Zwecke gewidmeten und selbständigen Anstalten erlangen das Recht der Persönlichkeit durch die Eintragung in das Handelsregister.
1    Die körperschaftlich organisierten Personenverbindungen und die einem besondern Zwecke gewidmeten und selbständigen Anstalten erlangen das Recht der Persönlichkeit durch die Eintragung in das Handelsregister.
2    Keiner Eintragung bedürfen die öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten sowie die Vereine, die nicht wirtschaftliche Zwecke verfolgen.80
3    Personenverbindungen und Anstalten zu unsittlichen oder widerrechtlichen Zwecken können das Recht der Persönlichkeit nicht erlangen.
ZGB)...
Worin der Zweck eines Vereins bestehe, ist auf Grund seiner Statuten zu
beurteilen, es sei denn, dass der Verein in Wirklichkeit andere als die in den
Statuten genannten Zwecke verfolge, in welchem Fall für die Entscheidung über
die Rechtmässigkeit ohne Rücksicht auf die Statuten der wirklich verfolgte
Zweck massgebend ist (EGGER a.a.O.)...
b) Nach Art. 2 seiner Statuten bezweckt der klägerische Verband «die Sanierung
der Preis- und Rabattverhältnisse beim Verkauf an die Konsumenten der
schweizerischen Tabakbranche». Was unter dieser Sanierung zu verstehen ist,
geht aus Art. 1 der «Konvention» hervor: Es soll erreicht werden, dass die
Tabakwarenhändler beim Verkauf an die Konsumentenschaft die von den Fabriken
für ihre Produkte festgesetzten Detailverkaufspreise einhalten und darauf
verzichten, durch Preisunterbietungen und Rabattgewährung in grossem Masstabe
die Kundschaft an sich zu ziehen versuchen, wie dies im Laufe der Zeit infolge
des überaus scharfen Konkurrenzkampfes im Detailhandel üblich geworden war.
Durch diese Zweckbestimmung charakterisiert sich der klägerische Verband als
ein Preiskartell. Der angestrebte Zweck der

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Einflussnahme auf die Preisgestaltung innerhalb einer bestimmten Branche unter
teilweiser Ausschaltung der freien Konkurrenz ist nun an sich weder
widerrechtlich, noch verstösst er gegen die guten Sitten, wie das
Bundesgericht schon in zahlreichen Fällen entschieden hat (vgl. BGE 54 II S.
164
ff.; 39 II S. 251). Insbesondere ist die Auffassung des Beklagten
irrtümlich, dass jedes Kartell seiner Natur nach widerrechtlich sei, weil eine
derartige Bindung mit dem in Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV aufgestellten Grundsatz der Handels-
und Gewerbefreiheit in einem unvereinbaren Widerspruche stehe. Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV
bezieht sich, wie das Bundesgericht schon wiederholt entschieden hat (vgl. BGE
32 II S. 368; 52 II S. 384; GYSIN, Grundlinien des schweizerischen
Kartellrechts, in der «Zeitschrift für Schweiz. Recht», Neue Folge, Band 49 S.
428), lediglich auf das Verhältnis des Bürgers zum Staate, gegen dessen
Eingriffe jener durch die Aufstellung des erwähnten Verfassungsgrundsatzes
geschützt werden soll. In welchem Umfang die tatsächliche Einschränkung der
freien Konkurrenz durch private Monopolgebilde vor dem Rechte Bestand hat,
beurteilt sich dagegen, solange spezielle Bestimmungen nach der Art der
ausländischen Kartellgesetze im schweizerischen Recht fehlen, ausschliesslich
nach den allgemeinen Grundsätzen des Obligationenrechts.
Ein Preiskartell wird nach der Praxis des Bundesgerichtes erst dann unerlaubt,
wenn durch die Einflussnahme auf die Preisgestaltung eine künstliche, durch
nichts gerechtfertigte Hochhaltung der Preise angestrebt wird in der Absicht,
die Käuferschaft in wucherischer Weise auszubeuten, und zwar gilt dies in ganz
besonderem Masse dort, wo lebenswichtige Nahrungsmittel in Frage stehen (BGE
54 II S. 168; 37 II S. 211; 33 II S. 117; 31 II S. 915). Diese Voraussetzungen
sind im vorliegenden Falle jedoch nach keiner Richtung erfüllt: Der Tabak ist
kein lebenswichtiger, unentbehrlicher Stoff, sondern ein ausgesprochenes
Genussmittel, und das vom Verband angestrebte Ziel besteht nicht in einer
wucherischen Ausbeutung der Käuferschaft,

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sondern es soll nur gewissen Auswüchsen der freien Konkurrenz gesteuert
werden...
Steht somit der Zweck des klägerischen Vertandes mit der Rechtsordnung nicht
im Widerspruch, so hat dieser die Rechtspersönlichkeit erlangt.
4. ­ a) Wie bereits erwähnt wurde, schliesst der Umstand, dass der vom
klägerischen Verband angestrebte Zweck weder rechtswidrig noch unsittlich ist,
nicht ohne weiteres aus, dass die Mittel, deren sich der Verband zur
Durchsetzung seiner Bestrebungen bedient, den Rahmen des rechtlich Erlaubten
überschreiten können. Dies ist nach der Auffassung des Beklagten der Fall...
b) Grosses Gewicht legt der Beklagte sodann auf seine Behauptung, der
klägerische Verband verwende bei der Verfolgung seiner Ziele «ein Spionage-
und Schmiergeldersystem», indem der einzelne Geschäftsinhaber durch bezahlte
Aufpasser bespitzelt und überwacht werde... Nun ist allerdings richtig, dass
das Bundesgericht in Band 57 II S. 342 f. die von einem Berufsverband
angeordnete Überwachung und Bespitzelung eines Aussenseiters als
widerrechtlichen Einbruch in die Geheimsphäre der wirtschaftlichen
Persönlichkeit (Art. 49
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 49 - 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, hat Anspruch auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt und diese nicht anders wiedergutgemacht worden ist.
1    Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, hat Anspruch auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt und diese nicht anders wiedergutgemacht worden ist.
2    Anstatt oder neben dieser Leistung kann der Richter auch auf eine andere Art der Genugtuung erkennen.
OR in Verbindung mit Art. 28
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 28 - 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
1    Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
2    Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
ZGB) bezeichnet hat.
Allein im vorliegenden Fall liegt die Sache ganz anders: Der Beklagte war
nicht Aussenseiter im eigentlichen Sinn des Wortes; er hatte, ohne dem
klägerischen Verband als Mitglied beizutreten, sich doch vertraglich zur
Beobachtung eines bestimmten Verhaltens in seinem Geschäftsgebaren
verpflichtet, und auf die Einhaltung dieser Verpflichtungen hatte der
klägerische Verband Anspruch. Eine wirksame Kontrolle hierüber war aber gar
nicht anders denkbar, als eben durch eine eingehende Überwachung durch Spione
und Spitzel, so unsympathisch derartige Erscheinungen im allgemeinen auch
anmuten mögen. Als unstatthaft wäre ein solches Vorgehen des Verbandes
allenfalls dann zu bezeichnen, wenn er nicht den geringsten Anlass gehabt
hätte, an der Vertragstreue der Gegenpartei zu zweifeln; wie jedoch

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aus den Akten hervorgeht, hatte der Beklagte schon wiederholt ähnliche
Verpflichtungen eingegangen und mit dem «heiligsten Ehrenwort» bekräftigt, um
sie unmittelbar darauf wieder in gröblicher Weise zu verletzen...
c) Der Spezialverpflichtungsschein, den der Kläger in Verfolgung seines
Zweckes vom Beklagten hat unterzeichnen lassen, weist nach der Ansicht des
letzteren einen rechtswidrigen und unsittlichen Inhalt auf und soll darum
nichtig sein...
Es ist nun ohne weiteres zuzugestehen, dass die darin vom Beklagten
übernommenen Verpflichtungen (Einhaltung vorgeschriebener Preise, Unterlassung
der Belieferung von gesperrten Firmen, Befolgung der sonstigen gegenwärtigen
und zukünftigen Weisungen des Verbandes, Überbindung aller dieser
Verpflichtungen auf einen Geschäftsnachfolger) in ihrer Gesamtheit betrachtet
einen ausserordentlich tief einschneidenden Eingriff in die wirtschaftliche
Bewegungsfreiheit des Beklagten bedeuten. Wäre diese Bindung als auf
unbeschränkte Zeit eingegangen zu verstehen, wie der Kläger dies behauptet, so
müsste sie wohl als zu weitgehend und mit Art. 27
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 27 - 1 Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten.
1    Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten.
2    Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.
ZGB nicht mehr vereinbar
bezeichnet werden. Mit Rücksicht darauf, dass im Spezial-Verpflichtungsschein
die Konvention zum Vertragsbestandteil erhoben wurde, ist jedoch mit der
Vorinstanz anzunehmen, dass damit auch die in Art. 10 der Konvention
vorgesehene Kündigungsmöglichkeit je auf Ende des Jahres unter Einhaltung
einer dreimonatigen Kündigungsfrist, für die Verpflichtungen des
Unterzeichners des Spezial-Verpflichtungsscheins gelten sollte, ohne dass es
noch einer besonderen Erwähnung der Kündigungsmöglichkeit im Schein selber
bedurft hätte. Mindestens aber wäre nach den im Falle Schmuklersky (BGE 62 II
S. 35
) vom Bundesgericht aufgestellten Grundsätzen die Kündbarkeit als
stillschweigend vereinbart zu betrachten, weil nicht vorausgesetzt werden
darf, dass die Parteien einen nichtigen Vertrag zu schliessen beabsichtigt
hätten.

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Wird aber von der Kündbarkeit des Vertrages ausgegangen, so überschreiten die
Bindungen des Beklagten die Grenzen des rechtlich Zulässigen nicht:
Die Verpflichtung zur Einhaltung der vorgeschriebenen Detailverkaufspreise
(die sog. Preisbindung der zweiten Hand) ist vom Bundesgericht schon
wiederholt als zulässig erklärt worden (BGE 24 II S. 437; 54 II S. 172; GYSIN,
a.a.O., S. 415). Ebensowenig lässt sich etwas Stichhaltiges einwenden gegen
die Verpflichtung des Beklagten, die Belieferung ihm bekanntgegebener
gesperrter Firmen zu unterlassen, da mit dieser Massnahme, wie im folgenden zu
zeigen sein wird, nicht die Vernichtung derselben bezweckt wurde, was
allerdings über den Rahmen des Erlaubten hinausgegangen wäre. Die
Verpflichtung, «den bestehenden und kommenden Weisungen und Beschlüssen des
Schweiz. Tabakverbandes... restlos und loyal nachzuleben und solche
auszuführen», die der Beklagte in ganz besonderem Masse als unsittlich
empfindet, bedeutet ihrem wahren Sinn nach eine Seltstverständlichkeit, da sie
nichts anderes besagen will, als was schon in der Anerkennung der Konvention
liegt. Die dort vorgesehene Einschränkung der persönlichen Freiheit des
Einzelnen im Interesse des gesamten Verbandes aber ist unumgängliche
Voraussetzung für die Wirksamkeit jeden Zusammenschlusses zur Verfechtung
gemeinsamer Interessen und daher nicht zu vermeiden. Eine andere, hier jedoch
nicht zu prüfende Frage ist dagegen, wie weit diese Gehorsamspflicht eines
Mitgliedes und damit auch des Beklagten reiche. Zur Ausführung willkürlicher
oder gar widerrechtlicher Anordnungen verpflichtete sich der Beklagte durch
seine Anerkennung selbstverständlich nicht. Dass er bei der Fassung der
Verbandsbeschlüsse, denen er sich durch seine Verpflichtung unterwarf, kein
Mitspracherecht hatte, ist nichts ungewöhnliches, sondern ergibt sich daraus,
dass er eben nicht Mitglied des Verbandes war. Die Bestimmung, dass der
Beklagte bei einem Geschäftsverkauf die übernommenen Verpflichtungen dem
Erwerber überbinden müsse,

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ist bei Kündbarkeit des Vertrages auch nicht zu beanstanden. Bestimmungen
dieses Inhalts sind nicht selten bei Milch-, Käsereigenossenschaften und dgl.;
ja Art. 839 des Entwurfes von 1928 zum rev. Gesellschaftsrecht sieht sogar
vor, dass dort, wo die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft vom Eigentum
oder der Bewirtschaftung eines Grundstücks abhängig gemacht ist, in den
Statuten für den Fall der Handänderung oder der Betriebsübernahme der
automatische Übergang der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft angeordnet
werden könne ­ immerhin unter Vorbehalt des Kündigungsrechtes des Erwerbers
bezw. Übernehmers...
Die Vereinbarung einer Konventionalstrafe und deren Sicherstellung durch
Hinterlage von Akzepten des Beklagten endlich ist eine durchaus gebräuchliche
Form, die Erfüllung übernommener Verpflichtungen zu garantieren, die im
vorliegenden Falle um so unbedenklicher als zulässig bezeichnet werden darf,
als ja die Wechsel nicht nach dem Ermessen des klägerischen Verbandes in
Umlauf gesetzt werden sollten, sondern erst nach rechtsgültiger Feststellung
in einem Gerichtsverfahren, dass der Beklagte seine vertraglichen
Verpflichtungen verletzt habe.
5. ­ Der Beklagte nimmt weiter den Standpunkt ein, der Verpflichtungsschein
sei für ihn unverbindlich, weil er ihn nur unter dem Zwang des Boykotts
unterzeichnet habe...
b) Dieser Einwand ist jedoch nicht stichhaltig. Der erzwungene Vertrag wäre
für ihn nämlich nur unter der Voraussetzung unverbindlich, dass er durch eine
widerrechtliche Drohung zu dessen Abschluss veranlasst worden wäre. Eine
solche liegt aber nicht schon vor, wenn einer Partei für den Fall, dass sie
einen Vertrag nicht abschliesse, die Zufügung eines Übels in Aussicht gestellt
wird, sondern für die Widerrechtlichkeit ist überdies erforderlich, dass die
Zufügung des Übels entweder geradezu eine unerlaubte Handlung im Sinne von
Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR darstelle oder doch zum mindesten nicht als das nach den

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Gepflogenheiten des Lebens geeignete Mittel erscheine, den Willen der
Gegenpartei zu beeinflussen (OSER-SCHÖNENBERGER, Anm. 11 ff., insbes. 18 zu
Art. 29
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 29 - 1 Ist ein Vertragschliessender von dem anderen oder von einem Dritten widerrechtlich durch Erregung gegründeter Furcht zur Eingehung eines Vertrages bestimmt worden, so ist der Vertrag für den Bedrohten unverbindlich.
1    Ist ein Vertragschliessender von dem anderen oder von einem Dritten widerrechtlich durch Erregung gegründeter Furcht zur Eingehung eines Vertrages bestimmt worden, so ist der Vertrag für den Bedrohten unverbindlich.
2    Ist die Drohung von einem Dritten ausgegangen, so hat, wo es der Billigkeit entspricht, der Bedrohte, der den Vertrag nicht halten will, dem anderen, wenn dieser die Drohung weder gekannt hat noch hätte kennen sollen, Entschädigung zu leisten.
OR). Da im vorliegenden Fall das Übel, mit dessen Zufügung der Kläger
dem Beklagten drohte, in der Verhängung bezw. Fortsetzung des bereits
verhängten Boykotts bestand, so ist für die Entscheidung über die Einrede der
Drohung letzten Endes massgebend, ob die vom Kläger bereits angewendeten und
weiter in Aussicht genommenen Boykottmassnahmen unter dem einen oder andern
der beiden oben genannten Gesichtspunkte als unerlaubt qualifiziert werden
müssen.
Wie das Bundesgericht schon in zahlreichen Fällen erkannt hat, ist der Boykott
an sich ein zulässiges wirtschaftliches Kampfmittel und nicht etwa schon
deshalb widerrechtlich oder unsittlich, weil er die ökonomischen Interessen
des von ihm Betroffenen beeinträchtigt (vgl. BGE 51 II S. 529; 56 II S. 435;
57 II S. 341 und 488; 58 II S. 225 Erw. 2). Unzulässig wird er erst unter
gewissen Voraussetzungen, nämlich dann, wenn entweder der angestrebte Zweck
oder die zur Erreichung desselben angewendeten Mittel rechtswidrig oder
unsittlich sind, oder endlich, wenn der dem Boykottierten zugefügte Schaden in
keinem Verhältnis steht zu der Bedeutung der vom andern Teil verfolgten
Interessen (OSER-SCHÖNENBERGER, Anm. 40 ff. zu Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
OR und dort erwähnte
Entscheide). In der Frage, unter welchen Umständen diese Voraussetzungen als
erfüllt zu betrachten seien, hat sich die Auffassung im Laufe der Zeit
gewandelt, und auch heute noch ist die Rechtssprechung über diesen Punkt nicht
restlos gefestigt: Nach der früheren Praxis des Bundesgerichtes wurde nämlich
ein Boykott, der auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des
Betroffenen abzielte oder doch zufolge der angewandten Mittel geeignet war,
dieses Resultat herbeizuführen, unter allen Umständen als widerrechtlich
betrachtet, da die wirtschaftliche Existenz des Einzelnen, sein Recht auf
Betätigung der wirtschaftlichen

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Persönlichkeit, höher einzuschätzen sei als irgendwelche an sich ebenfalls
berechtigte Berufsinteressen einer Standesorganisation (vgl. statt vieler BGE
40 II S. 619). In der neueren Rechtssprechung dagegen wurde die Frage der
Zulässigkeit des Boykotts nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt der Verletzung
der wirtschaftlichen Persönlichkeit, als vielmehr unter demjenigen des
Verstosses gegen die guten Sitten beurteilt, was dazu führte, dass unter
Umständen auch die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz eines andern als
schutzwürdiger Zweck und zweckgemässes Mittel zur Erreichung eines erlaubten
Zieles betrachtet werden kann (BGE 54 II S. 174 und dort zitierte Entscheide;
BOLLA, Il boicottaggio nel diritto civile svizzero, in «Zeitschrift für
schweiz. Recht» Neue Folge 47 S. 243 a).
Welcher dieser beiden Theorien der Vorzug zu geben sei, kann indes für den
vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da der über den Beklagten verhängte,
bezw. angedrohte Boykott nach keiner der beiden Auffassungen als unzulässig
erscheint. Was der klägerische Verband mit dem Boykott des Beklagten
bezweckte, war nicht dessen wirtschaftliche Vernichtung, sondern seine
Unterwerfung, das Bestreben, ihn zur Mitwirkung an der vom Verband
eingeleiteten Aktion zur Sanierung der Preisverhältnisse im Detailhandel zu
veranlassen, also zur Mitwirkung an einem Unternehmen, das gemäss den oben
gemachten Ausführungen durchaus erlaubt war. Ebenso waren die Mittel, die der
Kläger bei der Durchführung des Boykotts anwandte und in Zukunft anzuwenden
gedachte, nicht dazu angetan, die Existenz des Beklagten zu vernichten. Es
wurde ja über ihn nicht die vollständige Belieferungssperre verhängt und eine
solche Massnahme war auch nicht in Aussicht genommen für den Fall einer
Weigerung, den Verpflichtungsschein zu unterzeichnen. Die Boykottmassnahmen
bestanden vielmehr darin, dass die Bezugspreise für den Beklagten um zirka 10%
erhöht wurden, um ihm die weitere Preisunterbietung zu verunmöglichen, ferner
dass er zur Erleichterung der Kontrolle nur noch durch die Fabriken beliefert
werden sollte, unter Ausschluss des Engros- und

Seite: 107
Migroshandels, sowie dass die Belieferung nur gegen Vorausbezahlung erfolgen
sollte. Alle diese Massnahmen bedeuteten zweifellos eine gewisse Erschwerung
der geschäftlichen Tätigkeit des Beklagten; wieso sie aber zu dessen Ruin zu
führen geeignet gewesen wären, ist nicht einzusehen. Der Beklagte macht ja
selber nicht geltend, die Preiszuschläge seien derart gross gewesen oder wären
es in Zukunft geworden, dass er nicht mehr zu den regulären Preisen, wie sie
von der Grosszahl der übrigen Detailgeschäfte eingehalten wurden, hätte
verkaufen können und deshalb zum vorneherein konkurrenzunfähig geworden
wäre... Schliesslich war auch das vom klägerischen Verband angestrebte Ziel,
die Bekämpfung der Preisschleuderei zur Sicherung der Existenz der ihm
angeschlossenen Detailhändler, von derart grosser Bedeutung, dass nicht gesagt
werden kann, die dem Beklagten durch die erwähnten Boykottmassnahmen
verursachte Erschwerung des wirtschaftlichen Fortkommens stehe in keinem
vernünftigen Verhältnis dazu; denn es liegt auf der Hand, dass die
Sanierungsaktion nur dann Aussicht auf Erfolg hatte, wenn alle oder doch eine
stark überwiegende Mehrheit der Detaillisten sich an ihr beteiligten, so dass
die Mitwirkung oder Nichtmitwirkung jedes einzelnen Händlers für das gesamte
Unternehmen von der grössten Bedeutung war und darum auch die Anwendung
gewisser Druckmittel rechtfertigte.
Dass sodann die Androhung und Verhängung eines sich im Rahmen des rechtlich
Erlaubten haltenden Boykotts nach den Gepflogenheiten des Lebens das geeignete
Mittel war, den Beklagten zum Abschluss der vom Tabakverband erstrebten
Vereinbarung zu bringen, kann nicht bezweifelt werden; auf welche andere Weise
der klägerische Verband, ausser dem bereits erfolglos versuchten Erheben
gütlicher Vorstellungen unter Appellierung an die Berufssolidarität des
Beklagten, auf dessen Entschliessung hätte einwirken können, lässt sich
überhaupt kaum denken...
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 62 II 97
Date : 01. Januar 1936
Published : 12. Februar 1936
Source : Bundesgericht
Status : 62 II 97
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Preisbindungsvertrag zwischen einem Kartell und einem Aussenseiter:Preiskartell in der Form des...


Legislation register
BV: 31
OR: 20  29  41  49
ZGB: 27  28  52
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