S. 32 / Nr. 10 Obligationenrecht (d)

BGE 62 II 32

10. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Februar 1936 i. S.
Schweiz. Tabakverband gegen Schmuklersky.

Regeste:
Preisbindungsvertrag: Kündbarkeit beim Fehlen vertraglicher Bestimmungen (Erw.
5).
Begriff des Vereins zu nicht wirtschaftlichen Zwecken ZGB Art. 59, 60 (Erw.
1).


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Aus den Tatbestand:
Der Beklagte Schmuklersky, Tabakwarenhändler in Zürich, hatte im Jahre 1928
mit einigen Zigarettenfabriken ein Abkommen getroffen, laut welchem er sich
zur Einhaltung der ihm von jenen vorgeschriebenen Detailverkaufspreise
verpflichtete; jede Zuwiderhandlung sollte eine Konventionalstrafe von 500 Fr.
nach sich ziehen. Eine Kündigungsmöglichkeit sah der Vertrag nicht vor. Der
Beklagte hielt sich jedoch von Ende 1931 nicht mehr an die vorgeschriebenen
Detailpreise; am 29. September 1933 kündigte er den Vertrag auf Ende November
1933. Seine Vertragspartner nahmen die Kündigung jedoch nicht an und traten
ihre Konventionalstrafansprüche aus dem Vertrag an den inzwischen gegründeten
Schweiz. Tabakverband ab, der Schmuklersky für die im Jahre 1934 begangenen
Preisunterbietungen auf eine Konventionalstrafe von 50000 Fr. belangte. Das
Handelsgericht Zürich schützte die Klage für den Betrag von 20000 Fr. mit der
Begründung, der Vertrag sei zwar kündbar, aber die Kündigung sei erst auf Ende
Juli 1934 wirksam geworden. Das Bundesgericht hat die Berufung beider Parteien
abgewiesen.
Aus der Begründung:
1.- Der Beklagte hält der Klage in erster Linie die Einrede entgegen, dass der
Tabakverband im vorliegenden Prozesse gar nicht als Partei auftreten könne, da
ihm die juristische Persönlichkeit fehle und er somit gar kein selbständiges
Rechtssubjekt sei; denn er sei nicht ein Verein zu nichtwirtschaftlichen
Zwecken im Sinne von Art. 60
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 60 - 1 Vereine, die sich einer politischen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen, wohltätigen, geselligen oder andern nicht wirtschaftlichen Aufgabe widmen, erlangen die Persönlichkeit, sobald der Wille, als Körperschaft zu bestehen, aus den Statuten ersichtlich ist.
1    Vereine, die sich einer politischen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen, wohltätigen, geselligen oder andern nicht wirtschaftlichen Aufgabe widmen, erlangen die Persönlichkeit, sobald der Wille, als Körperschaft zu bestehen, aus den Statuten ersichtlich ist.
2    Die Statuten müssen in schriftlicher Form errichtet sein und über den Zweck des Vereins, seine Mittel und seine Organisation Aufschluss geben.
ZGB, sondern verfolge wirtschaftliche Interessen
und bedürfe somit nach Art. 59 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
ZGB zur Erlangung der
Rechtspersönlichkeit der Eintragung im Handelsregister, welcher Formalität er
nicht genügt habe.
Diese Einrede ist jedoch unstichhaltig, wie schon die Vorinstanz mit Recht
entschieden hat. Wenn auch das vom Tabakverband gemäss § 2 seiner Statuten
angestrebte

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Ziel, nämlich die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der
Tabakwarenhändler im allgemeinen, an sich zweifellos dem Gebiete der
Wirtschaft angehört, so ist damit doch noch nicht ohne weiteres gesagt, dass
sich der Verband einer wirtschaftlichen Aufgabe im Sinne von Art. 59 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.

ZGB widme. Von der Verfolgung einer wirtschaftlichen Aufgabe im hier
massgebenden Sinne kann vielmehr, wie das Bundesgericht schon in seinem
Entscheid vom 5./ó. Dez. 1934 i. S. Fédération suisse des associations de
fabricants d'horlogerie und Kons. gegen Degoumois & Cie (Journ. d. Trib. 1935
p. 66) ausgeführt hat, erst dann gesprochen werden, wenn der Verband selber in
dem in Frage stehenden Wirtschaftssektor durch den Betrieb eines
industriellen, gewerblichen oder Handelsunternehmens eine aktive geschäftliche
Tätigkeit entfaltet. Dass dem so ist, zeigt die Entstehungsgeschichte der in
Frage stehenden Gesetzesbestimmungen: Der Aufstellung der Registerpflicht für
Vereinigungen zu wirtschaftlichen Zwecken lag das Bestreben des Gesetzgebers
zu Grunde, dem Geschäftsverkehr eine möglichst grosse Rechtssicherheit zuteil
werden zu lassen: Wer in den Fall komme, mit einer solchen Vereinigung in
geschäftliche Beziehungen zu treten, sollte sich über deren nähere
Verhältnisse leicht Klarheit verschaffen können. Aus dieser Überlegung heraus
hatten sowohl der Bundesrat in seinem Entwurf von 1904, wie die
nationalrätliche Kommission die Erlangung der Rechtspersönlichkeit vom Eintrag
ins Handelsregister abhängig machen wollen für jeden Verein, der einen
wirtschaftlichen Betrieb nach kaufmännischer Art führe, ungeachtet dessen, ob
dieser nun Selbstzweck oder bloss Mittel zur Erreichung eines andern Zweckes
sei (Entwurf des Bundesrates Art. 70; Botschaft dazu S. 19; Sten. Bull. Nat.
Rat. 15 S. 480). Auf Anregung der ständerätlichen Kommission (Sten. Bull.
Ständerat 15 S. 939) wurde jedoch die Differenzierung geschaffen, dass nur
dort, wo der wirtschaftliche Betrieb Selbstzweck ist, der
Handelsregistereintrag Voraussetzung für die Erlangung des
Persönlichkeitsrechtes bildet, also konstitutiven Charakter

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hat, während der Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens als Mittel zu
einem andern Zwecke, bei dem das Bedürfnis nach Rechtssicherheit nicht diese
überragende Bedeutung hat, zwar ebenfalls die Eintragspflicht nach sich zieht,
aber nur im Sinne einer Ordnungsvorschrift, deren Nichterfüllung der Erlangung
der Rechtspersönlichkeit nicht im Wege steht, sondern nachgeholt werden kann -
wenn nötig zwangsweise durch Eintragung von Amtes wegen.
Der Tabakverband betreibt nun unbestrittenermassen weder ein Handelsgeschäft
in Rohtabak oder Tabakwaren, noch ein Fabrikationsgeschäft von solchen,
sondern seine Tätigkeit beschränkt sich auf die Förderung der wirtschaftlichen
Interessen des gesamten Standes der Tabakwarenhändler, ob sie nun Mitglieder
des Verbandes seien oder nicht (vgl. Art. 1, 2, 5 der Statuten). Er darf daher
noch als Verein zu nicht-wirtschaftlichen Zwecken angesehen werden und ist
somit, da im übrigen die Voraussetzungen für die Erlangung der
Rechtspersönlichkeit - der in den Statuten ausgesprochene Wille hiezu und die
erforderliche körperschaftliche Organisation - gegeben sind, auch ohne Eintrag
im Handelsregister existent...
5.- ... Damit bleibt einzig noch die Einrede übrig, dass der Vertrag durch die
Kündigung auf Ende November 1933 aufgelöst worden sei.
Obwohl der Vertrag keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Möglichkeit und
die Modalitäten einer Kündigung enthält und die Vorbringen der Parteien keinen
Anhaltspunkt dafür geben, dass diese Frage bei den Vertragsverhandlungen je
zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden wäre, so muss doch grundsätzlich
die Kündbarkeit des Vertrages bejaht werden; denn eine derart weittragende
Bindung des Beklagten ohne die Möglichkeit, jemals die Freiheit des Handelns
wieder zurücknehmen zu können würde eine mit dem Grundsatz von Art. 27
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 27 - 1 Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten.
1    Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten.
2    Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken.
ZGB
unvereinbare Beschränkung der persönlichen Freiheit bedeuten, die nach Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.

OR nichtig wäre; es ist jedoch nicht ohne Not vorauszusetzen, die Parteien
hätten einen nichtigen Vertrag abzuschliessen beabsichtigt. Dass ganz
allgemein

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bei Dauerverträgen ein Kündigungsrecht mit einer den Umständen angemessenen
Kündigungsfrist als vereinbart anzusehen sei, wie v. TUHR (OR II S. 652 Anm.
51) annimmt, kann zwar in dieser allgemeinen Form kaum aufrechterhalten
werden: Das Bundesgericht hat in Band 56 II S. 190 ff. einen für den Vermieter
auf die Dauer der Berufsausübung des Mieters unkündbaren Mietvertrag als
zulässig erklärt. Allein der Verzicht auf die Verfügung über eine bestimmte
Sache lässt sich nicht auf dieselbe Stufe stellen mit einem so einschneidenden
Eingriff, wie ihn die vom Beklagten eingegangene Beschränkung der gesamten
Lebensbetätigung auf wirtschaftlichem Gebiete darstellt.
Aus den vorstehenden Erwägungen, die zur grundsätzlichen Anerkennung der
Kündbarkeit des Vertrages führen, ergibt sich zugleich auch die Unhaltbarkeit
der Auffassung des Klägers, dass der Vertrag zwar gekündigt werden könne, aber
nur beim Vorliegen wichtiger Gründe. Eine derartige Beschränkung würde nämlich
dem oben entwickelten Grundsatz, dass bei einer Bindung von der Tragweite, wie
sie hier in Frage steht, der Verpflichtete nach einer gewissen Zeitspanne
wieder die Handlungsfreiheit muss erlangen können, in keiner Weise gerecht;
denn sobald die Kündigung nur aus wichtigen Gründen zulässig wäre, so wäre für
die freie Willensbetätigung des Verpflichteten, um derentwillen doch die
Kündigungsmöglichkeit als erforderlich betrachtet wird, überhaupt kein Raum:
Es hinge nicht mehr vom Verpflichteten ab, ob er das Vertragsverhältnis nach
Ablauf einer angemessenen Zeitspanne weiterführen oder es auflösen wolle,
sondern es müssten noch weitere, von seinem Willen unabhängige Umstände, eben
die wichtigen Gründe, hinzukommen, vermöge deren erst sein Interesse an der
Befreiung von der Bindung auch bei objektiver Betrachtung erheblich grösser
erschiene, als das entgegengesetzte Interesse des Vertragspartners an der
Fortsetzung des Vertrages....
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 62 II 32
Date : 01. Januar 1936
Published : 11. Februar 1936
Source : Bundesgericht
Status : 62 II 32
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Preisbindungsvertrag: Kündbarkeit beim Fehlen vertraglicher Bestimmungen (Erw. 5).Begriff des...


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