S. 85 / Nr. 20 Staatsverträge (d)

BGE 62 I 85

20. Urteil vom 16. Juli 1936 i. S. Koblitz gegen Leutgeb.

Regeste:
Art. 1 Abs. 1 Ziff. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 1 Schweizerische Eidgenossenschaft - Das Schweizervolk und die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf und Jura bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft.
und Art. 2 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 2 Zweck - 1 Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
1    Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
2    Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.
3    Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern.
4    Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.
des Vollstreckungsabkommens mit
Österreich, Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV. Zulässigkeit der Vollstreckung eines österreichischen
Urteils in einem Fall, wo

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der Beklagte zur Zeit der Klageanhebung den Wohnsitz weder in der Schweiz,
noch in Österreich, sondern in einem dritten Stante hatte.

A. - Das Landesgericht für Zivilrechtssachen in Wien verurteilte am 4. Februar
1935 den Rekurrenten Koblitz, der damals in Stettin wohnte, zur Zahlung eines
Forderungsbetrages an die Rekursbeklagte Leutgeb in Wien. Diese hob gestützt
auf das Urteil in Zürich, wohin der Rekurrent inzwischen gezogen war, gegen
diesen die Betreibung an und stellte, nachdem der Rekurrent Recht
vorgeschlagen hatte, das Begehren, das Urteil sei als vollstreckbar zu
erklären und für eine Forderung von 6389 Fr. 30 Cts. nebst Zins definitive
Rechtsöffnung zu erteilen. Der Einzelrichter des Bezirkes Zürich im
summarischen Verfahren wies das Begehren ab. Die IV. Kammer des Obergerichtes
des Kantons Zürich, an die M. Leutgeb rekurrierte, erklärte dagegen am 7. Mai
1936 das Urteil des Landesgerichtes in Wien als vollstreckbar und gewährte
demgemäss definitive Rechtsöffnung
«a) für den Betrag von 6389 Fr. 10 Cts. . . . .»
B. - Gegen dieses Urteil hat Koblitz die staatsrechtliche
Beschwerde ergriffen mit dem Antrag, es sei wegen
Verletzung des Vollstreckungsabkommens mit Österreich
und Willkür aufzuheben.
C. - Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
...........................................................................
Als der Rekurrent in Wien belangt wurde, hatte er seinen Wohnsitz in
Deutschland. Er bestritt die Zuständigkeit des Wiener Gerichtes. Dieses
bejahte sie gestützt auf den Gerichtsstand des Vermögens. Nach § 99 der
österreichischen Jurisdiktionsnorm kann gegen Personen, welche im Inland
keinen Wohnsitz haben, wegen vermögensrechtlicher Ansprüche bei jedem Gerichte
Klage erhoben werden, in dessen Sprengel sich Vermögen der

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Person befindet (auch die deutsche ZPO, § 23, kennt diesen Gerichtsstand des
Vermögens). Der Rekurrent hatte dann die Vollstreckbarkeit des Urteils in der
Schweiz wegen Unzuständigkeit des Wiener Richters und auch aus dem
Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung bestritten. Er erneuert diesen Einwand
im staatsrechtlichen Rekurs, ohne aber einen Verstoss gegen die schweizerische
öffentliche Ordnung geltend zu machen: auf dem Boden des Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV sei der
Rekurrent durch das Wiener Urteil willkürlich seinem Richter entzogen worden;
deshalb dürfe es nicht vollstreckt werden.
Art. 1 I 1 des Abkommens mit Österreich macht die Vollstreckung eines Urteils
u. a. davon abhängig, dass die Grundsätze, die im Staat, wo die Vollstreckung
verlangt wird, über die zwischenstaatliche Zuständigkeit der Gerichte
bestehen, die Gerichtsbarkeit des andern Staates nicht ausschliessen. Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.

BV ist ein solcher Grundsatz über die zwischenstaatliche Zuständigkeit der
Gerichte. Er schreibt vor, dass der aufrechtstehende Schuldner, der in der
Schweiz einen festen Wohnsitz hat, für persönliche Ansprachen vor dem Richter
seines Wohnsitzes gesucht werden muss. Vom schweizerischen Standpunkt aus
erscheint bei dieser Sachlage auch ein ausländischer Richter als inkompetent.
Allein diese Regel trifft auf den vorliegenden Tatbestand nicht zu, da ja der
Rekurrent zur Zeit der Klageanhebung seinen Wohnsitz nicht in der Schweiz
hatte. Um sie hier anzuwenden, müsste man nicht vom wirklichen, sondern von
einem hypothetischen Tatbestand ausgehen, von der Fiktion nämlich,,der
Rekurrent habe damals in der Schweiz gewohnt. Das widerspricht aber der klaren
Ordnung des Abkommens in Art. 1 I 1 , nach der es darauf ankommt, ob die im
Vollstreckungsstaat geltenden Grundsätze der Anerkennung der Zuständigkeit des
Richters, der das zu vollstreckende Urteil erlassen hat, im Wege stehen. (In
diesem Sinne auch STAUFFER, die Verträge der Schweiz mit Österreich und der
Tschechoslovakei, 20 f.). Es ist auch sonst kein Grund ersichtlich, weshalb
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in der Vollstreckungsfrage das Prinzip des Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV analog auf Verhältnisse
bezogen werden soll, die nicht darunter fallen und andern zwischenstaatlichen
Kompetenzregeln unterstehen. Als der Prozess gegen den Rekurrenten in Wien
eingeleitet und geführt wurde, konnte für die Frage der Zuständigkeit des
Wiener Richters und deren Anerkennung neben dem österreichischen Recht nur
noch das deutsche in Betracht kommen, das gleichfalls den Gerichtsstand des
Vermögens kennt, gestützt auf den das Landesgericht in Wien seine
Zuständigkeit bejaht hat (im staatsrechtlichen Rekurs wird nicht behauptet,
dass der Gerichtsstand des Vermögens in Wien mangels dortigen Vermögens des
Rekurrenten nicht zugetroffen habe).
Die These des Rekurrenten lässt sich auch nicht etwa auf den Art. 2 Abs. 1 des
Abkommens stützen. Diese Bestimmung schliesst sich an Art. 1 I 1 an. Sie soll
die Parität der Vertragsstaaten herstellen, was die Gewährleistung des
Wohnsitzrichters und deren Nichtbeachtung als Grund der Nichtvollstreckung
anlangt (Botschaft BBl 1927 1
379). Auch in Österreich kann danach die Vollstreckung eines Urteils
betreffend einen persönlichen Anspruch verweigert werden, wenn der
(zahlungsfähige) Beklagte zur Zeit der Klageanhebung dort seinen Wohnsitz hat.
Das «insbesondere» will nicht andeuten, dass das Prinzip des Wohnsitzrichters
noch in andern Fällen im Sinn des Art. 1 I 1 wirken soll, etwa wenn der
Beklagte zur Zeit der Klageanhebung seinen Wohnsitz in einem dritten Staate
hatte, sondern nur zum Ausdruck bringen (was freilich sprachlich nicht ganz
einwandfrei geschieht), dass Art. 2 Abs. 1 als Ausführung zu Art. 1 I 1
gedacht ist (so auch das Vollstreckungsabkommen mit der Tschechoslovakei vom
21. Dezember 1926 Art. 2; BBl 1927 I 376).
........................................................
Demnach erkennt das Bundesgericht: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 62 I 85
Datum : 01. Januar 1936
Publiziert : 16. Juli 1936
Quelle : Bundesgericht
Status : 62 I 85
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 1 Abs. 1 Ziff. 1 und Art. 2 Abs. 1 des Vollstreckungsabkommens mit Österreich, Art. 59 BV...


Gesetzesregister
BV: 1 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 1 Schweizerische Eidgenossenschaft - Das Schweizervolk und die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg, Genf und Jura bilden die Schweizerische Eidgenossenschaft.
2 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 2 Zweck - 1 Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
1    Die Schweizerische Eidgenossenschaft schützt die Freiheit und die Rechte des Volkes und wahrt die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes.
2    Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.
3    Sie sorgt für eine möglichst grosse Chancengleichheit unter den Bürgerinnen und Bürgern.
4    Sie setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und für eine friedliche und gerechte internationale Ordnung.
59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BGE Register
62-I-85
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bezirk • bezogener • bundesgericht • definitive rechtsöffnung • deutschland • einzelrichter • fester wohnsitz • fiktion • frage • garantie des wohnsitzrichters • persönliche ansprache • richterliche behörde • schuldner • staatsrechtliche beschwerde • summarisches verfahren • verurteilter • wiese • wille • zins
BBl
1927/1 • 1927/I/376