S. 55 / Nr. 13 Organisation der Bundespflege (d)

BGE 62 I 55

13. Urteil des Kassationshofs vom 10. Februar 1936 i. S. Elektr. Bahn St.
Gallen-Gais-Appenzell gegen Schwob.


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Regeste:
Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof.
Privatstrafkläger im Sinne des Art. 270 Abs. 1 (und 278 Abs. 3) BStrP ist nur
derjenige Geschädigte, der nach dem kantonalen Strafprozessrecht die
Strafanklage allein, an Stelle eines nicht in Funktion tretenden öffentlichen
Anklägers vertritt.
Aus Art. 32 Abs. 1 des BG über Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 23. Dez.
1872 (Bahnpolizei) kann unter dem neuen BStrP eine Legitimation zur
Nichtigkeitsbeschwerde nicht mehr abgeleitet werden.

A. - Am 27. März 1935 um 10 Uhr 24 kam es in Teufen zu einem Zusammenstoss
zwischen dem vom Angeklagten Schwob als Chauffeur geführten Personenauto und
dem Zug der elektrischen Bahn St. Gallen-Gais-Appenzell, wobei am Auto ein
Schaden von Fr. 320.- und am Motorwagen des Zuges ein solcher von Fr. 30.-
entstand. Auf Überweisung durch das eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement erhob das Verhöramt des Kantons Appenzell A. Rh. gegen
Schwob Strafklage wegen erheblicher Eisenbahngefährdung sowie Übertretung von
Art. 25 MFG und Art. 61 VVo. Die Bahn machte adhäsionsweise einen
Schadenersatzanspruch von Fr. 30.- geltend. Gegen das den Angeklagten
bezüglich beider Delikte von Schuld und Strafe freisprechende und den
Zivilanspruch abweisende Urteil des Kriminalgerichts appellierte nur die
Justizdirektion des Kantons Appenzell A. Rh. an das Obergericht, welches den
erstinstanzlichen Entscheid mit Urteil vom 28. Oktober 1935 bestätigt hat.
B. - Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Nichtigkeitsbeschwerde
der Bahn mit dem Antrag auf Aufhebung desselben und Rückweisung der Sache zu
neuer Entscheidung an die Vorinstanz. In ihrer Gegenäusserung vom 16. Dezember
1935 spricht die Vorinstanz der Bahn die Legitimation zur
Nichtigkeitsbeschwerde ab mit der Begründung, als Zivilklägerin sei sie
infolge Unterlassung

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der Appellation ans Obergericht ausgeschieden; mit Bezug auf den Strafpunkt
aber sei die Bahn lediglich Verzeigerin gewesen, als Ankläger sei - beim
Offizialcharakter des Delikts - der Staat aufgetreten. Sie bezeichne sich
daher zu Unrecht als Privatklägerin.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach dem Gesetze über die Bundesstrafrechtspflege (BStrP) steht die
Nichtigkeitsbeschwerde, abgesehen vom Angeklagten und vom öffentlichen
Ankläger, dem Privatstrafkläger, bei Antragsdelikten dem Antragsteller (Art.
270 Abs. 1) und bezüglich des Zivilpunktes dem Geschädigten als Zivilpartei
(Art. 271) zu.
a) In letzterer Eigenschaft ist die Beschwerdeführerin zur vorliegenden
Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich auf den Zivilpunkt bezieht,
grundsätzlich legitimiert, falls sie vor der letzten kantonalen Instanz den
Zivilanspruch noch aufrechterhalten hat, worüber angesichts der Abweisung
desselben in Erwägung C des angefochtenen Urteils einerseits, der angeführten
Vernehmlassung der Vorinstanz anderseits Unklarheit besteht. Selbst wenn
jedoch der Beschwerdeführerin Zivilparteiqualität zuzuerkennen wäre, könnte
auf ihre gemäss Art. 271 auf den Zivilpunkt beschränkte Beschwerde nicht
eingetreten werden, weil angesichts der endgültigen Freisprechung des
Angeklagten im Strafpunkte eine adhäsionsweise Verurteilung im Zivilpunkte
nicht mehr in Frage kommt.
b) Die Legitimation des Antragstellers trifft auf die Bahn nicht zu, da sowohl
die Eisenbahngefährdung als das Vergehen gegen das MFG und die VVo
Offizialdelikte sind.
c) Als Privatstrafklägerin kann die Bahn ebenfalls nicht betrachtet werden,
trotzdem sie im kantonalen Verfahren als Anzeigerin und Zivilpartei
aufgetreten ist. - Der Privatstrafkläger als Beschwerdelegitimierter ist erst
in der nationalrätlichen Kommission in den Gesetzesentwurf hineingekommen,
«mit Rücksicht auf gewisse

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kantonale Bestimmungen», wie die ganze Erklärung des Referenten im Nationalrat
lautete (7. März 1932, Sten. Bull. S. 3.). Der dem kantonalen
Strafprozessrecht angehörende Begriff bedarf nach seinem Eingehen in das
Bundesgesetz einer bundesrechtlichen Definition, denn es kann nicht vom
kantonalen Recht abhängen zu bestimmen, welchen Umfang er im Sinne des Art.
270 Abs. 1 und 278 Abs. 3 habe. Was man in den Beratungen darunter verstand,
erhellt aus den Erklärungen des Bundesanwalts, auf dessen Antrag die Ergänzung
zurückgeht, in der ständerätlichen Kommission, wo sich folgende Diskussion
ergab:
«Amstalden. Wird nicht das Recht der Legitimation zur Klage ausgedehnt, wenn
man unter den zur Beschwerde Berechtigten den Privatstrafkläger nennt, so wie
dies der Nationalrat tut? Es könnte daraus geschlossen werden, dass jeder
Privatkläger auch bei Offizialklage die Nichtigkeitsbeschwerde einzulegen
berechtigt sei. Ich halte aber dafür, dass der Privatkläger hiezu nur bei
Privatklage berechtigt ist».
«Stämpfli stimmt Herrn Amstalden bei und macht ihn darauf aufmerksam, dass man
hier unter Privatstrafkläger nicht etwa den Denunzianten oder den
Antragsteller beim Antragsdelikt versteht, sondern nur den Strafkläger in
eigener Sache, bei der der Staatsanwalt nicht auftritt. Der Referent sollte
dann hierauf aufmerksam machen». (Ständerätliche Kommission, III. Session, 18.
Oktober 1932, Prot. S. 10).
Von Seite der deutschen Referenten geschah dies nicht, und die Erklärungen der
französischen in beiden Räten (Nationalrat 7. März 1932, Sten. Bull. S. 3;
Ständerat 31. März 1933, S. 60) sind nicht eindeutig, wie denn auch der Zusatz
im französischen Texte nicht zum Ausdruck kommt.
Mit dem Zusatz wollte demnach eine Lücke ausgefüllt werden in dem Sinne, dass
in den Fällen, wo seitens der

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Anklage niemand zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert wäre, weil ein
«öffentlicher Ankläger des Kantons» nicht vorhanden ist, an dessen Stelle der
private Ankläger legitimiert sein soll. Nicht Privatstrafkläger im Sinne des
Art. 270 BStrP ist somit der Privatkläger nach bernischem Strafprozess (Art.
1, 43, 44, 134 f. usw.), als welcher der Geschädigte in jedem Falle im
Strafpunkte Partei sein kann, aber nur neben dem öffentlichen Ankläger und in
Unterstützung der öffentlichen Anklage des letztern, niemals allein ohne
Prokurator. Privatstrafkläger im Sinne des Art. 270 ist nur derjenige
Geschädigte, der nach dem kantonalen Strafprozessrecht die Strafanklage
allein, anstelle eines nicht in Funktion tretenden öffentlichen Anklägers
vertritt. Dies ist vor allem der Fall beider subsidiären Privatstrafklage, mit
welcher dann, wenn die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung ablehnt oder
einstellt, der Geschädigte sie auf eigene Faust durchführen kann (so in den
Kantonen Zürich, §§ 46-48 StrPO; Aargau, § 117 Abs. 2 StrPO; Tessin, Art. 73
ff. CdPP; nur für Polizeistraffälle Luzern, § 45 StrPO. Vgl. HEER, Prinzipale
Privatstrafklage, S. 2 f.). In Betracht kommt aber auch die prinzipale
Privatstrafklage, die dort vorliegt, wo der Staat die Verfolgung seines
Strafanspruchs nicht nur vom Antrag des Verletzten abhängig macht, sondern zum
vornherein diesem überlässt. Diesem in erster Linie für Ehrverletzungen
bestimmten Verfahren können auch Delikte des Bundesstrafrechts unterstellt
sein; so die Vergehen gegen die Strafbestimmungen der Bundesgesetze betreffend
den Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums (vgl. HEER, S. 18 ff., S.
29 f.). Nur bei der Privatstrafklage der beiden letztgenannten Arten
(subsidiäre und prinzipale) besteht die Lücke, deren Ausfüllung die an Art.
270 BStrP angebrachte Ergänzung galt. Wo dagegen neben dem privaten
Strafkläger der öffentliche steht, wie im Berner System, trifft die ratio
legis für die Legitimation des ersteren zur Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu;
es genügt,

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wenn der öffentliche Ankläger sie erheben kann, der in erster Linie zur
Wahrung des staatlichen Strafanspruches bestellt ist und der über die
Zweckmässigkeit der Weiterziehung ein kühleres Urteil hat als der persönlich
an der Bestrafung Interessierte.
Im vorliegenden Falle hat das kantonale Verhöramt gemäss Verfügung des
eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vor beiden Instanzen die
Anklage vertreten. Die Bahn ist daher nicht Privatstrafklägerin im Sinne des
Art. 270 BStrP und aus dieser Bestimmung zur Nichtigkeitsbeschwerde nicht
legitimiert.
2.- Fraglich kann dagegen sein, ob bezüglich des Delikts der
Eisenbahngefährdung die Legitimation der Bahn auf Grund des Bundesgesetzes
über Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 23. Dezember 1872 gegeben ist. Vor
dem Inkrafttreten des neuen BStrP ging die Rechtsprechung dahin, dass der bis
dahin die Legitimation zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde regelnde Art.
161 OG diese Frage nicht erschöpfend ordne, sondern dass sich diese
Legitimation auch aus Spezialgesetzen ergeben könne. So wurde aus Art. 32 Abs.
1 des genannten Gesetzes, wonach die Handhabung der Bahnpolizei zunächst den
Gesellschaften obliegt, die Legitimation derselben zur Stellung einer
Strafanzeige in Übertretungsfällen und auch zur Ergreifung von Rechtsmitteln
abgeleitet (BGE 35 I 186 ff.; 36 I 717 Erw. 1; 46 I 76). Dieser nicht auf
ausdrücklicher Gesetzesbestimmung beruhende, lediglich auf dem Wege der
Auslegung gewonnene Legitimationsgrund kann unter der Herrschaft des neuen
BStrP nicht mehr als gegeben betrachtet werden, nachdem dessen Art. 270/271
die Frage der Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde offenbar umfassend und
abschliessend geregelt hat und zwar mit der Tendenz auf Einschränkung dieses
Rechts.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 62 I 55
Date : 01. Januar 1936
Published : 10. Februar 1936
Source : Bundesgericht
Status : 62 I 55
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof. Privatstrafkläger im Sinne des Art...


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OG: 161
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35-I-186 • 36-I-715 • 46-I-73 • 62-I-55
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