S. 215 / Nr. 49 Familienrecht (d)

BGE 61 II 215

49. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Oktober 1935 i. S. Bossard gegen
Detourbay.


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Regeste:
Kinder aus geschiedener Ehe (Art. 156 /7
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 7 - Les dispositions générales du droit des obligations relatives à la conclusion, aux effets et à l'extinction des contrats sont aussi applicables aux autres matières du droit civil.
ZGB):
1. Bedeutung des Urteiles über das sog. «Besuchsrecht» Grenzen der
Angemessenheit (Erw. 1).
2. Der Ehegatte, dem die Kinder zugewiesen werden, kann vom andern Ehegatten
keinesfalls länger als für die Zeit bis zu deren Mündigkeit Unterhaltsbeiträge
verlangen (Erw. 2); Bemessung derselben bei günstigen Verhältnissen (Erw. 3).

Der Mitte 1917 geborene Sohn der am gleichen Ort wohnenden Parteien ist im
Scheidungsprozess dem Vater, jedoch auf nachträgliche Klage der Mutter im
vorliegenden Prozess der Mutter zugewiesen worden. In diesem Prozess hat das
Obergericht des Kantons Luzern am 26. Juni 1935 erkannt:
«Der Sohn Edmund ist während der Zeit, da er sich in X aufhält, verpflichtet,
den Beklagten jeden zweiten Monat je einen halben Tag zu besuchen.
»Der Beklagte hat an den Unterhalt und die Ausbildung des Sohnes Edmund einen
monatlichen vorauszahlbaren Beitrag von . . . Fr. zu entrichten, laufend von
der Rechtskraftsbeschreitung des Urteils an bis zum erfüllten 23. Altersjahr
des Kindes.»
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt
mit den Anträgen, sein Besuchsrecht sei nach richterlichem Ermessen zu
erweitern, und er sei von der Verpflichtung zu befreien, einen ... Fr. im
Monat übersteigenden Unterhaltsbeitrag, bezw. nach dem 20. Altersjahre Edmund
Bossards überhaupt einen Unterhaltsbeitrag zu leisten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Gemäss Art. 156 Abs. 3
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 7 - Les dispositions générales du droit des obligations relatives à la conclusion, aux effets et à l'extinction des contrats sont aussi applicables aux autres matières du droit civil.
ZGB hat der geschiedene Ehegatte, dem die Kinder
entzogen werden, ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit den
Kindern. Um diesen zu ermöglichen, ist die elterliche Gewalt des

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andern Elternteiles, dem die Kinder zugewiesen werden, einzuschränken, damit
er nicht unter Berufung auf seine elterliche Gewalt dem angemessenen
persönlichen Verkehr der Kinder mit dem von der elterlichen Gewalt
ausgeschlossenen Elternteil entgegentreten könne. Hiebei kommt nichts darauf
an, inwieweit sich ein älter gewordenes, der Mündigkeit nahes Kind dem
persönlichen Verkehr hingebe oder aber entziehe, weil nicht seine
Verpflichtungen durch das über das sog. Besuchsrecht entscheidende
Scheidungsurteil oder Abänderungsurteil festgestellt werden. Unter diesem
Gesichtspunkt darf es nicht das Bewenden haben bei dem von der Vorinstanz
aufgestellten Satze: «Sofern bei Vater und Sohn ein weitergehendes Bedürfnis
nach gegenseitigem Verkehr (als während je einem halben von 60 Tagen)
vorhanden sein sollte, so steht ja das Urteil einer freiwilligen Erweiterung
des Besuchsrechtes keinesfalls entgegen». Vielmehr muss schon das Urteil
selbst die für angemessenen persönlichen Verkehr mit dem Kind erforderliche
Beschränkung der elterlichen Gewalt aussprechen. Ein auf einen halben von
sechzig Tagen beschränkter persönlicher Verkehr des Vaters mit seinem Sohne
verdient jedoch nicht mehr als angemessen bezeichnet zu werden. Vielmehr ist
die Pflicht der Mutter, den ihr zugewiesenen Sohn für den persönlichen Verkehr
mit dem Vater freizugeben, auf allmonatlich zwei (jeweilen zu vereinbarende)
ganze Sonntage zu erweitern.
2.- Vom geschiedenen Ehegatten, dem die Kinder entzogen werden, kann der
andere Elternteil nur einen Beitrag an die Kosten des Unterhaltes und der
Erziehung (Ausbildung) der Kinder verlangen, wenn diese ihm zugewiesen werden,
also in seiner Eigenschaft als Inhaber der elterlichen Gewalt. Sobald das Kind
mündig wird und die elterliche Gewalt aufhört, steht dem geschiedenen
Ehegatten, der sie bisher innehatte, kein Rechtsgrund mehr zu, um vom andern
solche Beiträge zu verlangen (BGE 54 II 341). Eine andere Frage ist, ob dann
das mündig gewordene

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Kind, wenn es noch nicht imstande ist, seinen Unterhalt zu erwerben, und sich
noch weiter ausbilden möchte, gegenüber dem einen oder andern seiner Eltern
oder beiden Ansprüche auf Unterhaltungsgewährung oder Unterstützung habe, sei
es in Geld oder in natura (so z. B., dass ihm der eine Elternteil gegen
Vergütung der Geldleistungen des anderen vollen Unterhalt in natura gewährt).
Solche Ansprüche können ausschliesslich von dem mündig gewordenen Kinde selbst
gegenüber dem in Anspruch genommenen Elternteil (oder beiden Eltern) geltend
gemacht werden, nicht vom einen Elternteil, der bis zur Mündigkeit die
elterliche Gewalt hatte, jedoch nach der Mündigkeit, in der Zeit also, für
welche die Beiträge gefordert werden, zum Kind in keinem andern
Rechtsverhältnis mehr steht als der seinerzeit von der elterlichen Gewalt
ausgeschlossene Elternteil. Derartige Beiträge können auch gar nicht mehr
einfach unter den gleichen Voraussetzungen wie bisher gefordert werden, die
Art. 156 ZGB lapidar dahin umschreibt, dass der Ehegatte, dem die Kinder
entzogen werden und der ihnen daher nicht in natura Unterhalt gewahrt, «einen
seinen Verhältnissen entsprechenden Beitrag an die Kosten des Unterhaltes und
der Erziehung» zu entrichten hat. Somit kann der vorliegenden von der Mutter
erhobenen Klage auf Unterhalts- und Ausbildungsbeiträge nicht über die Zeit
nach Vollendung des zwanzigsten Altersjahres des Sohnes hinaus entsprochen
werden.
3.- Für die Bestimmung der bis dahin vom Beklagten zu entrichtenden Beiträge
ist wie gesagt massgebend, dass sie seinen Verhältnissen entsprechen müssen.
Diese sind... als so gut zu erachten, dass ihm füglich zugemutet werden darf,
einen verhältnismässigen Beitrag an eine kostspielige Ausbildung zu leisten,
welche die Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt dem Sohne zuteil werden
lassen will und darf. Solange Art. 156 ZGB anwendbar ist, kommt nichts darauf
an, ob sich der Sohn in seinem Benehmen gegenüber dem Vater solcher
ausserordentlicher

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Aufwendungen würdig erzeige (oder gar während seiner Kindheit würdig erwiesen
habe), zumal da es ja die Mutter ist. die allein Anspruch auf die Beiträge
hat.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise dahin begründet erklärt, dass in Abänderung des
Urteiles des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 26. Juni 1935 das
Besuchsrecht des Beklagten auf zwei Sonntage in jedem Monat ausgedehnt wird
und die an die Klägerin zu leistenden Beiträge für Unterhalt und Ausbildung
des Sohnes in dem von der Vorinstanz festgesetzten Umfang auf die Zeit bis zur
Vollendung des 20. Altersjahres beschränkt werden.
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 61 II 215
Date : 01 janvier 1935
Publié : 24 octobre 1935
Source : Tribunal fédéral
Statut : 61 II 215
Domaine : ATF - Droit civil
Objet : Kinder aus geschiedener Ehe (Art. 156/7 ZGB):1. Bedeutung des Urteiles über das sog. «Besuchsrecht»...


Répertoire des lois
CC: 7 
SR 210 Code civil suisse du 10 décembre 1907
CC Art. 7 - Les dispositions générales du droit des obligations relatives à la conclusion, aux effets et à l'extinction des contrats sont aussi applicables aux autres matières du droit civil.
156
Répertoire ATF
54-II-341 • 61-II-215
Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
autorité parentale • mère • relations personnelles • père • défendeur • mois • tribunal fédéral • conjoint • jour • dimanche • autorité inférieure • visite • décision • obligation d'entretien • parents • durée • volonté • pouvoir d'appréciation • hameau • argent
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