S. 213 / Nr. 30 Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (d)

BGE 61 I 213

Regeste:
Zulässigkeit der Kassationsbeschwerde gegen kantonalrechtliche Verurteilung
wegen Körperverletzung, bei der als Vorfrage die Verletzung einer Vorschrift
des MFG zu beurteilen war (Erw. 1).
Den Strassenverhältnissen angepasste Geschwindigkeit, Art. 25 MFG.
Vortrittsrecht in Städten, Art. 27 MFG (Erw. 2).

A. - Durch Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 7. Mai 1935 ist, in
Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils, Werner Reber der fahrlässigen
Körperverletzung schuldig befunden und bedingt zu einer Geldbusse von 80 Fr.
verurteilt worden. Die Fahrlässigkeit ist darin gefunden worden, dass Reber am
14. Oktober 1934 in Zürich auf seinem Motorrad aus der Seebacherstrasse in die
Schaffhauserstrasse in übersetztem Tempo und die Kurve schneidend einbog,
wobei er mit dem auf der Schaffhauserstrasse daherfahrenden Automobil des Max
Gutknecht zusammenstiess. Verletzt wurde der auf dem Soziussitz des Motorrades
mitgeführte Fahrgast.
B. - Gegen dieses Urteil hat Reber rechtzeitig Kassationsbeschwerde
eingereicht. Er macht geltend, dass die Kassationsbeschwerde gegen das auf
kantonalem Strafrecht beruhende Urteil gegeben sei, weil in der Begründung
desselben dem Angeklagten die Verletzung eidgenössischer Verkehrsvorschriften
des MFG zur Last gelegt werde. In der Sache selbst wird die eingehaltene
Geschwindigkeit von 25 km nach den örtlichen Verhältnissen als zulässig
hingestellt und diejenige Gutknechts, die auf 50 km angenommen wurde, in
Wirklichkeit aber wohl höher gewesen sei, als übersetzt bezeichnet. Dies
hauptsächlich im Hinblick auf das Vortrittsrecht, das dem Angeklagten und

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nicht Gutknecht zugekommen sei. Dieses Vortrittsrecht hätten die Vorinstanzen
nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit anerkannt, wie denn die Zürcher
Gerichte wiederholt schon entschieden hätten, dass der aus einer Nebenstrasse
in eine Hauptverkehrsstrasse der Stadt Einfahrende es nicht geltend machen
könne. Dass der Angeklagte die Kurve geschnitten habe, wird nicht bestritten,
aber der Grad des Schneidens als sehr geringfügig hingestellt, und es wird
behauptet, dass das für den Unfall nicht kausal gewesen sei, so dass er auch
diesbezüglich von Schuld und Strafe freigesprochen werden müsse und höchstens
zu einer Busse wegen Formalübertretung verurteilt werden dürfe.
C. - Die Staatsanwaltschaft beantragt, auf die Kassationsbeschwerde nicht
einzutreten, weil nicht eidgenössisches Recht zur Anwendung gekommen sei,
sondern kantonales. Der Angeklagte sei ausschliesslich wegen fahrlässiger
Körperverletzung im Sinne von § 147 des zürcherischen Strafgesetzbuches
schuldig befunden und verurteilt worden. Dass bei der Feststellung der
Fahrlässigkeit Art. 27 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 MFG herangezogen
worden sei, rühre einfach davon her, dass der Begriff der Fahrlässigkeit im
zürcherischen Recht nicht umschrieben sei, bedeute aber keine Anwendung jener
Bestimmung. In der Sache selbst wird eventuell Abweisung der Beschwerde
beantragt.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Die Verkehrsvorschriften für die Motorfahrzeuge sind heute durch das MFG
geregelt, unter Vorbehalt der in diesem selbst vorgesehenen Ausnahmen. Diese
eidgenössischen Verkehrsregeln bestimmen das Verhalten und damit auch das Mass
der Sorgfalt, welches der Fahrzeuglenker im Verkehr zu beachten hat. Steht
sein Verhalten im Einklang mit den Verkehrsregeln des MFG, so kann es nicht
fahrlässig sein und darf nicht zu einer Verurteilung nach kantonalem
Strafrecht führen. Der kantonale Gesetzgeber kann nicht unter Strafe stellen,
was der eidgenössische erlaubt. Das kantonale Strafrecht ist nur

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vorbehalten für Verletzungen der eidgenössischen Verkehrsvorschriften, die
gleichzeitig einen Tatbestand erfüllen, für den es eine strengere Bestrafung
vorsieht (Art. 65 Abs. 4 MFG). Das ist regelmässig der Fall bei Verletzung der
Verkehrsvorschriften, die Tötung oder Verletzung von Personen zur Folge haben;
sie werden als fahrlässige Tötung bezw. Körperverletzung geahndet. Hängt also
die Beurteilung der Fahrlässigkeit bei Anwendung des kantonalen Strafrechtes
von der nach eidgenössischem Recht zu entscheidenden Frage ab, ob eine
Verkehrsregel des MFG verletzt sei, so muss diese präjudiziale Frage
eidgenössischen Rechtes auch gemäss Art. 269 BStP der Prüfung des
Kassationshofes unterliegen, gleich wie in Zivilsachen kantonalen Rechtes die
Berufung und die zivilrechtliche Beschwerde gemäss Art. 56 ff . bezw. Art. 87
ff . OG zulässig ist, wenn eine Vorfrage oder Einrede nach eidgenössischem
Recht beurteilt worden ist oder zu beurteilen war (vgl. BGE 13, 488, 31 II
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). Natürlich ist in solchen Fällen die Überprüfungsbefugnis des
Kassationshofes auf die Vorfrage beschränkt und kann deren abweichende
Beurteilung lediglich zur Aufhebung des Urteils und Rückweisung der Sache an
das kantonale Gericht führen.
Im vorliegenden Falle wird nun gerade die unrichtige Auslegung eidgenössischer
Verkehrsregeln bei Prüfung der Fahrlässigkeit geltend gemacht. Auf die
Beschwerde ist daher einzutreten.
2.- Für den Kassationshof ist verbindlich festgestellt, dass der Angeklagte
Reber mit 25 km in die Strassenkreuzung fuhr. Diese Geschwindigkeit wäre bei
guter Übersicht gewiss keine übersetzte, sie kann es aber sein, wenn der
Überblick in der zu kreuzenden Strasse schlecht ist, wie das nach kantonaler
Feststellung und eigener Zugabe des Kassationsklägers hier der Fall war. Wenn
dann erst der Fahrzeugführer noch die Kurve schneidet und sich dadurch diesen
Überblick weiter verschlechtert, dann muss er umso mehr darauf bedacht sein,
eine Geschwindigkeit einzuhalten, die ihm bei auftauchender Gefahr sofortiges

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Anhalten gestattet. Wenn die Vorinstanzen aus ihrer Kenntnis der örtlichen
Verhältnisse fanden, dass eine Geschwindigkeit von 25 km diesem Gebot nicht
Rechnung trug, also übersetzt war, so ist der Kassationshof nicht in der Lage,
eine abweichende Auffassung zu vertreten.
Der Kassationskläger wirft allerdings der Vorinstanz vor, dass sie dabei
seinem Recht auf Vortritt nicht Rechnung getragen habe. Dass ihm das
Vortrittsrecht zukam, steht ausser Zweifel. Gemäss Art. 27 Abs. 2 MFG ist das
Vortrittsrecht von rechts aufgehoben gegenüber den Hauptstrassen, die als
solche gekennzeichnet sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob Art. 2 der
Verordnung des Bundesrates vom 26. März 1934, der innerorts das Vortrittsrecht
der Hauptstrassen aufhebt, nicht eine Abweichung vom Gesetz und darum
unverbindlich ist. Denn die Schaffhauserstrasse in Zürich ist als Hauptstrasse
nicht bezeichnet, wie solche Bezeichnung in den Städten überhaupt nicht
stattgefunden hat, so dass die Verhältnisse hier anders liegen als in
Ortschaften, die an einer als Hauptstrasse bezeichneten Durchgangsstrasse
gelegen sind. Es kommt also gar nicht darauf an, ob nach ihrer Bedeutung für
den Verkehr die Seebacherstrasse im Vergleich zur Schaffhauserstrasse eine
Nebenstrasse ist, sie vermittelt dieser gegenüber den Vortritt. Von einem
abweichenden Gewohnheitsrecht, wie es das Bezirksgericht erwähnt, kann
angesichts der Neuheit der gesetzlichen Regelung selbstverständlich nicht die
Rede sein.
Der Kassationshof hat wiederholt ausgesprochen, und die Vorinstanzen betonen
mit Recht, dass das Vortrittsrecht nicht die Freiheit gibt, unbekümmert in die
Kreuzung einzufahren. Es mag sich theoretisch hören lassen, was der
Kassationskläger ausführt: «Wenn jeder sich auf den Vortritt des von rechts
kommenden einrichtet, so ist dafür gesorgt, dass Kollisionen vermieden werden,
selbst wenn dieser mit grosser Raschheit in die Kreuzung einfährt.» Aber
praktisch ist ein solches Sicheinrichten auf belebter Verkehrsstrasse bei
unübersichtlichen Kreuzungen kaum tunlich, wenn nicht auch der
Vortrittsberechtigte einige

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Rücksicht nimmt und durch Mässigung seines Tempos zur Vermeidung der
Kollisionen beiträgt. Denn häufig, und besonders bei spitzwinkligen
Kreuzungen, wird der von links kommende die volle Übersicht in die Strasse von
rechts erst haben, wenn sein Fahrzeug bereits ziemlich weit in die Kreuzung
eingefahren ist, und je später er das Fahrzeug von rechts erblickt, desto
weiter wird er vorfahren. Er wird es aber umso später erblicken, je schneller
dieses fährt, weil das rasch fahrende Fahrzeug soeben noch tief in der Strasse
drin war - wo es erst bei vollem Überblick eingesehen werden konnte - und
einen Augenblick später an der Kreuzung angelangt ist. Bei Geschwindigkeiten
von 50 und mehr km, wie sie der Kassationskläger für den Vortrittsberechtigten
in Anspruch nimmt, wären in städtischen Verhältnissen, wo die gute Übersicht
der Kreuzungen die Ausnahme bildet, und bei belebtem Verkehr Kollisionen
unvermeidlich.
Das ihm zur Last gelegte Schneiden der Kurve bestreitet der Kassationskläger
nicht. Er bezeichnet es aber als geringfügig. Er sei nicht verpflichtet
gewesen, bei der trichterförmigen Öffnung der Einmündung der Seebacher- in die
Schaffhauserstrasse dem rechten Trichterrand entlang auszuholen. Das ist
selbstverständlich; er wäre korrekt gefahren, wenn er den Bogen ungefähr in
der normalen Breite der Seebachstrasse genommen hätte, was zugestandenermassen
nicht der Fall war. Er bestreitet aber, dass diese Verfehlung für den Unfall
kausal gewesen sei. Der Kassationshof kann diese Frage nicht überprüfen. Ihm
steht ausschliesslich die Beurteilung der Verletzung der eidgenössischen
Verkehrsvorschrift zu. Ob zwischen dieser Verletzung und dem deliktischen
Erfolg ein Kausalzusammenhang bestehe, ist eine Frage des auf das Delikt
anwendbaren Rechtes, nämlich des kantonalen Strafrechtes.
Demnach erkennt der Kassationshof: Die Kassationsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 61 I 213
Datum : 01. Januar 1935
Publiziert : 07. Mai 1935
Quelle : Bundesgericht
Status : 61 I 213
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Zulässigkeit der Kassationsbeschwerde gegen kantonalrechtliche Verurteilung wegen Körperverletzung...


Gesetzesregister
BStP: 269
OG: 56  87
BGE Register
31-II-266 • 61-I-213
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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