S. 86 / Nr. 24 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 60 III 86

24. Entscheid vom 19. Juni 1934 i. S. Gerster-Ringwald.

Regeste:
Pfändung einer unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sache: Kommt der Verkäufer
der Aufforderung zur Angabe der Kaufpreisrestanz nicht nach, so wird er
deswegen mit seinem Eigentumsvorbehalt nicht ausgeschlossen, insoweit der
betriebene Schuldner oder der betreibende Gläubiger selbst Angaben über die
Kaufpreisrestanz gemacht haben.
Kreisschreiben Nr. 29 vom 31. März 1911.
Saisie d'un objet vendu sous réserve de propriété: Lorsque le vendeur ne donne
pas suite à l'invitation d'indiquer le solde dû sur le prix de vente, il n'est
pas pour autant déchu du droit de faire valoir la réserve de propriété, si le
débiteur poursuivi ou le créancier poursuivant ont, donné eux-mêmes des
indications sur ledit solde (v. circulaire No 29 du 31 mars 1911).

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Pignoramento di beni venduti con riserva della proprietà: Il venditore che non
ha dato seguito all'ingiunzione di indicare la somma dovuta sul prezzo di
vendita, è non meno abilitato à far valere il diritto di riserva della
proprietà ove il debitore escusso o il creditore istante abbiano dato delle
indicazioni in merito a detta somma (conf. circolare No 29 del 31 marzo 1911).

A. - Die Rekurrentin nimmt an der am 3. Januar 1934 gegen B. Kobler-Annen
vollzogenen Pfändung eines Radioapparates teil, von dem es in der
Original-Pfändungsurkunde heisst: «Schuldner bezeichnet No. 12 als Eigentum
von Paul Scheuchzer für eine Kaufpreisrestanz von 379 Fr. laut
Eigentumsvorbehaltsregister No. 39060». Von dieser Pfändung machte das
Betreibungsamt Basel-Stadt dem Scheuchzer am 4./5. Januar Mitteilung mit
folgender formularmässiger «Aufforderung zur Angabe der Kaufpreisrestanz für
einen unter Eigentumsvorbehalt verkauften Gegenstand»: «Da der Betriebene
behauptet, er habe diese Gegenstände unter Eigentumsvorbehalt von Ihnen
erworben und noch nicht gänzlich abbezahlt, werden Sie hiemit aufgefordert,
binnen 10 Tagen von heute an gerechnet dem unterzeichneten Betreibungsamt den
Betrag der Kaufpreisrestanz schriftlich anzugeben. Nach Ablauf dieser Frist
kann ein Anspruch an den oben bezeichneten Gegenständen nicht mehr angemeldet
werden und es wird angenommen, dass die Gegenstände im Eigentum des Schuldners
stehen.» Hierauf kehrte Scheuchzer vorerst nichts vor, sondern erhob erst im
April unter Berufung auf die Eintragung im Eigentumsvorbehaltsregister
Einspruch gegen die bevorstehende Verwertung. Um die gleiche Zeit führte der
Schuldner Beschwerde wegen Wegnahme des gar nicht ihm gehörenden
Radioapparates.
B. - Die kantonale Aufsichtsbehörde hat am 23. Mai die Beschwerde gutgeheissen
und das Betreibungsamt angewiesen, in Gruppe 61 in Bezug auf No. 12 (1
Radio-Apparat) das Widerspruchsverfahren zu eröffnen.
C. - Diesen Entscheid hat die Rekurrentin an das

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Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde des
Schuldners.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1. Im Kreisschreiben No. 29 vom 31. März 1911 wurde angeordnet: «Wird von
irgend einer Seite anlässlich der Pfändung oder nachher die Existenz eines
Eigentumsvorbehaltes behauptet, so hat das Betreibungsamt erforderlichenfalls
unter Ansetzung einer Frist hiefür, den Verkäufer der betreffenden Sache und
den Schuldner zur Angabe auch der Höhe des noch ausstehenden Kaufpreises zu
veranlassen und sodann sowohl von der Tatsache des Eigentumsvorbehaltes, wie
von der Höhe der Kaufpreisrestanz entweder in der Pfändungsurkunde Vormerkung
zu nehmen oder.... den Parteien besondere Anzeige zu machen....
«Gleichzeitig mit der erwähnten Mitteilung setzt das Betreibungsamt gemäss
Art. 106 Abs. 2 dem pfändenden Gläubiger und dem Schuldner zur Bestreitung des
Eigentumsvorbehaltes beziehungsweise der Höhe der Kaufpreisrestanz die in Art.
106 Abs. 2 vorgesehene Frist von zehn Tagen, mit der Androhung, dass
Stillschweigen als Anerkennung des Eigentumsvorbehaltes und des Ausstehens der
angegebenen Kaufpreisrestanz betrachtet würde. Dabei ist selbstverständlich im
Fall einer Divergenz zwischen den Angaben der Beteiligten über die Höhe der
Kaufpreisrestanz in die Androhung diejenige Summe aufzunehmen, die vom
Verkäufer angegeben wurde; eventuell, wenn nur Angaben des betreibenden
Gläubigers und des Schuldners vorliegen, die höhere von beiden. Konnten aber
überhaupt keine Angaben über die Höhe der ausstehenden Kaufpreisforderungen
erhältlich gemacht werden - und zwar trotz Fristansetzung speziell auch nicht
von seiten des Verkäufers -, so ist anzunehmen, dass der Kaufpreis bereits
ganz abbezahlt sei, und es ist alsdann die Sache als im unbeschwerten Eigentum
des

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Schuldners stehend zu behandeln und vom Erlass einer Androhung Umgang zu
nehmen.»
Danach verwirkt also der Verkäufer seinen Eigentumsvorbehalt gegenüber der
Pfändung nicht ohne weiteres dadurch, dass er die Angabe seiner
Kaufpreisrestanz binnen der ihm dafür angesetzten Frist versäumt, nämlich
insbesondere dann nicht, wenn der betriebene Schuldner (Käufer) oder der
betreibende Gläubiger eine bezügliche Angabe macht. Vielmehr bleibt der
Eigentumsvorbehalt dem Verkäufer mindestens im Umfang einer solchen Angabe
(bezw. der höheren der beiden Angaben) gewahrt, indem diese Angabe dem
betreibenden Gläubiger (und eventuell dem betriebenen Schuldner) mitgeteilt
wird, und der Verkäufer riskiert die gänzliche Verwirkung seines
Eigentumsvorbehaltes (also auch in diesem allfällig reduzierten Umfange) nur,
wenn daraufhin rechtzeitig eine Bestreitung erfolgt und er auf die Mitteilung
hievon und Klagefristansetzung hin nicht rechtzeitig Klage auf Feststellung
der Rechtsgültigkeit seines Eigentumsvorbehaltes bezw. der (vom betriebenen
Schuldner oder betreibenden Gläubiger angegebenen) Höhe des noch ausstehenden
Kaufpreises erhebt.
Demgegenüber lautet das von der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
festgesetzte obligatorische Formular No. 19 für die Aufforderung an den
Verkäufer zur Angabe der Kaufpreisrestanz dahin, dass bei Nichtbefolgung der
Aufforderung angenommen werde, der Kaufpreis sei bereits ganz abbezahlt und
der oben aufgeführte Gegenstand stehe im Eigentum des Schuldners. Indessen
wollte damit keineswegs von den im Kreisschreiben aufgestellten Grundsätzen
abgewichen werden, m.a.W. es wollte nicht die Grundlage für die Verwirkung des
Eigentumsvorbehaltes in allen Fällen geschaffen werden, wo der Verkäufer die
verlangte Angabe der Kaufpreisrestanz nicht binnen der dafür angesetzten Frist
macht, ungeachtet einer allfälligen derartigen Angabe des betriebenen
Schuldners oder des eigenen Zugeständnisses des betreibenden

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Gläubigers. Etwas derartiges stünde ja auch durchaus im Widerspruch zu den
allgemeinen Grundsätzen des Widerspruchsverfahrens, wonach nur solche
Drittansprachen präkludiert werden, mit denen der Drittansprecher erst später
als zehn Tage seit der Kenntnis von der Pfändung zum Vorschein kommt - während
der Drittansprecher nichts riskiert, wenn das Betreibungsamt noch rechtzeitig
von anderer Seite auf die Drittansprache aufmerksam gemacht worden ist, weil
es daraufhin von Amtes wegen das Widerspruchsverfahren eröffnen muss. Darauf,
dass betriebene Schuldner gelegentlich durch lügenhafte übertriebene Angaben
über die Rechte Dritter die betreibenden Gläubiger von der weiteren Verfolgung
der Betreibung abzuschrecken versuchen, kann beim Widerspruchsverfahren wegen
des Eigentumsvorbehaltes ebensowenig Rücksicht genommen werden wie beim
gewöhnlichen Widerspruchsverfahren.
Nichtsdestoweniger soll es beim bisherigen Wortlaut des Formulars No. 19 das
Bewenden haben, der dadurch gerechtfertigt ist, dass der Verkäufer, der die
Angabe der Kaufpreisrestanz versäumt, ja in der Tat riskiert, mit seinem
Eigentumsvorbehalt ganz oder teilweise ausgeschlossen zu werden, ausser wenn
eine andere am Verfahren beteiligte Person eine bezügliche Angabe macht, was
bei Versendung des Formulars bereits geschehen sein, aber auch erst noch in
den folgenden zehn Tagen nachgeholt werden kann. Es ist kein zureichender
Grand dafür ersichtlich, dass der Verkäufer in der Aufforderung zur Angabe der
Kaufpreisrestanz, vielleicht sogar noch in einem Nachläufer, im einzelnen auf
die möglichen Folgen seiner Untätigkeit hingewiesen werde. Keinesfalls kann es
ihm ja schaden, wenn ihm einfach die nachteiligste der möglichen Präklusionen
angedroht wird, was für das Betreibungsamt das einfachste ist. Nur darf dieses
dann nicht aus den Augen verlieren, dass es die formularmässig angedrohte
Präklusion nicht in allen Fällen wahr machen darf, sondern nichtsdestoweniger
eine allfällige Angabe des betriebenen Schuldners oder des betreibenden
Gläubigers

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über die Kaufpreisrestanz zur Grundlage der Eröffnung eines
Widerspruchsverfahrens nehmen muss. Nur damit bleibt der Verkäufer, der die
Angabe versäumt hat, ausgeschlossen, mit der Widerspruchsklage noch eine
höhere als die von anderer Seite angegebene Kaufpreisrestanz geltend zu
machen.
Nichts anderes gilt für das vom Betreibungsamt Basel-Stadt gebrauchte
Formular, das aus nicht ersichtlichen Gründen nicht ganz, aber doch wesentlich
mit dem vom Bundesgericht festgestellten obligatorischen Formular No. 19
übereinstimmt.
2. Gegen die Berücksichtigung der nicht bei diesem, sondern bei einem früheren
Pfändungsvollzug gemachten Angabe des Schuldners über die Kaufpreisrestanz
hätte die Rekurrentin binnen zehn Tagen seit der Zustellung der
Pfändungsurkunde Beschwerde führen müssen, weil ihr schon damals ebensogut wie
jetzt ersichtlich war, was sie nun nachträglich mit ihrem Rekurs angreifen
will.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 60 III 86
Datum : 01. Januar 1934
Publiziert : 19. Juni 1934
Quelle : Bundesgericht
Status : 60 III 86
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Pfändung einer unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sache: Kommt der Verkäufer der Aufforderung zur...


BGE Register
60-III-86
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