S. 359 / Nr. 58 Prozessrecht (d)

BGE 60 II 359

58. Urteil der I. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1934 i. S. Bretscher Söhne &
Co. gegen Fr. Sauter A.-G.

Regeste:
Art. 58 OG. - Ein Urteil, das bloss einen Teil der Streitpunkte erledigt und
die andern «ad separatum» verweist, ist kein Haupturteil, wenn auf Grund
dieser Verweisung nicht ein neues Verfahren Platz greifen, sondern lediglich
das hängige ergänzt werden soll. Zweckbestimmung des Art. 58.

A. - Mit Klage vom 18. November 1929 hat die Klägerin, Fr. Sauter A.-G., als
Inhaberin des schweizerischen Patentes Nr. 105344 gegen die Beklagte,
Bretscher Söhne & Co., die Begehren gestellt:
1. es sei der beklagten Firma zu verbieten, die von ihr fabrizierten und an
ihren Boilern verwendeten Temperaturschalter fernerhin zu fabrizieren oder zu
verwenden;
2. es sei die beklagte Firma zur Zahlung von 50000 Fr. (Schadenersatz) an die
Klägerin zu verurteilen.
Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt, in erster Linie, weil das
Patent der Klägerin keine Erfindung bedeute und nicht neu sei, in zweiter
Linie, weil keine Patentverletzung vorliege.

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B. - Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt hat durch Urteil vom 10. August
1931 die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass keine Erfindung vorliege.
In Gutheissung der hiegegen von der Klägerin ergriffenen Berufung hat das
Bundesgericht durch Urteil vom 20. Januar 1932 die Frage der Patentfähigkeit
bejaht und die Sache zur Entscheidung der Frage, ob eine Nachahmung vorliege
und ob und in welchem Masse der Klägerin Schaden daraus entstanden sei, an die
Vorinstanz zurückgewiesen (BGE 58 II 57).
C. - Nach weiterer Instruktion des Prozesses hat das Zivilgericht Basel-Stadt
nunmehr durch Urteil vom 6. Juli 1934 der Beklagten die Fabrikation und den
Gebrauch des streitigen Temperaturschalters verboten; das
Schadenersatzbegehren ist «zu gesonderter Beurteilung» verwiesen worden.
Zu dieser Absonderung des Schadenersatzbegehrens ist in der Urteilsbegründung
bemerkt: «Die Frage des Schadenersatzes (Rechtsbegehren 2 der Klage) wird
entsprechend dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten und
von Seiten der Beklagten unwidersprochen gebliebenen Antrag ad separatum
verwiesen». Die Klägerin hatte ihren Antrag laut Protokoll damit begründet,
dass für sie wichtiger als der Schadenersatz die Entscheidung der Frage sei,
ob der Beklagten die Verwendung ihres Apparates verboten werden könne.
D. - Gegen das Urteil des Zivilgerichtes hat die Beklagte rechtzeitig und mit
schriftlicher Begründung die Berufung an das Bundesgericht ergriffen. Sie
beantragt Abweisung der Klage.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Es erhebt sich in erster Linie die Frage, ob das angefochtene Urteil ein
Haupturteil im Sinne von Art. 58 OG ist und ob demnach auf die Berufung
eingetreten werden kann oder nicht.
Ein Haupturteil im Sinne von Art. 58 OG liegt

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grundsätzlich dann vor, wenn über den ganzen Rechtsstreit, soweit er der
Berufung unterliegt, entschieden ist (WEISS, Berufung S. 44 f., BGE 30 II 479,
32 II 767, 46 II 410, 53 II 432, 54 II 49, 59 II 69 und 72). Diese
Voraussetzung trifft hier unverkennbar nicht zu, indem die Vorinstanz
lediglich das erste der beiden Klagebegehren, auf Untersagung weiterer
Fabrikation und weitern Gebrauches des streitigen Temperaturschalters,
abschliessend beurteilt hat. Mit Bezug auf das zweite, das
Schadenersatzbegehren, ist noch die grundsätzliche Frage der Patentverletzung
erledigt, dagegen wurde die Frage, ob der Klägerin durch die Patentverletzung
Schaden verursacht worden sei und in welchem Umfange, «ad separatum», «zu
gesonderter Beurteilung» verwiesen.
Nun hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung freilich von dem oben
angeführten Grundsatze, dass von den kantonalen Instanzen der ganze
Rechtsstreit entschieden sein müsse, insofern eine Ausnahme gemacht, als sie
auch solche Urteile, durch welche nur ein Teil der Streitpunkte erledigt ist,
dann als Haupturteile anerkennt, wenn die nicht beurteilten Punkte in ein
anderes Verfahren verwiesen worden sind (BGE 30 II 458 E. 4, 46 II 218 E. 1,
53 II 432, 54 II 50, 57 II 554). Was im vorliegenden Falle mit der Verweisung
des Schadenersatzbegehrens «ad separatum», «zu gesonderter Beurteilung»
gemeint ist, geht aus dem Wortlaut dieser Verfügung nicht mit Sicherheit
hervor. Immerhin deutet die im Urteilsdispositiv enthaltene Formulierung «zu
gesonderter Beurteilung» bereits eher daraufhin, dass es sich nicht um einen
neuen, selbständigen Prozess, sondern lediglich um die Ergänzung des
vorliegenden handeln solle. In der Tat wird denn auch als Grund der
Absonderung nicht etwa angegeben, das Zivilgericht sei für die Beurteilung der
Schadenersatzfrage überhaupt nicht zuständig oder es sei dafür ein anders
geartetes Verfahren vorgeschrieben, sondern es ist bloss auf den von der
Beklagten unwidersprochen hingenommenen Antrag der Klägerin verwiesen. Diese
hat den

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Antrag aber deswegen gestellt, weil ihr an der raschen Entscheidung des
Untersagungsbegehrens gelegen war, die bei gemeinsamer Beurteilung mit dem
Schadenersatzbegehren durch das hiefür erforderliche Beweisverfahren hätte
verzögert werden müssen. Zu einem ab initio neu aufzunehmenden Prozesse ist
also auch sachlich kein Grund vorhanden; es ist nicht einzusehen, warum das
Beweisverfahren und die Entscheidung über die Schadenersatzfrage nicht ohne
weiteres als Ergänzung des vorliegenden Prozesses sollten durchgeführt werden
können. In diesem Sinne muss deshalb, mangels gegenteiliger Erklärung der
Vorinstanz, die Verweisung des Schadenersatzbegehrens «zu gesonderter
Beurteilung» aufgefasst werden. Dann liegt aber nicht ein Haupturteil im Sinne
von Art. 58 OG, sondern lediglich ein Teilurteil vor, gegen das die Berufung
nicht zulässig ist.
Es wird dabei nicht verkannt, dass die Parteien ein Interesse daran haben
könnten, ein bundesgerichtliches Urteil zunächst über die grundsätzliche Frage
der Patentverletzung zu erhalten, weil bei Verneinung der Verletzung -
Gutheissung der Berufung der Beklagten - dem Rechtsstreit ein Ende gemacht
wäre und nicht erst noch das letzten Endes vielleicht nutzlose Beweisverfahren
über die Schadenersatzfrage durchgeführt werden müsste. Allein dieses
Interesse hat zurückzutreten gegenüber der Zweckbestimmung des Art. 58 OG,
dass im gleichen Prozess die Berufung an das Bundesgericht grundsätzlich nur
einmal und darum erst in dem Stadium, in dem die ganze Streitsache
berufungsfähig ist, soll ergriffen werden können. Dazu kommt, dass, wenn das
Bundesgericht auf die vorliegende Berufung einträte, eine Bestätigung des
angefochtenen Urteils, welches zum Teil auf einer Expertise fusst, jedenfalls
nicht unwahrscheinlich wäre. Dann würde also das bundesgerichtliche Urteil das
Weiterprozessieren voraussichtlich nicht hinfällig machen, da die
Schadenersatzfrage offen bliebe. Unter diesen Umständen haben aber mit
Rücksicht auf die Kostenersparnis in Wirklichkeit

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auch die Parteien ein Interesse daran, dass auf die Berufung nicht eingetreten
werde.
Unerheblich ist, dass bei diesem Ergebnis das vorinstanzliche Urteil, durch
welches der Unterlassungsanspruch der Klägerin gutgeheissen worden ist, nicht
rechtskräftig wird und deshalb nicht vollstreckt werden kann. Das liegt im
Wesen der an sich berufungsfähigen, aber noch nicht berufungsreifen
Streitsache begründet. Übrigens kann sich die Klägerin dadurch schützen, dass
sie gestützt auf Art. 43 PatG die erforderlichen provisorischen Massnahmen
verlangt, die ihr umso leichter bewilligt werden dürften, als in diesem Punkt
bereits ein die Klage gutheissendes Urteil der kantonalen Instanz vorliegt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Berufung wird nicht eingetreten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 60 II 359
Date : 01. Januar 1934
Published : 23. Oktober 1934
Source : Bundesgericht
Status : 60 II 359
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Art. 58 OG. - Ein Urteil, das bloss einen Teil der Streitpunkte erledigt und die andern «ad...


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OG: 58
PatG: 43
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