BGE 60 II 18
5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Januar 1934 i. S. Meier gegen
Waisenbehörde Schleitheim.
Regeste:
Inwiefern sind kantonale Vorschriften über die Erbschaftsteilung vor dem
Bundesrecht haltbar?
A. - «Inventarium und Teilung über das Vermögen der» am 1. November 1930
verstorbenen «Salomea Jauch zu Schleitheim, aufgenommen auf waisenamtliche
Anordnung unter Leitung des Waisenbehördepräsidenten am 22. November 1930
durch die Kanzlei der Waisenbehörde» ergaben einen Uberschuss der aus rund
5000 Fr. Hypothekarschulden, einer Forderung der Miterbin Frau Meier-Jauch von
rund 5000 Fr. und einigen laufenden Rechnungen bestehenden Passiven im Betrage
von 128 Fr. 75 Cts. Die Miterbin Frau Meier-Jauch erklärte sich bereit, den
gesamten Nachlass in Aktiven und Passiven zu übernehmen, und die von der
Kanzlei der Waisenbehörde entsprechend entworfene Zuteilung wurde von ihr und
dem Miterben Eugen Jauch unterzeichnet, dagegen nicht von den beiden übrigen
Miterbinnen Frauen Heckel-Jauch und Nadler-Jauch. Darauf fällte die
Waisenbehörde den gutachtlichen Entscheid: «Das vorliegende
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Beschreibungs- und Teilungsdokument ist im Interesse aller Beteiligten
aufgestellt. Es wird, so wie es abgefasst ist, als angenommen betrachtet,
sofern Frau Heckel und Frau Nadler nicht binnen zehn Tagen den ordentlichen
Rechtsweg beschritten haben.» Innert dieser Frist erhob die Miterbin Frau
Nadler-Jauch gegen den Miterben Eugen Jauch und den Ehemann der Miterbin Frau
MeierJauch gerichtliche Klage mit dem Antrag, es sei der Inventur- und
Teilungsentwurf in der Weise abzuändern, dass unter den Passiven folgende
Posten als Guthaben der Klägerin aufgeführt werden: 630 Fr. für Verpflegung
und Beköstigung der Erblasserin und 687 Fr. für Installationen, die der
Ehemann der Klägerin als Mieter im Hause der Erblasserin hatte anbringen
lassen. Diese Klage wurde in den Beträgen von 600 Fr. und 231 Fr. 25 Cts.
zugesprochen. Hierauf entwarf die Kanzlei der Waisenbehörde am 6. April 1933
folgenden Nachtrag der Zuteilung: «Laut Inventur und Zuteilung vom 22.
November 1930 hat sich Frau Meier-Jauch bereit erklärt, den gesamten Nachlass
in Aktiven und Passiven zu übernehmen. Die heute aufgeführten Änderungen in
den Passiven, die eine Erhöhung der letztern» (auf 1095 Fr.) «zur Folge haben,
sind einesteils durch das in Rechtskraft erwachsene Urteil des
Kantonsgerichtes, andernteils durch die gesetzlichen Kosten der Waisenbehörde
bedungen. Von einer nochmaligen Einholung der Unterschriften der Interessenten
kann deshalb Umgang genommen werden. Gestützt auf die unterschriftliche
Erklärung der Ehegatten Meier-Jauch vom 25. November 1930 und das Urteil des
Kantonsgerichtes vom 3. Dezember 1939 wird nun wiederum dieser gesamte
Nachlass in Aktiven und Passiven der Erbin und Ubernehmerin Frau Meier-Jauch
zu Eigentum zugeteilt.» Dieser Nachtrag wurde sowohl von der Waisenbehörde am
24. April 1933 genehmigt, als auch am 24. Mai 1933 vom Waisen- und
Teilungsinspektor des Bezirkes Schleitheim oberwaisenamtlich bestätigt.
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B. - Hierauf führte Frau Meier-Jauch am 2. Juni 1933 beim Regierungsrat des
Kantons Schaffhausen Beschwerde mit dem Antrag, die oberwaisenamtliche
Bestätigung der Inventur- und Teilungsvorlage sei mangels der formellen und
materiellen Erfordernisse ungültig zu erklaren und aufzuheben, und die ganze
Inventur und Teilung sei zur gesetzlichen Vorbehandlung an die Waisenbehörde
zurückzuweisen und derselben die Durchführung der Teilung nach den
Vorschriften von Art. 634
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 634 - 1 Die Teilung wird für die Erben verbindlich mit der Aufstellung und Entgegennahme der Lose oder mit dem Abschluss des Teilungsvertrages. |
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1 | Die Teilung wird für die Erben verbindlich mit der Aufstellung und Entgegennahme der Lose oder mit dem Abschluss des Teilungsvertrages. |
2 | Der Teilungsvertrag bedarf zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 635 - 1 Verträge unter den Miterben über Abtretung der Erbanteile bedürfen zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.545 |
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1 | Verträge unter den Miterben über Abtretung der Erbanteile bedürfen zu ihrer Gültigkeit der schriftlichen Form.545 |
2 | Werden sie von einem Erben mit einem Dritten abgeschlossen, so geben sie diesem kein Recht auf Mitwirkung bei der Teilung, sondern nur einen Anspruch auf den Anteil, der dem Erben aus der Teilung zugewiesen wird. |
C. - Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen hat am 23. August 1933 die
Beschwerde abgewiesen.
D. - Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende zivilrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, er sei wegen fehlerhafter Anwendung kantonalen
statt eidgenössischen Rechtes aufzuheben, und es sei demzufolge die
beanstandete Einterlassenschaftsteilung ungültig zu erklären, eventuell sei
die Sache zu bundesrechtmässiger Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Das EG zum ZGB für den Kanton Schaffhausen enthält folgende Vorschriften über
den Erbgang:
Art. 74: Die Waisenbehörde hat in allen Erbschaftsfällen von Amtes wegen
einzuschreiten, ohne Verzug über die Erbschaft das amtliche Inventar
aufzunehmen...
Art. 76: Für das Verfahren bei der Aufnahme des amtlichen Inventars und für
die formelle Behandlung der Erbschaft überhaupt gelten die Vorschriften des
Beschreibungs- und Teilungsgesetzes ..., soweit sie mit den Bestimmungen des
Zivilgesetzbuches nicht im Widerspruche stehen...
Art. 85: Alle erbrechtlichen Teilungen ... finden unter amtlicher Mitwirkung
statt. Für das Verfahren sind unter Vorbehalt der Bestimmungen des
Zivilgesetzbuches die Vorschriften des Beschreibungs- und Teilungsgesetzes ...
massgebend.
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Dem erwähnten Gesetz über das Verfahren bei Beschreibungen und Teilungen usw.
vom 25. Januar 1884 sind folgende Bestimmungen zu entnehmen:
Art. 1: Alle gesetzlich vorgesehenen ... erbrechtlichen Vermögens- ...
teilungen ... müssen unter amtlicher Mitwirkung stattfinden...
Art. 8: Die Hauptdokumente über die in Art. 1, erstem Absatz, bezeichneten
Akten (u. a. erbrechtliche Vermögensteilungen) sind durch die Beteiligten ...
unterschriftlich anzuerkennen...
Art. 9: Weigern sich einzelne Beteiligte, vorgenannte Akte anzuerkennen, so
gelangen die Streitpunkte zur gütlichen Vermittelung oder gutachtlichen
Feststellung an die Waisenbehörde unter Vorladung sämtlicher Beteiligten.
Verweigern einzelne auch dann noch die Anerkennung, so wird das vorgelegte
Dokument dennoch als angenommen betrachtet, wenn jene nicht binnen 10 Tagen
den ordentlichen Rechtsweg beschritten haben...
Art. 11: Alle ... Teilungen ... unterliegen der Genehmigung der zuständigen
Waisenbehörde...
Art. 12: Nach erfolgter waisenamtlicher Genehmigung gelangen diese Dokumente
zur Ratifikation an das zuständige Waisen- und Teilungsinspektorat, welches
dieselben in jeder Richtung zu prüfen, nach Richtigbefinden zu unterzeichnen
und zu besiegeln ... hat.
Keine Teilung ... erhält Rechtskraft, bevor sie von der Waisenbehörde geprüft
und vom Waisen- und Teilungsinspektor ratifiziert ist. Allfällige später
zutage tretende materielle Unrichtigkeiten, welche zur Zeit der ... Teilung
... nicht bekannt waren, können nachträglich berichtigt werden.
Von diesen Vorschriften sind mindestens die beiden letztangeführten (Art. 11
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 11 - 1 Rechtsfähig ist jedermann. |
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1 | Rechtsfähig ist jedermann. |
2 | Für alle Menschen besteht demgemäss in den Schranken der Rechtsordnung die gleiche Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben. |
und 12
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 12 - Wer handlungsfähig ist, hat die Fähigkeit, durch seine Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen. |
Erbschaftsteilung fremd. Es sieht nur eine amtliche Mitwirkung bei der
Erbschaftsteilung vor, und zwar insofern, als bei
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der Teilung auftauchende Streitfragen von gerichtlichen oder andern Behörden
zu entscheiden sind oder, in den in Art. 609 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 609 - 1 Auf Verlangen eines Gläubigers, der den Anspruch eines Erben auf eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat, oder der gegen ihn Verlustscheine besitzt, hat die Behörde an Stelle dieses Erben bei der Teilung mitzuwirken. |
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1 | Auf Verlangen eines Gläubigers, der den Anspruch eines Erben auf eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat, oder der gegen ihn Verlustscheine besitzt, hat die Behörde an Stelle dieses Erben bei der Teilung mitzuwirken. |
2 | Dem kantonalen Recht bleibt es vorbehalten, noch für weitere Fälle eine amtliche Mitwirkung bei der Teilung vorzusehen. |
die Behörde einen Erben vertritt. Freilich behält Art. 609 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 609 - 1 Auf Verlangen eines Gläubigers, der den Anspruch eines Erben auf eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat, oder der gegen ihn Verlustscheine besitzt, hat die Behörde an Stelle dieses Erben bei der Teilung mitzuwirken. |
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1 | Auf Verlangen eines Gläubigers, der den Anspruch eines Erben auf eine angefallene Erbschaft erworben oder gepfändet hat, oder der gegen ihn Verlustscheine besitzt, hat die Behörde an Stelle dieses Erben bei der Teilung mitzuwirken. |
2 | Dem kantonalen Recht bleibt es vorbehalten, noch für weitere Fälle eine amtliche Mitwirkung bei der Teilung vorzusehen. |
kantonalen Recht vor, noch für weitere Fälle eine amtliche Mitwirkung bei der
Teilung vorzusehen. Damit wird zwar einerseits nicht nur die Stellvertretung
eines Erben durch die Behörde in weitern, kantonal-rechtlichen Fällen,
anderseits jedoch nicht etwa eine solche Art der behördlichen Mitwirkung
zugelassen, die auf eine Beeinträchtigung der den einzelnen Erben von
Bundesrechts wegen zustehenden Rechte hinausläuft (BGE 51 II 490 f, 492).
Somit lässt sich von Bundesrechts wegen nichts einwenden gegen die
Beibehaltung des ersten Absatzes des Art. 9 des Schaffhauser Teilungsgesetzes,
und auch noch nichts gegen eine Fristansetzung an die Erben zur Erklärung über
ihre Stellungnahme zur gutachtlichen Feststellung der Waisenbehörde über die
Streitpunkte. Dagegen erscheint schon zweifelhaft, ob die im zweiten Absatz
des Art. 9
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 9 - 1 Öffentliche Register und öffentliche Urkunden erbringen für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist. |
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1 | Öffentliche Register und öffentliche Urkunden erbringen für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist. |
2 | Dieser Nachweis ist an keine besondere Form gebunden. |
Präklusionswickung vereinbar sei mit der von Art. 611
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 611 - 1 Die Erben bilden aus den Erbschaftssachen so viele Teile oder Lose, als Erben oder Erbstämme sind. |
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1 | Die Erben bilden aus den Erbschaftssachen so viele Teile oder Lose, als Erben oder Erbstämme sind. |
2 | Können sie sich nicht einigen, so hat auf Verlangen eines der Erben die zuständige Behörde unter Berücksichtigung des Ortsgebrauches, der persönlichen Verhältnisse und der Wünsche der Mehrheit der Miterben die Lose zu bilden. |
3 | Die Verteilung der Lose erfolgt nach Vereinbarung oder durch Losziehung unter den Erben. |
eines Teilungsvertrages vorgesehenen Losbildung (vgl. BGE 51 II 494).
Jedenfalls ist die in Art. l l ausgesprochene Genehmigungsbedürftigkeit aller
Erbschaftsteilungen unvereinbar mit Art. 634
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 634 - 1 Die Teilung wird für die Erben verbindlich mit der Aufstellung und Entgegennahme der Lose oder mit dem Abschluss des Teilungsvertrages. |
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1 | Die Teilung wird für die Erben verbindlich mit der Aufstellung und Entgegennahme der Lose oder mit dem Abschluss des Teilungsvertrages. |
2 | Der Teilungsvertrag bedarf zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form. |
Erben (ohne weiteres) verbindlich wird mit der Entgegennahme der Lose oder mit
dem Abschluss des Teilungsvertrages. Die Anwendung des Art. 11
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 11 - 1 Rechtsfähig ist jedermann. |
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1 | Rechtsfähig ist jedermann. |
2 | Für alle Menschen besteht demgemäss in den Schranken der Rechtsordnung die gleiche Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben. |
darauf hinaus, dass die Verbindlichkeit der Erbschaftsteilung von einem
weitern, in Art. 634
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 634 - 1 Die Teilung wird für die Erben verbindlich mit der Aufstellung und Entgegennahme der Lose oder mit dem Abschluss des Teilungsvertrages. |
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1 | Die Teilung wird für die Erben verbindlich mit der Aufstellung und Entgegennahme der Lose oder mit dem Abschluss des Teilungsvertrages. |
2 | Der Teilungsvertrag bedarf zu seiner Gültigkeit der schriftlichen Form. |
gemacht würde, oder darauf, dass das bundesrechtliche formelle (alternative)
Gültigkeitserfordernis durch ein anderes ersetzt würde. Gerade das letztere
ist hier geschehen, wo die Waisenbehörde und das Waisen- und
Teilungsinspektorat den Nachtrag des Teilungsplanes genehmigten, welchen die
Kanzlei des
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Waisenamtes entworfen hatte, ohne dass sich die Erben mit diesem Nachtrag
einverstanden erklärt hätten. Freilich hatte sich die Miterbin Frau
Meier-Jauch seinerzeit bereit erklärt, Aktiven und Passiven der
(überschuldeten) Erbschaft nach deren Stand laut dem ursprünglichen
Teilungsplan zu übernehmen, als mit keiner andern namhaften Schuld als
derjenigen an sie selbst (abgesehen von der grundpfandversicherten) gerechnet
wurde. Hieraus ohne weiteres auf die gleiche Bereitschaft in dem jetzt
vorliegenden Falle zu schliessen, wo noch beinahe 1000 Fr. an eine andere
Miterbin herauszuzahlen sind, was schlechterdings nicht als blosse
Wertveränderung bezeichnet werden kann, erweckt erhebliche Bedenken. Allein
selbst wenn der Erklärung der Miterbin Frau Meier-Jauch unzweifelhaft diese
Tragweite beigemessen werden dürfte, so wäre der Waisen- und Teilungsbehörde
keine Genchmigung und Bestätigung der Teilung durch Ubernahme der Aktiven und
Passiven seitens der Frau Meier-Jauch zugestanden, sondern müsste sie sich auf
die Entgegennahme dieser Erklärung beschränken und es gegebenenfalls den
Miterben überlassen, die derart angenommene Teilung zu erzwingen, wenn Frau
Meier-Jauch ihr Versprechen nicht mehr halten wollte.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird begründet erklärt und die Verfügung des
Waiseninspektorates des Bezirkes Schleitheim vom 24. Mai, sowie der Entscheid
des Regierungsrates des Kantons Schaffhausen vom 23. August 1933 werden
aufgehoben.