BGE 60 I 374
58. Urteil vom 20. Dezember 1934 i. S. Leuthold gegen eidg. Steuerverwaltung.
Regeste:
I. Verfahren. Zur verwaltungsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist nicht nur
derjenige, der in dem angefochtenen Entscheid als Partei beteiligt war,
sondern auch wer behauptet, durch ihn in seinen Rechten verletzt worden zu
sein. Eine Einzelfirma kann sich deshalb über die Besteuerung der von ihr
ausgegebenen Obligationen beschweren, auch wenn der Entscheid nicht ihr,
sondern dem Firmeninhaber persönlich gegenüber ergangen ist.
II. Eidgenössische Stempelabgaben.
1. Begriff der stempelpflichtigen Obligation, Anleihensobligation,
Kassenobligation.
2. Die Kassenobligation als Instrument kollektiver Mittelbeschaffung und
Anlagegewährung. - Ihre Unterscheidung vom abgabefreien Einzelschuldschein.
3. Kassenobligationen unterliegen den eidgenössischen Stempelabgaben ohne
Rücksicht darauf, ob ihnen zivilrechtlich Wertpapiereigenschaft zukommt.
(Tatsachen gekürzt).
A. - Frau Mina Leuthold-Jakob, Inhaberin der Einzelfirma «Mina Leuthold,
vormals Theophil Leuthold», Woll- und Baumwollgarne en gros, in Wädenswil,
führt in der Geschäftsbilanz auf den 1. März 1933 unter einem Sammelposten
«Darlehen» im Betrage von 118000 Fr. eine Reihe von Verpflichtungen auf, die
aus Darlehen und andern Schuldgründen herrühren. In früheren Bilanzen finden
sie sich unter der Bezeichnung «Obligos» 1918 mit 147823 Fr. 37 Cts., 1925
165300 Fr., 1927 136150 Fr., 1932 121230 Fr. (Ausserdem werden seit 1927
«Obligationen» ausgewiesen von ursprünglich 40000 Fr., 1933 noch 15000 Fr.; es
handelt sich um 40 auf den Namen lautende Schuldscheine über verzinsliche
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Darlehen von je 1000 Fr. nach einem gedruckten Formular). Von den «Darlehen»
der Bilanz 1933 sind 3 Posten im Betrage von 8500 Fr. nicht verbrieft. Für die
übrigen Verpflichtungen bestehen 12 schriftliche Schuldscheine. Ausserdem
liegen 7 weitere Schuldscheine vor, von denen einer seit 1929 durch einen
neuen Titel ersetzt ist, die übrigen waren am Bilanztage 1933 zurückbezahlt. -
Sämtliche 19 Schuldscheine sind von Fall zu Fall abgefasst; sie enthalten eine
Schuldanerkennung, wobei als Schuldgrund (mit drei noch zu erwähnenden
Ausnahmen) Darlehen angegeben wird.
Als Besonderheiten sind anzuführen:
a) Der oben erwähnte Ersatztitel aus dem Jahre 1929, ausgestellt am 1. März,
erwähnt (wie einzelne der vor 1933 eingelösten Titel) den Schuldgrund nicht.
b) Der durch diesen Schuldschein ersetzte Titel, ausgestellt am 23. Mai 1918,
verzeichnet als Schuldgrund «Teilungsrechnung».
c) Ein am 28. Februar 1914 errichteter Schuldschein beruht nach seinem
Wortlaut auf der Übernahme eines Warenlagers.
B. - Die eidgenössische Steuerverwaltung fordert laut Einspracheentscheid vom
16. August 1933 auf den unter dem Bilanzposten «Darlehen», resp. «Obligos»
zusammengefassten Verpflichtungen, soweit sie in Schuldurkunden (Obligos)
verbrieft sind, die Couponabgabe für die 1928 und seither verfallenen Zinsen
und für die seit dem 1. April 1918 ausgegebenen oder konvertierten
Schuldurkunden die Stempelabgabe auf Obligationen.
Die Begründung des Einspracheentscheides lässt sich dahin zusammenfassen, die
Schuldurkunden der Mina Leuthold und ihrer Rechtsvorgänger seien
Kassenobligationen als Instrumente kollektiver Mittelverschaffung, wofür auf
die Zahl der ausgegebenen Titel (wenigstens 40 gedruckte und 18 ungedruckte)
hingewiesen wird. Dass die für die Abwandlung des Schuldverhältnisses
massgebenden Bedingungen und die Formulierung der einzelnen
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ungedruckten Titel (z. B. bezüglich des Schuldgrundes) nicht in allen Fällen
übereinstimmen, dass die Geldaufnahme gegen solche Titel nicht regelmässig und
fortlaufend betrieben werde, sei unerheblich; ebenso die Tatsache, dass die
Schuldscheingläubiger meist Verwandte der Schuldner seien und dies in den
Titeln vermerkt werde. Auch Wertpapiereigenschaft der Titel sei nicht
Voraussetzung für die Abgabepflicht.
C. - Mit rechtzeitig eingereichter Beschwerde beantragt die Firma Mina
Leuthold in Wädenswil Aufhebung des Entscheides der eidgenössischen
Steuerverwaltung. Aus der Begründung ist zu erwähnen: Bei den ungedruckten
Obligos handle es sich um Einzeldarlehen, wofür das Datum der Errichtung
angeführt wird, sowie der Umstand, dass die Gelder der Schuldnerin meist von
verwandter Seite angetragen wurden, ohne dass bei ihr ein Geldbedürfnis
bestanden hätte. Es handle sich nicht um kollektive Mittelbeschaffung unter
uniformen oder einheitlichen Bedingungen. Es verletze das Rechtsempfinden,
wenn die Praxis entgegen den Erläuterungen der Botschaften zum Gesetz die
Besteuerung auf Urkunden ausdehne, die nicht Wertpapiere im Sinne des
Zivilrechtes seien.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Da es sich um die Steuerbarkeit von Urkunden handelt, die, ungeachtet
ihrer Formulierung, im Geschäftsbetriebe der Einzelfirma Mina Leuthold und
ihrer Rechtsvorgänger ausgegeben worden sind, darf die Firma als solche als
zur Beschwerdeführung legitimiert angesehen werden (Art. 9, Abs. 1 VDG). Die
Beschwerde, die gestützt auf die Vollmacht eines Geschäftsführers der Firma
eingereicht wurde, ist demnach zur Beurteilung entgegenzunehmen, obgleich der
Einspracheentscheid auf die Firmainhaberin, Frau Mina Leuthold persönlich
lautet. Übrigens war das Ermittlungsverfahren der Firma gegenüber geführt
worden; an sie wurde der erste
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Verwaltungsentscheid gerichtet und sie hatte die Einsprache gegen diesen
Entscheid erhoben.
2.- Das Bundesgesetz über die Stempelabgaben erklärt als abgabepflichtige
Wertpapiere «auf den Inhaber, an Ordre oder auf den Namen lautende
Obligationen», u. a. Anleihens- und Kassenobligationen (Art. 10, lit. a). Als
Obligationen gelten nach der Praxis schriftliche, auf feste Beträge lautende
Schuldanerkennungen, die zum Zwecke kollektiver Beschaffung von Leihkapital
oder zur Konsolidierung von Verbindlichkeiten in einer Mehrzahl von Exemplaren
zu gleichartigen (aber nicht notwendig einheitlichen) Bedingungen ausgegeben
werden und den Gläubigern zur Nachweisung, Geltendmachung oder Übertragung der
Forderung dienen (AMSTUTZ/WYSS, Komm. S. 31, Anm. 2 zu Art. 10). Der
kollektiven Beschaffung von Leihkapital gleichzustellen ist die Gewährung
kollektiver Anlagegelegenheit. Denn darauf, ob der Geldnehmer Mittel sucht,
weil er ihrer bedarf, oder ob er sie entgegennimmt, weil sie ihm angeboten
werden, kommt es nicht an. Nicht erforderlich ist, dass den Schuldurkunden
zivilrechtlich Wertpapiereigenschaft zukommt. Das ergibt sich, wie im
Einspracheentscheid zutreffend dargelegt worden ist, aus dem Gesetze selbst,
womit die Ausführungen der Beschwerdeführerin ohne weiteres als irrtümlich
dahinfallen.
Anleihensobligationen lauten auf Teilbeträge einer bestimmten Anleihe und
weisen deshalb einheitliche Bedingungen auf. Kassenobligationen werden einzeln
ausgegeben, die Bedingungen werden serienweise oder von Fall zu Fall
festgestellt, weshalb den Kassenobligationen die Einheitlichkeit in der Regel
fehlt, die die Anleihensobligationen charakterisiert. Eine Gleichartigkeit der
Urkunden muss in diesen Fällen genügen. Die Kennzeichnung derart einzeln
abgegebener Titel als Kassenobligationen, nämlich als Instrumente kollektiver
Mittelbeschaffung oder Anlagegewährung, wodurch sie sich vom nicht
abgabepflichtigen Einzelschuldschein unterscheiden,
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muss aus den Umständen geschlossen werden, unter denen sie zur Ausgabe
gelangen. Mit Kassenobligationen hat man es jedenfalls zu tun, wenn eine
Unternehmung Schuldurkunden allgemein oder einem bestimmten Personenkreis
anbietet; ferner dann, wenn sie sie zwar nicht besonders anbietet, aber doch
auf Wunsch abzugeben pflegt, die in Frage kommenden Personen also wissen, dass
sie der Unternehmung Mittel gegen Schuldurkunden zur Verfügung stellen, in der
Unternehmung anlogen können. Solche gewohnheitsmässig abgegebene
Schuldurkunden sind auch dann keine Einzelschuldscheine, wenn die Bedingungen
nach den Umständen jedes Falles festgestellt und die Titel danach formuliert
werden. Dass dabei der Schuldgrund in der Urkunde zum Ausdruck gebracht wird,
steht deren Charakterisierung als (Anleihens- oder Kassen-) Obligation nicht
entgegen (BGE 57 I S. 402 f.). Immerhin kann unter Umständen der Schuldgrund
ein Indiz sein für die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit oder
Verschiedenheit von Schuldurkunden, auf die es bei der Unterscheidung von
Obligationen und Einzelschuldscheinen ankommt.
Die Kassenobligationen unterliegen sodann der eidgenössischen Stempelabgabe
auf Coupons (Art. 3, lit. a CG).
3.- Die eidgenössische Steuerverwaltung hat (abgesehen von zwei noch zu
erwähnenden Ausnahmen) mit Recht angenommen, dass die fraglichen Urkunden
abgabepflichtige Kassenobligationen sind. Es handelt sich um Schuldscheine,
die von der Beschwerdeführerin, wenn auch nicht fortlaufend, so doch
jedenfalls gewohnheitsmässig, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet,
abgegeben und wieder eingelöst werden, wie sich aus der Zahl der Urkunden und
den sich stets ändernden Bilanzziffern ergibt. Dass der Personenkreis, der
dabei beteiligt wird, ein beschränkter ist und hauptsächlich Angehörige der
weiteren Familie und Bekannte der Schuldnerin umfasst, ist unerheblich, ebenso
die Abwandlungen der
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Darlehensbedingungen von Fall zu Fall. Die in Frage stehenden Titel sind denn
auch gleichartig entweder als Darlehensschuldscheine oder als Schuldurkunden
ohne Bezeichnung des Schuldgrundes formuliert und erweisen sich als
Instrumente kollektiver Mittelbeschaffung, resp. Anlagegewährung. Die Annahme
der Beschwerdeführerin, dass es sich um Einzelschuldscheine handle, beruht auf
einer Verkennung des Wesens der Kassenobligation als eines rechtlich, im
Verhältnis von Gläubiger und Schuldner, einzeln, von Fall zu Fall ausgegebenen
Titels, der wirtschaftlich einer Gruppe gleichartiger Titel zugehört, was hier
zutrifft.
4.- Auszunehmen sind die beiden unter lit. A. b und c hievor erwähnten
Schuldtitel, die auf besondern Gründen beruhen, der eine auf Erbteilung, der
andere auf dem Verkaufe eines Warenlagers. Sie nehmen auf diese
Entstehungsgründe Bezug, was auf besondere Verhältnisse hinweist und die
Gleichstellung mit den unter Ziffer 3 erwähnten Schuldtiteln ausschliesst.
Allerdings sind die beiden Titel im übrigen den als Kassenobligationen
charakterisierten Schuldverschreibungen ähnlich, sie sind wie diese als
«Obligos» bezeichnet und werden in der Bilanz der Beschwerdeführerin mit ihnen
unter dem Bilanzposten «Darlehen», früher «Obligos», zusammengefasst. Es
erscheint aber doch als richtig, sie als Einzelschuldscheine anzusehen und von
der Stempelabgabe auszunehmen. Infolgedessen braucht nicht erörtert zu werden,
ob diese Titel nach Inkrafttreten des Stempelgesetzes «erneuert» worden sind
(Art. 15
SR 641.10 Bundesgesetz vom 27. Juni 1973 über die Stempelabgaben (StG) StG Art. 15 - 1 Die Abgabeforderung entsteht mit dem Abschluss des Geschäftes. |
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1 | Die Abgabeforderung entsteht mit dem Abschluss des Geschäftes. |
2 | Bei bedingten oder ein Wahlrecht einräumenden Geschäften entsteht die Abgabeforderung mit der Erfüllung des Geschäftes. |
Der Titel unter A. b (im Betrage von ursprünglich 42500 Fr., später 40000 Fr.
zu Gunsten von ...) ist auf den 1. März 1929 zurückgezogen worden. Er ist
belastet mit der Emissionsabgabe und mit der Couponabgabe auf den Zinsen des
Jahres 1928. Diese beiden Abgaben fallen dahin. Der Ersatztitel (A a) ist eine
Kassenobligation und unterliegt der Emissions- und, für die Zinsen, der
Couponabgabe.
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Der Titel unter A. c (im Betrage von ursprünglich 24000 Fr., jetzt 15000 Fr.
zu Gunsten von ...) ist noch im Umlauf. Es entfallen die für ihn geforderte
Emissionsabgabe und die Couponabgaben für die Zinsen der Jahre 1928 bis 1932.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Darlehen von ursprünglich
24000 Fr., jetzt 15000 Fr. (Titel vom 28. Februar 1914 zu Gunsten von ...)
nicht, das Darlehen von ursprünglich 42500 Fr., jetzt 40000 Fr. (Titel vom 23.
Mai 1918 und 1. März 1929 zu Gunsten von ...) vom 1. März 1929 an unter die
eidgenössischen Stempelabgaben auf Obligationen und Coupons fällt. Im übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.