S. 31 / Nr. 6 Registersachen (d)

BGE 60 I 31

6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Januar 1934 i. S. Senn gegen Kästli
und Regierungsrat Bern.


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Regeste:
Legitimation zur verwaltungsrechtlichen Beschwerde: Die im angefochtenen
Entscheid enthaltene Bezeichnung als Partei verleiht die formelle
Beschwerdelegitimation. Art. 9 VDG (Erw. 1).
Die Legitimation zur Sache setzt einen Verstoss gegen das öffentliche Recht
voraus, der gleichzeitig die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers
verletzt. Im vorliegenden Fall verneint bei Abweisung eines Begehrens um
Anordnung der Änderung der Firma eines Konkurrenten, die gegen den Grundsatz
der Firmenwahrheit verstosse (Erw. 2).

A. - Am 15. April 1929 bildete sich unter der Firma «Hermann Kästli,
Rolladenindustrie A.-G.» eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Bern. Als Zweck
derselben ist im Handelsregister angegeben: «Die Montage von Holz- und
Stahlrolladen und Garagestorren, die Anfertigung und Installierung von
Sonnenstorren und Marquisen und ferner die Ausführung aller in die Branche
einschlagenden Reparaturarbeiten im Gebiete des Kantons Bern und der
Zentralschweiz» sowie unter anderm auch «die Übernahme von Vertretungen in der
genannten Branche». Die Gesellschaft übernahm bei einem Aktienkapital von
87000 Fr. die Aktiven und Passiven der am gleichen Tage erloschenen
Einzelfirma Hermann Kästli, Rolladenindustrie.
B. - Auf Betreiben der Firma J. Senn, Rolladenfabrikant in Bern-Bümpliz
forderte der Handelsregisterführer von Bern mit Schreiben vom 5. Mai 1933 die
erwähnte Aktiengesellschaft auf, bis zum 30. Juni 1933 eine auf die
Elimination der Bezeichnung «Rolladenindustrie» aus ihrer Firma gerichtete
Statutenänderung zu beschliessen. Die Aktiengesellschaft widersetzte sich
dieser Zumutung, worauf der Handelsregisterführer die Angelegenheit der
Justizdirektion des Kantons Bern überwies. Nachdem diese zunächst eine
Vernehmlassung der bernischen Handels- und Gewerbekammer eingeholt hatte,

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hat der Regierungsrat des Kantons Bern mit Verfügung vom 29. August 1933,
zugestellt am 6. September 1933, das Begehren der Firma J. Senn, es sei die
zwangsweise Änderung der Firma der genannten Aktiengesellschaft zu verfügen,
abgewiesen.
C. - Hiegegen hat die Firma J. Senn rechtzeitig und in der vorgeschriebenen
Form die verwaltungsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht eingelegt mit
dem Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und es sei die in der
Firma Hermann Kästli, Rolladenindustrie A.-G. enthaltene Geschäftsbezeichnung
«Rolladenindustrie» als unzulässig zu erklären, und es sei demzufolge die
genannte Firma anzuhalten, das Wort «Rolladenindustrie» zu eliminieren,
eventuell sei anzuordnen, dieses Wort im Handelsregister als Teil der Firma zu
streichen, eventuell sei die Firma zu streichen.
D. - Der Regierungsrat des Kantons Bern, sowie die Firma Hermann Kästli,
Rolladenindustrie A.-G. haben Abweisung der Beschwerde beantragt, da sie
materiell unbegründet sei. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
hingegen hat die Gutheissung derselben befürwortet, im wesentlichen mit der
Begründung, die Firmenbildung der fraglichen Aktiengesellschaft unter
Verwendung des Wortes «Rolladenindustrie» sei offenbar unwahr und geeignet, zu
Täuschungen Anlass zu geben. Für die Beobachtung des Grundsatzes der
Firmenwahrheit sei durch die für das Handelsregister eingesetzten
Verwaltungsbehörden von Amteswegen zu sorgen, gleichgültig, ob eine Eintragung
ausserdem einem Dritten zu einer Zivilklage Anlass geben könnte oder nicht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Firma Senn beschwert sich darüber, dass ihr Antrag an das
Handelsregisteramt Bern, es sei eine Änderung der Firmabezeichnung einer
Konkurrenzfirma anzuordnen, von den kantonalen Verwaltungsbehörden abgewiesen
worden ist.

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Was die Frage der Legitimation der Beschwerdeführerin anbelangt, die das
Bundesgericht als Prozessvoraussetzung von Amteswegen zu prüfen hat, so ist
zunächst darauf abzustellen, dass die Beschwerdeführerin im angefochtenen
Entscheid des bernischen Regierungsrates ausdrücklich als Partei aufgeführt
ist. Mit Rücksicht auf den Wortlaut von Art. 9 VDG steht ihr somit wenigstens
in formeller Hinsicht die Legitimation zur Verwaltungsbeschwerde zu
(KIRCHHOFER, Die Verwaltungsrechtspflege beim Bundesgericht, S. 33, 35).
2.- In der Sache selbst ist von der Begründung auszugehen, die die
Beschwerdeführerin für ihren Antrag gibt: Sie behauptet, die von ihr
beanstandete Firmabezeichnung verstosse gegen den in Art. 1 VO II
aufgestellten Grundsatz der Firmenwahrheit und gebe zu Täuschungen des
Publikums Anlass. Gemäss dieser Begründung sind es also öffentliche
Interessen, deren Verletzung die Beschwerdeführerin rügt und mit der
Beschwerde zu beseitigen trachtet. Aus dieser Problemstellung folgt aber
bereits eindeutig, dass der Beschwerdeführerin trotz Vorhandenseins der
formellen Beschwerdelegitimation die Legitimation zur Sache fehlt. Denn nach
allgemein anerkannter Auffassung ist die Verwaltungsbeschwerde keine
Popularbeschwerde, zu deren Erhebung im öffentlichen Interesse jeder Bürger
befugt wäre. Die Sorge für das öffentliche Wohl und die Verwirklichung des
objektiven öffentlichen Rechtes ist vielmehr nicht Sache des Einzelnen,
sondern ausschliesslich der dazu befugten Behörden (KIRCHHOFFR, S. 34). Zwar
sind diese berechtigt, ihnen von einem Bürger zur Kenntnis gebrachte
Verletzungen des öffentlichen Interesses zu untersuchen und die betreffenden
Behauptungen auf ihre Begründetheit hin zu prüfen, aber sie sind dazu nicht
verpflichtet, weil der Einzelne einen subjektiven Anspruch auf ihr Tätigwerden
hätte (BGE 56 I S. 361). Kommt die Behörde auf Grund ihrer Prüfung dazu, eine
Verletzung öffentlicher Interessen entgegen der Ansicht des Verzeigers

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zu verneinen, und macht sie diesem hievon in der Form Mitteilung, dass sie
seinen Antrag abweist, so erhält er damit noch keine sachliche Legitimation
zur Weiterziehung der Angelegenheit auf dem Wege der verwaltungsgerichtlichen
Beschwerde. Diese Befugnis kann ihm logischerweise nicht zustehen, da ihm doch
die primäre Voraussetzung dazu, nämlich das Recht, bei den Verwaltungsbehörden
Anträge zu stellen, also die Postulationsfähigkeit im Sinne der
Prozessrechtswissenschaft, fehlt.
Die Legitimation zur Sache ist vielmehr dann und nur dann vorhanden, wenn der
vom Beschwerdeführer behauptete Verstoss gegen das öffentliche Recht - und
damit auch der einen solchen verneinende Entscheid einer Verwaltungsbehörde -
gleichzeitig einen unrechtmässigen Eingriff in seine subjektive Rechtssphäre
bedeutet. Unter dieser Voraussetzung steht ihm die Befugnis zu, Anträge an die
Verwaltungsbehörde zu stellen, und wenn diese ihn abweist, an das
Verwaltungsgericht zu gelangen mit dem Begehren um Schutz für sein subjektives
Recht. Diese Befugnis steht ihm gemäss Art. 9 VDG sogar dann zu, wenn er an
dem angefochtenen Entscheid nicht einmal als Partei beteiligt war; es genügt,
dass er durch den Entscheid in der erwähnten Weise unmittelbar betroffen wird
(KIRCHHOFER, S. 33 f.).
Im vorliegenden Fall behauptet die Beschwerdeführerin nun aber selber gar
nicht, dass sie durch die beanstandete Firmenbildung in ihren subjektiven
Rechten verletzt werde, und in Wirklichkeit liegt eine solche Verletzung auch
nicht vor. Der Grund, der die Beschwerdeführerin zu ihrem Vorgehen veranlasst,
ist das rein wirtschaftliche Interesse des einen Konkurrenten gegenüber dem
andern, das zur Begründung eines subjektiven Rechtes niemals ausreicht.
Ist die Beschwerdeführerin aber der Auffassung, die in Frage stehende
Firmenbildung verstosse nicht nur gegen die öffentliche Ordnung, sondern
verletze auch ihre eigenen Firmenrechte oder stelle einen Verstoss gegen

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die Lauterkeit des Wettbewerbes dar, indem die Aktiengesellschaft ihr durch
unwahre Angaben in ihrer Firma die Kundschaft abspenstig mache oder zu machen
suche, so kann sie sich dagegen auf dem Wege der privatrechtlichen Klage zur
Wehr setzen (Art. 30 VO betr. das Handelsregister). Denn was sie dann in
erster Linie anstrebt, ist der Schutz ihrer privaten Interessen, bei denen die
öffentliche Ordnung nur insoweit im Spiele ist, als sich indirekt aus ihren
Normen auch etwas für diese privaten Interessen ableiten lässt. Mit der
privatrechtlichen Klage kann die Beschwerdeführerin aber selbstverständlich
ausschliesslich gegen den Inhaber der beanstandeten Firma, nicht jedoch auch
gegen die Behörde vorgehen, die sich unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen
Interesses nicht zum Einschreiten veranlasst gesehen hat.
Die Beschwerde ist daher wegen Fehlens der Legitimation der Firma J. Senn zur
Sache materiell abzuweisen, ohne dass etwa das Bundesgericht, da es ja nicht
eidgenössische Aufsichtsbehörde über das Handelsregister ist, von Amteswegen
auf die Prüfung der Frage einzutreten hätte, ob die beanstandete Firmenbildung
gegen den Grundsatz der Firmenwahrheit verstosse.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 60 I 31
Datum : 01. Januar 1934
Publiziert : 30. Januar 1934
Quelle : Bundesgericht
Status : 60 I 31
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Legitimation zur verwaltungsrechtlichen Beschwerde: Die im angefochtenen Entscheid enthaltene...


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56-I-358 • 60-I-31
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