S. 305 / Nr. 44 Obligationenrecht (d)

BGE 59 II 305

44. Auszug aus dem Urteil der I Zivilabteilung vom 13. September 1933 i. S.
Geba A.-G. gegen Guss-Baustein-Fabrik Zürich A.-G.


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Regeste:
Sukzessivlieferungskauf auf Abruf. Unterlassung des Abrufes durch den Käufer
und Unterlassung einer Mahnung, abzurufen, durch den Verkäufer. Annahme- und
Schuldnerverzug des Käufers. Stillschweigende Vertragsauflösung? OR Art. 91,
211 Abs. 1; OR Art. 97, 108 Ziff. 1

A. - Die Beklagte, Geba A.-G., Baugeschäft in Zürich, erstellte in den Jahren
1931 und 1932 in Zürich eine Anzahl Neubauten. Anfangs Februar 1931 übertrug
sie der Klägerin, Guss-Baustein-Fabrik Zürich A.-G., die Lieferung von
Schlackensteinen für eine erste Serie von Häusern, die im Jahre 1931
ausgeführt werden mussten... Am 10. Februar 1931 bestätigte sie das
abgeschlossene Geschäft: «Wir... übertragen Ihnen hiermit die Lieferung für
den Gesamtbedarf an obigen Baumaterialien auf die in obigem Schreiben
erwähnten diversen und eventuell in diesem Jahr neu hinzukommenden Neubauten
gemäss Ihrer Offerte. Bei Bedarf wird das benötigte Quantum jeweilen
telephonisch abgerufen.» Am 2. April 1932 übertrug sie der Klägerin ausserdem
«die Lieferung sämtlicher Schlackenplatten für die Neubauten: 3 Häuser
Giesshübelstrasse, und Wohn- und Geschäftshaus Albisriederstrasse in
Albisrieden, zu den nachfolgenden Preisen: 6er-Platten 3 Fr. 25 Cts. pro m2,
8er-Platten 4 Fr. pro m2, franko Bauplatz geliefert.» Im Jahre 1931 rief sie
aber für die damals zur Ausführung gelangten Bauten nur 949 m2 an
Schlackensteinen ab. Auf Grund des zweiten Vertrages von 1932 unterliess sie
überhaupt jeden Abruf. Der Nichtbezug beträgt unbestrittenermassen 5392 m2 .
B. - Am 30. Dezember 1932 hat die Guss-Baustein-Fabrik Zürich A.-G. gegen die
Gleba A.-G. Klage auf Bezahlung von 4043 Fr. 60 Cts. nebst 5% Zins seit 1.
September 1932 erhoben.

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C. -
D. - Durch Urteil vom 11. April 1933 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich
die Klage gutgeheissen.
E. - Gegen diesen Entscheid hat die Beklagte rechtzeitig und in der
vorgeschriebenen Form die Berufung an das Bundesgericht ergriffen und
Abweisung der Klage, eventuell Gutheissung nur im Betrage von 1000 Fr.
beantragt.
F. -
Aus den Erwägungen.
5.- Der Haupteinwand der Beklagten besteht darin, dass die Klägerin sie bis
zum 30. Juni nie gemahnt habe, abzurufen und die Steine zu beziehen, dass sie,
die Beklagte, daher nicht in Verzug gekommen sei und dass sie habe annehmen
dürfen, die Klägerin verzichte auf die Annahme.
Die Lieferung der Bausteine hatte auf Abruf der Beklagten zu erfolgen. Die
Zeit der Erfüllung durch den Verkäufer war also nicht zum Vornherein bestimmt,
sondern wurde der nachträglichen Festlegung durch den Käufer anheimgestellt.
Über die Art und Weise des Abrufes bestimmte der Vertrag, dass die Beklagte
bei Bedarf das benötigte Quantum jeweilen telephonisch abrufen werde. Die
Wendung «bei Bedarf» hängt mit dem benötigten Quantum zusammen: Die Beklagte
sollte jeweilen mitteilen, wann und wieviel Steine sie je nach dem
Fortschreiten ihrer Bauten geliefert haben wollte. Es lag ja auch auf der
Hand, dass die Klägerin über diesen Bedarf nicht unterrichtet sein konnte, da
sie mit den Bauten nichts zu tun hatte. Die Wendung «bei Bedarf» ändert also
nichts daran, dass es sich um einen gewöhnlichen Sukzessivlieferungskauf auf
Abruf handelt. Das Geschäft selbst ist nicht etwa bedingt durch das
Vorhandensein eines Bedarfes (vgl. STAUB, Kommentar, 12. und 13. Aufl. Anm. 5
zu § 359 HGB, HAGEDORN, Der Handelskauf auf Abruf S. 76).

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Der Abruf ist nach schweizerischem Recht unzweifelhaft eine dem Gläubiger
obliegende Vorbereitungshandlung, ohne die der Schuldner zu erfüllen nicht
imstande ist. Verweigert der Gläubiger die Vornahme des Abrufes zu einer Zeit,
da er zu erfolgen gehabt hätte, so gerät er in Annahmeverzug gemäss Art. 91
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 91 - Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die Annahme der gehörig angebotenen Leistung oder die Vornahme der ihm obliegenden Vorbereitungshandlungen, ohne die der Schuldner zu erfüllen nicht imstande ist, ungerechtfertigterweise verweigert.
OR
(von TUHR OR II S. 472 ff.). Im vorliegenden Fall steht jedoch fest, dass die
Beklagte nicht etwa ausdrücklich den Abruf verweigert hat, indem sie zunächst
durch die Klägerin gar nicht aufgefordert worden war, abzurufen' sondern dass
sie den Abruf einfach unterlassen hatte, und es frägt sich nun, welches die
Rechtsfolgen der Unterlassung des Abrufes durch die Beklagte und der
Unterlassung der Aufforderung zum Abruf durch die Klägerin sind.
Zumeist wird in einem Kaufvertrag auf Abruf eine Frist bestimmt, innert
welcher der Abruf zu erfolgen hat, nach deren Ablauf der Verkäufer den Käufer
wegen des Abrufes mahnen kann (von TUHR OR II S. 472 Nr. 24) und die die
nachfolgende Auseinandersetzung natürlich erleichtert; ist der Abruf an eine
kalendermässige Frist geknüpft, so wird, wenigstens nach deutschem Recht
(STAUB Nr. 5 zu § 359, S. 368), sogar angenommen, dass der Käufer ohne
Weiteres in Annahmeverzug gerate. In casu fehlt es jedoch an der
ausdrücklichen Vereinbarung einer solchen Frist. Immerhin besteht kein
Zweifel, dass die Beklagte noch in den Jahren 1931 und 1932, während ihre
Häuser im Bau begriffen waren, und als sie die Steine anderweitig bezog, hätte
abrufen sollen. Indem sie dies unterliess, geriet sie ohne Weiteres in
Annahmeverzug, ohne dass es hiezu Aufforderungen der Verkäuferin bedurft hätte
(vgl. auch OERTMANN in Ehrenbergs Handbuch IV 2 S. 419). Da beim Kauf der
Käufer aber zur Annahme der Leistung nicht nur berechtigt, sondern auch
verpflichtet ist (OR Art. 211 Abs. 1, von TUHR OR II S. 470 Anm. 2, S. 476),
kommt er mit Verweigerung der Annahme, d. h. hier mit der blossen Unterlassung
der Vorbereitungshandlung des

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Abrufes zugleich in Schuldnerverzug und der Verkäufer kann den entgangenen
Gewinn als Schadenersatz gemäss Art. 107 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 107 - 1 Wenn sich ein Schuldner bei zweiseitigen Verträgen im Verzuge befindet, so ist der Gläubiger berechtigt, ihm eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung anzusetzen oder durch die zuständige Behörde ansetzen zu lassen.
1    Wenn sich ein Schuldner bei zweiseitigen Verträgen im Verzuge befindet, so ist der Gläubiger berechtigt, ihm eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung anzusetzen oder durch die zuständige Behörde ansetzen zu lassen.
2    Wird auch bis zum Ablaufe dieser Frist nicht erfüllt, so kann der Gläubiger immer noch auf Erfüllung nebst Schadenersatz wegen Verspätung klagen, statt dessen aber auch, wenn er es unverzüglich erklärt, auf die nachträgliche Leistung verzichten und entweder Ersatz des aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens verlangen oder vom Vertrage zurücktreten.
OR verlangen.
Selbst wenn man aber eine Aufforderung der Klägerin grundsätzlich hätte
verlangen wollen, müsste im vorliegenden Fall immerhin gesagt werden, dass
eine solche Aufforderung nutzlos gewesen wäre. Der Grundsatz des Art. 108
Ziff. 1 lässt sich hier analog anwenden. Es geht aus dem Verhalten der
Beklagten, d. h. aus ihrem Brief vom 11. Juli 1932 hervor, dass sie auch bei
einer Aufforderung nicht abgerufen hätte. Sie kann sich deshalb heute nicht
darauf berufen, dass die Klägerin nach Treu und Glauben gehalten gewesen wäre,
nicht einfach zuzusehen.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man mit der Vorinstanz annimmt, die
Beklagte habe sich durch Nichtvornahme des Abrufes und namentlich durch die
Verwendung anderwärts bezogener oder selbst hergestellter Steine einer
sogenannten positiven Vertragsverletzung schuldig gemacht, sodass dann
Schadenersatz auf Grund von Art. 97
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
1    Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2    Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
OR zuzusprechen wäre. Den Ausführungen des
Handelsgerichtes darüber, dass die Beklagte ein Verschulden treffe, ist ohne
Weiteres beizupflichten.
Die Beklagte kann also mit Fug nicht geltend machen, dass sie nur in Annahme-
und zugleich Schuldnerverzug geraten wäre, wenn die Klägerin sie aufgefordert
hätte, abzurufen und wenn die Klägerin nicht einfach zugesehen hätte. Die
Einwendung der Beklagten kann denn auch, richtig verstanden, nur dahin lauten,
dass aus der Unter Fassung des Abrufes durch sie einerseits und dem Schweigen
der Klägerin anderseits eine stillschweigende Aufhebung des Vertrages
gefolgert werden müsse. Im deutschen Schrifttum wird angenommen, dass eine
solche Aufhebung denkbar, ja unter Umständen nach Treu und Glauben anzunehmen
sei (vgl. STAUB N. 5 zu § 359, S. 366 und 369). Allein im vorliegenden Fall
sprechen die Umstände keineswegs für die Aufhebung imfolge

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Willensübereinstimmung. Erstens hat die Klägerin nicht übermässig lange
zugewartet, auch wenn man in Betracht zieht, dass die Schlackensteine bei den
Bauten der Beklagten während einer verhältnismässig frühen Etappe benötigt
wurden. Zweitens hat sie kein Verhalten an den Tag gelegt, aus dem geschlossen
werden müsste, dass sie erst nachträglich ihre Meinung wieder geändert und
Abnahme verlangt hätte. Schliesslich aber ist von ausschlaggebender Bedeutung,
dass die Beklagte immerhin im Jahre 1931 eine geringe Menge abgerufen hat,
wodurch die Annahme einer stillschweigenden Vertragsauflösung ausgeschlossen
wird.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handelsgerichtes des Kantons
Zürich vom 11. April 1933 wird bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 59 II 305
Datum : 01. Januar 1932
Publiziert : 13. September 1933
Quelle : Bundesgericht
Status : 59 II 305
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Sukzessivlieferungskauf auf Abruf. Unterlassung des Abrufes durch den Käufer und Unterlassung einer...


Gesetzesregister
OR: 91 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 91 - Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die Annahme der gehörig angebotenen Leistung oder die Vornahme der ihm obliegenden Vorbereitungshandlungen, ohne die der Schuldner zu erfüllen nicht imstande ist, ungerechtfertigterweise verweigert.
97 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
1    Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2    Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
107
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 107 - 1 Wenn sich ein Schuldner bei zweiseitigen Verträgen im Verzuge befindet, so ist der Gläubiger berechtigt, ihm eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung anzusetzen oder durch die zuständige Behörde ansetzen zu lassen.
1    Wenn sich ein Schuldner bei zweiseitigen Verträgen im Verzuge befindet, so ist der Gläubiger berechtigt, ihm eine angemessene Frist zur nachträglichen Erfüllung anzusetzen oder durch die zuständige Behörde ansetzen zu lassen.
2    Wird auch bis zum Ablaufe dieser Frist nicht erfüllt, so kann der Gläubiger immer noch auf Erfüllung nebst Schadenersatz wegen Verspätung klagen, statt dessen aber auch, wenn er es unverzüglich erklärt, auf die nachträgliche Leistung verzichten und entweder Ersatz des aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens verlangen oder vom Vertrage zurücktreten.
BGE Register
59-II-305
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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