S. 406 / Nr. 68 Erbrecht (d)

BGE 58 II 406

68. Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. November 1932 i. S. Kuhn gegen Kuhn
und Kons.

Regeste:
ZGB Art. 618 Abs. 1: Die Feststellung des Anrechnungswertes von Grundstücken
bei der Erbschaftsteilung durch die amtlich bestellten Sachverständigen ist
nicht der freien richterlichen Beweiswürdigung unterworfen.

A. - Der Kläger will gestützt auf Art. 620 /1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
ZGB eine Anzahl von seinem Vater
hinterlassener landwirtschaftlicher Grundstücke in der Gemeinde Suhr als
landwirtschaftliches Gewerbe übernehmen. Die beklagten Miterben erhoben
bezüglich dreier Parzellen Einspruch mit der Begründung, sie gehören als
Bauland nicht mehr zum Landwirtschaftsgewerbe. Ausserdem besteht Streit über
den Anrechnungswert.

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B. - Mit der vorliegenden, beim Bezirksgericht Aarau erhobenen Klage verlangt
der Kläger, die Liegenschaften seien ihm «zu dem nötigenfalls durch Experten
zu bestimmenden Ertragswert» auf Anrechnung ungeteilt zuzuweisen. Im Laufe des
Prozesses wurde Beweis durch Expertise angeordnet, u. a. über die Höhe des
Gesamtertragswertes. Die Experten schätzten denselben auf 37000 Fr.
C. - Das Obergericht des Kantons Aargau hat am 19. Februar 1932 sämtliche
streitigen Liegenschaften dem Kläger «zum Ertragswerte von 50000 Fr.» auf
Anrechnung ungeteilt zugewiesen. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen:
«Vorab ist die Auffassung abzulehnen, als ob der Richter im ordentlichen
Zivilprozess das Ergebnis der Expertise unbesehen anzunehmen habe. Auch dieses
Gutachten untersteht gemäss § 216 ZPO der freien Beweiswürdigung. Die
Bestimmung in Art. 618 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
1    Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
2    ...539
ZGB, der Anrechnungswert werde durch amtlich
bestellte Sachverständige endgültig festgestellt, kann sich ohne Annahme eines
verfassungswidrigen Einbruches in das kantonale Prozessrecht nur beziehen auf
den Fall, wo die richterliche Tätigkeit nur in der Bestellung der amtlichen
Sachverständigen besteht und dem Richter jede Urteilsbefugnis über den
materiellen Tatbestand fehlt, wo mithin die Sachverständigen in der Stellung
von Arbitratoren ... eigentliche Entscheidungsbefugnis haben.»
D. - Gegen das Urteil des Obergerichtes hat der Kläger die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit den Anträgen, der Befund der Sachverständigen sei
als endgültig zu erklären und der Übernahmepreis demgemäss auf 37000 Fr.
festzusetzen, eventuell sei die Sache zur Beweisergänzung zurückzuweisen in
dem Sinne, dass die gegen den Befund der Sachverständigen erhobenen
Einwendungen diesen zur Vernehmlassung zu unterbreiten seien.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Bei ungeteilter Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes zum Ertragswert
auf Anrechnung erfolgt gemäss

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Art. 620 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
1    Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
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ZGB die Feststellung des Anrechungswertes für das Ganze nach
den Vorschriften über die Schätzung der Grundstücke. Über das Verfahren für
die Schätzung von Grundstücken bestimmt Art. 618 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
1    Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
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ZGB, dass, wenn sich
die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen können, er durch amtlich
bestellte Sachverständige endgültig festgestellt wird. «Endgültig» wurde
erstmals während der Beratung des Gesetzentwurfes im Nationalrat von Bundesrat
Brenner vorgeschlagen und von Nationalrat Müller-Thurgau damit gerechtfertigt:
«Die Kommission will nicht, dass man der Prozessierei Tür und Tor öffne,
sondern in einfacher Art und Weise den Übernahmspreis festsetzen lassen» und
ähnlich von Ständerat Hoffmann: «Es handelt sich hier darum, ein Verfahren
aufzustellen, wonach endgültig durch Experten der Übernahmswert der
landwirtschaftlichen Liegenschaft festgestellt werden soll und wonach also
nicht nachher darüber hinaus noch ein Prozess, ein richterlicher Entscheid
über das Sachverständigen-Gutachten möglich sein soll... Im übrigen ist es den
Kantonen überlassen, dieses Würdigungsverfahren zu regeln, aber es soll ein
Spezial-Würdigungsverfahren sein, gegen dessen Resultat nicht mehr der
ordentliche Richter angerufen werden kann.» «Die Tendenz des Gesetzes geht...
unbedingt dahin, das Würdigungsverfahren habe ausserhalb des gerichtlichen
Verfahrens stattzufinden... Wenn doch die ganze Materie in die Aufgabe von
Sachverständigen fällt, so wollen wir sie auch als solche behandeln und sie
nicht dadurch komplizieren, dass wir ihr ein Nachspiel im Gerichtssaale folgen
lassen...», wozu Bundesrat Brenner noch beifügte, dass «man jedenfalls
Prozesse ausschliessen» wolle (vgl. Stenographisches Bulletin der
Bundesversammlung 1906 S. 363, 490, 497, 498).
Nach § 80 des EG zum ZGB für den Kanton Aargau werden im beschleunigten
Verfahren entschieden die Streitigkeiten über (5.) Bestellung von
Sachverständigen für die Schätzung der Grundstücke zum Anrechnungswert

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(618), ebenso aber auch über (6.) Zuweisung, Veräusserung oder Teilung eines
landwirtschaftlichen Gewerbes (621, 625). Hieraus erklärt es sich, dass der
Kläger den Antrag auf Zuweisung des Bauerngutes und das Gesuch um Bestellung
von sachverständigen Schätzern miteinander verbunden, ja sogar zu einem
einzigen Klagantrag verschmolzen hat. Nichtsdestoweniger würde man glauben,
schon nach den einschlägigen kantonalen Vorschriften sei die
Entscheidungsbefugnis des angerufenen Gerichtes unzweifelhaft darauf
beschränkt, einerseits über die Zuweisung des Bauerngutes zu entscheiden,
andernseits für die Schätzung desselben zum Anrechnungswerte Sachverständige
zu bestellen. Dafür, dass in letzter Linie ebenfalls das Gericht den
Anrechnungswert zu bestimmen habe, indem es den Befund der von ihm bestellten
Sachverständigen wie ein blosses Sachverständigen-Gutachten auf seine
Schlüssigkeit hin überprüfen könne, geben auch die einschlägigen kantonalen
Vorschriften keinen ersichtlichen Anhaltspunkt. Was die Schätzung des
Anrechnungswertes betrifft, scheint § 80 Ziff. 5 des EG unverkennbar dahin
gefasst, dass die richterliche Tätigkeit nur in der Bestellung der
Schätzungs-Sachverständigen bestehe, und warum es bei dieser Beschränkung der
richterlichen Tätigkeit das Bewenden dann nicht haben könne, wenn das Gericht
ausserdem schon über die Streitfrage der ungeteilten Zuweisung des
Schätzungsobjektes an einen Erben zu entscheiden berufen sei, ist nicht
einzusehen. Indessen müsste das Bundesgericht die gegenteilige Auslegung des
kantonalen Rechtes durch die Vorinstanz hinnehmen, wenn sie nicht gegen
Bundesrecht verstossen würde. Dies ist aber in der Tat der Fall, weil Art. 618
Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
1    Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
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ZGB klar und eindeutig zum Ausdruck bringt, dass die Feststellung des
Anrechnungswertes durch die amtlich bestellten Sachverständigen nicht bloss
unverbindliche Hilfstätigkeit für die gerichtliche Beurteilung sein soll,
Hilfstätigkeit, die ihre Bedeutung verlöre, sobald sie den Richter nicht von
der Richtigkeit ihres Ergebnisses zu

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überzeugen vermöchte. Und aus der Textgeschichte lässt sich ersehen, dass
insbesondere gerade das ausgeschlossen werden wollte, was die Vorinstanz für
sich in Anspruch nehmen zu dürfen glaubte, nämlich die freie gerichtliche
Nachprüfung, die dazu führen kann, dass der gerichtliche Entscheid an Stelle
des Sachverständigenbefundes trete. Diese Ordnung ist ebensowenig
verfassungswidrig wie der im ZGB vielfach ausgesprochene Vorbehalt zugunsten
der Zuständigkeit des Richters unter Ausschluss der Zuständigkeit von
Verwaltungsbehörden (vgl. Art. 54
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
des Schlusstitels des ZGB) und übrigens für
die kantonalen Gerichte ohnehin ebenso verbindlich wie gemäss Art. 113 i. f.
der Bundesverfassung für das Bundesgericht. - Damit ist nicht gesagt, dass die
Schätzung der amtlich bestellten Sachverständigen unter allen Umständen
«endgültig» sei, z. B. auch wenn sie an solchen Mängeln litte, welche Art. 192
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.

BZP. bezw. die entsprechenden kantonalen Prozessvorschriften geradezu als
Nichtigkeitsgründe gelten lassen, oder wenn gar nicht der zutreffende
Anrechnungswert festgestellt oder sonstwie von unrichtigen rechtlichen
Grundlagen ausgegangen worden ist, oder wenn offen zutage liegt, dass das
Ergebnis zweifellos und in erheblichem Mass unrichtig ist, unmöglich richtig
sein kann. Mängel solcher Art müssen auf irgendeine Weise behoben werden
können, sei es dass die Behörde, welcher die Bestellung der Sachverständigen
ad hoc oblag, oder die Wahlbehörde oder sonstige staatliche Aufsichtsbehörde
der ein für allemal bestellten Schätzungskommissionen (unter Vorbehalt des
staatsrechtlichen Rekurses wegen Willkür) von sich aus oder auf Parteiantrag
den Befund an die Sachverständigen zur Verbesserung zurückweist, oder dass
erstere Behörde neue Sachverständige ernennt, oder dass eine gerichtliche
Klage auf Anfechtung, Unverbindlicherklärung des Sachverständigenbefundes
gewährt wird, ähnlich wie gegenüber der Schätzung von Schiedsmännern im
Versicherungvertrag. Dagegen ist es mit Art. 618 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
1    Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
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ZGB keinesfalls
vereinbar, dass an Stelle der amtlich bestellten

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Sachverständigen, die zur Bestellung derselben zuständige Behörde oder
überhaupt ein Zivilgericht den Anrechnungswert bestimme, wie es hier geschehen
ist, zumal ohne vorausgehende Anhörung der Sachverständigen über die
obwaltenden Bedenken, die allfällig zu einer Abklärung führen könnte, welche
auch Nicht-Sachverständigen eine zuverlässige Verbesserung des Befundes
ermöglichen würde. Was aber die Vorinstanzen vorliegend an dem Befunde der
Sachverständigen auszusetzen haben, sind nicht Mängel der genannten Art,
sondern betrifft heikle Fachfragen, über die man in guten Treuen anderer
Meinung sein kann als die Vorinstanz. Unter diesen Umständen stund dieser kein
Grund zur Seite, um ein vom Sachverständigenbefund abweichendes Urteil zu
fällen, und erübrigt sich auch die eventuell beantragte Rückweisung.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird begründet erklärt und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Aargau vom 19. Februar 1932 dahin abgeändert, dass die Zuweisung zum
Anrechnungswerte von 37000 Fr. erfolgt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 58 II 406
Datum : 01. Januar 1931
Publiziert : 25. November 1932
Quelle : Bundesgericht
Status : 58 II 406
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : ZGB Art. 618 Abs. 1: Die Feststellung des Anrechnungswertes von Grundstücken bei der...


Gesetzesregister
BZP: 192
ZGB: 1 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.
54 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
618 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
1    Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.538
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620
BGE Register
58-II-406
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