S. 292 / Nr. 46 Obligationenrecht (d)

BGE 57 II 292

46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Mai 1931 i. S.
Dietiker gegen Suter.


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Regeste:
Die Berufungsanträge können nach dem Nichteintreten auf einen vorsorglich auch
noch eingereichten staatsrechtlichen Rekurs nicht mehr abgeändert werden. OG
Art. 65 (Erw. 2).
Tötung durch ein Automobil, Verschulden und Kausalität bei Trunkenheit des
Führers (Erw. 3).
Die Abweisung der Beweisofferte, dass der Getötete eine geringere als die
normale Lebenserwartung gehabt habe, ist im Berufungsverfahren zu rügen, durch
das Bundesgericht aber nur zu überprüfen, wenn dies für die Entscheidung über
die gültig gestellten Berufungsanträge notwendig ist. Offenlassen der Frage im
konkreten Fall, wann eine Abweichung von den Piccard'schen Tabellen geboten
ist (Erw. 5). Dauer der Erwerbsfähigkeit, Beweisthema (Erw. 6).
OR Art. 45 Abs. 3
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 45 - 1 Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
1    Im Falle der Tötung eines Menschen sind die entstandenen Kosten, insbesondere diejenigen der Bestattung, zu ersetzen.
2    Ist der Tod nicht sofort eingetreten, so muss namentlich auch für die Kosten der versuchten Heilung und für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit Ersatz geleistet werden.
3    Haben andere Personen durch die Tötung ihren Versorger verloren, so ist auch für diesen Schaden Ersatz zu leisten.
OR.

A. - Am Abend des 17. Oktober 1929 wurde auf der Strasse zwischen dem Bahnhof
Steinen und der nordwestlich davon gelegenen Strassenunterführung Franz Suter,
a. Bezirksammann, durch das Lieferungsauto des Beklagten Otto Dietiker,
Mineralwasserhändler, überfahren und getötet.
Dietiker hatte an jenem Nachmittag in den Dörfern der Umgebung 14 Wirtschaften
besucht und 1,8 Liter Wein, 2 Deziliter Sauser und zwei Kaffee mit Kirsch
genossen. Die nach dem Unfall durch das gerichtsmedizinische Institut der
Universität Zürich vorgenommene Blutuntersuchung ergab bei ihm je nach
Anwendung der beiden Untersuchungsmethoden 1,7 und 1,8 pro Mille
Alkoholgehalt. Auch der zur Zeit des Ereignisses neben ihm gesessene Begleiter
Hans Brunner wies einen solchen von 1 pro Mille auf.
Das Unglück geschah in der Weise, dass Dietiker zuerst mit 35 bis 40 km
Geschwindigkeit in die scharfe Kurve bei der Unterführung hineinfuhr, dort das
Tempo vorübergehend

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herabsetzte und dann wieder «Gas gab». Nach der Unterführung fuhr er von der
rechten Strassenseite auf die linke und in den dort befindlichen Lattenzaun,
dann den Zaun zerstörend, die linken Räder auf der Böschung, der linken Seite
entlang und schliesslich gegen einen Betonsockel, der das Fahrzeug zum Halten
brachte. Als er mit Hilfe Dritter wieder auf die Strasse gelangen wollte, zog
man unter dem Wagen die Leiche des Franz Suter hervor.
Nach den Aussagen Dietikers in der ersten Einvernahme will er wegen eines
Mannes, der eine «Tause» trug und ihm auf der linken Seite (seiner
Fahrrichtung) entgegenkam, rechts gegen die Mauer gefahren, dort aber auf eine
andere Person aufmerksam geworden und darauf links gegen den Zaun gefahren
sein. Nach seiner spätern Deposition in der zweiten Einvernahme dagegen wäre
ihm nur der sogenannte Tausenmann begegnet, und zwar wäre er von der linken
Seite vor das Fahrzeug getreten, so dass er, Dietiker, gezwungen gewesen sei,
hinter ihm nach links abzubiegen. Es ist jedoch weder ihm, noch den Polizei-
und Untersuchungsorganen gelungen, den «Tausenmann» ausfindig zu machen.
Der Tod Suters war die Wirkung zahlreicher schwerer Verletzungen, u. a. einer
Schädelbasisfraktur, einer Gehirnerschütterung mit Blutungen, einer
Querfraktur des ersten Wirbelkörpers mit Zertrümmerung des entsprechenden
Rückenmarksegmentes und mehrerer schwerer äusserer Kopfwunden. Durch den
Sektionsbefund wurden festgestellt: Adipositas unversalis, Lipomastosis cordis
und leichte Dilatation des Herzens, Pleuritis chronica fibrosa adhesiva,
besonders rechts und vereinzelte chronisch entzündliche Narben in den Nieren.
Aus der konstatierten leichten Herzerweiterung, heisst es, können keine
Schlüsse auf die mutmassliche Lebensdauer gezogen werden. Der Prosektor, Dr.
von Albertini in Zürich, wurde in der Folge noch als sachverständiger Zeuge
verhört, da angegeben wurde, Suter sei schon vor dem Unfall auf dem Boden

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gelegen und da der Beklagte geltend machte, der Getötete hätte wegen
allgemeiner Fettsucht und starker Herzerweiterung das normale Lebensalter
nicht erreicht; Dr. von Albertini hat angegeben:
«Aus dem Sektionsbefund geht einwandfrei hervor, dass Suter in noch lebendem
Zustand vom Automobil angefahren wurde, denn es hat sich gezeigt, dass überall
da, wo äussere Gewalteinwirkung auf den Körper sich geltend machte, eine
ausgedehnte vitale Reaktion eintrat in Form von schweren Blutungen in die
umgebenden Gewebe. Wäre Suter in totem Zustand vom Automobil überfahren
worden, so hätten diese schweren Reaktionen nicht in dem Mass auftreten
können... Die eigentliche Todesursache ist in den schweren Verletzungen, vor
allem des Schädels, des Gehirns, sowie der Wirbelsäule und des Rückenmarks zu
suchen. Eine konkurrierende Todesursache aus innerer Organkrankheit konnte
nicht festgestellt werden.»
Suter war am 15. November 1880 geboren worden. Er betrieb eine ausgedehnte
Landwirtschaft und stand in verschiedenen öffentlichen Ämtern, namentlich des
Bezirkes Schwyz. Er hinterliess eine Witwe, geboren am 27. Juni 1883 und zwei
mündige Söhne, Franz, geboren am 4. April 1904 und Alois, geboren am 4. Juni
1905.
Am kritischen Tage war er von morgens 8 Uhr bis abends 5 Uhr mit Unterbruch am
Mittag auf dem Perimeterbureau in Schwyz tätig gewesen. Um 5 Uhr hatte er sich
zu einer Konferenz der Perimeterkommission mit dem Chef des kantonalen
Baudepartementes nach Goldau begeben und dort an den Beratungen regen Anteil
genommen, bis er sich, körperlich und geistig gesund, auf den Zug aufmachte,
der in Steinen um 19.57 Uhr ankam. Zwei mitfahrende Konferenzteilnehmer haben
bezeugt dass er keine Anzeichen von Unwohlsein gezeigt hatte.
B. - In der von den Behörden des Kantons Schwyz durchgeführten
Strafuntersuchung haben die Hinterbliebenen

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des Franz Suter folgende Zivilansprüche adhäsionsweise angemeldet:
a) Ersatz der Begräbniskosten laut Belegen Fr. 4820.-
b) Genugtuung für die Witwe Fr. 5000.-
c) Genugtuung für die Söhne je Fr. 1000.- Fr. 2000.-
d) Versorgerschaden der Witwe Fr. 21900.-
Zusammen Fr. 33720.-
C. - Das Bezirksgericht Schwyz hat durch Urteil vom 23./25. August 1930 den
Beklagten zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten und einer Geldbusse von
300 Fr. verurteilt und ihn verpflichtet, zu bezahlen:
a) 4072 Fr. 25 Cts. für Beerdigungskosten, sowie 5% Zins seit 23. Januar 1930,
b) 2000 Fr. Genugtuung an die beiden Söhne,
c) 5000 Fr. Genugtuung an die Witwe,
d) eine monatlich vorauszahlbare Rente an die Witwe von 120 Fr., beginnend am
17. Oktober 1929, endigend mit ihrem Tod, spätestens aber am 17. April 1950,
mit einer Auskaufssumme im dreifachen Jahresbetrag der Rente bei
Wiederverheiratung und Pflicht der Sicherstellung durch mündelsichere
Wertpapiere.
Überdies hat es dem Beklagten die Führerbewilligung für Kraftfahrzeuge bis zum
17. Oktober 1934 entzogen.
D. - Auf Appellation des Beklagten im Zivilpunkt hat das Kantonsgericht des
Kantons Schwyz durch Urteil vom 11. Dezember 1930 das Begehren um
Aktenergänzung als zum Teil unerheblich, zum Teil überflüssig abgewiesen, das
strafrechtliche Erkenntnis gemäss § 293 Abs. 4 StPO von Amtes wegen
nachgeprüft und bestätigt, den Beginn des Zinsenlaufes für die
Bestattungskosten auf den Tag der Bezahlung derselben durch die Kläger
festgesetzt, die Höhe der monatlichen Rente für die Zeit vom 17. Oktober 1929
bis 31. Dezember 1940 auf 120 Fr.

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und vom 1. Januar 1941 bis 17. April 1950 auf 85 Fr. veranschlagt und im
übrigen das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
E. - Gegen den Entscheid des Kantonsgerichtes hat der Beklagte rechtzeitig und
in der vorgeschriebenen Form die Berufung an das Bundesgericht erklärt und den
Antrag gestellt, die Rente sei für die zweite Rentenperiode auf 720 Fr. im
Jahr herabzusetzen und die Bestattungskosten seien auf 1288 Fr. 65 Cts. zu
reduzieren.
F. - Gegen das Erkenntnis des Kantonsgerichtes hat der Beklagte auch einen
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht eingereicht und beantragt, es
sei aufzuheben, die Sache sei zu neuer Beurteilung an das Kantonsgericht zu
weisen und dieses sei anzuhalten, den Beweisanträgen des Beklagten zu
entsprechen und die angebotenen Beweise abzunehmen. Es sei ein Verstoss gegen
Art. 4 der Bundesverfassung, dass die angemeldeten Zeugen dafür, dass Suter
seit Jahren herzkrank gewesen sei, nicht einvernommen worden seien und dass
die beantragte Expertise über die mutmassliche Lebensdauer des Verstorbenen
nicht angeordnet worden sei.
Die staatsrechtliche Abteilung des Bundesgerichtes ist durch Urteil vom 7.
April 1931 auf den Rekurs jedoch nicht eingetreten, da sein Gegenstand gemäss
OG Art. 56 ff. im Berufungsverfahren zu prüfen sei.
G. - Nach Empfang des staatsrechtlichen Erkenntnisses hat der Beklagte am 1.
Mai 1931 in einer Eingabe erklärt, die Berufungsanträge folgendermassen ändern
zu wollen:
a) Das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur
Aktenvervollständigung und zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht
zurückzuweisen,
die Aktenvervollständigung habe im Sinne seiner Beweisanträge vor beiden
kantonalen Instanzen zu erfolgen, nämlich durch
aa) Einvernahme der Zeugen zum Nachweis der Herzkrankheit Suters,
bb) Anordnung einer medizinischen Expertise über

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die mutmassliche Lebensdauer des Herrn Suter sel. nach Vorlage der Prozedur,
einschliesslich der Deposition der noch einzuvernehmenden Zeugen,
b) Eventuell habe das Bundesgericht diese Erhebungen und Feststellungen selbst
vorzunehmen und den Fall neu zu beurteilen,
c) die Dauer der Rente sei auf drei Jahre, eventuell entsprechend der durch
Expertise festzustellenden mutmasslichen Lebensdauer des Verunglückten
festzusetzen,
d) eventuell sei die Rente für die zweite Rentenperiode statt auf 1020 Fr. auf
720 Fr. herabzusetzen,
e) die Bestattungskosten seien auf 1288 Fr. 25 Cts. herunterzusetzen.
H - ...
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - (Streitwert.)
2. - Der Beklagte hat in seiner Eingabe vom 1. Mai 1931 den Nebenantrag auf
Rückweisung der Sache zur Abnahme der angebotenen Beweise über die Krankheit
und die mutmassliche Lebensdauer des Getöteten und den Hauptantrag auf
Begrenzung der von der Vorinstanz zugesprochenen Rente auf drei Jahre,
eventuell auf die zu ermittelnde mutmassliche Lebensdauer gestellt. Diese
Anträge gehen in materieller Hinsicht über die ursprünglichen Berufsanträge
des Beklagten hinaus und können nicht berücksichtigt werden, da sie erst nach
Ablauf der nicht nur für die Berufungserklärung, sondern auch für die
Berufungsanträge geltenden Frist eingereicht worden sind (vgl. WEISS,
Berufung, S. 99 ff.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beklagte
in vorsorglicher Weise, jedoch unter einem Irrtum über die richtige Abgrenzung
zwischen staatsrechtlicher Beschwerde und zivilrechtlicher Berufung, auch jene
eingereicht und den Nichteintretensbeschluss erst nach Ablauf der
Berufungsfrist erhalten hat, denn wenn er im Falle der Zulässigkeit seiner
Anträge im Berufungsverfahren, also im Falle der

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Inkompetenz des Staatsgerichtshofes, die diesem unterbreiteten Anträge durch
die Berufungsinstanz gleichwohl entschieden haben wollte, hätte er sie von
Anfang an rechtzeitig auch im Berufungsverfahren stellen müssen, denn es
handelt sich hier nicht etwa um den Fall, wo ein Rechtsmittel mit unrichtiger
Bezeichnung oder wegen Unzuständigkeit des Adressaten von Amtes wegen zu
überweisen ist. Damit ist aber nicht gesagt, dass das Bundesgericht nicht
dennoch unter Umständen die Akten zu Vervollständigung an den vorinstanzlichen
Richter zurückweisen könne, obwohl ein solcher Antrag in der
Berufungserklärung nicht enthalten ist. Wenn es finden sollte, dass einzelne
schon vor den kantonalen Gerichten gestellte und aufrecht erhaltene, aber von
den Vorinstanzen als unerheblich behandelte Beweisofferten wesentlich seien,
wäre die Rückweisung zulässig (WEISS, Berufung S. 102 ff.) und geboten, jedoch
nur unter der Voraussetzung, dass sie für die Beurteilung des gültig
gestellten Berufungsantrages wesentlich sind.
3. - In der Sache selbst kann die Frage des Verschuldens als abgeklärt gelten,
da der Beklagte die strafrechtliche Verurteilung durch das Bezirksgericht und
die zugesprochene Genugtuungssumme vor Bundesgericht nicht angefochten und
sich im Berufungsverfahren überhaupt auf die Beanstandung des Quantitatives
des Schadenersatzes beschränkt hat, ohne dabei die Schuldfrage wieder
aufzuwerfen. Der Entscheid der Vorinstanz hätte übrigens nach dieser Richtung
nicht bemängelt werden können, denn der Beklagte ist mit einer nach den
Umständen stark übersetzten und unverantwortlichen Geschwindigkeit in die sehr
gefährliche Kurve bei der Unterführung hineingefahren, er hat nach dem
Passieren derselben nach den Wahrnehmungen der Anwesenden gleich wieder «Gas
gegeben» und er ist, nachdem er auf die linke Böschung geraten war, mit
ungenügender Beleuchtung und unter Ausserachtlassung jeder Vorsicht einfach
weitergefahren.

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Dass er sich unter Alkoholwirkung so verhielt, erleichtert nicht, sondern
vermehrt sein Verschulden. Die Tatsache des übermässigen Alkoholgenusses steht
für das Bundesgericht auf Grund der vorinstanzlichen Beweiswürdigung
verbindlich fest; die vom Beklagten angerufenen Zeugen, welche seine
vollständige Nüchternheit hätten beweisen sollen, sind vom Kantonsgericht -
offenbar mit Recht - unter Berufung auf das Ergebnis der Blutuntersuchung und
des Geständnisses über die genossenen Alkoholmengen nicht einvernommen worden.
Das Bundesgericht hat aber auch keinen Anlass, auf die Annahme des rechtlich
erheblichen Kausalzusammenhanges und auf die Ablehnung eines Mit- oder
Selbstverschuldens des Getöteten zurückzukommen, zumal die Vorinstanz in
tatsächlicher Hinsicht in verbindlicher Weise festgestellt hat, dass Suter vor
dem Unfall nicht auf der Strasse gelegen hatte, sondern stehend oder gehend
auf der linken Strassenseite beim Betonsockel überfahren worden war.
4. - (Bestattungskosten.)
5. - Die Vorinstanz hat ein jährliches Nettoeinkommen von 3600 Fr. angenommen.
Die Lebenserwartung betrug für den Verunglückten nach den Piccard'schen
Tabellen noch 20 1/2 Jahre. Da die Ehefrau, deren Versorgerschaden allein im
Streite liegt, drei Jahre jünger ist, fällt für die Dauer der
Rentenberechtigung seine Lebenserwartung in Betracht.
Der Beklagte wollte vor der Vorinstanz durch seine Anträge eine von den
Piccard'schen Tabellen abweichende, geringere mutmassliche Lebensdauer des
Getöteten feststellen lassen, und zwar anhand des Sektionsprotokolls, durch
Einvernahme der aufgegebenen Zeugen über die Herz- und Schlaganfälle Suters
und durch eine nachfolgende Expertise. Es ist mit der staatsrechtlichen
Abteilung davon auszugehen, dass die Rüge der Nichtabnahme dieser
Beweisofferten im Berufungsverfahren hätte geprüft werden können, denn, so hat
die staatsrechtliche

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Abteilung in ihrem Meinungsaustausch mit der I. Zivilabteilung ausgeführt,
«durch die Behauptung, wegen deren Nichtberücksichtigung der Beklagte sich
beschwert, sollte dargetan werden, dass beim verunglückten Franz Suter für die
Berechnung der der Witwe zukommenden Rente mit einer gegenüber den
Sterblichkeitstabellen verkürzten Lebensdauer zu rechnen gewesen sei. Ob nun
für die der Berechnung zugrunde zu legende vermutliche Lebensdauer überhaupt
von den allgemeinen Sterblichkeitstabellen abgewichen werden könne, ist
zweifellos eine von der Berufungsinstanz zu beurteilende Rechtsfrage, da es
sich darum handelt, wie der der Witwe wegen Wegfalles des Versorgers zu
ersetzende Schaden zu bestimmen und welche Bedeutung allgemein in Hinsicht auf
die Schadensbestimmung den Sterblichkeitstabellen beizumessen sei. Dann ist
aber wohl auch die Frage, unter welchen Umständen im einzelnen Falle von den
Sterblichkeitstabellen abgewichen werden könne, um die mutmassliche
Lebensdauer zu bestimmen, von der Berufungsinstanz zu beantworten, dies schon
wegen des Zusammenhanges mit der grundsätzlichen Frage, ob überhaupt eine
Abweichung zulässig sei und sodann deshalb, weil es bei Bejahung dieser Frage
eine solche der Fassung des Beweisthemas ist, was erforderlich sei oder
genüge, um von den Sterblichkeitstabellen abzuweichen. Wenn das
Kantonsgericht, das grundsätzlich auf dem Boden zu stehen scheint, dass unter
Umständen eine kürzere Lebensdauer, als die durch die Sterblichkeitstabellen
angegebene anzunehmen sei, erklärt, es sei einwandfrei und zuverlässig in den
Akten abgeklärt, dass keine Gründe für eine solche Annahme vorliegen, stützt
es sich dabei nur auf den Sektionsbefund und die Aussage Dr. von Albertinis,
der sich seinerseits auch nur auf den Sektionsbefund beruft. Wenn nun auch
diese Beweiselemente keine Anhaltspunkte für die Annahme einer verkürzten
Lebensdauer des Franz Suter boten, so war es doch möglich, wenn einmal
grundsätzlich ein Abgehen von den Sterblichkeitstabellen aus individuellen

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Gründen als zulässig erachtet wird, dass die von dem Beklagten aufgestellte
Behauptung über eine frühere Herzkrankheit und Herz- und Schlaganfälle des
Suter diesbezüglich in Betracht fiel. Das hängt eben davon ab, was nach
rechtlicher Beurteilung der Sache behauptet und bewiesen werden muss, um von
den Sterblichkeitstabellen abzugehen, das heisst von der Fassung des
Beweisthemas. Ob dieses von den Vorinstanzen zu eng gefasst worden sei, indem
sie nur auf den Sektionsbefund und die daraus sich ergebende Schlussfolgerung
abstellten, während andere Umstände unberücksichtigt blieben und ob deshalb
nicht die erwähnte Behauptung zum Beweis durch Zeugen und Expertise hätte
zugelassen werden sollen, unterliegt deshalb der Prüfung der
Berufungsinstanz.»
Die Notwendigkeit der Abweichung von den Sterblichkeitstabellen in
Ausnahmefällen wird nun nicht ein für allemal von der Hand gewiesen werden
können, man braucht nur etwa an Lebensunfähigkeit eines Säuglings oder an eine
fortgeschrittene und unheilbare Krankheit eines Getöteten zu denken, wo der
Richter mit Hilfe des medizinischen Sachverständigen und auf Grund der
prozessual massgebenden Wahrnehmungen mit Sicherheit zu einer wesentlich
geringeren mutmasslichen Lebensdauer gelangt. Das Bundesgericht hat in seinem
Urteil i. S. Walser & Cie gegen Läuppi vom 2. Juli 1903 (BGE 29 II S. 488) die
Anwendung der Tabellen in obligationenrechtlichen Fällen als für die Ausübung
des Ermessens rationelles und auf Erfahrungsfaktoren beruhendes Verfahren
bezeichnet und grundsätzlich allgemein durchführbar erklärt, ohne sich aber
für die heutige Streitfrage auszusprechen; in einem spätern Fall, die
Fabrikhaftpflicht betreffend (BGE 35 II S. 223) hat es eine ausgesprochen
ungünstige individuelle Lebensdauerprognose zwar berücksichtigt, doch handelt
es sich damals um die Rentenberechnung eines Verletzten und die ungünstige
Prognose gerade mit Rücksicht auf die Schwere seiner Verletzung. Wenn die
Anwendung der Tabellen als statistischen Durchschnitt

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ihren Sinn und die Rechtssprechung ihre damit verbundene Sicherheit und
Einheitlichkeit bewahren soll, werden jedenfalls an eine Abweichung davon
strenge Anforderungen zu stellen sein, sowohl was die Erheblichkeit der
mutmasslichen Abweichung vom Durchschnitt der Tabellen, als auch was die
Sicherheit und Bestimmtheit der Prognose betrifft; wenn schon unter der Gefahr
einer gewissen Uferlosigkeit individuelle Gründe in das Feststellungsverfahren
Eingang finden sollen, muss denn schon die Eigenart des konkreten Falles nach
allen Seiten beachtet werden, kann doch z. B. ein künftiger wissenschaftlicher
Fortschritt u. U. die anfänglich geringere Erwartung später auf das normale
Mass der Tabellen heben.
Es kann jedoch im vorliegenden Fall offen bleiben, wie die Voraussetzungen der
Zulässigkeit einer Abweichung und damit die Beweisthemata zu formulieren sind
und ob die Rüge des Beklagten gegen das kantonale Beweisverfahren hinsichtlich
der Lebensdauer begründet gewesen wäre. Der Beklagte anerkennt nämlich nach
den in der Berufungserklärung enthaltenen Anträgen - die spätern Anträge
fallen nach dem oben Gesagten als ungültig ausser Betracht - eine Rente bis
zum Ablauf der auf Grund der Piccard'schen Tabellen berechneten Lebensdauer
zahlen zu müssen. Für die Beurteilung der Berufung sind die vom Kantonsgericht
abgelehnten Beweisanträge, was die mutmassliche Lebensdauer als solche
betrifft, daher schon aus diesem Grund unerheblich; wer einen Anspruch oder
eine Einrede gar nicht im Streite hat, kann auch keinen Anspruch darauf
erheben, dass die dafür allenfalls erheblichen Beweisanträge berücksichtigt
werden. Daran ändert selbstverständlich der Umstand nichts, dass der Anspruch,
als die Beweisanträge abgelehnt wurden, noch streitig war, denn es würde eine
unzulässige Überschreitung der Berufungsanträge darstellen, wenn das
Bundesgericht trotzdem über jene Rüge befinden würde.

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6. - Das Kantonsgericht hat nach der allgemeinen Erfahrung, dass im
vorgerückten Alter eine Wahrscheinlichkeit für ein Nachlassen der
Erwerbsfähigkeit besteht, für die zweite Rentenperiode bloss eine
herabgesetzte Rente von 85 Fr. zuerkannt. Der Beklagte hat darauf hingewiesen,
nach den für die Kategorie der Bundesbahnarbeiter und -angestellten
aufgestellten Grieshaberschen Tabellen müsse geschlossen werden, dass die
Erwerbsfähigkeit in der Regel hinter der mutmasslichen Lebenserwartung
zurückbleibe, und er hat beantragt, mit Rücksicht auf die angebliche
Kränklichkeit Suters eine weitere Reduktion für die zweite Periode auf 60 Fr.
im Monat vorzunehmen.
Hier ist nun freilich doch auf die Beweisanträge des Beklagten zurückzukommen.
Allein die Frage stellt sich anders, es kommt hier auf die behauptete
Kränklichkeit im letzten Lebensabschnitt, nicht auf einen vorzeitigen Tod an.
Der Sektionsbefund fällt bei der Beurteilung der Frage ausser Betracht. Dr.
von Albertini hat ausgesagt, dass sich aus der bei der Sektion festgestellten
leichten Herzerweiterung keinerlei Schlüsse auf die mutmassliche Lebensdauer
ziehen liessen. Daraus durfte die Vorinstanz im konkreten Fall herleiten, dass
auch keine Schlüsse auf ein grösseres Nachlassen der Erwerbsfähigkeit möglich
seien, als dasjenige, das im angefochtenen Entscheid schon berücksichtigt ist.
Die Zeugen hätten beweisen sollen, dass Suter etwa zwei oder drei Jahre vor
seinem Tod beim Heuen eine Ohnmacht erlitten, die sich einige Male wiederholt
habe, dass er erklärt habe, er sei herzkrank, und dass er strenge Arbeiten,
Bergsteigen und Kaffeetrinken gemieden habe. Ein Pfarrer erklärt, Suter vor
mehreren Jahren einmal mit den Sterbessakramenten versehen zu haben, erinnert
sich aber nicht, an welcher Krankheit Suter damals gelitten hatte.
Die Ablehnung dieses Zeugenbeweises konnte ohne Verletzung von Bundesrecht
geschehen, und zwar auf dem

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Wege der Würdigung anticipando. Auch wenn nämlich angenommen werden müsste,
die geringste Kränklichkeit Suters während der zweiten Rentenperiode hätte
seine Erwerbsfähigkeit in einem noch grösseren als dem schon berücksichtigten
Mass beeinträchtigt, hätte die Vorinstanz in einer durch das Bundesgericht
nicht nachzuprüfenden Weise dazu gelangen können und - mit Recht - gelangen
müssen, dass die Zeugenaussagen keinen Schluss auf eine solche Kränklichkeit
zuliessen. Ohnmachtsanfälle und das einmalige Bedürfnis nach den
Sterbessakramenten hätten offenbar auch für einen Sachverständigen nicht
gereicht, auf eine zunehmende Kränklichkeit zu schliessen, zumal die
angeführten Erscheinungen, selbst wenn sie viel häufiger und bedenklicher als
behauptet gewesen wären, noch eher auf einen plötzlichen Tod durch
Schlaganfall, als auf eine zehnjährige Kränklichkeit in dem vom Beklagten
behaupteten Mass deuten würden. Wie dem auch sei, hat sich die
Berufungsinstanz nicht mit Fragen der Beweiswürdigung zu befassen, wo
Bundesrecht nicht verletzt worden ist.
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Document : 57 II 292
Date : 01. Januar 1931
Published : 19. Mai 1931
Source : Bundesgericht
Status : 57 II 292
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Die Berufungsanträge können nach dem Nichteintreten auf einen vorsorglich auch noch eingereichten...


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OR: 45
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29-II-485 • 35-II-216 • 57-II-292
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