S. 133 / Nr. 21 Familienrecht (d)

BGE 57 II 133

21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. März 1931 i. S.
Luthiger gegen Suter.

Regeste:
1. Anfechtung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in Zivilsachen wegen
Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen des eidgenössischen Rechts. Die
Weiterziehung hat zu geschehen:
durch Berufung, wenn die Gerichtsstandsfrage zusammen mit der Hauptsache
beurteilt worden ist und das Urteil in der Hauptsache der Berufung unterliegt
(Änderung der Rechtsprechung);
durch zivilrechtliche Beschwerde in den übrigen Fällen.
Art. 87 Ziff 3 OG.

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2. Der Gerichtsstand der Vaterschaftsklage nach Art. 312
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 312 - Die Kindesschutzbehörde entzieht die elterliche Sorge:423
1  wenn die Eltern aus wichtigen Gründen darum nachsuchen;
2  wenn sie in eine künftige Adoption des Kindes durch ungenannte Dritte eingewilligt haben.
ZGB ist, wenn die
Klage bloss auf Vermögensleistungen geht. kein zwingender.

Aus dem Tatbestand:
Durch Urteil vom 12. Dezember 1930 hat das Obergericht des Kantons Aargau den
Beklagten in grundsätzlicher Gutheissung der vorliegenden Vaterschaftsklage
verurteilt, der Klägerin-Mutter die Kindbettkosten und eine Genugtuungssumme
von 500 Fr. zu bezahlen und an den Unterhalt des Kindes einen monatlichen
Beitrag von 35 Fr. zu leisten. Gegen dieses Urteil erklärte der Beklagte die
Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
Aus den Erwägungen:
1. - Der Beklagte macht vorab geltend, dass die aargauischen Gerichte zur
Beurteilung dieser Vaterschaftsklage gar nicht zuständig gewesen seien, denn
die Klägerin-Mutter habe bei der Einreichung der Klage ihren Wohnsitz in
Risch, im Kanton Zug, gehabt. Zwar sei sie minderjährig und im Kanton Aargau
(Dietwil) bevormundet. Allein, da sie schon seit einigen Jahren in Risch als
Dienstmädchen angestellt sei, also einen eigenen Beruf ausübe, so habe sie
nach dem Urteil des Bundesgerichtes vom 25. Juni 1919 i. S. Lehmann gegen
Bochtler (BGE 45 II 241) dort selbständiges Domizil. Jener Entscheid beziehe
sich zunächst auf das der elterlichen Gewalt unterworfene Kind, sei aber per
analogiam auf das unter Vormundschaft stehende auszudehnen. Übrigens sei in
Wirklichkeit gar nicht die Vormundschaftsbehörde von Dietwil, sondern
diejenige von Risch, wo die Klägerin-Mutter seit dem Tode ihrer Mutter der
Berufsausübung obliege, zur Wahrung ihrer Interessen zuständig gewesen, was
wiederum die Zuständigkeit der zugerischen Gerichte zur Beurteilung der
Vaterschaftsklage nach sich ziehe. Dass der Beklagte das Fehlen des
Gerichtsstandes erst im Verlaufe des Verfahrens

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eingewendet habe, könne ihm nicht schaden, da der Gerichtsstand des Art. 312
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 312 - Die Kindesschutzbehörde entzieht die elterliche Sorge:423
1  wenn die Eltern aus wichtigen Gründen darum nachsuchen;
2  wenn sie in eine künftige Adoption des Kindes durch ungenannte Dritte eingewilligt haben.

ZGB ein zwingender sei und dessen Mangel vom Gerichte daher in jedem Stadium
des Verfahrens hätte beachtet werden müssen.
Die frühere Praxis aufgebend, hat das Bundesgericht zunächst i. S. Messleny
gegen Messleny (BGE 50 II S. 411) entschieden, dass ein die Zuständigkeit
bejahender letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid nicht erst in
Verbindung mit der Hauptsache durch Berufung gegen das Endurteil weitergezogen
werden könne, und dann i. S. Badan gegen Badan (BGE 52 I S. 142 Erw. 1)
weitergehend, dass die Anfechtung auch dann nicht durch Berufung zu geschehen
habe, wenn die Zuständigkeit erst mit der Sache selbst im kantonalen Endurteil
behandelt und bejaht worden ist. Hieran anschliessend wurde noch i. S. «La
Genevoise» gegen Pfirter (BGE 56 II S. 386) davon ausgegangen, dass
«Gerichtsstandsfragen nach der neueren Rechtsprechung selbst dann nicht mit
der Berufung vor das Bundesgericht gebracht werden können, wenn sie in
Verbindung mit der Hauptsache beurteilt worden sind und wegen letzterer
ohnehin Berufung eingelegt wird». Dabei war unbeachtet geblieben, dass an
dieser Rechtsprechung nicht mehr in vollem Umfange festgehalten werden kann,
nachdem Art. 87
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 312 - Die Kindesschutzbehörde entzieht die elterliche Sorge:423
1  wenn die Eltern aus wichtigen Gründen darum nachsuchen;
2  wenn sie in eine künftige Adoption des Kindes durch ungenannte Dritte eingewilligt haben.
OG durch Art. 49 VDG dahin erweitert worden ist, dass
letztinstanzliche, der Berufung nicht unterliegende kantonale Entscheide in
Zivilsachen wegen Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen des
eidgenössischen Rechtes durch zivilrechtliche Beschwerde angefochten werden
können. Einerseits ist also die zivilrechtliche Beschwerde ausgeschlossen,
sobald das angefochtene Urteil der Berufung unterliegt (weshalb i. S. «La
Genevoise» gegen Pfirter schon aus diesem Grunde auf die zivilrechtliche
Beschwerde nicht einzutreten war). Anderseits ist für eine staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen des eidgenössischen
Rechtes auch da kein Raum mehr, wo die zivilrechtliche Beschwerde

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versagt, weil die Änderung der Gesetzgebung darauf abzielte, die in der
Zivilrechtspflege streitig werdenden eidgenössischen Gerichtsstandsfragen der
Beurteilung durch die staatsrechtliche Abteilung zu entziehen und der
Beurteilung durch die Zivilabteilungen zu unterwerfen (vgl. die bezügliche
Botschaft des Bundesrates im Bundesblatt 1925 II S. 272 (deutsche Ausgabe)
bezw. S. 283 (französische Ausgabe). Somit bleibt nur übrig, die Berufung
gegen das Endurteil auch den erst in ihm enthaltenen Entscheid über die nach
eidgenössischem Rechte zu lösende Gerichtsstandsfrage ergreifen zu lassen.
Dagegen bleibt es nach wie vor bei der erörterten Rechtsprechung, wenn die
Gerichtsstandsfrage in einem letztinstanzlichen kantonalen Zwischenentscheid
erledigt wird, oder wenn nicht die Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen
des eidgenössischen Rechtes (im Sinne des Art. 87 Ziff. 3 OG) gerügt wird.
In diesem Punkte erweist sich die vorliegende Berufung als unhaltbar. Der
Gerichtsstand des Art. 312
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 312 - Die Kindesschutzbehörde entzieht die elterliche Sorge:423
1  wenn die Eltern aus wichtigen Gründen darum nachsuchen;
2  wenn sie in eine künftige Adoption des Kindes durch ungenannte Dritte eingewilligt haben.
ZGB ist kein zwingender. Dieser Charakter kommt nur
denjenigen Gerichtsständen zu, an deren Beachtung das öffentliche Interesse
beteiligt ist. Das öffentliche Interesse ist aber am Gerichtsstand der
Vaterschaftsklage, soweit sie lediglich auf Vermögensleistungen geht,
ebensowenig beteiligt wie an dieser Klage überhaupt. Ein allfälliger Mangel
des Gerichtsstandes war daher nicht von Amtes wegen zu berücksichtigen,
sondern von der beklagten Partei in der vom kantonalen Prozessrecht
vorgeschriebenen Weise einzuwenden. Das ist laut Entscheidung der Vorinstanz
nicht geschehen. Der Beklagte hat sich also am Orte der Einklagung
eingelassen, wodurch das angegangene Gericht zuständig geworden ist, wenn es
nicht schon vorher zuständig gewesen sein sollte.
2. - ...
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 57 II 133
Date : 01. Januar 1931
Published : 13. März 1931
Source : Bundesgericht
Status : 57 II 133
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 1. Anfechtung letztinstanzlicher kantonaler Entscheide in Zivilsachen wegen Verletzung von...
Classification : Änderung der Rechtsprechung


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OG: 87
ZGB: 312
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45-II-241 • 50-II-411 • 52-I-138 • 56-II-386 • 57-II-133
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