S. 112 / Nr. 17 Prozessrecht (d)

BGE 57 II 112

17. Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Februar 1931 i. S. Navigazione
Generale Italiana gegen Grandjean & Kons.

Regeste:
Zivilrechtliche Beschwerde:
Der Gerichtsstand des Arrestortes für Forderungsklagen ist nicht durch das
Bundesrecht vorgeschrieben. Die Anwendung kantonalen statt ausländischen
Rechtes ist kein Beschwerdegrund. OG Art. 87 Ziff. 1 (Erw. 1).
Die Missachtung einer Prorogationsklausel ist keine Verletzung einer
eidgenössischen Gerichtsstandsbestimmung. OG Art. 87 Ziff. 3 (Erw. 2).
Überweisung der eventuell als staatsrechtliche bezeichneten Beschwerde (Erw.
3).

A. - Die Kläger und Beschwerdegegner haben als Rechtsnachfolger von auf dem
Ozeandampfer «Principessa Mafalda» untergegangenen schweizerischen Reisenden
einen Arrest auf Vermögensstücke der Beklagten und Beschwerdeführerin genommen
und darauf in der Arrestbetreibung Klage auf Anerkennung ihrer Ansprüche am
Arrestort Luzern erhoben. Die Beklagte hat sich gegenüber der Klage in ihrer
Antwort auf die Unzuständigkeit der schweizerischen Gerichte berufen und die
Einrede damit begründet, dass kein gültiger Arrest vorliege, indem hier die
Schaffung eines Gerichtsstandes auf dem Umwege über einen Arrest gegen Treu
und Glauben verstosse und

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dass kraft einer von den ertrunkenen Passagieren im Transportvertrag
eingegangenen Gerichtsstandsvereinbarung die italienischen Gerichte zuständig
seien. Das Amtsgericht von Luzern-Stadt hat die Einrede durch Entscheid vom
13. November 1930 als unbegründet und sich selbst als zur Behandlung der Klage
kompetent erklärt.
B. - In ihrem Rekurs an das Obergericht des Kantons Luzern hat sich die
Beklagte nur noch auf die Gerichtsstandsklausel berufen. Auf der Rückseite
aller ihrer Schiffsbillets sei in italienischer Sprache vorgedruckt, dass alle
Streitigkeiten, welche in Bezug auf den Vertrag entstehen könnten, durch die
zuständigen Gerichtsbehörden von Genua zu beurteilen seien, und dass der
Passagier auf die Zuständigkeit irgendwelcher anderer Gerichte, selbst im
Zusammenhang «mit Prozessen» verzichte.
C. - Die Kläger haben im kantonalen Rekursverfahren geltend gemacht, dass
einer allfälligen Gerichtsstandsvereinbarung die zwingende Vorschrift des § 44
der luzernischen ZPO entgegenstehe. Der Kanton Luzern kenne überdies kein
Forum prorogatum. Ferner mangle es an der Schriftlichkeit, und die Berufung
auf die Klausel auf den Billets gehe gegen Treu und Glauben.
D. - Das Obergericht des Kantons Luzern hat den Rekurs der Beklagten durch
Urteil vom 13. Januar 1931 abgewiesen...
E. - Gegen dieses Erkenntnis hat die Beklagte vor Ablauf von 20 Tagen einen
Rekurs an das Bundesgericht eingereicht, den sie als «zivilrechtliche,
eventuell staatsrechtliche Beschwerde» bezeichnet hat. Sie berufe sich auf
Art. 87 Ziff. 1 und 3 und 189 OG. Soweit eine der staatsrechtlichen Abteilung
eingereichte bezw. als staatsrechtliche bezeichnete Beschwerde in die
Zuständigkeit einer Zivilabteilung falle oder umgekehrt, sei sie von Amtes
wegen an die zuständige Abteilung abzugeben (BGE 56 II S. 3). Materiell sei
die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach italienischem Recht zu
beurteilen, da der Erfüllungsort des Vertrages in Italien oder auf
italienischen

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Schiffen liege. Die Vorinstanz habe zu Unrecht schweizerisches Recht
angewendet, und die Beschwerde sei deshalb schon gemäss OG Art. 87 Ziff. 1
gutzuheissen. Nach italienischem Recht sei die Gerichtsstandsklausel als
gültig anzusehen, und die luzernischen Gerichte seien unzuständig, da das
forum arresti ausgeschaltet werde. Es sei also auch OG Art. 87 Ziff. 3
verletzt. Eventuell sei die Klausel auch nach schweizerischem Recht als gültig
anzusehen. Die Willenseinigung sei stillschweigend erfolgt. Die Wahl der
italienischen Sprache schade nichts; die schweizerischen Bundesbahnen
befördern Tausende von Engländern und Amerikanern, ohne deswegen die
Bedingungen auf der Fahrkarte englisch abzufassen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. - Das Arrestforum für Forderungsklagen in der Arrestbetreibung ist nicht
durch das Bundesrecht vorgeschrieben. Es steht den Kantonen frei, es
einzuführen. (Vgl. JAEGER, Kommentar, Note 11 zu Art. 278
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 278 - 1 Wer durch einen Arrest in seinen Rechten betroffen ist, kann innert zehn Tagen, nachdem er von dessen Anordnung Kenntnis erhalten hat, beim Gericht Einsprache erheben.
1    Wer durch einen Arrest in seinen Rechten betroffen ist, kann innert zehn Tagen, nachdem er von dessen Anordnung Kenntnis erhalten hat, beim Gericht Einsprache erheben.
2    Das Gericht gibt den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme und entscheidet ohne Verzug.
3    Der Einspracheentscheid kann mit Beschwerde nach der ZPO483 angefochten werden. Vor der Rechtsmittelinstanz können neue Tatsachen geltend gemacht werden.
4    Einsprache und Beschwerde hemmen die Wirkung des Arrestes nicht.
SchKG). Wenn der
Kanton Luzern in seiner Zivilprozessordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht hat, hat er einen neuen kantonalen Gerichtsstand aufgestellt. Ob die
Vorinstanzen im vorliegenden Fall die Einrede der Unzuständigkeit trotz der
gedruckten Gerichtsstandsklausel mit Recht verworfen haben, hängt daher, da
Bundesrecht, namentlich Art. 59
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV nicht in Frage kommt, von einer Abgrenzung
des kantonalen Rechtes vom ausländischen Recht ab. Wenn, wie die Rekurrentin
behauptet, zu Unrecht einheimisches statt italienisches Recht auf die
Kompetenzfrage angewendet worden wäre, könnte es nur das geschriebene oder
ungeschriebene Recht des kantonal-luzernischen Prozessrechtes über die
Gültigkeit von vertraglichen Gerichtsstandsvereinbarungen gegenüber den
gesetzlichen Gerichtsständen gewesen sein. Die Anwendung kantonalen statt
ausländischen Rechtes fällt jedoch als Beschwerdegrund im Sinne des Art. 87
Ziff. 1 offenbar

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nicht in Betracht, so dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werden kann,
soweit sich die Rekurrentin auf diese Vorschrift berufen hat.
2. - Anstatt wie bisher die staatsrechtliche, ist nunmehr die zivilrechtliche
Beschwerde statthaft «wegen Verletzung von Gerichtsstandsbestimmungen des
eidgenössischen Rechtes» (Art. 87 Ziff. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
OG in der ihm durch Art. 49 des
Bundesgesetzes über die eidgenössische Verwaltungs- und
Disziplinarrechtspflege vom 11. Juni 1928 gegebenen Fassung), sofern es sich
um eine nicht der Berufung unterliegende Zivilsache handelt, was hier
zutrifft. Wie das Bundesgericht schon entschieden hat, rechtfertigt es sich,
bei der Auslegung dieser die Zuständigkeit der staatsrechtlichen Abteilung in
Zivilsachen einschränkenden Bestimmung dem Begriffe der
Gerichtsstandsbestimmung die gleiche Ausdehnung zu geben, wie sie früher die
staatsrechtliche Abteilung in ihrer Rechtsprechung auf Grund von Art. 189 OG
angenommen hat. (BGE 56 II S. 2 ff.). Darnach kann jedoch keine Rede davon
sein, dass der Beschwerdegrund des Art. 87 Ziff. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 59 Militär- und Ersatzdienst - 1 Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
1    Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten. Das Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor.
2    Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig.
3    Schweizer, die weder Militär- noch Ersatzdienst leisten, schulden eine Abgabe. Diese wird vom Bund erhoben und von den Kantonen veranlagt und eingezogen.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Militär- oder Ersatzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
OG zutreffe. Die
Prorogation ist eine Vereinbarung prozessualen Charakters, die dem kantonalen
Prozessrecht und nicht etwa dem OR untersteht, wie die staatsrechtliche
Abteilung in ihrem (unveröffentlichten) Entscheid in Sachen Anton Thalmann
gegen Vonbüren & Cie, vom 8. April 1927 ebenfalls bei der Behandlung eines
Rekurses gegen einen Kompetenzbeschluss des Obergerichtes des Kantons Luzern
erkannt hat. Auch im vorliegenden Fall richtet sich die Beschwerde nur gegen
die angebliche Missachtung einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung
(Prorogationsklausel), nicht gegen die Verletzung einer
Gerichtsstandsvorschrift objektiven Charakters des Bundesrechtes. Wie das
Bundesgericht schon mehrfach erkannt hat, ist hiefür die zivilrechtliche
Beschwerde nicht gegeben; denn es sollte nur eine eidgenössische
Beschwerdeinstanz gegen die Verkennung von durch die Bundesgesetzgebung
gewährleisteten gesetzlichen Gerichtsständen des eidgenössischen Rechtes

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geschaffen werden. (Vgl. BGE 56 II S. 387 und die dort zitierte Judikatur.) Es
kann daher auf die Beschwerde, auch soweit sie sich auf OG Art. 87 Ziff. 3
stützt, nicht eingetreten werden.
Auf die weitern Ausführungen der Beklagten, dass die allgemeinen Bedingungen
der Schiffsfahrkarten für die Reisenden auch nach schweizerischem Recht
verbindlich seien, ist nicht einzugehen, da es für diese Rüge an einem
gesetzlichen Beschwerdegrund fehlt.
3.- Wieso die Beschwerde «eventuell» als staatsrechtlicher Rekurs anzusehen
ist, geht aus der Beschwerdeschrift nicht hervor; insbesondere ein Verstoss
gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV ist nicht behauptet worden. anderseits erhellt daraus
eindeutig, dass die Beschwerdeführerin die - nicht zutreffenden - Rekursgründe
der Ziff. 1 und 3 des Art. 87
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG anrufen wollte und dass die Sache daher an
sich in die Zuständigkeit der I. Zivilabteilung der Bundesgerichtes fällt. Da
diese jedoch nicht darüber zu entscheiden hat, ob auf die Beschwerde als
staatsrechtliche einzutreten sei, muss die Sache unter Anwendung der im Falle
Schlittler gegen Waisenamt Tuggen vom 23. Januar 1930 (BGE 56 II S. 3)
aufgestellten Grundsätze noch der staatsrechtlichen Abteilung überwiesen
werden, obschon die Rekurrentin, wenn die staatsrechtliche Abteilung
allenfalls eintreten würde, auf diese Weise nicht etwa nur zuerst das
unrichtige Rechtsmittel, sondern die beiden Rechtsmittel in einer
Beschwerdeschrift geltend gemacht hätte. Aus diesem Grunde empfiehlt es sich
immerhin, die Überweisung nicht als interne Angelegenheit zu behandeln,
sondern den Parteien einen begründeten Nichteintretensentscheid zuzustellen
und der unterlegenen Rekurrentin eine Gerichtsgebühr aufzuerlegen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die zivilrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 57 II 112
Date : 01. Januar 1931
Published : 24. Februar 1931
Source : Bundesgericht
Status : 57 II 112
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Zivilrechtliche Beschwerde:Der Gerichtsstand des Arrestortes für Forderungsklagen ist nicht durch...


Legislation register
BV: 4  59
OG: 87  189
SchKG: 278
BGE-register
56-II-1 • 56-II-386 • 57-II-112
Keyword index
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jurisdiction agreement • defendant • federal court • ground of appeal • swiss law • foreign legislation • remedies • passenger • lower instance • civil matter • place of distraint • letter of complaint • character • good faith • language • ticket • cantonal remedies • proceeding • decision • appeal relating to public law
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