S. 235 / Nr. 38 Muster- und Modellschutz (d)
BGE 56 II 235
38. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Mai 1930 i. S. Jakob
Rohner A.-G. gegen F. Bühler & Cie .
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Regeste:
Für die Frage der Neuheit eines Musters kommen ausnahmsweise auch die
Verhältnisse im Ausland in Betracht, wenn es ausschliesslich für den Absatz im
Ausland bestimmt ist.
Begriff des Bekanntseins in den beteiligten Verkehrskreisen. MMG Art. 12 Ziff.
1.
Aus den Erwägungen:
3.- Wie das Bundesgericht am 31. Januar 1928 i. S. Alfred Bühler A.-G. gegen
A.-G. Möbelfabrik Horgen-Glarus (BGE 54 II S. 58 ff.) und mit einlässlicher
Begründung am 29. Januar 1930 i. S. Textor A.-G. gegen Jakob Rohner A.-G. (BGE
55 II S. 71 ff.) erkannt hat, kommen für die Frage der Neuheit eines Musters
grundsätzlich nur die Verhältnisse im Inland in Betracht. Daran ist im
Gegensatz zu den Ausführungen der Beklagten festzuhalten. Das Bundesgericht
hat jedoch schon in dem zuletzt erwähnten Entscheid die Frage aufgeworfen,
ohne sie damals beantworten zu müssen, ob nicht dann eine Ausnahme vom
Territorialitätsprinzip zu machen sei, wenn es sich um ein Muster einer
schweizerischen Exportindustrie handelt, das überhaupt nur im Ausland
abgesetzt wird. Diese Frage ist nun zu bejahen. Da sich der Markt solcher Ware
und damit auch die beteiligten Verkehrskreise im ausländischen Absatzgebiet
befinden, wäre, praktisch gesprochen, wie das Bundesgericht ebenfalls schon
betont hat, die Neuheit eines Musters überhaupt nicht mehr eine Voraussetzung
des Schutzes; denn die einzige oder wenigstens hauptsächliche Möglichkeit,
wegen der ein solches Muster nicht mehr neu sein könnte, fiele nicht in
Betracht, wenn man ausschliesslich und ohne
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Ausnahme auf die Verhältnisse im Inland abstellen würde. Das würde dem Sinn
des Gesetzes nicht entsprechen. Auch ein solches Muster soll des Schutzes nur
teilhaftig sein, wenn es nicht vor der Hinterlegung denen bekannt gegeben
worden ist, für die es bestimmt ist.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin ausdrücklich zugegeben, die drei
fraglichen Muster seien ausschliesslich für den Verkauf im nördlichen Teil
Afrikas bestimmt gewesen. Der gekennzeichnete Ausnahmefall liegt also vor, und
es frägt sich nur noch, ob die drei typischen Exportmuster der Klägerin zur
Zeit der Hinterlegung unter den beteiligten Verkehrskreisen des afrikanischen
Absatzgebietes bereits bekannt gewesen seien. Auch daran kann kein Zweifel
mehr bestehen, nachdem im vorliegenden Fall im Gegensatz zur Sache Textor
A.-G. gegen die Klägerin feststeht, dass nicht nur ein einmaliger Verkauf
durch einen Vertrauensmann der Klägerin erfolgt ist, sondern dass die Muster
verschiedenen, den beteiligten Kreisen angehörenden Kunden an verschiedenen
Orten eröffnet worden sind. Wenn das Bundesgericht in dem mehrfach erwähnten
Fall Textor A.-G. gegen die Klägerin (BGE 55 II S. 71 ff.) gefunden hat, es
liege nahe, dass ein Exporteur vor der Hinterlegung prüfen wolle, ob ein
Muster «zügig» sei, und dass ein einmaliger Verkauf vor der Hinterlegung der
Neuheit nicht schaden könne, wenn er mit einem Vertrauensmann des
Musterinhabers erfolge, so konnte das doch nicht die Meinung haben, dass ein
Muster vor Erlangung des Schutzes allgemein in dem Absatzgebiet «zur
Auslieferung gelangen» dürfe, wie es die Klägerin selbst bezeichnet.
Da die drei Muster der Klägerin in den beteiligten Verkehrskreisen vor der
Hinterlegung somit bereits bekannt gewesen sind, fehlt es an ihrer Neuheit und
damit an der Gültigkeit des Schutzes und der rechtlichen Grundlage für eine
Schadenersatzklage wegen widerrechtlicher Nachahmung. Aus diesen Gründen ist
das angefochtene Urteil im Ergebnis zu bestätigen.