S. 116 / Nr. 18 Obligationenrecht (d)

BGE 56 II 116

18. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. April 1930 i. S. Hochapfel gegen
Romann.

Regeste:
Gegen eine behauptete Verletzung der Gerichtsstandsvorschriften des
französisch-schweizerischen Staatsvertrages ist der staatsrechtliche Rekurs,
nicht die zivilrechtliche Berufung zu erhaben. OG Art. 175 Ziff. 3. 189 Abs.
3.

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Verschulden eines Automobilfahrers an der Tötung eines andern Fahrzeuglenkers
infolge unbefugten Verfahrens, übersetzter Geschwindigkeit und Unterlassung
der Signalgebung. OR Art. 41, Konkordat Art. 36 und 37.
Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, Mitverschulden, Zufall? Kein Abzug für
die Vorteile der Kapitalabfindung und wegen der Möglichkeit der
Wiederverheiratung der Witwe. Gleichstellung der Witwe mit den Kindern bei der
Bemessung der Genugtuung.

A. - Der Gatte und Vater der Kläger, Hans Romann, wurde am 18. September 1928
durch einen Automobilunfall in der Nähe von Niederbipp getötet. Er war
Nachmittage nach zwei Uhr mit seinem Freunde Hans Zurmühle in Solothurn
aufgebrochen, um sich in seinem fast neuen Automobil, Marke Buik, nach Olten
zu begeben. Der Beklagte fuhr am gleichen Tage in Begleitung einer Fräulein
Délisle in seinem Automobil «Georges Irat»
von Neuenburg über Solothurn nach Olten. Nach dem Dorfe Niederbipp überholte
er den von einem Moginier gesteuerten Wagen, dessen Insassen über das
Vorfahren ungehalten waren, da sie selbst mit einer Geschwindigkeit von etwa
60 km fuhren und da der Beklagte kurz vor dem Vorfahren einen einzigen
Hornstoss abgegeben hatte. Hochapfel holte bald darauf auch den vor ihm
fahrenden Wagen Romanns ein. Er beabsichtigte, auch diesem vorzufahren und gab
zu diesem Zweck unmittelbar vor dem Überholen wieder einen kurzen Hornstoss.
Das geschah etwa 16-18 Meter westlich der bernisch-solothurnischen
Kantonsgrenze und nach der andern Seite ungefähr 6-8 Meter östlich der
nächsten Leitungsstange der Langenthal-Jura-Bahn, deren Geleise sich auf der
Strasse befinden. Als das Fahrzeug Hochapfels schon fast vollständig
vorgefahren war, berührte die Nabe seines rechten Hinterrades beim oder
unmittelbar vor dem Einschwenken gegen die Mitte der Strasse die Nabe des
linken Vorderrades des überholten Wagens. Das genügte, um diesen von der
Fahrbahn abzulenken. Er fuhr über das 1,10 Meter breite, in seiner
Fahrrichtung rechts auf

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der Strasse befindliche Geleise der Bahn und beinahe über den Strassenrand auf
die Wiese hinaus. Im letzten Augenblick machte er jedoch wieder eine Wendung
nach links und fuhr dann eine Strecke weit zwischen den Schienen am äussersten
rechten Rand der Strasse. Wenig hätte gefehlt, so wäre er gegen einen Mast der
Fahrleitung geschossen. Nachdem er auf diese Weise eine Strecke parallel den
Geleisen und der Strasse gefahren war, machte er eine zweite, scharfe Wendung
nach links, um wieder auf die Fahrbahn der Strasse zu kommen. Nachdem der
Widerstand der herausragenden Schienen und der Strassenwölbung überwunden war,
gelang es dem Lenker des immer noch mit 60 km fahrenden Wagens jedoch nicht,
die Richtung der Strasse wieder zu gewinnen. Das Fahrzeug fuhr vielmehr weiter
in schräger Richtung und über das 60 cm hohe linke Bord hinaus, so dass es
sich in der Wiese überschlug, Hans Romann unter dem vordern Verdeck begrabend.
Hans Zurmühle wurde nicht verletzt, Romann dagegen verschied kurz darauf an
den Folgen eines Schädelbruches.
Arrest . . .
B. - In dem gegen Hochapfel eingeleiteten Strafverfahren hat die Klägerin
folgende zivilrechtlichen Begehren adhäsionsweise geltend gemacht:
«Der Beklagte habe der Klägerschaft die Kosten für die Bestattung ihres Gatten
und Vaters Hans Romann im Betrage von 2000 Fr. zu ersetzen nebst Zins zu 6%
seit 22. September 1928.
Der Beklagte habe der Klägerschaft eine Versorgerentschädigung von 150000 Fr.
zu bezahlen nebst Zins zu 6% seit 22. September 1928. Der Beklagte habe der
Klägerschaft eine Genugtuung von 10000 Fr. nebst 6% seit 22. September 1928 zu
entrichten.»
C. - Durch Urteil vom 30. April 1929 hat das Amtsgericht Balsthal den
Beklagten von der Anklage der fahrlässigen Tötung freigesprochen, ihn aber
wegen Zuwiderhandlung gegen die Konkordatsvorschriften zu einer

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Busse von 60 Fr. verurteilt. Die Schadenersatzansprüche der Klägerin hat es
auf den Zivilweg verwiesen.
D. - Nachdem die Klägerin an das Obergericht appelliert hatte, hat dieses
durch Urteil vom 9. Oktober 1929 die Busse wegen Verletzung der
Fahrvorschriften bestätigt, den Angeklagten aber auch der fahrlässigen Tötung
schuldig erklärt und zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten verurteilt.
Es hat ihn ferner verpflichtet, zu bezahlen:
1. an Witwe Romann-Arni
a) als Versorgerschaden 30000 Fr. nebst 5% Zins seit 18. September 1928,
b) an die Bestattungskosten 1000 Fr.,
c) für Autoreparaturkosten 3743 Fr.,
d) als Genugtuung 1000 Fr.;
2. an die Kinder Hans, Willy, Grety, Max und Karl Romann eine
Versorgerentschädigung von 14176 Fr. nebst 5% Zins seit 18. September 1928 und
eine Genugtuung von zusammen 4000 Fr.
E. - Gegen dieses Urteil hat der Beklagte, soweit es den Zivilpunkt betrifft,
rechtzeitig die Berufung an das Bundesgericht erklärt und den Antrag gestellt,
das Obergericht des Kantons Solothurn, sowie jedes schweizerische Gericht sei
zur Beurteilung des Zivilpunktes unzuständig zu erklären, eventuell seien die
Ansprüche der Klägerin vollständig abzuweisen, ganz eventuell seien die
Entschädigungsansprüche erheblich herabzusetzen und die Genugtuungsforderungen
abzuweisen.
F. - Die Klägerin hat sich der Berufung des Beklagten angeschlossen und den
Antrag gestellt, die Versorgerentschädigung an die Klägerin Frau Romann-Arni
sei auf 40000 Fr. nebst Zins, der Schadenersatz für das Automobil auf 5743 Fr.
und die Genugtuung für die Witwe sei auf 5000 Fr. zu erhöhen.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Bejahung der Zuständigkeit der herwärtigen Gerichte zur Beurteilung
der geltend gemachten Zivilansprüche durch das Obergericht des Kantons
Solothurn kann auf dem Wege der Berufung nicht angefochten werden. Dem
Beklagten wäre zur Rüge der behaupteten Verletzung der Art. 1 und 7 des
französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrages von 1869 gemäss Art. 113
Ziff. 3 der Bundesverfassung und Art. 175 Ziff. 3 und 189 Abs. 3 OG der
staatsrechtliche Rekurs an die staats- und verwaltungsrechtliche Abteilung des
Bundesgerichtes zu Gebote gestanden. Im Gegensatz zu frühern Urteilen (vgl.
BGE 42 II S. 310, 45 II S. 243) hat das Bundesgericht in seiner neuern
Rechtsprechung erkannt, dass eine Gerichtsstandsfrage in einer der Berufung
unterliegenden Zivilrechtsstreitigkeit nicht als Präjudizialpunkt zugleich mit
der Hauptsache der Berufungsinstanz unterbreitet werden kann (vgl. BGE 50 II
S. 153
, 412). Ein staatsrechtlicher Rekurs ist nicht erhoben worden. Das
Urteil der Vorinstanz ist daher nach dieser Richtung rechtskräftig geworden,
und das erste Berufungsbegehren ist abzuweisen.
Die Einrede der Unzuständigkeit der hiesigen Gerichte wäre zudem unbegründet
gewesen. Der Beklagte hatte sich vor dem Amtsgericht Balsthal vorbehaltlos auf
die Sache eingelassen, denn er hat in einer Eingabe um Erhebungen über das
Vermögen des getöteten Romann ersucht und an der Hauptverhandlung einen Antrag
zur Sache gestellt. Er kann die Zuständigkeit vor den obern Instanzen nicht
mehr bestreiten.
Der Beklagte hat ausserdem noch vor Bundesgericht ausdrücklich zugegeben, dass
die schweizerischen Gerichte zuständig seien, sofern der Strafpunkt in einem
Adhäsionsprozess die Hauptsache bilde. Das trifft im vorliegenden Fall
entgegen der Auffassung des Beklagten zu. Die Anklage wegen fahrlässiger
Tötung war im Vergleich zu

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den Zivilansprüchen keine Nebensache. Das Erfordernis der Zulassung des vom
verfassungsmässigen Gerichtsstands abweichenden forum delicti commissi im
Adhäsionsprozess, dass der Strafpunkt die Hauptsache sei, wurde aufgestellt,
damit nicht, namentlich bei Ehrverletzungen und Übertretungen, die Einleitung
eines Strafverfahrens zum blossen Vorwand für eine Umgehung der
Gerichtsstandsvorschriften gemacht würde. Ein solcher Fall liegt hier offenbar
nicht vor. Es ist in diesem Zusammenhang auch darauf zu verweisen, dass sich
die französische Rechtsprechung zum Gerichtsstandsvertrag von 1869, deren
Richtigkeit hier allerdings bezweifelt werden könnte, schon auf den Standpunkt
gestellt hat, dass sich die Gerichtsstandsbestimmungen des Staatsvertrages
überhaupt nicht auf ausserkontraktliche Zivilansprüche beziehen, sondern nur
auf vertragliche (vgl. Journal de Droit International Privé, publié par
CLUNET, 33e année, 1906, p. 1113).
2.- Nach Art. 36 des interkantonalen Konkordates über den Verkehr mit
Motorfahrzeugen und Fahrrädern vom 7. April 1914 darf die Geschwindigkeit
eines Fahrzeuges auf dem flachen Land und im offenen Feld niemals 40 km in der
Stunde überschreiten. Das Obergericht spricht zwar in dem angefochtenen Urteil
gelegentlich von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km. Es ist
jedoch nicht ersichtlich, welche Vorschrift es dabei im Sinne hatte. Da ein
kantonaler Rechtssatz mit einer solchen grössern Höchstgeschwindigkeit vor dem
Konkordat bei vorbehaltlosem Beitritt des Kantons keinen rechtlichen Bestand
haben könnte, muss auch im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass
Hochapfel und Romann auf der Unfallstrecke nicht rascher als 40 km fahren
durften. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz haben beide diese Vorschrift verletzt. Der
Beklagte hat die Widerrechtlichkeit seiner Geschwindigkeit überdies dadurch
zugegeben, dass er gegen das ihn zu einer Busse

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wegen Verletzung der Geschwindigkeits- und Signalvorschriften verurteilende
Erkenntnis des Amtsgerichtes Balsthal nicht appelliert hat.
Er behauptet freilich, er sei nicht mit 80-90 km Geschwindigkeit gefahren,
sondern nur mit 60-70 km und nicht rascher als Romann. Allein abgesehen davon,
dass auch 60-70 km vorschriftswidrig gewesen wären, ist die Feststellung der
Vorinstanz, dass es bedeutend mehr als 60-70 km gewesen sein müssen, für das
Bundesgericht verbindlich. Es wäre auch nicht wohl möglich gewesen, dass der
Beklagte nacheinander die Wagen Moginiers und Romanns eingeholt hätte, wenn er
nicht schneller gefahren wäre. Die Tatsache, dass auch Romann mit übersetzter
Geschwindigkeit fuhr, vermag den Beklagten nicht zu entschuldigen, sondern sie
belastet ihn, da das Überholen eines selbst schon bedeutend zu rasch fahrenden
Wagens umso unverantwortlicher war. Mit Recht hat denn auch das Obergericht
den entscheidenden Fehler des Beklagten nicht in der verbotenen
Geschwindigkeit an sich erblickt, sondern im Vorfahren. Wenn der Beklagte,
wenn auch mit zu grosser Geschwindigkeit, hinter dem Fahrzeug Romanns
geblieben wäre und das Vorfahren unterlassen hätte, wäre der Unfall nicht
erfolgt.
Der Beklagte hat vor dem Überholen nicht nur kein genügendes Signal gegeben
und beim Überholen offenbar zu früh wieder gegen die Strassenmitte
eingeschwenkt und so gegen Art. 37 des Konkordates verstossen, sondern er
hätte unter den vorhandenen Umständen überhaupt nicht vorfahren dürfen. Die
Strasse ist an der Unfallstelle nur etwa 4 Meter breit. Sie bietet wegen der
starken Wölbung und wegen der herausragenden Geleise für den rechts fahrenden
Automobilisten eine leichte Gefahr, so dass er sich etwas gegen die
Strassenmitte halten muss. Der Beklagte sah und kannte alle diese Umstände.
Seine Begleiterin hat als Zeugin ausgesagt, sie habe geglaubt, es sei gerade
noch genug Raum, um am Fahrzeug Romanns vorbeizukommen Unter diesen
Verhältnissen war das

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Vorfahren tollkühn und eine Gewissenlosigkeit sondergleichen. Der Beklagte
musste als geübter Fahrer wissen, dass bei der übersetzten Geschwindigkeit die
geringste Berührung des Wagens Romanns dessen Insassen in Lebensgefahr bringen
konnte. Sein Verschulden ist umso grösser, als er für sein Verhalten nicht
einen vernünftigen Grund angeben konnte, so dass angenommen werden muss, die
blosse Lust an einer rasenden Fahrt oder der falsche Stolz des Automobilisten,
niemanden vor sich fahren zu lassen, habe im vorliegenden Fall zum Verlust
eines Menschenlebens geführt.
3.- Der Beklagte macht weiter geltend, der Kausalzusammenhang zwischen der
Berührung der beiden Wagen und dem Absturz Romanns in die Wiese links sei
unterbrochen. Romann habe die Steuerung noch vor der Erreichung des rechten
Strassenbordes wieder beherrscht, denn er habe durch einen energischen
Willensakt die Parallele der Strasse wieder gewonnen. Die Ursachen des
Unglückes seien erst gesetzt worden, als er die gewöhnliche Fahrbahn wieder
habe einnehmen wollen; dann seien ihm die schlechte Beschaffenheit der Strasse
und der Geleise und seine zu grosse Geschwindigkeit zum Verhängnis geworden.
Dieser Auffassung kann jedoch nicht beigetreten werden. Auch wenn mit dem
Obergericht angenommen werden muss, Romann habe nach der Ablenkung durch die
Berührung die Richtung der Strasse nicht durch einen ausserhalb menschlichen
Willensbereiches liegenden Zufall oder durch einen rein instinktiven Handgriff
wieder gewonnen, sondern durch einen energischen Willensakt, der nur einem
äusserst gewandten Fahrer zuzutrauen ist, so kann doch von einer Unterbrechung
des ursächlichen Zusammenhanges keines Rede sein. Selbst wenn nämlich Romann
während der 1,56 Sekunden, die er brauchte, um die gerade Strecke von 26-27 m
zwischen den Schienen zu durchfahren, die Führung des Fahrzeuges wieder
vollständig beherrscht hätte, wäre dadurch die schon durch die Berührung der
beiden Wagen gesetzte

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Ursache nicht verschwunden, nämlich die Tatsache, dass er sich eben nicht mehr
auf der Fahrbahn befand, sondern zwischen den Schienen, so dass er sich aus
dieser Lage wieder befreien musste. Daraus folgt, dass das Verhalten Romanns
von diesem Augenblick an den Beklagten von der Haftung nicht entlasten kann.
Ebensowenig sind die Eigenschaften der Strasse als Ursache des Unglückes an
die Stelle des Verhaltens des Beklagten getreten.
4.- Es bleibt in Bezug auf die Hauptberufung zu prüfen übrig, ob den getöteten
Romann ein Mitverschulden an seinem Tode treffe oder ob allenfalls andere, als
Zufall zu wertende oder eine Haftung Dritter begründende Umstände die
Schadenersatzpflicht des Beklagten herabzusetzen vermögen.
Dass Romann den Beklagten andauernd und absichtlich nicht habe vorfahren
lassen, ist nicht erwiesen. Aus den Aussagen der Fräulein Délisle geht im
Gegenteil hervor, dass Romann sich nicht etwa beharrlich auf der Strassenmitte
hielt. Romann hatte jedoch überhaupt keine Pflicht, Hochapfel vorfahren zu
lassen. Er fuhr selbst schon zu rasch. Ausserdem war nicht ausgeschlossen,
dass durch das Vorfahren auch der Beklagte in eine Gefahr geriet. So könnte es
sich eher fragen, ob Romann nicht gut getan hätte, dem Beklagten das Vorfahren
schlechthin zu versperren. Ein Verschulden Romanns kann immerhin nicht darin
liegen, dass er dem Beklagten den möglichen Platz zum Vorfahren überliess.
Durch sein rasches Fahren hat auch Romann einen Fehler begangen; doch steht es
nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unglück und kann ihm daher
nicht zum Mitverschulden an seinem Tod angerechnet werden. Wenn Hochapfel
nicht vorgefahren wäre, hätte die Geschwindigkeit Romanns keinen Einfluss
gehabt. Wenn Romann langsamer gefahren wäre, hätte die Ablenkung durch die
Berührung wegen des Geschwindigkeitsunterschiedes der beiden Fahrzeuge unter
Umständen noch grösser und gefährlicher sein können.

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Nachdem Romann den Sturz nach rechts vermieden hatte, wäre es wohl das Beste
gewesen, wenn er nicht sogleich die Schienen überquert, sondern zuerst die
Geschwindigkeit erheblich herabgesetzt hätte. Bis zur Verringerung der
Geschwindigkeit hätte er mit der verhältnismässig kleinsten Gefahr zwischen
den Schienen weiterfahren sollen. Sofortiges Bremsen, wie sofortiges
Überqueren der Geleise war gefährlicher, wie auch einer der drei von der
Vorinstanz zugezogenen technischen drei von der Vorinstanz zugezogenen
technischen Experten festgestellt hat. Allein nachträglich ist diese
Überlegung leichter zu machen, als in dem Augenblick, wo sie notwendig gewesen
wäre. Es stand Romann zu wenig Zeit zur Verfügung, um so zu überlegen. Der
Entschluss war im Bruchteil einer Sekunde zu fassen. Wenn er unter diesen
ungünstigen Verhältnissen einen andern Weg gewählt hat, kann ihm dies nicht
zum Verschulden gemacht werden, zumal das Bestreben natürlich war, aus der
Lage herauszukommen, wo er eben beinahe eine Leitungsstange gestreift hatte
und wo das Strassenbord und die Schienen eine Gefahr boten. Das bewusste
Vorfahren des Beklagten unter den ungünstigsten Umständen war derart
fahrlässig, dass im Vergleiche dazu ein, objektiv betrachtet, fehlerhaftes
Verhalten des Getöteten im Augenblicke der höchsten Gefahr bei der Bemessung
des Verschuldens nicht in Betracht fallen kann.
Die Strasse war nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichtes
durchaus in gutem Zustand. Sie war aber eben nicht zum Vorfahren unter den
obwaltenden Umständen bestimmt. Dass die herausragenden Geleise und die starke
Wölbung der Strasse dem Getöteten zum Verhängnis wurden, indem ihr Widerstand
ihn hinderte, nach der Überwindung die Richtung zu ändern, liegt nahe, steht
aber nicht in kausalem Zusammenhang mit dem Unglück, insofern, als das
Strassenstück mit den Geleisen eben gar nicht für die Motorfahrzeuge
eingerichtet und bestimmt ist und als der Wagen Romanns nur durch

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das schuldhafte Verhalten Hochapfels darauf geraten war. Es rechtfertigt sich
aus diesen Gründen, den Beklagten für den vollen angerichteten Schaden haften
zu lassen und die Hauptberufung abzuweisen.
5.- Die Vorinstanz hat angenommen, dass Hans Romann von dem auch durch die
Kläger als Grundlage gewählten Jahreseinkommen von 10000 Fr. seiner Frau
jährlich rund 2400 Fr. habe zukommen lassen. Die Beanstandung dieser Schätzung
durch Frau Romann kann nicht gehört werden, da es sich hiebei um eine das
Bundesgericht bindende tatsächliche Annahme der Vorinstanz handelt.
Bei einem Alter der Witwe von 43 Jahren und einer jährlichen Rente von 2400
Fr. beträgt das Kapital nach der Piccard'schen Tabelle und der richtigen
Berechnung der Vorinstanz 35976 Fr. Die Vorinstanz hat jedoch davon einen
Abzug von 10% für die Vorteile der Kapitalabfindung gemacht und den
Versorgerschaden der Witwe auf rund 30000 Fr. bemessen. Dieser Abzug ist bei
Anwendung der genannten Tabellen und des höhern Kapitalisationszinsfusses
nicht gerechtfertigt, wie das Bundesgericht in seinem Urteil i. S. D. gegen B.
vom 23. November 1927 erkannt hat (vgl. BGE 53 II S. 429, und THIlO, im
Journal des Tribunaux, 1929, p. 413, BGE 46 II S. 53). Frau Romann hat daher
grundsätzlich Anspruch auf die volle Entschädigung von 35976 Fr., und es frägt
sich nur, ob wegen der Möglichkeit ihrer Wiederverheiratung ein entsprechender
Abzug zu machen sei. In Übereinstimmung mit den Urteilen i. S. Hinnen gegen
Jäger vom 26. Juni 1928 (BGE 54 II S. 298) und i. S. Plattner gegen Grob vom
10. Juli 1929 (unveröffentlicht) ist jedoch davon abzusehen, da eine
Wiederverheiratung immerhin ungewiss ist und da auch bei einer
Wiederverheiratung durchaus nicht gesagt ist, ob sie für die Witwe eine
ökonomische Besserstellung mit sich bringt.
6.- Die durch die Anschlussberufung begehrte Erhöhung des Schadenersatzes für
das arg beschädigte

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und jetzt minderwertige Automobil von 2000 Fr. ist ohne weiteres gutzuheissen,
da es der Vorinstanz nur durch einen Irrtum entgangen sein kann, dass der
Wagen trotz der Reparatur den durch den Experten mitgeteilten Minderwert haben
muss, der weit mehr als 2000 Fr. beträgt. Durch die Reparatur eines in dieser
Weise zerstörten Automobils wird der Schaden erfahrungsgemäss nicht gedeckt,
da der Marktwert eines einmal beschädigten und ausgebesserten Wagens erheblich
unter demjenigen eines neuen steht.
7.- Die von der Witwe Romann begehrte Erhöhung der Genugtuung von 1000 Fr. auf
5000 Fr. kann nicht zugesprochen werden. Es liegt entgegen ihrer Auffassung
keine Verletzung von Bundesrecht darin, dass sie bei der Bemessung der
Genugtuung ihren Kindern gleichgestellt worden ist. Der seelische Schmerz der
Kinder, die ihren Vater in einem Alter verloren haben, wo sie ihn noch sehr
nötig gehabt hätten, kann ebenso gross und anhaltend sein, wie der der
Ehefrau.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Hauptberufung wird abgewiesen.
Die Anschlussberufung wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass das der
Witwe Bertha Romann-Arni für Versorgerschaden zugesprochene Guthaben auf 35976
Fr. nebst 5% Zins seit 18. September 1928 und dass der ihr für
Autoreparaturkosten gewährte Betrag wegen Minderwertes des Automobils auf 5743
Fr. erhöht wird.
Im übrigen wird die Anschlussberufung abgewiesen und das Urteil des
Obergerichtes des Kantons Solothurn vom 9. Oktober 1929 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 II 116
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 01. April 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 II 116
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Gegen eine behauptete Verletzung der Gerichtsstandsvorschriften des französisch-schweizerischen...


Gesetzesregister
OG: 113  189
BGE Register
42-II-309 • 46-II-50 • 50-II-150 • 53-II-419 • 54-II-294 • 56-II-116
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • vorfahre • vorinstanz • bundesgericht • witwe • genugtuung • automobil • zins • verhalten • wiederverheiratung • fahrender • wiese • versorgerschaden • vater • zufall • busse • hauptsache • kapitalabfindung • verurteilter • schaden
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