S. 431 / Nr. 68 Gleichheit vor dem Gesetz (Rechtsverweigerung) (d)

BGE 56 I 431

68. Urteil vom 19. September 1930 i. S. Pfister gegen Graubünden Kleinen Rat.


Seite: 431
Regeste:
Anwendung kantonaler Gesetzesvorschriften über das Hausieren («Feilbieten von
Waren im Umherziehen»), auf die Verbreitung von religiösen Schriften durch
Angehörige der betr. Sekte unter Entgegennahme «freiwilliger Gaben». Keine
Willkür und auch kein Verstoss gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit, wenn
die (Hausier-) Patenttaxe nicht durch ihre Höhe prohibitiv wirkt. Angeblicher
Verstoss gegen Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV, weil damit eine Tätigkeit der Gewerbegesetzgebung
unterstellt werde, die keine gewerbliche i.S. dieser Verfassungsvorschrift
sei.

A. - Das graubündnerische Gesetz vom 7. April 1929. über die Ausübung von
Handel und Gewerbe bestimmt im Abschnitt «I Hausier- und Wandergewerbe» in:
«Art. 1. Unter den Begriff des Hausier- und Wandergewerbes fallen folgende
Tätigkeiten:
1. Das Feilbieten von Waren durch Umhertragen in den Strassen, auf
öffentlichen Plätzen oder von Haus zu Haus, mit Einschluss der Aufstellung von
Warenautomaten ausserhalb des Geschäftslokals;
2. das vorübergehende Feilbieten eines Warenlagers ausserhalb des
Geschäftslokals, sei es, dass die Waren von

Seite: 432
einer festen Verkaufsstelle aus feilgeboten oder von einem im Kanton
befindlichen Depot aus auf dem Hausierwege verschleisst oder von Ort zu Ort
gebracht werden (Wanderlager);
3. der gewerbsmässige Ankauf oder Tausch von Waren im Umherziehen;
4. der Betrieb eines Gewerbes im Umherziehen ausserhalb der Wohngemeinde, mit
Einschluss der Ausübung eines künstlerischen Gewerbes.»
Art. 2 verlangt für die Ausübung des «Hausier- und Wandergewerbes» die Lösung
eines kantonalen Patentes. Und Art. 3, 14, 19, 21, 51 lauten:
«Art. 3. Vereine. Darbietungen einheimischer Musikgesellschaften,
Gesangvereine, dramatischer Vereine und ähnlicher Gesellschaften ohne
Erwerbscharakter, sowie die Ausstellung eigener Kunstwerke der Mitglieder
durch einheimische Kunstvereine, auch wenn ein Verkauf damit verbunden ist,
bedürfen keiner behördlichen Bewilligung.
Ebenso sind von der Patentpflicht befreit Personen, welche bei Veranstaltungen
solcher Gesellschaften mitwirken.»
«Art. 14. Das Hausieren zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen ist
verboten...»
«Art. 19. Die zu Handen des Kantons zu entrichtenden Patentgebühren betragen 2
Fr. bis 1000 Fr. pro Monat und werden je nach der Grösse und dem Umfange des
zur Ausübung gelangenden Hausier- und Wandergewerbes und unter Rücksichtnahme
auf die volkswirtschaftlichen Verhältnisse des Kantons festgesetzt.»
«Art. 21. Die Gemeinden sind berechtigt, von dem Inhaber eines kantonalen
Patentes bei Ausübung seines Gewerbes auf Gemeindegebiet folgende Gebühren zu
verlangen:
1. Eine Gewerbegebühr von 50 Cts.;
2. eine Hausiergebühr bis zum gleichen Betrage, wie die staatliche
Patentgebühr für den Tag berechnet, den Monat zu 25 Tagen angenommen.

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Nebst dem Visum ist die bezogene Gebühr im Patente vorzumerken.»
«Art. 51. Der Kleine Rat hat innert den gesetzlichen Schranken einen
Gebührentarif aufzustellen. Hierbei ist auf die Natur des Gewerbes, die
Gattung und den Wert der Waren Rücksicht zu nehmen.
Im einzelnen Falle sind die Gebühren auf Grund dieses Tarifes je nach dem
Umfang des Geschäftsverkehrs und den persönlichen Verhältnissen des
Gesuchstellers, sowie unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen
Bedeutung der betreffenden Veranstaltung festzusetzen.»
Die Ausführungsverordnung des Grossen Rates zum Gesetze erklärt in Art. 1
Ziff. 1, dass unter Art. 1 Ziff. 1 des Gesetzes auch falle «das Kolportieren
von Druckschriften und Bildern». Nach Art. 8 haben Hausierer mit Büchern,
Schriften und Bildern diese vor Lösung des Patentes dem kantonalen
Polizeidepartement zur Einsicht vorzulegen.
B. - Die Rekurrentin Berta Pfister ist Anhängerin der «Ernsten Bibelforscher»,
einer religiösen Vereinigung. Sie ging am Sonntag 11. Mai 1930 in Chur von
Haus zu Haus, um den Hausbewohnern zwei Werbeschriften der Vereinigung: das
Buch «Die Schöpfung» und die Broschüre «Recht und Freiheit» anzubieten. Vor
das kantonale Polizeikommando vorgeladen, erklärte sie, bei der Verbreitung
dieser Schriften einen bestimmten Betrag für die Abgabe nirgends verlangt,
aber jeweilen freiwillige Beiträge für die Mission der Bibelforscher
entgegengenommen zu haben: «armen Leuten, welche Interesse für die Sache
haben, werden die Bücher unentgeltlich verabfolgt». Der Kleine Rat von
Graubünden erblickte in diesem Tatbestande eine Übertretung von Art. 1 Ziff.
1, Art. 2 und 14 des kantonalen Gesetzes vom 7. April 1929 und von Art. 1
Ziff. 1 und Art. 8 der Ausführungsverordnung dazu (Feilbieten von Waren im
Umherziehen ohne Patent, zu verbotener Zeit und ohne vorhergehende Vorlegung
der Schriften an das Polizeidepartement) und verurteilte durch

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(kantonal endgültigen) Entscheid vom 23. Mai 1930 die Rekurrentin zu einer
Busse von 5 Fr. und zur Nachzahlung der umgangenen Patentgebühr mit 14 Fr.
C. - Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde verlangt Berta Pfister
die Aufhebung dieses Entscheides. Es wird ausgeführt:
a) Als patentpflichtiges «Feilbieten von Waren» («Kolportieren von
Druckschriften») im Sinne von Art. 1 Ziff. 1 des Gesetzes vom 7. April 1929
und der Ausführungsverordnung dazu könne nur eine gewerbsmässig, d.h. zum
Zwecke des Erwerbes ausgeübte Tätigkeit gelten. Dies ergebe sich schon daraus,
dass das Gesetz auf Grund von Art. 31 litt
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
. e BV erlassen worden sei, eine
«Verfügung über die Ausübung von Handel und Gewerbe» im Sinne dieser
Vorschrift darstelle: denn unter Gewerbe verstehe die BV Art. 31 die
berufsmässig ausgeübte Erwerbstätigkeit. Es folge aber ohne weiteres auch
schon aus dem kantonalen Gesetze selbst insbesondere aus dem Ausdruck
«Hausiergewerbe» im Eingang des Art. 1, dem Vorbehalt von Veranstaltungen ohne
«Erwerbscharakter» in Art. 3, den Bestimmungen der Art. 19 und 51 über die
Bemessung der Patentgebühren. In Art. 5 der Ausführungsverordnung sei von den
Familiengliedern die Rede, die bei «Ausübung des Gewerbes» mitwirken, und Art.
8 dieser Verordnung spreche vom «Verkauf» von Büchern ohne Vorlage an das
Polizeidepartement. Im heutigen Falle liege aber eine Erwerbstätigkeit bei der
Rekurrentin selbst von vorneherein nicht vor, da sie die von ihr verbreiteten
Schriften nicht verkauft, sondern lediglich bei der Abgabe freiwillige
Beiträge für die «Ernsten Bibelforscher» entgegengenommen habe. Auch die
letztere Vereinigung betreibe kein Gewerbe, sondern die Verbreitung bestimmter
religiöser Ansichten. Die freiwilligen Spenden, welche sie von den Empfängern
der Bücher erhalte, reichten nicht einmal aus, um die Kosten der in dieser
Form ausgeübten Werbetätigkeit zu decken, wie in einem analogen Falle vom
Richteramt V Bern, unter

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Freisprechung des damaligen Angeklagten von der Anschuldigung der Übertretung
der Hausiergesetzgebung, festgestellt worden sei. Durch den angefochtenen
Entscheid werde danach in willkürlicher Anwendung der kantonalen Gesetzgebung
ein Tatbestand als Hausieren behandelt, der unmöglich unter diesem Begriff
fallen könne, und damit Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verletzt.
b) Der Entscheid stehe aber auch im Widerspruch zu Art. 49
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
, 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
1    Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
2    Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden.
3    Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete.
BV, die mit der
Freiheit des Glaubens und gottesdienstlicher Handlungen zugleich die freie
Verbreitung religiöser Anschauungen in den Schranken der Sittlichkeit und
öffentlichen Ordnung gewährleisteten. Dass diese Schranken hier überschritten
worden seien, behaupte der Kleine Rat nicht. Wollte man darunter auch die
Gewerbegesetzgebung verstehen, so wäre die der Werbetätigkeit der Rekurrentin
gezogene Beschränkung willkürlich aus den unter a angeführten Gründen.
c) Missachtet sei endlich auch Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV, indem ein Verhalten als Handels-
oder Gewerbeausübung bezeichnet worden sei, das offenbar keine solche
darstelle.
In anderen Kantonen (Waadt, Bern) und im Ausland sei denn auch die ebenfalls
versuchte Unterstellung der gleichen Tätigkeit der Anhänger der «Ernsten
Bibelforscher» unter die Bestimmungen über das Wandergewerbe von den Gerichten
und zum Teil schon von der oberen Verwaltungsbehörde (so in Preussen vom
Ministerium des Innern) abgelehnt worden.
D. - Der Kleine Rat von Graubünden hat die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Anwendung der kantonalen Hausiergesetzgebung auf einen Talbestand der
vorliegenden Art hat das Bundesgericht bereits einmal im Falle Wilken gegen
Obergericht Bern (Urteil vom 23. Januar 1913), beschäftigt. Der Rekurrent
Wilken, Evangelist der chrisilich-religiösen Sekte «Freiwilligen-Mission»,
hatte in zwei bernischen

Seite: 436
Gemeinden eine von dieser Sekte herausgegebene Zeitung (der «Überwinder»)
vertragen, wobei er auf die Frage, was es koste, jeweilen ebenfalls erwidert
hatte: es sei eine freiwillige Sache, «Missionssache», wenn man freiwillig
etwas geben wolle, sei er für die geringste Gabe dankbar. Er war deshalb vom
bernischen Obergericht wegen Zuwiderhandlung gegen das kantonale Gesetz vom
24. März 1878 über den Gewerbebetrieb im Umherziehen § 3 Ziff. 1a und § 4
(«Feilbieten von Waren durch Umhertragen oder Umherführen in den Strassen oder
in den Häusern ohne Patent») zu einer Busse und zur Nachzahlung der
Patentgebühr verurteilt worden. Die hierüber erhobene Beschwerde aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV
wegen willkürlicher Gesetzesanwendung wurde abgewiesen, mit der Begründung . .
. (s. BGE 39 I S. 22 E 2).
Es besteht kein Anlass hievon abzugehen. Auch das damals angewendete bernische
Gesetz war ein «Gewerbegesetz», d.h. ein solches über die Ausübung bestimmter
«Gewerbe» bezw. Betriebsformen von solchen und fasste in seinem § 3 (gleich
wie der heute in Frage stehende Art. 1 des bündnerischen Gesetzes vom 7. April
1929) die darin aufgeführten, als patentpflichtig betrachteten Tätigkeiten
unter dem Begriff des «Gewerbebetriebes im Umherziehen» zusammen. Wenn schon
dieser Umstand allein, wie die Rekurrentin behauptet, wirklich die
Unterstellung des vorliegenden Falles unter die Hausiergesetzgebung
ausschlösse, so hätte demnach auch im Falle Wilken die staatsrechtliche
Beschwerde gutgeheissen werden müssen. In Wirklichkeit ist indessen der
Schluss, den die Rekurrentin hieraus ziehen will, keineswegs zwingend. So wie
die Wendung «Hausier- und Wandergewerbe» in Art. l des Gesetzes vom 7. April
1929 gebraucht ist, lässt sie sich sehr wohl auch als ein lediglich aus
gesetzestechnischen Gründen gewähltes blosses Sammelwort für die in den
nachfolgenden Ziffern des Artikels im Einzelnen aufgeführten Handlungen
betrachten, während die Tatbestände, welche darunter fallen und demnach der
Patentpflicht

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und den übrigen Auflagen und Beschränkungen des Gesetzes unterstehen sollen,
abschliessend in diesen Ziffern selbst umschrieben werden. Es braucht
infolgedessen auch in Art. 2, der für die Ausübung des «Hausier- und
Wandergewerbes» allgemein ein Patent fordert, mehr als eine Bezugnahme auf die
in den verschiedenen Ziffern des Art. 1 umschriebenen Tatbestände nicht
erblickt zu werden sodass massgebend einzig war, ob einer dieser Talbestände
als vorhanden angenommen werden konnte, m.a.W. für den hier angewendeten Art.
1 Ziff. 1, ob die von der Rekurrentin ausgeübte Tätigkeit ein «Feilbieten von
Waren», im Sinne dieser Bestimmung enthalten habe. Dass diese Merkmale ohne
Willkür als erfüllt angesehen werden durften, ist aber unter Bezugnahme auf
das Urteil Wilken oben dargelegt worden. Auch aus Art. 3 des Gesetzes, der die
Darbietungen gewisser einheimischer geselliger Vereine von der Patentpflicht
befreit, falls sie keinen «Erwerbscharakter» aufweisen, d.h. was in diesem
Zusammenhang offenbar der Sinn des Ausdruckes sein soll, nicht auf die
Erzielung eines Gewinnes ausgehen, folgt noch nicht zwingend, dass diese
Absicht allgemein - neben den in den einzelnen Ziffern des Art. 1 selbst
umschriebenen Merkmalen - zur Begründung der Patentpflicht des Art. 2 nötig
wäre; es lässt sich daraus ebensogut per argumentum e contrario herleiten,
dass es im übrigen, abgesehen von dem Sonderfalle des Art. 3, darauf nicht
ankomme, wenn nur sonst einer der Tatbestände des Art. 1 gegeben ist. Bei
allgemeinerer Betrachtung lässt sich zudem von einer auf «Erwerb» gerichteten
Tätigkeit sehr wohl schon sprechen, sobald eine Handlung, wie hier die Abgabe
von Druckschriften, nicht unentgeltlich, sondern gegen eine erwartete
geldwerte Gegenleistung erfolgt (wie es hier jedenfalls für die religiöse
Vereinigung, der die Rekurrentin angehört, zutrifft), um damit Mittel für
einen bestimmten Zweck (die «Mission» der «Ernsten Bibelforscher») erhältlich
zu machen (zu «erwerben»), gleichgültig in welchem Verhältnis jenes Entgelt zu
den Kosten des Veranstaltenden

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stehen mag. Es ist denn auch bisher stets anerkannt worden und in einem
früheren Falle (BGE 50 I 369) von den a Ernsten Bibelforschern n selbst ohne
weiteres zugestanden worden, dass das Kolportieren von religiösen
Druckschriften in Form des gewöhnlichen zivilrechtlichen Verkaufes, auch wenn
es durch die Sendboten der betreffenden Lehre geschieht, den Vorschriften der
kantonalen Hausiergesetzgebung unterstellt werden darf, ohne dass dabei
jeweilen untersucht worden wäre, ob der Verkaufspreis so bestimmt sei, dass er
einen Gewinn ermögliche oder nicht. Dann kann es aber hierauf auch da nicht
entscheidend ankommen, wo, wie hier, die Bestimmung des Preises, Entgeltes dem
Gutfinden des Empfängers der Druckschrift überlassen wird. Dass endlich auch
die Vorschriften der Art. 19 und 51 des Gesetzes vom 7. April 1929 über die
Bemessung der Patentgebühren innert des gesetzlichen Rahmens unter diesen
Umständen kein zwingendes Argument für die These der Rekurrentin zu bilden
vermögen, bedarf keiner Ausführungen.
Wenn in anderen Kantonen und auswärtigen Staaten der Begriff des Hausierens
(Wandergewerbes) in engerem, den «Ernsten Bibelforschern» günstigerem Sinne
ausgelegt worden ist, so kann dies die bündnerischen Behörden nicht hindern,
die Grenzen der nach ihrer eigenen einschlägigen Gesetzgebung
patentpflichtigen Tätigkeiten weiter zu ziehen, solange sie damit im Rahmen
einer möglichen Auslegung der betreffenden Vorschriften bleiben.
Die Anwendung von Art. 14 des Gesetzes (Verbot des Hausierens an Sonntagen)
und von Art. 8 der Ausführungsverordnung dazu (Pflicht, die Druckschriften,
mit denen hausiert werden soll, vor Lösung des Patentes dem Polizeidepartement
vorzulegen) wird von der Rekurrentin nicht selbständig, sondern nur deshalb
angefochten, weil ein solches «Hausieren» im Sinne des als anwendbar
betrachteten Art. 1 Ziff. 1 des Gesetzes hier nicht vorliege. Der Rekurs
erledigt sich daher in dieser Beziehung mit der Zurückweisung jener
Einwendung.

Seite: 439
2. Auch die Rüge der Verletzung von Art. 49
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV ist unbegründet. Wenn die
Glaubens- und Gewissensfreiheit grundsätzlich die freie Verbreitung religiöser
Lehren und Überzeugungen mitumfasst, so gilt doch diese Garantie, wie
diejenige der Kultusfreiheit und der äusseren Betätigung eines religiösen
Bekenntnisses überhaupt, nicht unbeschränkt, sondern nur in den Grenzen der
Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung, d.h. der allgemeinen Rechtsordnung. So
gut die Kantone auf das Sammeln von Beiträgen zu religiösen Zwecken die
allgemeinen Vorschriften über Kollekten anwenden und es von einer
polizeilichen Bewilligung abhängig machen können, so gut können sie es, wo es
sich in die Form der Kolportage religiöser Schriften kleidet, der
Hausiergesetzgebung unterstellen, also dem Patentzwang unterwerfen (BGE 36 I
237
; 39 I 25 Erw. 4; 50 I 376 mit Zitaten). Es steht dabei, wie in dem zweiten
dieser Urteile, dem bereits angeführten Falle Wilken, erkannt worden ist, vom
Standpunkt des Art. 49
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV auch nichts entgegen, den Begriff der Kolportage in
dem weiteren Sinne zu fassen, dass darunter die Abgabe von Druckschriften im
Umherziehen zwar nicht zu einem festgesetzten Preise, aber gegen erwartete,
vom Empfänger in ihrer Höhe bestimmte Geldspenden miteinbezogen wird.
Unzulässig wäre dies nur dann, wenn die für das Patent zu entrichtende Abgabe
(«Patentgebühr») so hoch bemessen würde, dass damit dem Betroffenen die
Werbetätigkeit für seine religiösen Ansichten in der fraglichen Form
tatsächlich verunmöglicht würde, wenn also die mit dem Patentzwang verbundene
Besteuerung einen prohibitiven Charakter annähme. Etwas derartiges wird aber
von der Rekurrentin nicht behauptet. Der gesetzliche Rahmen der Gebühr und der
vom Kleinen Rat in Ausführung des Gesetzes erlassene Gebührentarif sind derart
angelegt, dass sie dem Ermessen einen weiten Spielraum lassen und es
gestatten, den jeweiligen konkreten Verhältnissen Rechnung zu tragen. Es kommt
also alles auf die Anwendung durch die zur Festsetzung der Abgabe berufene

Seite: 440
Verwaltungsbehörde im einzelnen Falle an. Sollte auf das Gesuch der
Rekurrentin oder anderer Anhänger der «Ernsten Bibelforscher» um Erteilung des
Hausierpatentes eine so hohe Patentgebühr gefordert werden, das damit jene
Wirkung verbunden wäre, so bleibt die Anrufung des Bundesgerichtes dagegen
vorbehalten.
3. Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV gewährleistet nur, dass Handlungen, die sich als «Ausübung von
Handel oder Gewerben» darstellen, keinen anderen Beschränkungen unterworfen
werden dürfen, als sie diese Verfassungsnorm zulässt, hindert dagegen die
Kantone nicht, kraft der ihnen zustehenden allgemeinen Polizeigewalt
gleichartige Beschränkungen auch für andere Tätigkeiten einzuführen, die an
sich keine gewerblichen im Sinne des Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV sind, falls sich dafür
sachliche Gründe geltend machen lassen. Mit der Behauptung, dass die Tätigkeit
der Rekurrentin keine gewerbliche im Sinne der BV gewesen sei, ist daher für
die Unzulässigkeit der ihr kraft kantonalen Rechts auferlegten Beschränkung
nichts gewonnen. Die Verfassungswidrigkeit der letzteren müsste sich aus
anderen Verfassungsnormen herleiten lassen. Solche werden aber von der
Rekurrentin, abgesehen von den nicht zutreffenden Art. 49
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
, 50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
1    Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
2    Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden.
3    Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete.
BV, nicht
angerufen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 56 I 431
Datum : 01. Januar 1930
Publiziert : 19. September 1930
Quelle : Bundesgericht
Status : 56 I 431
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Anwendung kantonaler Gesetzesvorschriften über das Hausieren («Feilbieten von Waren im...


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
31 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
49 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
50
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 50 - 1 Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
1    Die Gemeindeautonomie ist nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet.
2    Der Bund beachtet bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden.
3    Er nimmt dabei Rücksicht auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete.
BGE Register
36-I-236 • 39-I-17 • 50-I-369 • 56-I-431
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
hausieren • veranstalter • bundesgericht • handel und gewerbe • sekte • ausserhalb • staatsrechtliche beschwerde • berechnung • gemeinde • weiler • busse • glaubens- und gewissensfreiheit • monat • verurteilter • tag • frage • sonntag • nachzahlung • entscheid • sicherstellung
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