S. 25 / Nr. 6 Bundesrechtliche Abgaben (d)

BGE 56 I 25

6. Urteil vom 30. Januar 1930 i. S. K. & W. S. gegen Bern.

Regeste:
Kriegssteuer.
1. Der verwaltungsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen alle
nach Inkrafttreten des VDG ergangenen Entscheide kantonaler
Rekurskommissionen. Unerheblich ist, ob es sich um Angelegenheiten handelt,
die früher durch die eidg. Kriegssteuer-Rekurskommission beurteilt und dabei
an die kantonale Rekursinstanz zu neuer Untersuchung und Entscheidung
zurückgewiesen worden waren.
2. Die Ergebnisse der amtlichen Untersuchung der Beschwerdesache sind stets
und in allen Stadien des Untersuchungsverfahrens von Amtes wegen zu
berücksichtigen, auch wenn sie eine nicht streitige Position betreffen.

A. - Die Kollektivgesellschaft K. & W. S. in B. hat s. Z. einem Entscheide der
Rekurskommission des Kantons Bern vom 8. Juli 1926 gegenüber mit Eingabe vom
30. August 1926 bei der eidgenössischen Kriegssteuer- -Rekurskommission
Beschwerde erhoben und dabei Herabsetzung des steuerbaren Vermögens verlangt.
Die Erwerbseinschätzung wurde nicht angefochten.
Mit Entscheid vom 23. März 1927 hat die eidgenössische Kriegssteuer-
Rekurskommission den Rekurs im Sinne der Erwägungen teilweise begründet
erklärt und die Akten an die kantonale Rekurskommission zu neuer Untersuchung
und Beurteilung zurückgewiesen. Es handelte sich u. a. um die Feststellung von
Verlusten, die die Rekurrentin in der Zeit zwischen dem 1. Januar und 30. Juni
1921 erlitten haben wollte.

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Aus dem von der kantonalen Rekurskommission eingeholten Berichte des
Untersuchungsbeamten ergab sich, dass die Rekurrentin auf den 30. Juni 1921
Verluste auf Vorräten erlitten hatte. Der Experte stellte weiterhin auf den 1.
Januar 1921 einen Verlust fest, der bei der Erwerbsberechnung unberücksichtigt
geblieben war.
Die Rekurrentin nahm daraufhin in ihren Gegenbemerkungen zum
Untersuchungsbericht den Antrag des Experten auf Herabsetzung des steuerbaren
Erwerbes auf. Das steuerbare Vermögen berechnete sie auf einen geringern
Betrag als der Experte.
Durch Entscheid der kantonalen Rekurskommission vom 6. Oktober 1929 wurde das
steuerbare Vermögen gemäss Antrag des Experten festgesetzt. Auf den Antrag der
Gesellschaft auf Herabsetzung der Erwerbstaxation wurde nicht eingetreten,
weil die Schatzung in der Beschwerde vom 30. August 1926 anerkannt worden sei.
Von den Kosten wurden 500 Fr. der Rekurrentin und 100 Fr. der kantonalen
Kriegssteuerverwaltung auferlegt.
B. - Gegen diesen am 12. Oktober mitgeteilten Entscheid hat die Rekurrentin am
10. November 1929 bei der kantonalen Rekurskommission Beschwerde zuhanden der
eidgenössischen Kriegssteuer - Rekurskommission eingereicht, worin sie
beantragt, der steuerbare Erwerb sei gemäss Expertenbericht herabzusetzen und
es sei die Kostenverteilung zu ändern.
Die Einwendungen gegen die Festsetzung des steuerbaren Vermögens werden fallen
gelassen. Der steuerbare Erwerb sei deshalb auf den vom Experten berechneten
Betrag herabzusetzen, weil während der Dauer des Veranlagungsverfahrens, d. h.
bis zur endgültigen Erledigung der Rekurssache durch die oberste Instanz neue
Tatsachen zu Gunsten und zu Ungunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen
seien. Eine solche neue Tatsache sei durch die Bücheruntersuchung zutage
getreten und wäre von der Steuerbehörde gewiss ohne weiteres in Betracht
gezogen werden, wenn es sich um einen Gewinn, statt um einen Verlust gehandelt
hätte.

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Die Festsetzung der Kosten des kantonalen Rekursverfahrens wird nicht
angefochten. Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Verteilung
der Kosten mit dem Einwand, sie trage mit 1/6 und 5/6 den nach dem Ausgang der
Streitsache sich ergebenden Steuerbeträgen zu wenig Rechnung.
Diese Beschwerde ist von der kantonalen Rekurskommission an das Bundesgericht
geleitet worden.
C. - Die kantonale Rekurskommission beantragt Abweisung der Beschwerde. Die
Erwerbsfestsetzung beruhe auf ihrem Entscheide vom 8. Juli 1926, sie sei
ausdrücklich anerkannt und somit rechtskräftig geworden. In der Beschwerde
gegen den kantonalen Rekursentscheid sei nur Neufestsetzung des Vermögens
beantragt worden. So sei die Streitsache aus dem Veranlagungsverfahren in das
Justizverfahren gelangt, unter Beschränkung des Streites auf das steuerbare
Vermögen. Im Steuerjustizverfahren sei nur über die von den Parteien
aufgeworfenen Streitfragen zu entscheiden. Für die Kostenverteilung sei das
kantonale Recht massgebend und dieses schreibe keine proportionale Verteilung
vor. Der grössere Teil der Kosten sei der Rekurrentin auferlegt worden, weil
die in den Jahren 1927 /28 durchgeführte Ergänzungsexpertise im wesentlichen
die Ergebnisse der früheren Untersuchung bestätigt habe.
D. - Die eidgenössische Steuerverwaltung beantragt Gutheissung der Beschwerde
inbezug auf die Hauptsache. Sie beruft sich dabei auf die Praxis der
eidgenössischen Kriegssteuer - Rekurskommission.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 54 Abs. 1 VDG unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an
das Bundesgericht die seit Inkrafttreten des Gesetzes erlassenen Entscheide.
Der Entscheid der kantonalen Rekurskommission, gegen den sich die Beschwerde
richtet, ist am 5. Oktober 1929 gefällt werden. Art. 54 Abs. 1 VDG ist demnach
auf ihn anzuwenden.

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Nach allgemeiner Regel erfasst eine mit einer Änderung in der
Behördenorganisation verbundene Verschiebung der Zuständigkeit auch hängige
Streitigkeiten, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihrer Einleitung und den
Stand des Verfahrens. Auf dieser Regel beruht auch Art. 54 Abs. 1 des
Gesetzes. Wenn in Art. 52 Abs. 2 VDG eine Ausnahme insofern gemacht wird, als
hängige Beschwerden, die sich gegen einen vor Inkrafttreten des Gesetzes
erlassenen Entscheid richten, noch von der bisher zuständigen oberen Behörde
zu entscheiden sind, so darf diese Ausnahme nicht gegen die Regel auf andere
Fälle ausgedehnt werden.
Auch dass in vorliegender Streitsache die bisher zuständige Behörde in der
Sache früher einen Entscheid gefällt hat, bewirkt nicht, dass sie zuständig
wäre für die Beurteilung der neuen Beschwerde, denn sie hat nicht etwa bloss
eine Beweisergänzung durch die kantonale Instanz angeordnet, sondern deren
Entscheid aufgehoben und die Sache zur Untersuchung und zu neuer Beurteilung
zurückgewiesen; es handelt sich demnach um einen neuen Entscheid der
kantonalen Rekurskommission, der nunmehr selbständig angefochten wird.
Unerheblich ist auch, dass der Streit sich um die Kriegssteuer für die I.
Periode dreht, der normalerweise letzten Endes durch die eidgenössische
Kriegssteuer- Rekurskommission hätte erledigt werden sollen. Denn dass dies
nicht geschah, lag an der Dauer des Verfahrens, bezüglich dessen vor der
Beendigung eine Änderung in der Zuständigkeitsordnung eingetreten ist.
2.- Materiell ist zu prüfen, ob die Vorinstanz Bundesrecht dadurch verletzt
hat, dass sie die Herabsetzung des steuerbaren Erwerbs ablehnte, weil sich die
Beschwerdeführerin in ihrem Rekurse an die eidgenössische Kriegssteuer-
Rekurskommission, der infolge Rückweisung an die Vorinstanz zu neuen
Untersuchungen durch diese Behörde Anlass gab, nur die Berechnung des
steuerbaren Vermögens angefochten hatte.
a) Dabei ist zunächst festzustellen, dass der

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Kriegssteuerbeschluss keine Vorschrift enthält, die eine Herabsetzung zu hoher
Einschätzungen von Amtes wegen ohne Begehren des Steuerpflichtigen
ausdrücklich anordnen würde. Der Beschluss sieht zwar in Art. 102 eine
Berichtigung bestrittener Einschätzungen im Rekursverfahren vor, und die
Rekurspraxis hat mit einleuchtender Begründung festgestellt, dass derartige
Berichtigungen nicht auf die Positionen beschränkt sind, deren Richtigkeit im
Einzelfalle bestritten wird, sondern allgemein dann einzutreten haben, wenn
sich eine Einschätzung, die infolge eines Rekurses in das
Steuerjustizverfahren gelangt, im Laufe der Untersuchung in irgendeiner
Beziehung als unrichtig erweist (Entscheid der eidg.
Kriegssteuer-Rekurskommission vom 11. März 1927, Vierteljahrsschrift für
Schweiz. Abgaberecht(VSA)VIII S. 115f.).Indessen wird in Art. 102 nur die
Berichtigung ungenügender, d. h. zu niedriger Einschätzungen angeordnet. Dass
sie sich auch auf Herabsetzungen zu hoher Einschätzungen von Amtes wegen
bezieht, ist dem Wortlaut der Bestimmung nicht zu entnehmen; es ergibt sich
aber aus ihrem Sinn. Denn wenn darin den Steuerjustizbehörden die Befugnis
erteilt wird, das Endresultat der Einschätzung, die Bestimmung des
Steuerbetrages, von Amtes wegen abzuändern aus Gründen, welche in den
Prozesschriften nicht geltend gemacht wurden, sondern sich aus der amtlichen
Untersuchung ergeben haben (Entscheid der eidg. Kriegssteuer-Rekurskommission
vom 15. Februar 1924, Nr. 134, VSA V S. 111 f.), so muss dies allgemein, also
auch dann zulässig sein, wenn sich die Abänderung zu Gunsten des
Steuerpflichtigen auswirkt (vgl. GEERING, Der Umfang des Rechtsstreites im
Steuerprozess, VSA Bd. 9 S. 24, Anm. 12). Dem Zweck des Veranlagungs- und
Steuerjustizverfahrens, eine den tatsächlichen Verhältnissen und den
Vorschriften der Gesetzgebung möglichst entsprechende Einschätzung
herbeizuführen, würde es widersprechen, das Ergebnis des amtlichen
Untersuchungsverfahrens einseitig zu Gunsten des Fiskus zu berücksichtigen, im
andern Falle aber es

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deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil es nicht durch die Parteibegehren
gedeckt ist. Soweit das Gesetz die Verwaltungsjustizbehörden nicht an die
Begehren der Parteien bindet, ist deren Entscheidung schon unter dem
Gesichtspunkt einer richtigen Gesetzesdurchführung auf Grund des Ergebnisses
der Untersuchung zu treffen.
Für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht ist zudem inbezug
auf Kriegssteuersachen die Bindung an die Rechtsbegehren der Parteien
ausdrücklich ausgeschlossen (Art. 16 Abs. 1 VDG). Das Bundesgericht hat
demnach sein Urteil gemäss positiver Vorschrift nach dem Ergebnis der
amtlichen Untersuchung zu fällen. Für die Vorinstanz, deren Entscheid der
verwaltungsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht unterliegt, können
naturgemäss keine andern Verfahrensgrundsätze gelten.
b) Die von der Vorinstanz gegen die Berücksichtigung des amtlichen Befundes
erhobenen Argumente sind nicht zutreffend,
Die Annahme, die Einschätzung für Erwerb sei rechtskräftig geworden, weil sich
die Beschwerde nur auf die Vermögensberechnung bezog, ist mit der Ordnung des
Kriegesteuerbeschlusses nicht vereinbar. Erwerbs- und Vermögenssteuer bei der
Kriegssteuer sind nicht verschiedene Steuerarten, die unabhängig voneinander
und in verschiedenen Verfahren erhoben werden, sondern Faktoren einer
einheitlichen Steuer. Nach Art. 73 ff. KStB wird die Einschätzung für Vermögen
und Erwerb zusammen, in einem einheitlichen Veranlagungsverfahren
durchgeführt. Wird gegen eine derart vorgenommene Einschätzung Einsprache und
Rekurs erhoben, so ist die ganze Einschätzung bestritten, auch wenn in der
Beschwerde nur einzelne Punkte zur Diskussion gestellt werden. Die
einheitliche Einschätzung kann nicht durch die Beschwerde in verschiedene
Teile zerrissen werden, die zu verschiedenen Zeiten in Rechtskraft erwachsen.
Die Einschätzung als solche bleibt vielmehr bis zu ihrer endgültigen
Beurteilung hängig und unterliegt allen Veränderungen, die

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sich im Laufe des Verfahrens nach dem jeweiligen Stande der Untersuchung
ergeben.
Dem steht nicht entgegen, dass eine bestrittene Einschätzung, wie es im
Entscheide der eidgenössischen Kriegssteuer-Rekurskommission vom 23. März 1927
geschehen ist, zur Untersuchung und neuen Beurteilung bezüglich eines
bestimmten Punktes an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. Es handelt sich
dabei nicht um einen Ausspruch über die Rechtskraft der Einschätzung im
übrigen, sondern lediglich um eine prozessleitende Anordnung nach dem Stande
der Untersuchung im Zeitpunkte ihres Erlasses. Sie hindert nicht, dass die
Einschätzung auch in anderer Beziehung zu Gunsten oder zu Ungunsten des
Steuerpflichtigen abgeändert wird, wenn der Fortgang der Untersuchung dies
notwendig macht.
Unzutreffend ist auch die Auffassung der kantonalen Rekurskommission, im
Steuerjustizverfahren werde nur über die von den Parteien aufgeworfenen
Streitfragen entschieden. Ein Steuerjustizverfahren könnte allerdings so
geordnet werden. Aber die Regel ist es nicht. Vielmehr hat die
Steuerjustizbehörde infolge des Devolutiveffektes des Rekurses das Recht und
die Pflicht, die materielle Richtigkeit der Veranlagung nachzuprüfen
(BLUMENSTEIN, Steuerrecht S. 578 f.; GEERING, a.a.O. S.23). Jedenfalls gilt
dies gemäss Art. 102 KStB für die Beurteilung von Beschwerden durch die
kantonalen Rekurskommissionen.
Demnach hat die Vorinstanz Bundesrecht, nämlich den genannten Art. 102 KStB
dadurch verletzt, dass sie das Eintreten auf das Begehren um Herabsetzung der
Erwerbsberechnung ablehnte.
c) Gegen die materielle Richtigkeit der Feststellungen des von der kantonalen
Rekurskommission beigezogenen Untersuchungsbeamten, wonach sich der
durchschnittliche Erwerb der Beschwerdeführerin in den Jahren 1919 und 1920,
infolge der Wertverminderungen ihrer Materialvorräte auf den 1. Januar 1921,
von .... Fr. auf .... Fr. vermindert, sind von keiner Seite Einwendungen
erhoben

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worden. Das Begehren auf Herabsetzung des steuerbaren Erwerbes auf diesen
Betrag ist demnach zu schützen.
3.- Die Gutheissung der Beschwerde zieht eine neue Verteilung der Kosten des
kantonalen Rekursverfahrens nach sich. Das Bundesgericht erachtet in
Anbetracht aller Verhältnisse eine Belastung der Beschwerdeführerin mit 2/3
dieser Kosten für angemessen.
Die Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht sind nach dem Ausgang des
gegenwärtigen Verfahrens vom Kanton Bern zu tragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : 56 I 25
Data : 01. gennaio 1930
Pubblicato : 30. gennaio 1930
Sorgente : Tribunale federale
Stato : 56 I 25
Ramo giuridico : DTF - Diritto amministrativo e diritto internazionale pubblico
Oggetto : Kriegssteuer.1. Der verwaltungsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen alle nach...


Registro DTF
56-I-25
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
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