S. 310 / Nr. 65 Obligationenrecht (d)

BGE 55 II 310

65. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Dezember 1929 i. S. Häberli gegen
Flückiger.

Regeste:
Unterbrechung der Verjährung.
Art. 136 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 136 - 1 Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
1    Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
2    Ist die Verjährung gegen den Hauptschuldner unterbrochen, so ist sie es auch gegen den Bürgen, sofern die Unterbrechung auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
3    Dagegen wirkt die gegen den Bürgen eingetretene Unterbrechung nicht gegen den Hauptschuldner.
4    Die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer wirkt auch gegenüber dem Schuldner und umgekehrt, sofern ein direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer besteht.
OR. Nur bei der echten Solidarität, nicht bei der Konkurrenz
oder unechten Solidarität wirkt die Unterbrechung der Verjährung gegenüber
einem Schuldner auch gegen die Mitverpflichteten. (Erw. 1.)
Gemeinsames Verschulden.
Art. 50 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR. Damit mehrere, die einen Schaden angerichtet haben, als
echte Solidarschuldner haften, bedarf es ausser einer gemeinsamen Verursachung
eines gemeinsamen Verschuldens. Das Verschulden ist nicht gemeinsam, sondern
unabhängig, wenn ihr Zusammenwirken nicht bewusst geschieht. (Erw. 2 u. 3.)

A. - Als die Klägerin am 8. Juni 1925 auf der 4,7 m breiten Landstrasse hinter
dem Heuwagen ihres Dienstherrn nach Hause ging, fuhr aufgeschlossen auf 6
Meter hinter ihr der Beklagte auf einem beladenen Möbelautomobil. Er konnte
jedoch nicht vorfahren, da der Heuwagen schief geladen und die Strasse zu eng
war. Der aus der entgegengesetzten Richtung kommende Fankhauser fuhr auf
seinem Motorrad mit Seitenwagen mit sozusagen unverminderter Geschwindigkeit
am Heuwagen vorbei und bog dahinter, in der Meinung, die Strasse sei frei,

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scharf nach links gegen die Strassenmitte ein. Er stiess mit der Klägerin
zusammen, sodass diese nach rückwärts vor den vom Beklagten gesteuerten
Lastwagen geschleudert und von diesem überfahren wurde. Die Verletzungen der
Klägerin hinterliessen bleibende Folgen, welche ihre Arbeitsfähigkeit um 75%
beeinträchtigen.
B. - Die von der Klägerin gegen Fankhauser erhobene Klage auf Schadenersatz
und Genugtuung wurde durch Urteil des Obergerichtes des Kantons Solothurn vom
8. Juni 1927 grundsätzlich geschützt und Fankhauser verpflichtet, der Klägerin
2934 Fr. 90 Cts. für Heilungskosten, 20000 Fr. als Ersatz des
Invaliditätsschadens und 2000 Fr. als Genugtuung zu bezahlen, alles unter
Vorbehalt des Rückgriffes auf den Beklagten. Die gegen dieses Urteil von
Fankhauser erklärte Berufung hat das Bundesgericht am 20. Dezember 1927
abgewiesen. Der Beklagte war an dem Prozess nicht beteiligt, und das
Bundesgericht hat damals in den Erwägungen des genannten Urteils ausgeführt,
es habe nicht zu untersuchen, ob und inwieweit auch den Beklagten ein
Verschulden treffe.
C. - Die Klägerin macht geltend, sie habe von der «Helvetia» als
Haftpflichtversicherungsgesellschaft Fankhausers auf Rechnung der vom
Bundesgericht geschützten, am 31. Dezember 1927 mit Zins auf 27990 Fr. 25 Cts.
berechneten Forderung 15447 Fr. 60 Cts. erhalten. Mit der vorliegenden Klage
verlangt sie vom Beklagten Bezahlung des Ausfalles.
D. - Das Bezirksgericht Brugg hat die Klage am 8. Februar 1929 abgewiesen.
E. - Die gegen dieses Urteil erklärte Berufung der Klägerin hat das
Obergericht des Kantons Aargau am 6. September 1929 ebenfalls abgewiesen.
F. - Dagegen hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht ergriffen. Sie
beantragt, die Berufung gutzuheissen und die Klage zu schützen, eventuell die
Sache zur Beweisabnahme und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Beklagte hat vor allen drei Instanzen gegen die Klageforderung die
Einrede der Verjährung erhoben. Es ist zunächst zu prüfen, ob diese Einrede
begründet und die Berufung aus diesem Grunde abzuweisen ist. Die anwendbare
einjährige Verjährungsfrist für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen war zur
Zeit der Anhebung dieser Klage bereits abgelaufen. Allerdings hat die Klägerin
zum ersten Mal schon im Mai 1926 Klage gegen den Beklagten beim
Friedensrichteramt Brugg eingereicht, und der Sühnvorstand hat am 26. Mai 1926
stattgefunden. Entgegen der Auffassung der ersten Instanz ist anzunehmen, dass
diese erste Klageeinleitung die Verjährung gegen den Beklagten unterbrochen
hat, da sie rechtzeitig erfolgt war und der Umstand nicht schadet, dass die
Klage nicht weiter verfolgt wurde. Wie das Bundesgericht schon wiederholt
erkannt hat, ist in den Fällen, wo das Bundesrecht die Erhebung einer Klage
innert Frist verlangt, der Begriff der Klageanhebung aus dem Bundesrecht zu
gewinnen und darunter diejenige prozesseinleitende oder vorbereitende Handlung
des Klägers zu verstehen, mit der er zum ersten Mal in bestimmter Form für den
von ihm erhobenen Anspruch den Schutz des Richters anruft. Eine solche
Handlung ist in den Kantonen, die ein Vermittlungsverfahren vor einem
Friedensrichter vorschreiben, auch die Einleitung dieses
Vermittlungsverfahrens durch den Kläger (vgl. BGE 42 II 102, 46 II 88, 47 II
108
, 49 II 40, 54 II 135). Allein durch die Unterbrechung der Verjährung im
Mai 1926 begann nach OR Art. 137 eine neue einjährige Verjährungsfrist, und
diese neue Frist hat die Klägerin ablaufen lassen, ohne sie rechtzeitig zu
unterbrechen. Die vorliegende Klage wurde erst im Juni 1928 eingeleitet. Die
Klägerin macht nun aber geltend, die Verjährung gegen Fankhauser sei
rechtzeitig unterbrochen worden, und da der Beklagte und Fankhauser
Solidarschuldner seien, wirke der Unterbruch der

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Verjährung nach OR Art. 136 Abs. 1 auch gegen den Beklagten.
Wie das Bundesgericht zunächst in einem (unveröffentlichten) Urteil vom 7.
November 1913 i. S. Baltiswiler und sodann am 28. April 1917 i. S. Affolter c.
Müller und Kons. (BGE 43 II S. 211) entschieden hat, ist unter Solidarität im
Sinne des Art. 136 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 136 - 1 Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
1    Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
2    Ist die Verjährung gegen den Hauptschuldner unterbrochen, so ist sie es auch gegen den Bürgen, sofern die Unterbrechung auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
3    Dagegen wirkt die gegen den Bürgen eingetretene Unterbrechung nicht gegen den Hauptschuldner.
4    Die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer wirkt auch gegenüber dem Schuldner und umgekehrt, sofern ein direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer besteht.
OR nur die echte Solidarität zu verstehen. Bei der
unechten Solidarität oder Konkurrenz dagegen wirkt die Unterbrechung der
Verjährung gegen einen Schuldner nicht auch gegen die Mitverpflichteten. Diese
Auffassung wird auch im Schrifttum vertreten (vgl. OSER, Kommentar, 1. Aufl.
Vorbemerkungen zu Art. 143-150, Ziff. 2 litt. f., Note 4 zu Art. 146, 2. Aufl.
Note 2 zu Art. 136; VON TUHR, OR I S. 365). Die Gesetzesvorschrift des Art.
136 Abs. 1 ist eine Ausnahme von der auch dem Obligationenrecht bekannten
Regel (OR Art. 588 und 806), dass Unterbrechungshandlungen nur gegen den
Schuldner wirken, durch den oder gegen den sie vorgenommen worden sind
(BECKER, Kommentar, Note 1 zu Art. 136). Es liegt ihr, geschichtlich
betrachtet, die von der Wissenschaft heute verlassene Auffassung zu Grunde,
dass bei der echten Solidarität ein einziges Schuldverhältnis bestehe, und
dass infolgedessen eine Unterbrechung der Verjährung für die ganze Obligation
wirken müsse (VON TUHR, OR II S. 697). Es wäre nun aber nicht begründet, diese
Ausnahmebestimmung auch auf solidaritätsähnliche Verhältnisse anzuwenden, bei
denen ohnehin stets angenommen wurde, es bestehen verschiedene Obligationen.
Vielmehr bleibt es bei den nicht unter den Begriff der echten Solidarität
fallenden Schuldverhältnissen bei der Regel, dass Unterbrechungen nur gegen
die Person des Schuldners wirken, von dem oder gegen den sie erfolgt sind. Die
Richtigkeit dieser Beschränkung des Art. 136 Abs. 1 auf die Fälle der echten
Solidarität erhellt besonders, wenn man den Unterbrechungsgrund der
Schuldanerkennung in Betracht zieht. Wenn nämlich die Verjährung durch
Anerkennung der

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Schuld seitens des Schuldners unterbrochen wird, ist die Unterbrechung auch
gegen die Mitverpflichteten eine erhebliche, wenn auch durch das Gesetz
gewollte Ausnahme von dem Rechtssatz des Art. 146
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 146 - Ein Solidarschuldner kann, soweit es nicht anders bestimmt ist, durch seine persönliche Handlung die Lage der andern nicht erschweren.
OR, dass kein
Solidarschuldner die Lage des andern erschweren dürfe (OSER, Note 5 zu Art.
146). Dieser Rechtssatz muss aber für das losere Verhältnis der unechten
Solidarität oder Klagenkonkurrenz erst recht gelten, und es ist nicht
einzusehen, wieso es ein unechter Solidarschuldner, z. B. der Täter einer
unerlaubten Handlung, in der Hand haben sollte, durch Schuldanerkennung die
Verjährung auch gegen einen ganz unabhängigen, aber für denselben Schaden
haftenden Schuldner, z. B. die Unfallversicherungsgesellschaft des
Geschädigten, zu unterbrechen und dessen Lage so zu erschweren.
2.- Echte Solidarschuldnerschaft kennt das Obligationenrecht nicht nur bei
vertraglichen Schuldverhältnissen, sondern auch bei solchen aus unerlaubten
Handlungen. Nach Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR haften Mehrere, die einen Schaden gemeinsam
verschuldet haben, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, dem Gläubiger
solidarisch. Damit Solidarhaftung im Sinne des Art. 50 eintrete, bedarf es
also eines gemeinsamen Verschuldens. Der französische Gesetzestext spricht
davon, dass «plusieurs ont causé ensemble un dommage», der italienische sagt:
«Se il danno è cagionato da più persone insieme.» Es scheint also, dass die
beiden romanischen Fassungen des Gesetzes nur eine gemeinsame Verursachung
fordern. Dennoch genügt es nicht, dass jeder der Schadensstifter eine, wenn
auch adäquate Ursache des Schadens gesetzt hat, sondern es muss im Sinne des
deutschen Gesetzestextes zur gemeinsamen Bewirkung des Schadens eine
Gemeinsamkeit des Verschuldens hinzukommen. Das ergibt sich schon daraus, dass
das Gesetz Beispiele anführt - Anstifter-Urheber- und Gehilfenschaft - welche
offenbar auch im Zivilrecht Formen eines gemeinsamen Verschuldens sind. Von
einem gemeinsamen Verschulden aber kann nur

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gesprochen werden, wenn ein gemeinsames Unternehmen den Schaden herbeigeführt
hat, d. h. wenn das Zusammenwirken der Beteiligten bewusst war. Kein
gemeinsames Verschulden und daher keine echte Solidarität sondern blosse
Anspruchskonkurrenz, liegt vor, wenn mehrere Personen durch verschiedene, von
einander unabhängige Handlungen, ohne Bewusstsein des Zusammenwirkens, einen
Schaden herbeiführen (OSER, Note 1 u. 2 zu Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR, BECKER, Note 5 zu Art.
50, VON TUHR, OR I S. 365, BRÜHLMANN, Haftung und Rückgriff im
Schadenersatzrecht S. 91). Im letztern Fall rechtfertigt es sich auch nicht,
die Solidarhaftung des Art. 50 eintreten zu lassen und jedem Beteiligten die
Berufung auf das allenfalls geringere Mass seines Verschuldens gegenüber dem
Geschädigten (OR Art. 43) zu versagen (OSER, Note 2 zu Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR).
3.- Im Prozesse gegen Fankhauser hatte das Bundesgericht nicht zu prüfen, ob
auch den Beklagten ein Verschulden an dem Unfall der Klägerin treffe und ob
bei Feststellung eines solchen Verschuldens Solidarschuldnerschaft im Sinne
des Art. 50 zwischen beiden Tätern anzunehmen sei. Im vorliegenden Fall
braucht ebenfalls nicht untersucht zu werden, ob den Beklagten ein Verschulden
trifft. Auch wenn eine Fahrlässigkeit des Beklagten darin erblickt werden
müsste, dass er mit dem Lastwagen dem Heufuhrwerk und der Klägerin nur in
einem Abstand von 6 Metern gefolgt ist, könnte nicht von einem mit Fankhauser
gemeinsamen Verschulden in dem oben (Erw. 2) bezeichneten Sinne gesprochen
werden. Fankhauser und der Beklagte wirkten nicht bewusst zusammen, sondern
jeder von ihnen trug ohne Kenntnis der Handlung des andern zur Verletzung der
Klägerin bei. Ja der schwere Unfall entstand gerade dadurch, dass keiner der
beiden Motorfahrzeuglenker den andern rechtzeitig sah und vom Verhalten des
andern etwas wusste. Auch wenn also der Beklagte schuldhaft gehandelt hätte,
könnte es nur ein unabhängiges Verschulden sein, das mit dem ebenfalls

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selbständigen Verschulden Fankhausers eine Anspruchskonkurrenz, nicht aber
eine echte Solidarhaftung im Sinne des Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR zugunsten der Klägerin
begründet hätte. Unter diesen Umständen konnte eine Unterbrechung der
Verjährung gegen Fankhauser nicht auch gegen den Beklagten wirken. Die Einrede
der Verjährung ist begründet und ein allfälliger Anspruch der Klägerin gegen
den Beklagten erloschen.
Die Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität bei der
Unterbrechung der Verjährung und zwischen bewusstem und unbewusstem
Zusammenwirken Mehrerer bei einer schädigenden Handlung kann freilich mitunter
zu Zweifeln und Unsicherheiten Anlass geben. Allein wenn die Lösung der damit
verbundenen Streitfragen nicht immer befriedigt, liegt der Grund nicht in den
an sich durchaus haltbaren Unterscheidungen, sondern in der positiven, aber
innerlich wenig begründeten Vorschrift des Art. 136 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 136 - 1 Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
1    Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
2    Ist die Verjährung gegen den Hauptschuldner unterbrochen, so ist sie es auch gegen den Bürgen, sofern die Unterbrechung auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
3    Dagegen wirkt die gegen den Bürgen eingetretene Unterbrechung nicht gegen den Hauptschuldner.
4    Die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer wirkt auch gegenüber dem Schuldner und umgekehrt, sofern ein direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer besteht.
OR, an die der
Richter gebunden ist (VON TUHR, OR II S. 705/06). Allfälligen Unsicherheiten
kann übrigens der Gläubiger selbst aus dem Wege gehen, indem er die Verjährung
allseitig unterbricht.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des Kantons
Aargau vom 6. September 1929 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 55 II 310
Datum : 01. Januar 1929
Publiziert : 10. Dezember 1929
Quelle : Bundesgericht
Status : 55 II 310
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Unterbrechung der Verjährung.Art. 136 Abs. 1 OR. Nur bei der echten Solidarität, nicht bei der...


Gesetzesregister
OR: 50 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 136 - 1 Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
1    Die Unterbrechung der Verjährung gegen einen Solidarschuldner oder den Mitschuldner einer unteilbaren Leistung wirkt auch gegen die übrigen Mitschuldner, sofern sie auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
2    Ist die Verjährung gegen den Hauptschuldner unterbrochen, so ist sie es auch gegen den Bürgen, sofern die Unterbrechung auf einer Handlung des Gläubigers beruht.
3    Dagegen wirkt die gegen den Bürgen eingetretene Unterbrechung nicht gegen den Hauptschuldner.
4    Die Unterbrechung gegenüber dem Versicherer wirkt auch gegenüber dem Schuldner und umgekehrt, sofern ein direktes Forderungsrecht gegen den Versicherer besteht.
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 146 - Ein Solidarschuldner kann, soweit es nicht anders bestimmt ist, durch seine persönliche Handlung die Lage der andern nicht erschweren.
BGE Register
42-II-98 • 43-II-205 • 46-II-87 • 47-II-107 • 49-II-38 • 54-II-129 • 55-II-310
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • bundesgericht • schaden • not • schuldner • echte solidarität • unechte solidarität • unerlaubte handlung • solidarhaftung • solidarschuldnerschaft • lastwagen • urheber • schuldanerkennung • genugtuung • aargau • treffen • maler • frist • gehilfenschaft • entscheid
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