218 si Staatsrecht.

für den beim Verkauf im Liquidationsverfahren erzielten Überschuss
über den Erwerbspreis kann bei diesem System nicht die Rede sein. Es
fehlt dafür wiederum an einer notwendigen, aus dem Einkommensbegriff
folgenden Voraussetzung, nämlich an einem Eingange, der dem angeblichen
Einkommensträger zur 'Befrieé digung seiner Bedürfnisse zufliessen und
zur Verfügung stehen würde.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Der Rekurs wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der
()berrekurskommission des Kantons Solothurn insofern aufgehoben, als
dadurch die Rekurrentin

für Gewinne aus den von ihr abgeschlossenen Liegen _

schaftsverkäufen staatssteuerpflichtig erklärt wird.

29. Auszug aus dem Urteil vom 4. Juni 1926 i. S. Schinz gegen Obergericht
Zürich.

Ablehnung der Anwendung soviet-russischen Rechts in einem Zivilprozesse
mangels Anerkennung der Sovietregierung durch die Schweiz. Anfechtung
des Urteils wegen Rechtsverweigerung. Abweisung.

Der Rekurrent Schinz und der Rekursbeklagte Bächli waren Inhaber von
Handelsunternehmungen in Russland (Petersburg). Im Februar 1919 verliess
der Rekurrent Russland, während seine Prokuristen dort zurückblieben.

In einem vor den zürcherischen Gerichten hängigen Prozesse auf
Rückzahlung zweier Darlehen, welche die Prokuristen des Rekurrenten Birk
und Pettai im April und September 1919 in dessen Namen in Petersburg
beim Rekursbeklagten aufgenommen hatten; bestritt der Rekurrent die
Zahlungspflicht u. a. mit der Begründung : Nach den im April und September
1919 geltenden Dekreten der Sovietregierung hätten Darlehensverträge
giltig nur bis zum Betrage von 10,000 Rubel abgeschlos--Gleichheit vor
dem Gesetz. N° 29. 219

sen werden können. Überdies sei die Vereinbarung von Zahlungen oder
Rückzahlungen in fremder Valuta verboten gewesen (die Darlehenssoheine
vom 15. April und 30. September 1919 bestimmen, dass die Rückzahlung der
empfangenen Rubel 55,000 nach Wahl des Darlehensgebers in Dumarubeln
oder schwedischen Kronen, jedoch nicht unter 20 Oere per Rubel zu
er-folgen habe).

Das Obergericht Zürich verwarf diese Einwendungen und hiess die Klage
gut. Eine dagegen gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom
Kassationsgericht verworfen. Ebenso vom Bundesgericht der darauf gegen das
obergerichtliche Urteil erhobene staatsrechtliche Rekurs wegen Verletzung
von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV (Willkür und Verletzung klaren Rechts). G r ü n d e :

Das Bestehen der vom Rekurrenten behaupteten Beschränkungen der
Vertragsfreiheit Zulassung von Darlehensverträgen nur bis zu 10,000 Rubel
und Ausschluss von Valutageschäften ist vom Obergericht als feststehend
betrachtet worden, obwohl Zweifel darüber hätten bestehen können, ob ein
hinlänglicher Beweis dafür damals schon geleistet war. Das Urteil nimmt
indessen an, dass der Rekurrent sich darauf deshalb nicht berufen könne,
weil die Schweiz die Sovietregierung weder de jure noch de facto anerkannt
habe. Bis dahin könne aber auch den von dieser Regierung ausgehenden
Erlassen vom schweizerischen Richter nicht der Charakter verbindlicher
Rechtsnormen zugestanden werden; ihre Anwendung sei also schon aus diesem
Grunde ausgeschlossen. Es ist zuzugeben, dass der kantonale Richter
sich damit in Widerspruch zum Entscheide der II. Zivilabteilung des
Bundesgerichts vom 10. Dezember 1924 in Sachen Hausner (BGE 50 II S. 507)
gesetzt hat; der Genfer Niederlassung der Petersburger Handelsbank wurde
hier wegen der von der Sovietregierung verfügten Nationalisierung der
Bankbetriebe die Persönlichkeit und infolgedessen

220 Staatsrecht.

die Prozessfähigkeit mit der Begründung abgesprochen : die
Nichtanerkennung der Sovietregierung durch die Schweiz habe nur zur Folge,
dass diese Regierung in den Völkerrechtlichen Beziehungen den russischen
Staat in der Schweiz weder auf dem Gebiete des öffentlichen noch des
Privatrechts vertreten könne. Dagegen hindere dieser Umstand das russische
Recht nicht, zu bestehen und seine Wirkungen zu entfalten. Auch wenn man
sich auf den Boden jenes Entscheides stellt und es demnach für unrichtig
betrachtet, aus der mangelnden Anerkennung der Sovietregierung allein
die vom Obergericht angenommene Rechtsfolge abzuleiten, so kann dies
indessen nicht zur Aufhebung des obergerichtlichen Urteils führen. Denn
zur Annahme einer Rechtsver-

weigerung und damit Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV wäre

mehr als eine solche rechtsirrtümliche Entscheidung, nämlich ein Verstoss
gegen eine durchaus klare gesetzliche Vorschrift oder gegen feststehende,
allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze erforderlich. Eine positive
Vorschrift des schweizerischen internationalen Privatrechts, welche die
Frage regeln wiirde und 'mit der sich das Obergericht in Widerspruch
gesetzt hätte, kommt aber nicht in Betracht und auch von einem Verstosse
gegen allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze kann nicht die Rede sein. Es
genügt darauf hinzuweisen, dass z. B. die französische Jurisprudenz
durchwegs und auch heute noch denselben Standpunkt einnimmt wie das
angefochtene Urteil des Obergerichts (vgl. die Nachweise bei CLUNET,
Journal de droit international 1924 unter La Revolution bolchevique et le
statut juridique des Russes , S. 8. ff. Aufsatz von GRUBER und TAGER: Le
point de vue de la jurisprudence francaise ). Ähnliche Entscheidungen sind
nach dem Aufsatz VOI] IDELSON, ebenda S. 28 ff. während einer gewissen
Zeit, bis zum Eintritt in vertragliche Beziehungen zu dem neuen Regime,
auch in England und ferner in Italien (CLUNET, 1923 S. 1021 ff.) ergangen,
während aller-Gleichheit vor dem Gesetz. N° 29. 221

dings umgekehrt die feststehende deutsche Rechtsprechung (ebenda 1924
S. 51 ff.) mit der im Entscheide Hausner vertretenen Rechtsauffassung
übereinstimmt. In dem letzterwähnten Urteil des Genueser Gerichts
wird dies wie folgt begründet: Puisque en fait on ne reconnait pas au
Gouvernement russe l'exercice légitime de Ia souveraineté politique,
on doit également ne reconnaitre aucune des manifestations de cette
souverain'eté dans le domaine législatif, parceque la reconnaissance
politique de I'Etat étranger est une condition indispensable à l'exercice
de son activité juridique dans les rapports avec les autres Etats. Und
die Abhandlung von GRUBER und TAGER fasst die Auffassung der französischen
Rechtssprechung wie folgt zusammen : La France ne reconnaissant pas le
gouvernement bolchevique, méme comme un simple gouvernement de fait, lui
contestant en conséquence le pouvoir législatif, attribut essentiel et
exclusif de tout véritabie gouvernement, il y a, méme abstraction faite
provisoirement des considérations se rattachant à l'ordre public francais,
impossibilité lo.gique d'appliquer aux Russes la législation bolcheviste,
par laquelle ils sont régis en Russie. Incapable aux yeux du juge
francais de former des lois nouvelles, le gouvernement bolcheviste lui
apparai't en mème temps comme incapable d'abroger les lois anciennes...
Es handelt sich demnach um eine S t r e i t f r a g e des internationalen
Rechtes, die in der Rechtsprechung der einzelnen Staaten verschieden
gelöst wird. Auch für die vom zürcherischen Obergericht vertretene
Auffassung lassen sich, wenn schon sie grundsätzlich als unrichtig zu
betrachten ist, nach den vorstehenden Zitaten doch Gründe geltend machen,
die sachlich vertretbar und nicht von vorneherein haltlos sind. Die so
begründete Ablehnung der Anwendung des soviet russischen Rechts kann
danach nicht als Rechtsverweigerung bezeichnet werden.

Vgl. auch Nr. 34. Voir aussi n0 34. As 52 I _ 1926 ' 16
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 52 I 218
Datum : 04. Juni 1926
Publiziert : 31. Dezember 1926
Quelle : Bundesgericht
Status : 52 I 218
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 218 si Staatsrecht. für den beim Verkauf im Liquidationsverfahren erzielten Überschuss


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BGE Register
50-II-507
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
1919 • bundesgericht • russ • entscheid • prokurist • russland • tag • kantonsgericht • bewilligung oder genehmigung • kantonales rechtsmittel • solothurn • willkürverbot • richterliche behörde • vertrag • zugang • öffentliche ordnung • zivilprozess • frage • zweifel • italienisch
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