426 Personenrecht. N° 65.

kann bei dieser Sachlage in der Beschwerdeführung beim Regierungsrat ein
Verzicht der Kläger auf den Rechtsweg gesehen werden, ganz abgesehen
davon, dass sie unter dem ausdrücklichen Vorbehalt gleichzeitiger
gerichtlicher Klage erfolgt ist und sich übrigens der Kläger Blasi nicht
daran beteiligt hat (die gegenteilige Annahme auf S. 17 des Urteils der
Vorinstanz steht im Widerspruch zu Beleg W). Alle andern Fragen werden
durch das gegenwärtige Urteil nicht berührt. So insbesondere nicht die
Frage der Aktivlegitimation der einzelnen Kläger, welche als Teil der
Hauptsache in Auslegung der Stiftungsurkunde danach zu lösen sein wird,
ob die Kläger zum Kreise der Personen gerechnet werden können, die als
Destinatäre in Betracht fallen. Dabei wird sich ohne weiteres ergeben,
dass die Solothurnische Pastoralkonferenz zur Klage nicht legitimiert
ist, während anderseits die kaum ernstIich hezweifelbare Legitimation des
Klägers Bläsi nicht etwa deswegen wird verneint werden dürfen, weil die
Stiftungsverwaltung nicht ihn, sondern zwei andere in der Stadt Solothurn
verbürgerte Studierende der römisch-katholischen Theologie für das Jahr
1923 als Destinatäre ausgewählt hat. Offen bleibt sodann auch die Frage,
ob die einzelnen Klageanträge gegebenenfalls in. der vorliegenden Form
zugesprochen werden können, und für den Fall, dass dies zu verneinen wäre,
ob dies_zur Abweisung derselben führen müsste oder ihre Gutheissung in
veränderter Formulierung des Urteilsdispositivs zulässig wäre.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird begründet erklärt, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Solothurn vom 23. Januar 1924 aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung an dieses Gericht zurückgewiesen.

Familienrecht. N°. 66. 42? ,

II. FAM ILIENRECHT

DROIT DE LA FAMILLE

66. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Juli 1924
. i. S. Sch. geb. F. gegen Sch. A r t. 1 4 2 Z. G. B. Inwiefern berechtigt
unverschuldete

Krankheit eines Ehegatten ausser im Falle des Art. 141 den andern zur
Scheidung ?

A. Die Parteien verehelichten sich am 20. April 1918. Ihrer Ehe
entsprossen zwei Kinder. Seit Ende 1921 leidet die Beklagte infolge von
Schlafkrankheit an fortschreitender Verkalkung des Rückenmarkes und des
Gehirns, die von Lähmungen begleitet ist, sodass sich die Beklagte beim
Anund Auskleiden, Waschen und Kämmen helfen lassen muss. Die Krankheit
äussert sich auch in Sprache und Schrift. In den Anstalten, in denen sich
die Beklagte sei-pflegen lassen musste, belästigte sie ihre Umgebung durch
Lärm, störte die Nachtruhe, sodass man sie nicht behalten wolite. Der
Krankheitszustand ist seit zwei Jahren mit Schwankungen gleich geblieben,
der eine der Ärzte nennt die Aussicht auf Heilung schlecht, der andere
hält die Krankheit für unheilbar und langsam fortschreitend.

B. Auf die Klage des Ehemannes hat das Obergericht des Kantons Zürich
durch Urteil vom 12. April 1924 die Ehegatten geschieden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der
sie die Anweisung der Klage verlangt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

Soweit sich die Klage auf eine schon vor der Erkrankung der Beklagten
entstandene und durch die Beklagte verschuldete. Zerrüttung stützt,
muss sie abgewiesen

428 Familienrecht. N° 66.

werden, weil eine solche tiefe Zerrüttung nicht erwiesen ist und auch
durch die noch zum Beweis verstellten Tatsachen nicht erwiesen würde. Die
der Beklagten gemachten Vorwürfe sind an sich nicht schwerwiegender Art
und namentlich hat der Kläger das damalige Verhalten der Beklagten nicht
in einer Weise empfunden, die ihm _ die Ehe unerträglich machte. Die
während ihrer Krankheit gemachten heftigen Ausfälle der Beklagten gegen
den Kläger sodann, namentlich ihre unbegründete Drohung, ihn wegen eines
Diebstahles bei seinem Arbeitgeber anzuzeigen, können der Beklagten
nicht voll zugerechnet werden, da sie durch ihren krankhaften Zustand
verursacht wurden.

Der vom Kläger angerufene Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung der
Ehe setzt nicht schlechthin ein Verschulden eines der Ehegatten voraus,
weshalb auch eine Berufung auf eine durch eine unverschuldete Krankheit
eingetretene Zerrüttung als Scheidungsgrund nicht schlechthin für
alle Fälle ausgeschlossen werden kann. Es fragt sich dagegen, ob
im vorliegenden Falle die .Folgeerscheinungen der Krankheit derart
sind, dass sie das Wesen der Ehe so vernichten, dass dem Kläger die
Fortsetzung der Ehe nicht mehr zugemutet werden kann. Die Vorinstanz
hat wesentlich darauf abgestellt, dass eine Rückkehr der Beklagten in
die gemeinsame Haushaltung äusserst ferne liege und dem Kläger daher
von der Ehe nur die Last des Unterhaltes bleibe ohne die Aussicht,
dass ihm die Beklagte etwas bieten könne. Damit wird aber das Wesen der
Ehe verkannt und dem ökonomischen Interesse ein zu grosses Gewicht
beige-messen. Die sittliche Gemeinschaft, die ,das Wesen der Ehe
ausmacht, wird durch die Notwendigkeit einer Anstaltspflege oder
einer fortwährenden häuslichen Wartung keineswegs aufgehoben und die
wesentlichen Beziehungen persönlicher Natur unter den Ehegatten werden
dadurch nicht verunmöglicht. Es gehört zu den Pflichten des Ehegatten,
dem andern insolch' schwererFannlienreeht. N° 66. _ 429 und dauernder
Krankheit, soweit als ihm möglich ist,

beizustehen, auch wenn er ökonomisch dadurch schwer

getroffen wird. Auch für die sozialen Verhältnisse eines Fabrikarbeitexs,
in denen sich der Kläger befindet, muss daran ,grundsätzlich festgehalten
werden. Aus der Anerkennung der unheilharen Geisteskrankheit als
absoluten Scheidungsgrund kann für den vorliegenden Fall kein, auch kein
,Analogieschluss gezogen werden, abgesehen davon, dass die Krankheit
weder drei Jahre gedauert hat, noch mit Sicherheit als unheilbar erklärt
werden konnte ; denn bei der Geisteskrankheit geht das Gesetz davon
aus, dass auch jedes geistige Band zwischen den Ehegatten zerstört sei,
was bei einer Krankheit, wie der vorliegenden, auch wenn sie unheilbar
sein sollte, nicht zutrifft. Fraglieh könnte nur erscheinen, ob nicht
die festgestellten Belästigungen der Umgebung durch Lärm, sowie die
Ausfälle der Beklagten in ihren Briefen, die offenbar auf die Verkalkung
des Gehirnes zurückzuführen sind, einen Zustand geschaffen haben, der
die Beziehungen persönlicher Natur unter den Ehegatten verunmöglicht
und so der Ehe jeden Gehalt nimmt und s dem Kläger deren Fortsetzung
unerträglich macht. Allein es steht nach den Arztberiehten fest, dass zur
Zeit eine Hi Tj Geisteskrankheit nicht besteht und die erste Instanz hat
auch bei der persönlichen Einvernehme der Be" ......ss.Î klagten keinen
ungünstigen Eindruck von ihr erhalten. E .; Wenn das Gesetz sogar bei der
Geisteskrankheit einen, · Dauer von drei Jahren verlangt, so könnte um
so weniger ,' die vorliegende Krankheit, die nicht mit der Vorinstanz der
Geisteskrankheit gleichgestellt werden kann, als Scheidungsgrund genügen.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Berufung wird gutgeheissen, das
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. April 1924 aufgehoben
und die Klage abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 50 II 427
Datum : 23. Januar 1924
Publiziert : 31. Dezember 1925
Quelle : Bundesgericht
Status : 50 II 427
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 426 Personenrecht. N° 65. kann bei dieser Sachlage in der Beschwerdeführung beim


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