206 Staatsrecht.

beugt hätten, sondern nur, dass bei der Lösung einer reinen
Ermessensfrage, als welche sich die Bestimmung der Strafe im Falle Vago
und Wepf darstellte, und bei der die persönlichen Verhältnisse der
Angeklagten in weitem Umfang zu beachten sind, Motive persönlicher
Rücksichtnahme und Schonung eine zu grosse Rolle gespielt haben
könnten. Es erscheint als eine übertriebene Empfindlichkeit der
Rekursbeklagten, wenn sie sich durch eine solche, den Rahmen des nach
Art. 55 Erlaubten nach dem Gesagten nicht überschreitende Kritik des
Urteils im Gegensatz zu den an diesem in gleicher Weise beteiligten
Mitgliedern des Obergerichts in ihrer Amtsehre verletzt geglaubt haben.

Mit der Aufhebung der Verurteilung fallen auch die an sie hinsichtlich
der Kosten gekniipften prozessualen Nebenfolgen dahin. Es wird Sache des
Obergerichts sein, über diesen Punkt auf Grund des bundesgerichtlichen
Urteils neu zu entscheiden.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Der Rekurs wird begründet erklärt und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 15. Januar 1924 aufgehoben.

37. Urteil vom 7. Juni 1924 i. S. Gadîent gegen Graubünden,
Kentonsgerichtsauaschuss.

Beleidigung einzelner Personen unter einer Gesamtbezeichnung (die
politischen Führer. des Kantons). Grenzen des Rechts freier Kritik in
der Presse, soweit sie sich gegen das Verhalten oder die Gesinnung von
Personen richtet..

* A. Dr. Andreas Gadient, Sekundarlehrer in Chur, hat im Jahr 1921 in chur
ein Buch herausgegeben Das Prätigau. Ein volkswirtschaftlicher Beitrag.
Dasselbe

' Gekürzter Tatbestand.

Pressfreiheit; No 37. zo?

enthält vier Teile, überschrieben : Die natürlichen Verss hältnisse,
Erwerbsverhältnisse, Siedlung und Bevölkerung, Rückund Ausblicke,
ausserdem ein Vorwort und eine Zusammenfassung. Im Vorwort ist bemerkt :
die Arbeit sei ursprünglich bloss als Diplomarbeit für die Universität
gedacht gewesen, doch habe der Verfasser erkannt, dass es nötig sei,
dem Volke selbst. die Augen zu öffnen, weshalb er versucht habe, den
Erscheinungen nachzugehen, die das wirtschaftliche und kulturelle Wohl
und Wehe der Gebirgsbevölkerung bedingen; die Aufgabe, die er sich
in erster Linie gestellt, sei nicht die gewesen, eine akademische,
wissenschaftliche Studie im strengsten sinne des Wortes zu liefern, die
Arbeit richte sich vielmehr an das Prätigau, sei geschrieben für dessen
Bevölkerung und in mancher Hinsicht für diejenige des ganzen Kantons. Es
seien, besonders im zweiten und vierten Teil, verschiedene Probleme bloss
angedeutet, aufgedeckt. Fertige Lösungen hätten nicht überall gegeben
werden können. Das Ziel sei; zum Nachdenken anzuregen, was bitter nötig
sei, da es der herrschenden Schicht, besonders den herrschenden Parteien
von heute, stets gelungen sei jede Kritik und Opposition niederzuhalten
und es nicht zum guten Ton gehöre über irgend einen Zustand oder eine
Einrichtung der herrschenden Schicht, über das Verhalten eines führenden
Politikers freimütig und unvoreingenommen zu urteilen oder sich darüber
zu äussern. Dem Zweck der Arbeit entsprechend habe der Verfasser nichts
verheimlichen und nichts beschönigen können. Auch daran müsse sich
das Volk gewöhnen und lernen, die Wahrheit zu ertragen. Die Trägen und
Denkfaulen sollten durch die Arbeit aufgerüttelt, die Gleichgültigen und
Satten aus ihrer Ruhe ein wenig aufgestört werden. Denn nur auf dem Wege
der Selbstbesinnung und Selbsterkenntnis gehe es aufwärts.

Wain-end die drei ersten Abschnitte wesentlich eine Darstellung der in
den Überschriften genannten Ver-

aus , staatsrecht-

hältnisse enthalten, bringt der vierte Teil eine Kritik der bestehenden
Zustände und Vorschläge zur Verbesserung auf wirtschaftlichem und
geistigem Gebiete im _ lnteresse'der Erhaltung und Gesundung der
bäuerlichen Gebirgsbevölkerung. So wird das Niederlassungsund Armenwesen,
die Gemeindeverwaltung und das Bevölvkernngsprohlem behandelt; das
Vorurteil zu Gunsten der Reichen, das mangelnde Verantwortlichkeitsgefühl
des Materialismus, Neid ,und Missgunst, Falschheit und Feigheit, der
Mangel an Religiosität, der Alkoholismus werden bekämpft, und dann werden
eine Reihe Massnahmen gegen die Entvölkerung des Landes besprochen, mit
den Untertiteln: Das Umlernen, die Hilfe des Staates, Bodenverschuldung
und Bodenreform, Genos-senschaftswesen, Bildungswesen, Parteiwesen und
Presse. In letzterem Abschnitt., ist von der Faulheit und Schlechtigkeit
des heutigen Parteiwesens und der herrschenden Presse die Rede, und es
wird 11. a. (S. 187) gesagt: Es ist ein Hohn, sehen zu müssen, wie diese
Bildner der öffentlichen Meinung undHüter des Staates p riv at en Zwecken
dienen, sei es die Presse dem Grosskapital oder die politische Partei als
Rückendeckuugihrer ehrgeizigen Streber und Charakterlumpen. Diese Leute,
deren Reden und Geschreibsel von Vaterlandsliebe' nur so triefen, die
Religion und Patriotismus gepachtet haben, ihnen ist es weniger um die
Ideale, als um persönliche Vorteile zu tun. Die Presse frage nur nach
dem Gewinn, die Partei nur nach der Zugehörigkeit. zu derselben. Die
Ausnahmen, die allerdings soselten seien wie die weissen Raben, bewiesen
bloss die Regel. Das Mittel zu solcher Herrschaft sei die Autorität. Was
in dieser Hinsicht Parteien und Presse an systematischer Volksverdummung
und -Verblendung . leisteten, spotte jeder Beschreibung. Wie viele
Politiker wussten, was ernste strenge Arbeit sei. Aber vor dem Volke
würden ihre Taten verherrlicht. Ob vielleicht dieser Autoritätenkultus,
der bis heute, gerade im Prä-Presstrelheit. N° 37. 209

tigau auffallend gut erhalten blieb, daran schuld sei, dass besonders hier
unabhängiges Denken und ein ehrliches, mutiges Manneswort nicht häufiger
seien. In neuerer Zeit befleissigten sich die historischen Parteien
in Grauben, besonders die freisinnige, ihre Bauernfreundlichkeit
zu betonen und um die Gunst der Bauern zu werben. Das sei nicht
Ernst. Es müsse ein bündnerisches Bauernsekretariat gegründet
werden. Die Zusammenfassung nimmt die Vorwürfe gegen die Presse und
die Volksführer, lies Verführer , nochmals auf, denen sie verhält,
dass sie wegen der Gefahr des Bolschewismus die Klassen verhetzten,
wobei auch der sozialistischen Partei Materialismus, Korruption,
massloser Ehrgeiz, Bevormundung und Knechtschaft der Masse, Knebelung
der freien Meinung, wie bei andern Parteien, vorgehalten wird. Es wird
dann eine Absage an jede Gewalt und somit auch an das Militär gefordert,
für das man der Bauembevölkerung Freude und Stolz einimpfe, während es
gegen die Arbeiter verwendet werden sollte. Es sei eine bittere Ironie
; auf der einen Seite die sittliche Entriistung über die Anschläge
und Macht-gelüste der Bolschewisten, auf der andern Knebelung einer
Minderheit mit Waffengewalt. Aber abgesehen hievon : wie könnten Vertreter
der Demokratie die Worte Vaterland und Religion im Munde führen, wenn
sie soziale Probleme mit Maschinengewehren und Kavalleriesäbeln lösen
wollten. Die Arbeiterbevölkerung sei von gleichem Fleisch und Blut wie
die Bauern; wenn ihre Psyche anders sei, so sei dies auf die Einwirkung
ihrer Umgebung und Beschäftigung zurückzuführen. Die Landbevölkerung
solle sich jedoch vor einer Überhebung hüten; auch sie habe Tugend und
Menschenliebe nicht gepachtet. Ihr Heuchler und Pharisäer, ihr falschen
Propheten und Hohepriester aber, die ihr euch Führer des Volkes nennt
und zu ihm kommt in Schafspelzen, inwendig aber reissende Wölfe seid,
Fluch und Verdammnis euch, solange euer schädlich Handwerk

550141924 15

216 _ &an

darin'besteht, um eines schnöden Vorteils willen ein Volk zu vergiften und
zu verderben (S. 193). Man stelle den Bauern die städtischen Arbeiter als
arbeitsscheue und genussüchtige Menschen dar. Wohl seien ihre Ansprüche
in letzter Zeit gestiegen und es werde zu viel ausgegeben. Aber auch
die Lan dbevölkerung sei anspruchsvoller geworden. Die gegenwärtige
Krise sei nur durch grösste sparsamkeit und intensivere Arbeit zu
überwinden. Statt dessen verlangten die Arbeiter den Achtstundentag. Diese
Schablone sei für gewisse Erwerbszweige ein Unglück, genüge aber für
Fabriken. Es sei nicht richtig, dass die Bauern 14 Stunden arbeiteten,
und sie könnten froh sein, noch Bauern sein zu dürfen. Die Schuld daran,
dass die Arbeiter nicht mehr leisten wollten, liege an der Ausbeutung
durch die Unternehmer, an den Zwischengewiunen des Kapitals, das durch
das Bankgeheimnis geschützt sei. Hier versage die Entrüstung. Für ein
Zusammenarbeiten der Klassen und eine Versöhnung bildeten die Führer und
die Behörden das grösste Hindernis. Ihre Wahl habe das Volk in der Hand;
Hier stehe es am Scheidewege ; solle es aufwärts gehen aus dem Sumpf,
so müsse. wieder für jeden, der an die Spitze einer Gruppe von Menschen
treten solle, die moralische Unantastbarkeit die erste Bedingung sein.
Dazu sei einneuer Geist, oder vielmehr der uralte Geist der Liebe nötig.

Die Abschnitte Natürliche Verhältnisse und siedelung der Bevölkerung
der Arbeit hat Gadient als Dissertation der philosophischen Fakultät
der Universität Zürich eingereicht, die dieselbe angenommen hat.

Am 8. Juli 1921 haben eine Anzahl Vertreter der freisinnigen Partei von
Graubünden in der Bundesversammlung und in der Kantonsregierung gegen
Gadient beim Bezirksgericht Plessur in Chur die Begehren gestellt:
der Beklagte sei der Ehrenkränkung gegenüber ' den Klägern schuldig zu
erklären und dafür nach Gesetz zu 'bestrafen, den Klägern sei im Sinne
des Gesetzes Ge--

Pressireiiseit. N° 37. 211

uugtuung und Ehrenerklärung zu erteilen und der Beklagte wegen
Verletzung persönlicher Verhältnisse ihnen gegenüber zur Zahlung einer
Summe von 1000 Fr., eventuell zu einer nach richterliehem Ermessen
zu bestimmenden Summe zu verurteilen, das Urteil sei auf Kosten des
Beklagten in bestimmten bündnerischen Blättern zu veröffentlichen, die
noch vorhandenen Exemplare der Broschüre Das Prätigau zu konfiszieren,
eventuell die beanstandeten Stellen zu eliminieren und den Kläger-n das
Recht einzuräumen, den Bezüge-m der Broschüre eine Urteilsausfertigung
auf Kosten des Beklagten zuzustellen. Zur Begründung wurde angebracht :
Die Broschüre enthalte Anwürfe gegenüber den bündnerischen politischen
Parteien und ihren Führern, iusbesondere gegenüber denjenigen der
freisinnigen Partei, zu denen die Kläger gehörten, welche. sich als
schwere Ehrenkränkungen darstellten. Dabei wurden verschiedene im
Abschnitt Parteiwesen und Presse und in der Zusammenfassung enthaltene
Stellen besonders namhaft gemacht. Auf das Begehren um Konfiskation des
Buches wurde später verzichtet.

Der Beklagte Gadient schloss auf AbWeisung der Klage. Schon der Charakter
des Buches schliesse es ,aus, dass einzelne Personen dadurch beleidigt
werden sollten ; es dürften, um eine solche Ehrenkränkung zu konstruieren,
nicht einzelne en aus dem Zusammenhang herausgerissen werden. Die
Beleidigung einer Kollektivität kenne das bündnerische Recht nicht. Die
Mitgieder einer solchen aber könnten bloss dann als beleidigt angesehen
werden, wenn sie in der Äusserung einzeln erkennbar bezeichnet waren oder
wenn die Kollektivbeleidigung jede Ausnahme ausschliesse, was beides hier
nicht zutreffe. Wenn die Kläger eine gewisse politische Rolle spielen,
so folge daraus noch nicht, dass sie unter den im Buch kritisierten
Führern zu verstehen seien. Der Begriff des Führers sei überhaupt kein
bestimmter. Di sei auch nicht dargetan, dass die fraglichen Stellen

212 si Staatsrecht.

von den Lesern auf die Kläger bezogen worden Wären. Umgekehrt könne
sich der Beklagte auf zahlreiche Stimmen berufen, die das Buch als
das auffassten, was es sei,als kritische Studie, und die an den vom
Verfasser geäusserten Ansichten keinen Anstoss genommen hätten. Ferner
geniesse der eingeklagte Tatbestand den Schutz der Pressfreiheit (Art. 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.

OR). Subeventuell werde der Beweis dafür angetreten, dass der Beklagte in
guten Treuen zu seinen Ansichten habe kommen können, wofür eine Anzahl
Vorgänge aus dem politischen Leben der letzten Jahre -zum Teil unter
Beibringnng von Belegen angeführt wurden.

Das Bezirksgericht Plessur hat durch Urteil _vom

22. /24. Juni 1922 erkannt :

Der Beklagte wird der Ehrenkränkung, gegenüber den Klägern durch die
Presse begangen, schuldig erklärt; s

2. Er wird mit einer Busse von 50 Fr. bestraft.

3. Den Klägern wird von Gerichteswegen Genugtuung und Ehrenerklärung
erteilt.

4. Das klägerische Begehren auf Leistung einer Geldsumme für Genugtuung
wird abgewiesen.

5. Den Klägern wird das Recht eingeräumt, das Urteilsdispositiv auf
Kosten des Beklagten in zwei bündnerischen Tagesblättern nach ihrer Wahl
zu publizieren.

6. Der Beklagte wird verpflichtet, die im Urteil näher bezeichneten zwei
Stellen seines Buches Das Prätigau zu eliminieren. '

7. Das Klagebegehren sub Ziffer 7 wird abgelehnt.

Eine Nichtigkeitsbeschwerde gegen dieses Urteil hat der Ausschuss des
Kantonsgerichts von Graubünden am

6. Dezember 1922 abgewiesen. Der Beklagte hatte darin'

die Annahme, dass die eingeklagten Vorwürfe sich gegen bestimmte Personen
richten und die darauf gestützte Bejahung der Aktivlegitimation der
Kläger, sowie die grundsätzliche Auffassung des Bezirksgerichts
hinsichthch der Möglichkeit einer Kollektivbeleidigung nach
bündner--Pressfreiheit. N° 37. _ 213 s

isehem Recht als willkürlich beanstandet,ferner,;i=,ine Verletzung der
Pressfreiheit behauptet und dafür, dass eventuell der Wahrheitsbeweis
erbracht wäre, auf,?folgendes hingewiesen : Der Staatsbürger , ein
freisinniges Blatt habe am 16. August 1917 einen Werbeartikel gebracht,
worin gesagt sei, die freisinnige Partei undîss ihre Wählermassen
verteilten Amt und Würde und damit Einkommen und Einfluss. In der Neuen
Bündner Zeitung vom Mai 1921 sei festgestellt, dass sämtliche freisinnigen
Bündner Regierungsund Nationalräte mit Beträgen von 35,000 bis 100,000
Fr. am Freien Rhätier beteiligt seien. Dann wird eine Honoraraffäre der
Bündner Kraftwerke erwähnt, aus der sich u. a. ergebe, dass Regierungsrat
P. (der nicht zur freisinnigen Partei und zu den Klägern gehört), doppelte
Taggelder beziehe. Die En gadiner Post vom 7. März 1919 habe über eine
öffentliche Versammlung berichtet, die zum SilserSeeprojekt Stellung nahm
; danach habe Architekt Hartmann dort erklärt, Dr. M. (der Vertreter
der Kläger und Präsident des freisinnigen Komitees) habe ihm einen
Köder hingeworfen, indem er ihm die Übertragung der Architekturarbeiten
in Aussicht stellte. Der gleiche Dr. M. habe sich ferner in Bezug auf
den Abschluss eines Konzessionsvertrages mit der Gemeinde Sufers der
bewussten Fälschung und absichtlichen _Irreführung der öffentlichen
Meinung schuldig gemacht. Von einem der Kläger, Regierungsrat W. '
stellten die Volkswacht und das

s Tagblatt fest, dass er eine Verfassungsverletzung be-

gehe, da er als Regierungsrat gleichzeitig an der Spitze der Bank
für Graubünden stehe. Der Kläger V. habe dem Beklagten einen Brief
geschrieben, nach dem er dessen Buch gelesen und worin er sich anerkennend
darüber ausgesprochen habe. In der gerichtlichen Verhandlung habe dann
der Anwalt der Kläger erklärt, er wisse, dass V. das Buch nicht gelesen
habe. Die Kläger V. und C.. hätten sich öffentlich im Bündner Bauer der
Stimmungsmache und der Unehrenhaftigkeit beschuldigt.

214 Staatsrecht.

Im Jahre 1919 habe V. im Rhätier mit Bezug auf den Kläger B. geschrieben,
für dumm habe er ihn immer ge_ halten, aber nicht für schlecht. Ferner
habe V. den Kläger C. in einem zur Veröffentlichung in der Neuen Bündner
Zeitung übergebenen Manuskript verdächtigt beim Export nach Österreich
unlautere Geschäfte gemacht zu haben, was er dem Beklagten in einer
mündlichen Unterredung bestätigt babe.

B. Schon vorher hatte Gadient gegen das bezirksgerichtliche Urteil
staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben, sie aber mit
Rücksicht auf die eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde wieder zurückgezogen.
Nach der Mitteilung des Entscheides des Kantonsgerichtsausschusses hat er
den staatsrechtlichen Rekurs gegenüber diesem erneuert mit dem Antrag,
die Urteile beider kantonaler Instanzen seien aufzuheben und die Klage
in vollem Umfange abzuweisen. Zur Begründung wird im wesentlichen auf
die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde und den gleichlautenden früheren
Rekurs an das Bundesgericht verwiesen.

C. Die Rekursbeklagten C. und Mitbeteiligte haben Abweisung der Beschwerde
beantragt.

Das Bundesgericht ziehtsisiirz Erwägung :

l. Das Urteil des Kantonsgerichtsausschusses von Graubünden wird nicht
mit selbständigen Gründen angefochten, sondern nur insofern, als es die
gegen das erstinstanzliche Urteil des Bezirksgerichts Plessur erhobene
Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen hat, die in gleicher Weise begründet
war wie die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht. Es fragt
sich sonach bloss, ob das bezirksgerichtliche Urteil verfassungsniässige
Rechte verletze, was im Falle der Bejahung freilich auch zur Aufhebung
des Urteils des Kantonsgerichtsausschusses führen müsste, soweit es den
Rekurrenten mit weiteren Kosten belastet. Dabei fallen die Dispositive
4 und 7 des erstinstanzlichen Urteils, wodurch

Pressireihelt. N ° 37. 215

gewisse Klagebegehren (Zusprechung einer Genugtuungssumme und Ermächtigung
zur Zustellung einer Urteilsausfertigung an alle Bezüge-r des Buches Das
Prätigau ) abgewiesen worden sind, von vorneherein ausser Betracht. Auch
ficht der Rekurrent die Dispositive 3, 5 und 6 betreffend gerichtliche
Genugtnungsund Ehrenerklärung, Publikation des Urteilsdispositivs und
Eliminierung zweier im Urteil bezeichneter. oben im Tatbestande wörtlich
wiedergegebcner Stellen des Buches Das Prätigau nicht besonders an. Die
Beschwerde richtet sich vielmehr nur gegen die Bestrafung des Rekurrenten
wegen Ehrenkränkung im Sinne von 541 des bündnerischen Polizeigesetzes
vom 17. Mai 1897, sodass jene akzessorischen Anordnungen stehen oder
fallen, je nach dem die Anfechtung in diesem Punkte abzuweisen oder
gutznheissen ist.

2. Das Urteil des Bezirksgerichts spricht sich nicht bestimmt darüber aus,
welche der eingeklagten Stellen des Buches Das Präiigaui als strafbare
Ehrenkrankungen aufgefasst werden. Immerhin werden die zwei erwähnten
Stellen in Ziff. 4 der Erwägungen besonders hervorgehoben; ferner bezieht
sich das Dispositiv 6 nur auf sie und in der Begründung dazu liest
man unter Ziff. 8: Wenn die Verfügung der Eliminierung sich nicht auf
alle von den Klägern namhaft gemachten. sondern nur auf die zwei näher
bezeichneten Buchstellen erstreckt, so geschieht dies deshalb, weil in
diesen letztern die festgestellte Pressinjurie am augenfälligsten sich
konzentriert, während es bei weitherziger Auslegung der Pressfreiheit
zweifelhaft erscheinen mag, ob die Stellen für sich allein,
(1. h. nach Wegfall der zwei zu eliminierenden, betrachtet noch einen
strafbaren Tatbestand darstellen. Es darf daraus geschlossen werden,
dass ohne jene beiden Stellen eine Verurteilung des Rekurrenten kaum
erfolgt wäre. Das Bundesgericht kann sich deshalb darauf beschränken zu
prüfen, ob sie verfassungsrechtlich init Strafe belegt werden durften

216 Staatsrecht.

oder nicht. Wenn nein, so bleibt für eine Bestrafung überhaupt'kein
Raum. Andernfalls hat es bei dem Urteil sein Bewenden, da der übrige
Inhalt des Buches auf das Mass der an sich geringen Strafe offensichtlich
keinen Einfluss ausübt. _

3. Die Frage der Aktivlegitimation der Kläger, auf die vom Rekurrenten
das Hauptgewicht gelegt wird, ist einerseits eine Tatfrage, andererseits
eine solche der Auslegung kantonalen Strafrechts. Der Rekurrent macht
denn auch in dieser Beziehung lediglich Willkür und ungleiche Behandlung
geltend. Nun ist aber zunächst die vom Kantonsgerichtsausschuss geschützte
Annahme des Bezirksgerichts, dass nach Bündner Recht

unter einer Gesamtbezeichnung die einzelnen der Kol'

lektivität zugehörendenPersonen in ihrer Ehre verletzt werden können,
keineswegs willkürlich. Positive Bestimmungen des Bündner Rechts
stehen ihr nicht entgegen; und das Bezirksgericht vermag sich für
seine Auffassung nicht nur auf die Ansicht eines berufenen Vertreters
der Wissenschaft (Liszt), sondern auch auf gerichtliche Entscheidungen
des deutschen Reichsgerichts und der Bündner Gerichte zu stützen. Der
Rekurrent ruft dagegen andere Vertreter der Wissenschaft an: Binding und
Frank. Allein Binding sagt in der vom Re.kurrenten zitierten Stelle nur,
dass, wenn nicht die Worte ohne Ausnahme v zugefügt werden, nicht jeder
Angehörige des Kollektivganzen als beleidigt betrachtet werden dürfe,
da solche allgemeinen Vorwürfe meist unter dem stillen Vorbehalt von
Ausnahmen gemacht werden und der Rest des Standes den Vorwurf vielleicht
mit Recht erfährt ; er lehnt also die Möglichkeit einer Beleidigung
Einzelner unter einer Kollektivbezeichnung nicht vollständig ab, sondern
lässt sie zu, wenn die Worte ohne Ausnahme beigefügt sind, was sich
aber gewiss auch aus dein übrigen Wortlaut und dem Zusammenhang ergeben
kann. Im vorliegenden Fall folgt auf die erste der streitigen Stellen
der Satz: Die Aus-Presstreiheit. N° 37. 217 .

nahmen, die allerdings so selten sind wie weisse Raben, bestätigen bloss
die Regel , was auf einen Ausschluss jeder Ausnahme hinausläuft. Zudem
gibt Binding zu, dass seine Auffassung heute nicht Rechtens sei. Und
Frank behandelt in der vom Rekurrenten angeführten Stelle nur die
Beleidigungsfähigkeit von K o lle ktivitäten als solchen. Die Möglichkeit
einer Beleidigung E i n z e l n e r unter einer Kollektivbezeichnung
gibt er (unter Titel III der Vorbemerkungen zu § 185 des deutschen
Strafgesetzbuches) ausdrücklich zu, und betrachtet dafür die erkennbare
Beziehung auf eine bestimmte Person als genügend, wobei er allerdings
diese Voraussetzung dann als nicht gegeben anzusehen scheint, wenn die
Gesamtheit eine sehr grosse Anzahl umfasst, was aber hier wiederum nicht
zutrifft. Die bündnerischen Urteile i. S. Friberg und Konsorten gegen
Casutt und Deuther sodann will der Rekurrent deshalb nicht gelten lassen,
weil dort der Vorwurf gegen eine scharf umgrenzte kleine Kollektivität
erhoben werden sei, den Vorstand des Oberländer Bauernvereins. Wenn
aber das'Bezirksgericht auch einen gegen die politischen Führer Von
Graubünden erhobenen Vorwurf als gegen die einzelnen gerichtet ansieht,
so liegt darin kein Widerspruch zu jenen Urteilen, sondern höchstens
eine etwelche Erweiterung, also immerhin eine Anwendung des gleichen
Grundgedankens auf einen andern Tatbestand. Das Bundesgericht hat
denn auch in den vom Bezirksgericht angeführten Urteilen i. S. Schmid
gegen Stampfli und i. S. Jäggi gegen Stampfli, beide vom 25. Sept. 1913
(letzteres abgedruckt in der AS 39 I S. 361), sowie im Urteil i. S. Jäggi
gegen Wiss und Konsorten vom 23. Okt. 1913 (Erw. 1) die Annahme einer
Beleidigung einzelner Personen unter einer Gesamtbezeichnung als nicht
willkürlich erklärt, unter der Voraussetzung, dass dadurch einzehie
Personen in erkennbarer Weise getroffen werden. Ob aber letzteres
mtr-effe, ist eine Frage der Würdigung der tatsächlichen Verhält--

218 Staatsrecht.

nisse. Wenn das Bezirksgericht in dieser Beziehung feststellt, dass sich
die streitigen Vorwürfe in erster Linie gegen die Führer der politischen
Parteien, insbesondere. auch der freisinnigen Partei von Graubünden
richten und dass die Kläger zu diesen Führern gehören, so ist dies nicht
nur nicht willkürlich, sondern trifft ganz zweifellos zu. wofür einfach
auf die Begründung des bezirksgerichtlichen und des kantonsgerichtlicheu
Urteils verwiesen werden kann. Dabei mag immerhin bemerkt werden, dass
es nicht darauf ankommt, ob die Kläger die Vorwürfe auf sich bezogen,
sondern ob der Leser der Publikation, an den sich das Buch wendete,
sie auf die politischen Führer von Graubünden und folglich mit auf die
Kläger beziehen musste, worüber aber kein Zweifel bestehen kann. Ob der
Rekurrent auch einen weiteren Kreis durch seinen Angriff treffen wollte,
ist unerheblich, sobald feststeht, dass derselbe jedenfalls und in erster
Linie den Bündner politischen Führern galt.

4. Auch die Beschwerde wegen Verletzung der Pressfreiheit ist
abzuweisen. Wenn die in der Öffentlichkeit stehenden und wirkenden
Personen in Bezug auf ihr Verhalten und ihre Gesinnung, soweit es für die
öffentliche Stellung und Tätigkeit v0n Bedeutung ist. der öffentlichen
Kritik ausgesetzt sind und diese Kritik grundsätzlich durch das Recht
der freien Meinungsäusserung gedeckt erscheint, so findet sie doch ihre
Schranke darin, dass die Darstellung tatsächlicher Vorgänge der Wahrheit
entsprechen und die daraus gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen
innerlich begründet erscheinen müssen oder doch gutgläubig vorgebracht
werden durften, weshalb in Bezug auf beide der Beweis der Wahrheit oder
des guten Glaubens zugelassen werden muss. Wertund moralische Urteile
setzen, an die Öffentlichkeit gerichtet, voraus, dass ihre objektive
Grundlage entweder bekannt ist oder angegeben wird, damit der Adressat
das Urteil nachprüfen kann, und es dürfen durch die Art derMitteilung
nicht falsche Vor-

Presstreiheit. N'; 37. . 219

stellungen darüber erweckt werden, was demselben zu Grunde. liegt, mag
das Urteil selbst im übrigen objektiv' hart oder milde, gerecht oder
ungerecht sein. Wird über die Ges i n n u n g einer im öffentlichen Leben
stehenden Persönlichkeit ein Urteil abgegeben, so ist zu beachten, dass
jene. selbst sich einer Kontrolle entzieht und nur im äussern Verhalten
zu Tage tritt. Der allgemein gehaltene. Vorwurf verwerflicher Gesinnung
muss sich daher ebenfalls auf ein bestimmtes äusseres Verhalten stützen
können, um als erlaubt zu erscheinen. Im vorliegenden Falle ist zunächst
festzustellen, dass sich die in Frage stehenden Äusserungen nicht
als objektive Darstellung und Kritik des P a r t e i w e s e n s und
seiner Schattenseiten und Auswüclise darstellen. Sondern es wird in der
ersten Stelle gesagt, dass die H ii t e r d e s S t a a t e 5 private
Zwecke verfolgen, dass die politische Partei als Rückendeckung ihrer
ehrgeizigeu Streber und Charakterlumpen diene. dass es diesen Leuten
mit Patriotismus und Religion nicht ernst und es ihnen weniger um diese
Ideale als um persönliche Vorteile zu tun sei. Und ebenso tritt in der
zweiten in Betracht fallenden Stelle die persönliche Spitze der Vorwürfe
klar zu Tage, indem die politischen Führer direkt als Heuchler, Pharisäer
und falsche Propheten bezeichnet werden. Ausdrücke Wie Charakterlumpen,
Heuchler und Pharisäer s aber lassen sich von vorneherein kaum als Kritik
oder Urteil ansprechen, sondern enthalten gewöhnliche Beschimpfungcn, die.
von jemand, der die Verbesserung der öffentlichen Zustände anstrebt,
jedenfalls nur gebraucht werden dürfen, wenn dafür eine. sachliche
Begründung gegeben wird. Dasselbe ist zu sagen von dem Vorwurf, dass es
diesen Leuten nur um ihre privaten Zwecke, ihren persönlichen Vorteil
zu tun sei, dass sie um eines schnöden Vorteils willen das schändliche
Handwerk betreiben, das Volk zu vergifteu und zu verderben, womit den
Parteiführern vor-gehalten wird, dass ihre politische Tätigkeit eigen-

220 Stats:-echt.

nützigen Absichten entspringe, und dass sie das Volk irreführen, um sich
zu bereichern. Eine solche bestimmte tatsächliche Unterlage fehlt aber
bei der ersten Stelle vollständig. Bei der zweiten mag man dafür, dass das
Volkvergiftet und verderbt werde,in den vorhergehenden Ausführungen eine
Begründung finden, wo davon die Rede ist, dass die Führer des Volkes für

das Militär eintreten. Aber dafür, dass und wieso dieses ,

Eintreten ein unehrliches sei und dass es um eines schnöden Vorteils
willen geschehe, mangelt auch hier jede Andeutung. Dabei ist zu
beachten, dass die Arbeit des Rekurrcnten, als Ganzes betrachtet,
eine wissenschaftliche Studie ist, die sich mit der Darstellung von
Tatsachen und der Hebung von Misständen befasst. Der Verfasser gibt
sich als Kenner der Verhältnisse, über die er schreibt. Gerade deshalb
darf von ihm verlangt werden, dass er in der Beurteilung der politischen
Führer des Landes, denen er einen Spiegel vorhalten will, eine gewisse
Vorsicht beachte und nicht 'mit allgemeinen unbelegten Anwürien dieselben
verächtlicher Gesinnung bezichtige. Diese Äusserungen lassen sich
überhaupt, wenigstens hinsichtlich der Form und des Tones, schon in den
Charakter und Rahmen des Buches nicht einschalten und erscheinen auch
deshalb weniger als Ausdruck einer auf Erfahrungen und Tatsachen sich
stützenden Erkenntnis, denn als Ausfluss einer persönlichen Animosität

oder einer zu Verallgemeiner'ungen und Übertreibungen

geneigten Denkweise, die denn auch die Folgen einer solchen Eigenart
auf sich nehmen muss.

5. Kann demnach den fraglichen Buchstellen der Schutz der
verfassungsmässigen Pressfreiheit nicht gewährt werden, so. ist es im
übrigen in erster Linie eine Frage des kantonalen Rechts, ob und wie
sie unter Strafe fallen. Vom Standpunkt der Pressfreiheit ist lediglich
zu verlangen, dass der wegen Ehrverletzung durch die s Presse verfolgte
Beklagte zum Wahrheitsbeweis für die Tatsachen zugelassen werde, die er
für die einge-

Pressfreiheit. No 37. , 221

' klagte Äusserung vorzubringen hat. Ferner wird danach

bei einer unter Kollektivzeichnung begangenen Beleidigung, der gegenüber
'nur einzelne der Getroffenen klagend auftreten, einerseits nicht
gefordert werden dürfen, dass alle die streitigen Vorwürfe verdienen,
sofern sie sich nur gegenüber einer gewissen Zahl oder doch gegenüber
den leitenden Persönlichkeiten als begründet erweisen, andererseits wird
dem Beklagten gestattet werden müssen, auch das Verhalten derjenigen,
der Kollektivität angehörenden Personen, die nicht geklagt haben, zum
Gegenstand des Wahrheitsbeweises zu machen. Vorliegend ist dieser Beweis
für den Vorwurf einer eigennützigen Ausbeutung der Führerrolle zugelassen
worden, und zwar in dem angegebenen Umfang,.womit den Anforderungen des
Pressrechts Genüge geleistet ist. Das Bezirksgericht scheint zwar die
sogenannten Formalinjurien als dem Wahrheitsbeweis unzugänglich betrachtet
zu haben. Das ist kaum zu beanstanden. Im übrigen würde auch dafür die
Feststellung des Urteils gelten, dass der Vabrheitsheweis nicht geleistet
sei. Diese Feststellung aber könnte vom Bundesgericht nur aus dem
Gesichtspunkte der Willkür nachgeprüft werden. Eine solche ist indessen
nicht einmal behauptet. Sie wäre auch nicht anzunehmen. Die in der
Nichtigkeitsbeschwerde besonders hervorgehobenen Vorgänge und Polemiken,
die, zum Beweise der Wahrheit oder des guten Glaubens des Rekurrenten
dienen sollen, sind entweder von vorneherein ungeeignet, um den Vorwurf,
auf den es ankommt, zu begründen, nämlich dass die freisinnigen Führer
ihre öffentliche oder Amtsstellung in eigennütziger Weise zur Erlangung
persönlicher Vorteile ausbeuten und missbrauchen (so der Werbeartikel im
Staatsbürger vom 14. August 1917, die Beteiligungen am Freien Rhätier ,
die Nebenstellung des Regierungsrats W. alsVerwaltungsratspräsident der
Bank von Graubünden, die Auseinander- setzung V. u. C. anlässlich der
Wahlen im Bündner Bauer ), oder es handelt sich um Äusserungen, die

222 Staatsrecht.

selbst wenn sie eine vereinzelte Person in gewissem Masse belasten sollten
(Bemerkung von Architekt Hartmann

über Dr. M. in der Silserseefrage), doch keineswegs die ' Behauptung
einer eigentlichen, geschweige denn allgemeinen Korruption bei den
Führern zulassen, wenn sie nicht schon wegen ihrer Allgemeinheit
und Unbestimmtheit einen ähnlichen Anwurf sogar gegenüber dem von
der Äusserung unmittelbar Betroffenen von vorneherein als unzulässig
erscheinen lassen müssen. (Äusserung V. über Dr. B.) Oder aber es sind
dabei gerade die wesentlichen Tatsachen bestritten und können durch die
beigebrachten Belege keineswegs als nachgewiesen gelten (angeblicher
Vorwurf V. gegenüber c. betreffend Viehausfuhrbewilligungen). In
der sogenannten Honorarfrage der Bündner Kraftwerke ist durch
die angeordnete Untersuchung festgestellt worden, dass die von den
Ausschussmitgliedern bezogenen Entschädigungen dem Verwaltungsreglement
der Werke entsprachen ; die Verrechnung doppelter Taggelder durch ein
Ausschussmitglied, das zugleich dem Kleinen Rate angehörte (Dr. P.), wurde
auf den Bericht der Untersuchungskommission berichtigt und auch im übrigen
war es gerade der Kleine Rat, der auf die Beseitigung gewisser Misstände
in der Verwaltung der Werke drangL ganz abgesehen davon, dass auch diese
noch durchaus nicht zu der Anschuldigung einer Korruption gegenüber den
politischen Führern im allgemeinen, die bei der Verwaltung mitbeteiligt
waren, berechtigen würden. Die Frage der Konzessionserteilung der Gemeinde
sukers an Dr. M. endlich ist durchaus unabgeklärt. Sie hängt von einer
Vergleichung der verschiedenen Konzessionsverträge unter sich und mit
dem neuen eidgenössischen Wasserrechtsgesetz und von der Auslegung dieses
Gesetzes ab. Diese Interpretation ist aber hinsichtlich der Einwirkung auf
frühere Konzessionen speziell beim Vasserzins keineswegs eine gegebene
in dem vom Rekurrenten vorausgesetzten Sinne, dass der Wasserzins auch
für früher erteilte Konzessionen nach dem neuen Gesetze zu berechnen
sei. Wenn es

Presssreiheit. N° 37. 223

dem Rekurrenten daran lag, Abhilfe zu schaffen, so wäre das richtige
Mittel gewesen, die betreffenden Vor fälle in tatsächlicher Beziehung zur
Sprache zu bringen und die beteiligten Personen einzeln zu nennen. Damit,
dass er der Gesamtheit und hiedurch jedem der politischen. Führer ,die
Ausnutzung seiner öffentlichen Stellung vorwarf, ist er zu weit gegangen,
weil so die Vorstellung einer allgemeinen Korruption der leitenden
Persönlichkeiten geweckt wurde, was den tatsächlichen Verhältnissen nicht
entsprach. Dazu kommt, dass sich die beanstandeten Auslassungen auch
schon formell als gehässige Schimpferei darstellen, bei der nicht, oder
nicht allein reelle Beweggründe mitspielen, sondern auch TadelSucht, und
Missgunst. Eine derartige Verallgemeinerung und übertreibende Bewertung
vereinzelter Vorkommnisse könnte vielleicht in gewissen Umfangs hingehen,
wenn es sich um ein Erzeugnis des Tages handeln würde, umeinen Artikel
in einer Zeitung, oder um eine Schrift zu Wahl-Zwecken In einem als
ernste Studie sich ausgehenden und für eine dauernde Wirkung bestimmten
Buche ist sie auf alle Fälle unzulässig, ganz abgesehen davon, dass die
Äusserungen sich auch ihrer Fassung nach nicht als blosse rhetorische
Verallgemeinerungen und Übertreibungen geben und als solche für den
Leser ohne weiteres erkennbar wären. Die Vergleichung mit einzelnen
litterarischen Werken, die bestimmte politische Tendenzen verfolgen
(Werken Gotthelfs), ist schon deshalb verfehlt, weil dieselben von
vorneherein nicht mit dem Anspruche einer Widergabe bestimmter wirklicher
Vorgänge, sondern als Gebilde der freien Phantasie auftreten,.bei dem
Wahrheit und Dichtung sich naturgemäss mischen und wo deshalb die Form
der Darstellung auch solche Abweichungen von jener deckt.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 50 I 206
Datum : 15. Januar 1924
Publiziert : 31. Dezember 1925
Quelle : Bundesgericht
Status : 50 I 206
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 206 Staatsrecht. beugt hätten, sondern nur, dass bei der Lösung einer reinen Ermessensfrage,


Gesetzesregister
OR: 55
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 55 - 1 Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
1    Der Geschäftsherr haftet für den Schaden, den seine Arbeitnehmer oder andere Hilfspersonen in Ausübung ihrer dienstlichen oder geschäftlichen Verrichtungen verursacht haben, wenn er nicht nachweist, dass er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat, um einen Schaden dieser Art zu verhüten, oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre.30
2    Der Geschäftsherr kann auf denjenigen, der den Schaden gestiftet hat, insoweit Rückgriff nehmen, als dieser selbst schadenersatzpflichtig ist.
Stichwortregister
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stelle • buch • beklagter • bundesgericht • presse • vorteil • frage • beleidigung • verhalten • politische partei • wille • wahrheit • regierungsrat • verfassung • wahrheitsbeweis • weiler • zeitung • guter glaube • beschuldigter • zahl
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