506 Obligationenrecht. N° 67 .

entschuldbar. Es handelte sich dabei um Massnahmen, die in aller Ruhe
vom Bureau aus angeordnet werden konnten, und durch die Menge der zu
fördernden Güter und die Raschheit des Transportes, die im allgemeinen
eine minutiöse Sorgfalt ausschliessen, nicht gehemmt wurden (vgl. BGE
i. S. Goudrand gegen S. B. B. vom 27. Juni 1923).

7. Die Bekiagten haben somit den vollen der Klägerin erwachsenden
Schaden zu ersetzen. Wie hoch sich dieser beläuft hat die Vorinstanz
durch Abnahme der beantragten Beweise erst festzusetzen. Dabei hat sie
zur Abmessung des Schadenersatzes noch festzustellen, wann der Wagen
bei richtigem Vorgehen der Bahn an den Bestimmungsort Grüze gelangt wäre.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 27. Juni 1923 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung
im Sinne der Motive an die Vorinstanz zurückgewiesen.Erfindungsschutz.
N° 68. 507

III. ERFINDUNGSSCHUTZ.BREVET S D'INVENTION

68. Urteil der I. Zivila'nteilung vom 28. Dezember 1923 i. S. Basler
Gluhla." mpenfabrik A.-G. gegen Allgemeine Elektrîzitàts-Gesallschaft.

P a t e n t r e c h t : Bedeutung des Patentanspruchs und der
Patentbeschreibung (Art. 5 u. 26 II PatG). Nichtigkeitsgrund
mangelhafter Darlegung und ungenügender Definition der Erfindung
(Art. 16 Ziff. 7 u. 8). Mangelnde Neuheit ? Stoifpatent, Verhältnis zum
Verfahrenspatent (Art. 7 II u. 26 IV). Festsetzung des Schadensersatzes
bei widerrechtlicher Patentverletzung.

A. Die Klägerin, Allgemeine Elektrizitäts Gesellchaft in Berlin,
ist Inhaberin des schweizerischen Patentes Nr. 54,036 vom 5. Oktober
1910. Die Patentansprüche lauten :

I. Ein bei gewöhnlicher Temperatur duktiler Wolf ramdraht für elektrische
Glühlampen.

II. Verfahren zur Herstellung von Wolframdraht nach Patentanspruch
I, dadurch gekennzeichnet, dass Wolframkòrper wiederholt andauernd
mechanisch be arbeitet werden, bis ein bei gewöhnlicher Temperatur
duktiler Draht entsteht.

Diesen Hauptansprüchen sind 2 Unteransprüche beigeiügt.

B. Das Verfahren, welches dem an sich spröden Wolframmetall die
Eigenschaft der vollen Duktilität (auch bei gewöhnlicher Temperatur)
verleiht, besteht, wie der in der Patentschrift enthaltenen Beschreibung
zu entnehmen ist, aus folgenden Stufen :

Zuerst werden aus grobkömigem (statt Wie früher

508 Erfindungsschutz. N° 68.

aus feinkörnigem) Wolframpulver kleine, za. 8 Zoll lange, viereckige-,
stabförmige Körper, in einer Form aus Gusseisen oder Stahl, mittelst
Druck hergestellt. Diese stabförmigen Körper werden alsdann einem
Gliihverfahren in Wasserstoff unterworfen, und im Anschluss hieran
lässt man sie von einem Wechselstrom von etwa 1400 Ampère in einer
mit Wasserstoff gefüllten Flasche durchströmen, wodurch sie sich auf
Weissglut erhitzen und zu dichten, harten Stähen zusammensintern, welche
bei gewöhnlicher Zimmertemperatur zerbrechlich sind.

Nunmehr beginnt die mechanische Bearbeitung. Diese besteht
darin, dass die Wolframstäbe in erhitztem Zustand einem Walzoder
Schlagbezw. Hämmerverfahren (das letztere am besten mittelst einer
Hämmermaschine) ausgesetzt werden, an das sich zugleich der Ziehprozess
mittelst Ziehdüsen anschliesst. Diese Art der mechanischen Bearbeitung
ist solange fortzusetzen, bis das Wolfram seine Sprödigkeit verliert
und infolge Veränderung der inneren, molekularen Struktur des Metalls
vollkommen duktil wird: die ursprüngliche kristallinische Struktur
verwandelt sich in eine faserige, die sich dadurch offenbart, dass der
durch den Hämmerprozess in der angegebenen Weise bearbeitete Wolframstab,
entzwei gebrochen, lange, in der Längsrichtung verlaufende Fasern
zeigt. Diese faserige Struktur ist das Ergebnis einer fortschreitenden
Veränderung.

Endlich wird in der Patentbeschreibung die geeignetste Methode
beschrieben, wie das beste Wolframpulver gewonnen werde, und dargelegt,
wie sich das Hammerverfahren und der Ziehprozess am vorteilhaftesten
durchführen lassen.

C. Nach der Darstellung der Klage besteht der technische Fortschritt der
Erfindung, die den Gegenstand des Patentes Nr. 54,036 bildet, darin,
dass zum ersten Mal die seit langem gesuchte Lösung eines schwierigen
Problems, nämlich der Erzielung der Geschmeidig-

Erfindungsschutz. N° 68. _ 509

keit oder vollständigen Ziehbarund Biegsamkeit des Wolframmetalls bei
gewöhnlicher Temperatur, gefunden Werden sei. Das bedeute vor allem für
die Glühlampenindustrie insofern einen gewaltigen Vorteil, als nunmehr
der als Glühkörper dienende Wolframdraht schon bei Zimmertemperatur auf
das Haltergestell der elektrischen Glühbirne aufgewickelt werden könne,
was bisher nur nach vorausgegangener starker Erhitzung möglich gewesen
sei. Auch werde infolge der erlangten Duktilität des Drahtes der Bruch
bei der Herstellung, wie beim Versand der Lampen in bedeutendem Masse
verringert.-

In Bezug auf die Priorität der Patentanmeldung in dersiSchweiz macht die
Klage geltend : Bis zum Jahr 1906 habe das Wolframmetall überhaupt nicht
als duktil gegolten: es sei unter keinen Umständen möglich gewesen,
aus ihm einen Draht oder einen Faden zu ziehen. Erst 1906 sei durch
Druckschriften allmälig bekannt geworden, dass man ein Verfahren gefunden
habe, durch das dem Wolframmetall b e i h ö h e r e r T e m p e r a t
u r Duktilität verliehen werden könne, sodass es nunmehr in erhitztem
Zustande zu Draht ausgezogen und anderweitig bearbeitet werden konnte.
Später sei es dem Erfinder dieses Verfahrens, Dr. WI liarn Coolidge in
Schenectady U. S. A., auch gelungen, die Duktilität des Wolframmetalls
b e i g e w 6 h nlicherTemperatur zu erzielen, sodass es nunmehr wie
weicher' Eisendraht gebogen, gezogen und gewalzt werden könne, und diese
Eigenschaft auch beibehalte. Dieses letztere Verfahren sei zuerst in
den Vereinigten Staaten Nordamerikas am 6. Oktober 1909 und

am 23. Februar 1910 zur Patentierung angemeldet

worden. Der Erfinder Coolidge habe seine Patentrechte der General
Electric Co in Schenectady abgetreten, mit dem Recht, in allen Ländern
Patente anzumelden. Die Klägerin sei die Rechtsnachfolger-in der General
Electric Co für Deutschland und die Schweiz.

510 Erfindungsschutz. N° 68.

D. Die Beklagte, Basler Glühlampenfabrik A.-G., betreibt seit Anfang 1914
in Basel eine Fabrik zur Herstellung von Glühlampen ; sie benutzt bei
ihrer Fabrikation einen Glühdraht, welcher aus gezogenem, bei gewöhnlicher
Temperatur duktilem Wolframmetall besteht.

In diesem Gebahren erblickt die Klägerin eine Verletzung ihres Patentes
Nr. 54,036, weil ein anderes Verfahren zur Herstellung eines bei
gewöhnlicher Temperatur duktilen Glühlampendrahtes aus Wolframmetall,
als dasjenige, welches Gegenstand der von ihr erworbenen und in der
Schweiz am 5. Oktober 1910 zur Patentierung angemeldeten Erfindung sei,
nicht bestehe.

Sie verlangte deshalb von der Beklagten mit Schreiben vom 14. Mai 1918
die Einstellung der Weitern Herstellung solcher Wolframlampen und zugleich
Sehadloshaltung für die bisherige, bereits 4 Jahre andauernde Verletzung
ihres Patentes.

Die Beklagte liess am 16. Mai 1918 durch ihren Anwalt antworten, sie
bestreite die behauptete Patentverletzung und damit die Berechtigung des
klägerischen Begehrens, sie beziehe ihren Glühdraht von einer Firma,
die ihr Garantie geleistet habe; dass er gegen keine Patentrechte
verstosse. Im übrigen habe sie bis dahin keine Kenntnis vom klägerischen
Patent gehabt, und wisse auch nicht, ob der von, ihr verwendete Draht
es verletze.

E. Hierauf hob die Klägerin am 5. Oktober 1918 beim Zivilgericht des
Kantons Baselstadt die vorliegende Klage an, mit den Rechtsbegehren :

1. Es sei der Beklagten jede weitere Patentverletzung, insbesondere
Herstellung und Vertrieb von Metallfadenglühlampen aus bei gewöhnlicher
Temperatur duktilem Wolframdraht gerichtlich zu untersagen.

2. Die Beklagte sei grundsätzlich zum Ersatze des infolge der
Patentverletzung der Klägerin zugefügten Vermögensschadens an diese
letztere zu verurteilen.

Erfindungsschutz. N° 68. 511

und zwar sei dieser Schaden auf 100,000 Fr. nebst Zins zu 5% seit dem
Tage der Klageerhebung, eventuell auf einen durch richterliches Ermessen
festzustellenden Betrag zu beziffern.

3. Es sei gerichtlich die Einziehung und Verwertung oder Zerstörung
der im Gewahrsam der Beklagten befindlichen und das vorerwähnte Patent
verletzende'n Gegenstände sowie die Zerstörung der Projekte und sonstigen,
der Reklame dienenden Gegenstände im Gewahrsam der Beklagten zu verfügen.

4. Es sei das Urteil im Schweizerischen Handelsamtsblatt und nach Wahl
der Klägerin in zwei andern schweizerischen Tagesblättcrn auf Kosten
der Beklagten zu veröffentlichen.

F. In ihrer Antwort auf die Klage bestritt die Beklagte neuerdings
die behauptete Verletzung des klägerischen Patents. Ferner erhob
sie eine Reihe von Einwendungen, aus denen sich die Nichtigkeit des
Patents Nr. 54,036 ergehe : sowohl solche formeller Natur unrichtige
und zu 'allgemeine Formulierung der PatentansprüChe I und II als
materieller Natur : mangelnde Neuheit der patentierten Erfindung. Die
Beklagte beantragte daher Abweisung der Hauptklage und widerklageweise
Nichtigerklärung des Patentes Nr. 54,036. -

G. Der Instruktionsrichter des Basler Zivilgerichts ernannte im
Einverständnis beider Parteien Prof. Dr. Kohlschütter und den Patentanwalt
Ed. von Waldkirch, beide in Bern, zu gerichtlichen Experten.

Diese haben am 11. Juli 1921 ihr gemeinsames Gutachten eingereicht,
sowie am 27. März 1922 ein Nachtragsgutachten, in dem sie
sich über die von den Parteien zum Hauptgutachten gestellten
Ergänzungsfragen aussprechen.Gestützt auf den Befund der Schweizerischen
Treuhandgesellschaft, die inzwischen vom Instruktionsrichter mit der
Prüfung der Bücher der Beklagten beauftragt

512 Erfindungsschutz. N° 68.

worden war, haben die Experten sich ferner in ,einem

Ergänzungsgutachten vom 25. November 1922 noch eingehend über die
Schadensfrage geäussert.

' H. Mit Urteil vom 21. Juli 1923 hat sodann das

Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt erkannt :

1. Die Wider-klagewird abgewiesen.

2. ......

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Herstellung und den Vertrieb der
von ihr hergestellten elektri schen Glühlampen mit bei gewöhnlicher
Temperatur duktilem Wolframdraht und den Verkauf von fertigen,
vonssdritter Seite bezogenen elektrischen Glühlampen mit solchem
Wolframdraht zu unterlassen. Das weitergehende Begehren auf Festsetzung
einer Geldsumme für jede künftige Patentverletzung der Beklagten a wird
zur Zeit abgewiesen.

4. Die Beklagte wird verurteilt zur Zahlung von 100,000 Fr. an die
Klägerin nebst Zins zu 5% seit dem 5. Oktober 1918.

5. Es wird die Einziehung und Verwertung aller im Besitze der Beklagten
befindlichen patentverletzen den Gegenstände und die Zerstörung der
ausschliess lich zur Herstellung patentwidriger Erzeugnisse die nenden
maschinellen Einrichtungen und des ent sprechenden Reklamematerials
angeordnet.

6. Es wird die Klägerin berechtigt erklärt, das Erkenntnis im
Schweizerischen Handelsamtsblatt und in 2 weiteren schweizerischen
Zeitungen nach ihrer Wahl auf Kosten der Beklagten veröffentlichen
zu lassen. .

J. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte und Widerklägerin die Berufung an
das Bundesgericht erklärt, mit dem Rechtsbegehren, es sei unter Aufhebung
des zivilgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen und widerklageweise
das Eidg. Patent der Klägerin Nr. 54,036 vom 5. Oktober 1910 nichtig
zu erklären.

Erfindungsschutz. N° 68. 513

. Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. In rechtlicher Beziehung ist zunächst die Widerklage zu prüfen;
denn mit dieser macht die Beklagte geltend, dass das Patent der Klägerin
nichtig sei, und dass deshalb das erste Erfordernis für die Zusprechung
der Hauptklage : das von der Klägerin beanspruchte Alleinbenützungsrecht,
wegen dessen Verletzung die Hauptklage erhoben worden ist, fehle.

2. Bei der Beurteilung der Widerldage sodann steht nicht die Frage im
Vordergrund, ob die Klägerin mit der Herstellung von bei gewöhnlicher
Temperatur duktilem Wolframdraht für elektrische Glühlampen überhaupt
eine neue Erfindung gemacht habe, sondern ob und inwieweit das von der
Klägerin in der Patentschrift Nr. 54,036 Angemeldete und als Erfindung
Beanspruchte als schutzfähig erscheine, indem es für die Erwerbung eines
Erfindungspatentes in erster Linie darauf ankommt, dass die Erfindung,
für welche der gesetzliche Schutz beansprucht wird, in der Patentschrift
in gesetzlicher Weise gekennzeichnet sei.

In dieser Hinsicht schreibt Art. 5
SR 232.14 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) - Patentgesetz
PatG Art. 5 - 1 Der Patentbewerber hat dem IGE den Erfinder schriftlich zu nennen.14
1    Der Patentbewerber hat dem IGE den Erfinder schriftlich zu nennen.14
2    Die vom Patentbewerber genannte Person wird im Patentregister, in der Veröffentlichung des Patentgesuchs und der Patenterteilung sowie in der Patentschrift als Erfinder aufgeführt.15
3    Absatz 2 ist entsprechend anwendbar, wenn ein Dritter ein vollstreckbares Urteil vorlegt, aus welchem hervorgeht, dass nicht die vom Patentbewerber genannte Person, sondern der Dritte der Erfinder ist.
PatG vor, dass für jede Erfindung,
deren Patentierung nachgesucht wird, ein Patentanspruch aufzustellen
sei, welcher die Erfindung durch diejenigen Begriffe definiert, die
der Patentbewerber zur Bestimmung des Gegenstandes des Patentes als
erforderlich und als ausreichend erachtet . Dieser Patentanspruch ist
sowohl für den sachlichen Geltungsbereich des Patentes, als für die
Neuheit der Erfindung massgebend. Doch hat das Bundesgericht von jeher
festgehalten, dass zur Auslegung und Erläuterung des Anspruchs die
dem Patentgesuch beizufügende Beschreibung der Erfindung herangezogen
werden dürfe, und es ist bei der Revision des Pat G in Anlehnung an die
Rechtsprechung eine entsprechende Bestimmung (Art. 5 Ill) aufgenommen
worden (vergl. Stenogr. Bull. d. B.-Vers. 1906 s. 1491). Nach Art. 26
II PatG ist durch

514 Erfindungsschutz. N° 68.

die Beschreibung die Erfindung so darzulegen, dass ihre Ausführung
durch Fachleute möglich ist, und es ist das Patent durch den Richter als
nichtig zu erklären, wenn diese Voraussetzung nicht zutrifft, oder der
Patentanspruch, selbst unter Beiziehung der Beschreibung, keine klare
Definition der Erfindung ergibt (PatG Art. 16 Ziff. 7 und 8).

Ob nun die Anforderungen, die das Gesetz an die Formulierung der
Patentansprüche und die Abfassung der Patentbeschreibung stellt, im
vorliegenden Falle als erfüllt betrachtet werden können, beurteilt
sich naturgemäss nach fachmännischen Begriffen, und es ist deshalb das
Bundesgericht in der Hauptsache an den Befund der von der Vorinstanz
bestellten Experten und die Feststellungen tatsächlicher Natur, welche
die Vor instanz auf Grund der Expertise vorgenommen hat, gebunden.
Was vorab den Verfahrensanspruch (Patentanspruch II) anbetrifft, welcher
logischerweise in erster Linie auf seine Gesetzmässigkeit zu prüfen
ist, so ist zwar der Beklagten zuzugeben, dass die Charakterisierung
der Erfindung durch die Ausdrucksweise : Verfahren mr Herstellung von
Wolframdraht, dadurch gekennzeichnet, dass Wolkramkörper wiederholt
andauernd. mechanisch bearbeitet _Werden, bis ein bei gewöhnlicher
Temperatur duktiler Draht entsteht als etwas unbestimmt erscheinen
mag. Allein entscheidend ist, ob die gebrauchten allgemeinen Ausdrücke
und Begriffe unter Zuhilfenahme der Patentbeschreibung eine zutreffende,
für Fachleute verständliche und die Ausführung der Erfindung ermöglichende
Definition ergeben. Dass dem so ist, geht im Grunde schon aus der Tatsache
der erfolgten Nachahmung hervor, und erhellt deutlich aus dem Befund der
Gerichtsexperten, indem sie ausführen, das Merkmal der wiederholten,
andauernden, mechanischen Bearbeitung treffe den eigentlichen Kern
der Erfindung : in dieser gemässigten, aber anhaltenden, allseitigen
Bearbeitung der bereits dichten Wolfram-

Erfindungsschutz. N° 68. 515

stücke liege vom technischen Standpunkte aus das Wesentliche der
Behandlungsweise, die es ermöglichedie innere kristallinische Struktur
der Wolframkörper in ein faseriges Gefüge über-zuführen und damit
bei gewöhnlicher Temperatur duktilen Wolframdraht zu erhalten. Dass
hiebei unter duktil , im Gegensatz zu der von der Beklagten und
ihrem Privatgutachter Ritter vertretenen Auffassung, nur ziehhar und '
plastisch biegsam , geschmeidig , dauernder Formverände-rung fähig ,
nicht lediglich ziehbar oder " elastisch biegsam gemeint sein kann,
haben die Gerichtsexperten und die Vorinstanz überzeugend dargetan. Da
ferner die Prüfung der Patentschrift ergibt, dass deren Angaben über die
bei der mechanischen Bearbeitung in Betracht kommenden Faktoren (Wahl
des Ausgangsmaterials, Bestimmung der Bearbeitungstemperatur usw.) und
über die als besonders geeignet zu bezeichnenden Mittel, als deren
vollkommenstes die Verwendung der Hämmermaschine erscheine, gegenüber der
Kennzeichnung der Erfindung im Patentanspruch keine neuen, konstitutiven
Elemente darstellen (vgl. BGE 47 II 495), sondern sich sämtlich unter
die in demselben enthaltene allgemeine Umschreibung des Inhalts der
Erfindung subsumieren lassen, so ist den formalen Erfordernissen des
Gesetzes, wenigstens in Bezug auf den Verfahrenssi anspruch, Genüge getan.

3. Durch die angeführten Merkmale unterscheidet sieh das, Gegenstand des
Patentanspruchs II der Klägerin bildende Verfahren, welches mit demjenigen
des entsprechenden deutschen Patents der Klägerin übereinstimmt,
auch in patentrechtlich genügender Weise von den vorbekannten
Verfahren zur Herstellung von Wolframfäden, wie sie zur Anfertigung von
Metallfadenlampen mit gewickeltem Draht brauchbar sind, insbesondere von
den von der Beklagten hauptsächlich als neuheitszerstörend angerufenen
englischen Patenten Nr. 21,513 und 16,530 der Thomàon Houston Gesellschaft

516 Erfindungsschutz. N° 68.

vom 26. September 1906 und 18. Juli 1907. Ja die gerichtlichen Experten
erblicken darin, dass man ein Metall, welches für spröde galt, und bis
dahin nur als solches erhalten worden War, duktil machen kann, wenn
man die die Strukturveränderung bewirkende, systematische, mechanische
Bearbeitung nur andauernd und wiederholt , d. h. lange genug unter
geeigneten Voraussetzungen fortsetzt, geradezu eine neue Lehre....

4. Ist somit in dem in Patentanspruch II geoffenbarten Verfahren zur
Herstellung bei gewöhnlicher Temperatur duktilen Wolframdrahtes eine
schutzwürdige Erfindung zu erblickén, so fragt es sich weiter, 013
Patenta'nspruch I, welcher den durch das gedachte Verfahren erzeugten
Stoff zum Gegenstand hat, vor dem Gesetz stand halte. Hiebei ist die
Tatsache von aussehlaggebender Bedeutung, dass es sich bei der in Frage
stehenden Erfindung um ein einheitliches Ganzes handelt und deshalb der
Schutz des Erzeugnisses mit der Patentierung des zu dessen Herstellung
dienenden Verfahrens aufs Engste zusammenhängt. Das revid. PatG hat die
Wirkungen des (infolge Aufhebung der Schranke der Modelldarstellbarkeit)
neu eingeführten Verfahrensschutzes in Art. 7 II, in Anlehnung an
§ 4 des deutschen Patentgesetzes, in der Weise geregelt, dass der
gesetzliche Schutz sich auch auf die unmittelbaren Erzeugnisse eines
patentierten Verfahrens erstrecke, selbst wenn diese an sich nicht
neu sind (vergl. Botsch. d. BR vom 17. Juli 1906, BB] 1906 IV 249) ;
der Schutz des Erzeugnisses ist also hier insofern ein beschränkter,
als er nur denjenigen Stoff umfasst, welcher durch das patentwiirdige
Verfahren unmittelbar erzeugt wird, nicht aber den auf anderem Wege
hergestellten. Freilich kann nach Art. 26 IV PatG, wenn die Herstellung
eines neuen Erzeugnisses (mit Ausnahme chemischer Stoffe) Gegenstand
der Erfindung ist, je ein Patentanspruch für das Verfahren und für das
Erzeugnis (oder auch nur ein einziger für das eine oder das andere)
aufgestellt

Erfindungssehutz. N° 68. 517

werden ; doch gilt auch für ein in Verbindung mit einem besonderen
Erzeugnisanspruch erteiltes Verfahrenspatent der in Art. 7 II
ausgesprochene Grundsatz über die Tragweite des gesetzlichen Schutzes,
d.h. es wird durch ein solches Patent nicht ein Monopol für sämtliche
Herstellungsarten des betreffenden Erzeugnisses zu Gunsten des
Patentträgers geschaffen.

Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass die Art und Weise, wie
Pate'ntanspruch I abgefasst ist, in formaler Hinsicht den gesetzlichen
Erfordernissen genügt; dieser Anspruch stellt eine blosse Ergänzung
des Verfahrensanspruches dar, und ist in Verbindung mit letzterem und
der Patenthesehreibung durchaus klar, wobei lediglich bemerkt werden
mag, dass er logischerweise dem Verfahrensanspruch nicht vorgehen,
sondern nachfolgen sollte. Die Rechtsbeständigkeit von Patentanspruch I
hängt also einzig davon ab, ob man es bei dem in Frage stehenden Stoff
(bei gewöhnlicher Temperatur duktilem Wolframdraht für elektrische
Glühlampen) mit einem neuen Erzeugnis im Sinn von Art. 26 IV PatG
zu tun habe. Zieht man in Betracht, dass es beim Erfindungsschutz auf
die gewerbliche Verwertbarkeit des Gegenstandes der Erfindung ankommt,
mithin die wirtschaftliche Bedeutung das entscheidende Kriterium für die
Neuheit des Erzeugnisses bilden muss, so darf auch diese Voraussetzung
im vorliegenden Fall als erfüllt angesehen werden, wenn gleich es,
strenge genommen, 'sich um eine hlosse Stofiänderung, um die Erzielung
einer neuen Eigenschaft an einem an sich bekannten Produkt handelt; die
technische Tragweite dieser Eigenschaft (der Duktilität bei gewöhnlicher
Temperatur) ist derart, dass sie das Erzeugnis zu einem neuen im Sinn
von Art. 26 IV PatG stempelt.

Aus dem Gesagten ergibt-sich aber, dass der gesetzliche Schutz sich
nur auf solchen bei gewöhnlicher Temperatur duktilen Wolframdraht für
elektrische Glühlampen erstreckt, welcher nach dem in Patentansprnch

513 Erfindungsschutz. N° 68.

II dargelegten Verfahren hergestellt ist. Die Gewährung eines
weitergehenden, sonst mögliche Herstellungsarten mit umfassenden
Schutzes würde sich nicht rechtfertigen, und wäre mit dem Interesse der
Allgemeinheit an möglichster Freiheit der Ausbeutung solcher Verfahren
nicht verträglich...

5. (Unteransprüche)

6. (Ausführungen darüber, dass die Beklagte das klägerische Patent
Widerrechtlich verletzt hat.)

7. a) Danach erscheint das Klagebegehren auf Unterlassung jeder weiteren
Patentverletzung als begründet, wobei immerhin zu präzisieren ist, dass,
wie in Erwägung 4 ausgeführt wurde, der Patentschutz nur solchen bei
gewöhnlicher Temperatur duktilen Wolframdraht umfasst, welcher ,nach
dem in Patentanspruch II dargelegten Verfahren hergestellt ist. Die
Verurteilung zur Unterlassung der Herstellung und des Vertriebs
elektrischer Glühlampen mit bei gewöhnlicher Temperatur duktilem
Wolframdraht bezieht sich also nur auf Lampen mit Draht, dessen
Herstellung den Patentanspruch II des klägerischen Patents 54,036
verletzt. Ob das für den, nach den Angaben der Beklagten seit Anfang
1921 von ihr verwendeten-Wolframdraht aus der Delvalschen Fabrik in
Aarau zutrifft, hat das Bundesgericht msi vorliegenden Verfahren nicht
zu entscheiden.

b) In Bezug auf die Festsetzung des Schadenersatzes ist die
Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts angesichts der tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz eine beschränkte. In rechtlicher Beziehung
ist zu bemerken: Dass bei Verletzung eines fremden Patentrechts der dem
Geschädigten laut Art. 39
SR 232.14 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) - Patentgesetz
PatG Art. 39 - Der Bundesrat kann die Artikel 37 und 38 gegenüber den Angehörigen von Ländern, welche Gegenrecht halten, ausser Kraft setzen.
PatG zustehende Schadenersatzanspruch sich
nicht auf den Ersatz des ihm direkt entstandenen Schadens beschränkt,
sondern der Patentinhaber zum mindesten immer den Gewinn herausverlangen
kann, den der Verletzer aus der widerrechtlichen Ausbeutung der Erfindung
gezogen hat, hat das Bundesgericht schon in einer

Erfindungsschutz. N° 68. 519

Reihe von Urteilen ausgesprochen In diesen Entscheidungen wurde
ausgeführt, die Patentverwertung durch einen hiezu nicht berechtigten
Dritten stelle sich als unbefugte Führung fremder Geschäfte dar, die den
Benützer nach den Grundsätzen über die Geschäftsführung ohne Auftrag,
insbesondere nach Art. 423
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 423 - 1 Wenn die Geschäftsführung nicht mit Rücksicht auf das Interesse des Geschäftsherrn unternommen wurde, so ist dieser gleichwohl berechtigt, die aus der Führung seiner Geschäfte entspringenden Vorteile sich anzueignen.
1    Wenn die Geschäftsführung nicht mit Rücksicht auf das Interesse des Geschäftsherrn unternommen wurde, so ist dieser gleichwohl berechtigt, die aus der Führung seiner Geschäfte entspringenden Vorteile sich anzueignen.
2    Zur Ersatzleistung an den Geschäftsführer und zu dessen Entlastung ist der Geschäftsherr nur so weit verpflichtet, als er bereichert ist.
OR, welcher den Fall der Geschäftsführung
im Interesse des Geschäftsführers selbst behandelt, haftbar mache
(siehe insbes. BGE 35 II 658 ff. und die dort ätierte Literatur,
sowie den neuesten Entscheid vom 19. März 1919 in Sachen Mertz gegen
Meîlwig, BGE 45 II 207 ff.). Die Klägerin hat zwar diesen erweiterten
Schadenersatzstandpunkt erst im Laufe des Prozesses eingenommen; allein
die Vorinstanz erblickt in dieser Stellungnahme nur eine andere rechtliche
Auslegung der von Anfang an geltend gemachten Klagetatsachen, wobei es,
da es sich um eine nach kantonalem Prozessrecht zu entscheidende Frage
handelt, für das Bundesgericht sein Bewenden hat. Nun ergibt sich aus
dem Ergänzungsgutachten, das die Gerichtsexperten nach Durchführung der
Buchexpertise durch die Schweizerische T reuhandgesellschaft erstattet
haben, dass die Beklagte in der Zeit vom 1. August 1914 bis zum 30. April
1922 ca. 3 Millionen selbstverfertigte Wolframdrahtlampen verkauft und
an denselben pro Stück 10,7 Rp. verdient hat, was allein schon für
die ersten 4 Jahre bis zum Zeitpunkt der Klageeiureichung (Oktober
1918) rund 1,500,000 stück, also über 150,000 Fr. ausmacht. Dazu
kommt ein namhafter Betrag für die Bereicherung aus dem Verkauf der
fertig bezogenen, das klägerische Patent verletzendcn Lampen ; die
Vorinstanz hat die Zahl dieser Lampen (abzüglich der von der Klägerin
selber bezogenen rund 280,000 Stück) auf 476,600 festgesetzt, und den
aus dem Verkaufe derselben Während der ersten 4 Jahre erzielten Gewinn
auf Grund der Expertise auf weitere 53,000 Fr. angeschlagen. Gegen diese
Berechnungsweise lässt sich vom bundesrechtlichen Standpunkt aus nichts
einwenden; insbesonAS 49 II 1923 35

520 Erfindungssehutz. N° 68.

dere kann die Beklagte nicht verlangen, dass für Fabrikate, die sie von
Lizenzträgern der Klägerin gekauft habe, ein Abzug gemacht werde, da sie
keine Angaben darüber gemacht hat, wieviel Stück sie von Lieferanten
erworben habe, die berechtigt sind, Glühlampen mit einem nach dem
klägerischen Patent hergestellten Wolframdraht zu verkaufen. Hieraus
folgt, dass die Schadenersatzforderung von 100,000 Fr. in vollem
ssUmfange begründet ist, und der ganze eingeklagte Betrag der Klägerin
zuzusprechen ist.

c) und d) (Einziehung des patentwidrigen Materials,
Urteilsveröffentlichung).

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Zivilgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 21. Juli 1923 in allen Teilen (Dipositiv 3 im Sinne der
Erwägungen) bestätigt.

IV. Schuldbetreibungs und KONKURSRECHT

POURSUITE ET FAILLITE

Siehe III. Teil Nr. 59 und 60. Voir IIIe partie n° 59 et 60.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 49 II 507
Datum : 27. Juni 1923
Publiziert : 31. Dezember 1924
Quelle : Bundesgericht
Status : 49 II 507
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 506 Obligationenrecht. N° 67 . entschuldbar. Es handelte sich dabei um Massnahmen,


Gesetzesregister
OR: 423
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 423 - 1 Wenn die Geschäftsführung nicht mit Rücksicht auf das Interesse des Geschäftsherrn unternommen wurde, so ist dieser gleichwohl berechtigt, die aus der Führung seiner Geschäfte entspringenden Vorteile sich anzueignen.
1    Wenn die Geschäftsführung nicht mit Rücksicht auf das Interesse des Geschäftsherrn unternommen wurde, so ist dieser gleichwohl berechtigt, die aus der Führung seiner Geschäfte entspringenden Vorteile sich anzueignen.
2    Zur Ersatzleistung an den Geschäftsführer und zu dessen Entlastung ist der Geschäftsherr nur so weit verpflichtet, als er bereichert ist.
PatG: 5 
SR 232.14 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) - Patentgesetz
PatG Art. 5 - 1 Der Patentbewerber hat dem IGE den Erfinder schriftlich zu nennen.14
1    Der Patentbewerber hat dem IGE den Erfinder schriftlich zu nennen.14
2    Die vom Patentbewerber genannte Person wird im Patentregister, in der Veröffentlichung des Patentgesuchs und der Patenterteilung sowie in der Patentschrift als Erfinder aufgeführt.15
3    Absatz 2 ist entsprechend anwendbar, wenn ein Dritter ein vollstreckbares Urteil vorlegt, aus welchem hervorgeht, dass nicht die vom Patentbewerber genannte Person, sondern der Dritte der Erfinder ist.
39
SR 232.14 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) - Patentgesetz
PatG Art. 39 - Der Bundesrat kann die Artikel 37 und 38 gegenüber den Angehörigen von Ländern, welche Gegenrecht halten, ausser Kraft setzen.
BGE Register
35-II-643 • 45-II-202 • 47-II-490
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • erfinder • patentanspruch • bundesgericht • mechaniker • vorinstanz • nichtigkeit • zivilgericht • frage • eigenschaft • basel-stadt • bezogener • schaden • rechtsbegehren • erfindungspatent • ware • schadenersatz • schweizerisches handelsamtsblatt • einwendung • zins
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