I. FAMILIENRECHT

DROIT DE LA FAMILLE

46. Urteil der II. Zivilabtoilnng vom 28. September 1922
i. S. Vollenweider gegen Müller gesch. Vollenweider. Art.1572GB.Aenderung
eines Scheidungsurteils. Aenderung der Kinderznteilung wegen
Wiederverheiratung: Zuständigkeit des Richters. Voraussetzungen der Aen-

derung. Zulässige Massnahmen, Bezeichnung des einen Elternteils als
Vormund-

A. Der Rekurrent Vollenweider, geboren am 16. Dezember 1886, war in
erster Ehe mit einer Berta Zellweger verheiratet. Diese Ehe wurde am
8. März 1916 geschieden und der daraus am 20. Dezember 1909 entsprossene
Knabe Walter dem Vater zur Pflege und Erziehung zugewiesen. Auch eine
zweite Ehe, die der Rekurrent mit einer Hedwig Müller einging, war
keine glückliche. Namentlich die Behandlung des Knaben Walter durch
die Stiefmutter gab zu häufigen Streitigkeiten Anlass. Am 6. Juni
191? schritt das Fürsorge-unt deswegen ein und versorgte den Knaben in
einem Fürsorgeheim. Schon andern Tags wurde er jedoch von seinem Vater
Wieder zurückgefordert. Vom Februar bis Mai 1919 versorgte Vollenweider
das Kind in der Station Pro Juventute, und im Oktober 1920, nachdem
der Kläger inzwischen Scheidungsklage eingeleitet hatte, wurde es ins
Jugendheim verbracht.

Am 26. August 1919 war der zweiten Ehe des Klägers ein Mädchen Hedwig
entsprossen. Nach Einleitung des Scheidungsprozesses wurde es gleichzeitig
mit seinem Stiefbruder im Jugendheim versorgt. Vom 1. November

AS 58 II 1922 20

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1920 an lebte es wieder bei seiner Mutter, die es dann bei einer Frau
Russenberger und später bei einer Frau Jenny verkostgeldete. Auch
Walter wurde im November 1920 an einen Kostort gegeben. Im November
1920 stellte das Waisenamt Zürich beiden Kindern gemäss Art. 283 ZGB
einen Beistand. Die Beistandschaft über den Knaben wurde jedoch in der
Folge auf Rekurs des Vaters hin aufgehoben. Am 11. Mai 1921 sprach das
zürcherische Obergericht die Scheidung der zweiten Ehe des Rekurrenten
aus und wies das Mädchen Hedwig der Mutter zur Pflege und Erziehung
zu. Dabei wurde Vollenweider auf Grund einer Vereinbarung der Parteien
zu einem monatlichen Alimentationsbeitrage von 70 Fr. verpflichtet.

Unterm 27. September 1921 verlangte der Rekurrent Aenderung dieses
'Urteils und Zuteilung des Kindes Hedwig an ihn. Eventuell erklärte er
sich einverstanden, dass es der Vormundschaftsbehörde überwiesen werde.
Während des Prozesses verheiratete sich Vollenweider zum dritten Male
mit Emma Widmer gesch. Mazzanti. Das Gericht zog einen Bericht der
Vormundschaftsbehörde ein, der sich dafür ausspricht, der Mutter die
elterliche Gewalt zu entziehen, da sie das Kind vernachlässige, es aber
auch nicht dem Vater zuzusprechen, da er sich wieder verheiratet habe
und Kinder aus verschiedenen Ehen zusammenkommen würden.

B. -Beide kantonalen Instanzen, das Obergericht mit Urteil vom 20. Mai
1922, haben sich dieser Auffassung angeschlossen und das Mädchen Hedwig
der Obsorge der Vormundschaftsbehörde unterstellt unter Verpflichtung
des Vaters, dem gesetzlichen Vertreter des Kindes an dessen Unterhalt
monatlich 70 Fr. zu bezahlen.

C. Hiegegen hat Vollenweider sowohl die Berufung als auch die
zivilrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag,
es sei die elterliche Gewalt über das Kind Hedwig ihm zuzusprechen.

Familienrecht. N° 46. 305

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Da die Abänderung eines Scheidungsurteils in Frage steht, beurteilt
sich der Anspruch des Klägers nach Art. 157 ZGB, und zwar vermag hieran
der Umstand nichts zu ändern, dass die Vorinstanzen das klägerische
Begehren um Zusprechung der elterlichen Gewalt wesentlich mit Rücksicht
darauf ablehnten, dass der Kläger sich wieder verheiratet habe. Auch
diese Frage nach der Bedeutung der Wiederverheiratung für die Regelung
der Verhältnisse zwisehen geschiedenen Eltern und ihren Kindern ist in
Art. 15
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 15
? ZGB ausdrücklich dem Richter vorbehalten. Allerdings ergibt
sich daraus insofern ein gewisser Widerspruch, als nach Art. 286
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 286 - 1 Das Gericht kann anordnen, dass der Unterhaltsbeitrag sich bei bestimmten Veränderungen der Bedürfnisse des Kindes oder der Leistungsfähigkeit der Eltern oder der Lebenskosten ohne weiteres erhöht oder vermindert.
1    Das Gericht kann anordnen, dass der Unterhaltsbeitrag sich bei bestimmten Veränderungen der Bedürfnisse des Kindes oder der Leistungsfähigkeit der Eltern oder der Lebenskosten ohne weiteres erhöht oder vermindert.
2    Bei erheblicher Veränderung der Verhältnisse setzt das Gericht den Unterhaltsbeitrag auf Antrag eines Elternteils oder des Kindes neu fest oder hebt ihn auf.
3    Bei nicht vorhergesehenen ausserordentlichen Bedürfnissen des Kindes kann das Gericht die Eltern zur Leistung eines besonderen Beitrags verpflichten.357
ZGB
allgemein der Vormundschaftsbehörde das Recht" eingeräumt wird, im
Falle von Wiederverheiratung von Vater oder Mutter den Kindern, die
sich unter ihrer Gewalt befinden, einen Vormund zu bestellen. Allein
Art. 157 wollte offenbar hievon den Fall der Aenderung der Verhältnisse
ges chiedener Ehegatten ausnehmen, davon ausgehend, dass die vom Richter
im Scheidungsurteil getroffenen Massnahmen auch Wieder nur vom Richter
abgeändert werden sollen.

Als Streit über die Anwendung des Art. 157 ZGB unterliegt der vorliegende
Prozess, da im übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, der
Berufung an das Bundesgericht. Anderseits kann auf die zivilrechtliche
Beschwerde, die nur in Fällen zulässig ist, wo das Rechtsmittel der
Berufung versagt, nicht eingetreten werden.

2. In materieller Hinsicht ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen
des Einschreitens bei Wiederverheiratung eines geschiedenen Elternteiles
keine andern sein können als im Falle der Wiederverheiratung eines
verwitweten Vaters oder einer verwitweten Mutter. Den Bestimmungen des
Art. 157 und 286 liegt genau die gleiche ratio zu Grunde. Der Richter,
der im Sinne

306 Familienrecht. N° 46.

von Art. 157 eingreift, darf daher jedenfalls nicht an schwerere
Voraussetzungen gebunden werden als die Vormundschaftsbehörde, die
nach Art. 286 vorgeht. Insbesondere ist er nicht nur dann zu einer
Aenderung des Scheidungsurteils befugt, wenn in der Person desjenigen
Elternteiles, der die elterliche Gewalt inne hat, ein Entzugsgrund
gegeben ist, sondern wie im Falle von Art. 286 immer dann, wenn die
Verhältnisse , d. h. die Interessen des Kindes, es erfordern. Dabei
steht ihm, angesichts der allgemeinen Fassung des Art. 157 ZGB nicht nur
das Recht zu, die elterliche Gewalt dem einen Ehegatten zu entziehen und
dem andern zu übertragen, er kann vielmehr auch andere ihm gutdiinkende
Massnahmen ergreifen.

Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz gegen eine Unterstellung
des Kindes Hedwig unter die elterliche Gewalt des Klägers vor allem
ausgeführt, es bestehe die Gefahr, dass Kinder verschiedener Ehen
zusammenkommen und dass dadurch Reibereien entstehen, die die Entwicklung
des Kindes nachteilig be· einflussen würden. Diese Argumentation hat
der Kläger nicht zu entkräiten vermocht. Wenn auch nicht richtig zu sein
scheint, dass die dritte. Frau des Klägers auch Kinder aus ihrer früheren
Ehe eingebracht hat, so muss doch damit gerechnet werden, dass der neuen
Ehe wiederum Kinder entspriessen werden, sodass dann dreierlei Kinder in
einem Haushalt vereinigt wären. Sodann aber berechtigt auch die Tatsache,
dass der Kläger nun schon zum dritten Male und zwar wieder mit einer
geschiedenen Frau verheiratet ist, zu Zweifeln darüber, ob das Kind
Hedwig in diesem neuen Haushalt ein erspriessliches Familienleben zu
erwarten hat. Endlich war auch das Verhalten des Klägers gegenüber seinem

Knaben Walter während des Bestehens der zweiten _

Ehe nicht einwandfrei. Dass er ihn brutal behandelt habe, wie die erste
Instanz annahm, hat die Vorinstanz allerdings nicht festgestellt. Dagegen
ergibt sich ausFamilienrecht. N° 46. 307

dem eingangs angeführten Tatbestand doch insofern ein schwerwiegender
Mangel an Verständnis für die Bedürfnisse eines Kindes, als der Kläger
nachdem die zweite Ehe neuerdings zu Zwistigkeiten geführt hatte, den
Knaben allerdings aus dem Hause schaffte, ihn aber nirgends längere Zeit
verbleiben liess, sondern von einem Kostort an den andern gab.

3. Erweist sich somit die Unterstellung des Kindes Hedwig unter
die'Obsorge der Vormundschaftsbehörde als gerechtfertigt, so frägt sich
dagegen, ob nicht der Kläger selber zum Vormund des Kindes bestellt werden

soll. Auch diese, in Art. 286 Abs. 2 ausdrücklich vor-

gesehene Massnahme, kann nach der allgemeinen Fassung des Art. 157 im
Verfahren auf Abänderung eines Scheidungsurteiles angeordnet werden. Sie
ist im vorliegenden Falle um so eher in Betracht zu ziehen, als dem
Kläger immerhin schwere Verfehlungen nicht nachgewiesen sind und als über
seine Verhältnisse seit Abschluss seiner dritten Ehe nichts Nachteiliges
bekannt ist. Die Vormundschaftsbehörde, der die Vorinstanz die Befugnis
zu weiteren Massnahmen delegiert hat, ist daher gehalten, in erster
Linie diese Frage zu prüfen_ Dabei kann aber für diese Prüfung nicht die
Vormundschaftsbehörde von Zürich, sondern nur diejenige des Wohnsitzes
des Klägers in Betracht kommen, weshalb die Führung der Vormundschaft
auf sie zu übertragen ist. Nur die Behörde am Wohnsitz des Klägers
ist praktisch im Stande, in seine derzeitigen Verhältnisse Einsicht
zu nehmen und auch, wenn die Vormundschaft dem Kläger übertragen wird,
die Vormundschaftsführung zu beaufsichtigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Auf die zivilrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten und die Berufung
im Sinne der Motive abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 48 II 303
Datum : 28. September 1922
Publiziert : 31. Dezember 1922
Quelle : Bundesgericht
Status : 48 II 303
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : I. FAMILIENRECHT DROIT DE LA FAMILLE 46. Urteil der II. Zivilabtoilnng vom 28.


Gesetzesregister
ZGB: 15 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 15
157  283  286
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 286 - 1 Das Gericht kann anordnen, dass der Unterhaltsbeitrag sich bei bestimmten Veränderungen der Bedürfnisse des Kindes oder der Leistungsfähigkeit der Eltern oder der Lebenskosten ohne weiteres erhöht oder vermindert.
1    Das Gericht kann anordnen, dass der Unterhaltsbeitrag sich bei bestimmten Veränderungen der Bedürfnisse des Kindes oder der Leistungsfähigkeit der Eltern oder der Lebenskosten ohne weiteres erhöht oder vermindert.
2    Bei erheblicher Veränderung der Verhältnisse setzt das Gericht den Unterhaltsbeitrag auf Antrag eines Elternteils oder des Kindes neu fest oder hebt ihn auf.
3    Bei nicht vorhergesehenen ausserordentlichen Bedürfnissen des Kindes kann das Gericht die Eltern zur Leistung eines besonderen Beitrags verpflichten.357
Stichwortregister
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